Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde im Interview

„Gemeinheit von Pelinka“: Ariel Muzicants Vorwürfe gegen Anton Pelinka

Ariel Muzicants Vorwürfe gegen den Ex-Vorstand des Wiesenthal Instituts Anton Pelinka

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profil: Jahrelang haben Sie und viele andere um das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Forschung (VWI) gekämpft, jetzt sieht es aus wie ein Trümmerhaufen. Tom Segev, dessen neue Wiesenthal-Biografie kommendes Jahr in sechs Sprachen erscheinen wird, hat sich wie andere internationale Experten zurückgezogen.
Muzicant: Mit mir hat Segev nie geredet. Das Institut ist ein Trümmerhaufen, wenn einige Leute das so wollen.

profil: Wer?
Muzicant: Professor Anton Pelinka, der ausgeschieden ist, und der bisherige Geschäftsführer des Instituts, Ingo Zechner. Pelinka ist einer der größten Politologen in Österreich, aber menschlich ist er eine große Enttäuschung.

profil: Pelinka stand immer auf der Seite der jüdischen Gemeinschaft. Er ist nach den Auseinandersetzungen um das wichtige Archiv der Kultusgemeinde gegangen und fürchtet Umklammerung des Instituts durch die Kultusgemeinde und Gefährdung der Unabhängigkeit.
Muzicant: Zum Archiv: Die Kultusgemeinde hat ein Riesenproblem mit Eigentumsverlusten. Wir haben eine Paranoia, dass man uns Dinge wegnimmt. So ist es geschehen mit dem Teil des Archivs, das in den 1950er Jahren nach Israel verliehen wurde. Die Israelis sagen, wir geben es euch nicht, weil in Israel mehr österreichische Juden als in Österreich leben. Ich bestehe darauf, dass das Archiv der Kultusgemeinde gehört.

profil: An das Wiesenthal Institut kommt das Archiv der Kultusgemeinde doch als Leihgabe.
Muzicant: Der Geschäftsführer des Wiesenthal Instituts wollte alles in Bausch und Bogen, er hat das Archiv wie sein Eigentum betrachtet. Ich habe gesagt: Stopp, wir stellen Shoah-relevantes Archivgut zur Verfügung. Das hat zum ersten Krach mit dem VWI geführt. Dann hatten sie vor, das gesamte Archiv zu kopieren und zu digitalisieren und mit diesen Dingen zu machen, was sie wollen. Wir haben gesagt, wenn der Tag kommt, wo das Archiv an uns zurückgeht, sind alle Vervielfältigungen ebenfalls Eigentum der Kultusgemeinde. Es gibt keinen Umweg, das ganze Archiv zu vervielfältigen und es dann in die ganze Welt zu verkaufen.

profil: Es wurde lange gestritten, ob Forscher nur ein Stück oder wenigstens einen ganzen Akt kopieren dürfen.
Muzicant: Es gab Formulierungen vonseiten der Kultusgemeinde, die überzogen waren. Das gebe ich zu. Nach dem Krach (Anm.: Rücktritt des gesamten Vorstands des Wiesenthal Instituts im Juli) hat man die Kampfhähne zurückgepfiffen, und der Zeithistoriker Bertrand Perz, Brigitte Bailer vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und ich haben uns hingesetzt und einen unterschriftsreifen Vertrag ausgehandelt.

profil: Aus Ihrer Sicht haben Sie sich zu spät darum gekümmert.
Muzicant: Ja, das war mein Fehler im Sommer. Übrigens, der Herr Professor Pelinka hat sich auch nicht gekümmert, er hat das anderen überlassen.

profil: Sie werfen Pelinka sehr viel vor.
Muzicant: Ich bin noch gar nicht fertig. Am Tag vor der Generalversammlung schrieb Pelinka, dass wir uns eigentlich einig sind. Und dann kommt er in die Generalversammlung und will der Uni Wien und dem Bund der Jüdisch Verfolgten, dem das Archiv von Simon Wiesenthal gehört, vorschreiben, wen sie in den Vorstand entsenden sollen. Die Tochter von Simon Wiesenthal sieht sich mit dem Leihvertrag des VWI über das Archiv ihres Vaters nicht vertreten, da man Dokumente ihres Vaters, Zeichnungen, Briefe, hineingenommen hat. Und dann wollte sie eine Person ihres Vertrauens entsenden.

profil: Ausscheiden musste Simon Wiesenthals jahrzehntelange Mitarbeiterin, die Pelinkas Sicht vertritt. Sie sprechen von menschlicher Enttäuschung. Ist es menschlich, wenn sie Wiesenthals Brief zeigt, mit dem er selbst sie als seine Vertreterin beauftragt hat – und der Generalsekretär der Kultusgemeinde, Raimund Fastenbauer, das mit einem „Das ist kein Vorstandsbeschluss“ wegwischt?
Muzicant: Fastenbauer und Wiesenthals Tochter versuchten davor erfolglos, sich mit der ehemaligen Büroleiterin Wiesenthals zu treffen.

