Elfriede Hammerl

Getäuscht

Getäuscht

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1.

Kürzlich habe ich geheiratet, meine