profil: Neues Vorstandsmitglied des Instituts sind Sie, vier Vorstände haben Sie vorgeschlagen, wie den Juristen Georg Graf.
Muzicant: Der Vorwurf, dass die Kultusgemeinde sich jetzt das Wiesenthal Institut unter den Nagel reißt, ist eine weitere Gemeinheit von Pelinka. Graf habe ich nicht als den Mann der Kultusgemeinde nominiert. Er war Jurist der Historikerkommission. Er ist dort als Wissenschafter. Er hat für die Kultusgemeinde immer wieder Gutachten gemacht. Auch bei den ganzen Streitereien haben wir ihn um seine Meinung gefragt, und er ist eine von allen anerkannte Persönlichkeit.

profil: Nach dem Rücktritt von Pelinka und dem VWI-Geschäftsführer wurden alle Schlösser des Instituts ausgetauscht.
Muzicant: Weil von Pelinka in der Nacht nach dem Rücktritt Briefe an den Wiener Kulturstadtrat und andere hinausgingen, um ihnen zu sagen, dass das Wiesenthal Institut die Förderungskriterien nicht mehr erfüllt.

profil: Versuchen wir, zum Grundsätzlichen zu kommen.
Muzicant: Das Grundsätzliche ist, Pelinka hat sich nicht durchgesetzt und versucht nun, das VWI zu zerstören. Und das mit unlauteren Mitteln. Mir wurde ein Papier von ihm an den Vorstand des Instituts zugespielt, in dem er wörtlich eine radikale Emanzipation des Wiesenthal Instituts von der Kultusgemeinde fordert, und zwar so: „Die IKG signalisiert uns andauernd, dass jeder Akt, den wir bekommen, ein Gnadenakt ist. Wir sollten für uns beschließen, dass wir solche Gnadenakte nicht wollen, das Archiv der IKG der wissenschaftlichen Auswertung zuzuführen war von Anfang an nur eine sekundäre Aufgabe.“ Und so weiter. Er wollte das Shoah-relevante Archiv 1919 bis 1970, er bekommt es. Was wollte er noch? Streitigkeiten der Orthodoxie in den 1920er Jahren? Kriegt er von mir nicht. Nach außen sagt er, ohne unser Archiv kann man nicht forschen, und da sagt er, er braucht’s nicht.

profil: Ist es nicht im Grunde unmöglich, dass eine jüdische Gemeinde mit der verheerenden Vernichtungsgeschichte der Shoah wie in Wien in einem Holocaust-Forschungsinstitut sitzt? Im Vorstand, im Entscheidungszentrum. Das birgt Konflikte doch in sich.
Muzicant: Ja, ich bin der Meinung, dass das völlig unzulässig ist und dass eine jüdische Gemeinde eigentlich in der Führung so eines Instituts nichts verloren hat.

profil: Sie sagten, Sie hätten Angst davor, dass ein neuer Holocaust-Leugner wie David Irving mithilfe des Archivs der Kultusgemeinde erklärt, es habe keinen Holocaust gegeben. Haben Sie Angst vor Spinnern wie Irving?
Muzicant: Nein. Aber ich habe Angst vor Leuten, die sagen, Simon Wiesenthal habe daraus ein Geschäft gemacht – und die gibt es. Es gibt genug Leute, die uns vorwerfen, wir hätten aus der Shoah ein Geschäft gemacht. Ich bin Wiesenthal gegenüber verpflichtet, dass das nicht passiert.

profil: Misstrauen Sie der Verantwortung der Wissenschaft?
Muzicant: Aber ich habe eine besondere Verantwortung, dass die Shoah nicht wie Karthago vergessen wird. Ich muss auch dafür sorgen, dass die Shoah nicht ständig ein Thema der Juden für die Juden ist.

profil: Sie sind aber mitten drin.
Muzicant: Nicht, weil das mein Plan war.

profil: Zur Auseinandersetzung mit der Shoah: Nach einem Film über Benjamin Murmelstein, der unter den Nazis die Kultusgemeinde zu führen hatte, stand Generalsekretär Fastenbauer auf und erklärte öffentlich, Murmelstein sei nach Meinung mancher in der jüdischen Gemeinde Nazi-Kollaborateur gewesen, er werde „Murmelschwein“ genannt. Doron Rabinovici hat in seinem Buch klar beschrieben, wie die Nazis jüdische Repräsentanten zu „Instanzen der Ohnmacht“ verdammten.
Muzicant: Es ist die Wahrheit, dass es zu Murmelstein verschiedene Meinungen gibt. Die derzeitige IKG-Führung hat dazu nicht Stellung genommen. Ich werde mit dem Generalsekretär darüber reden.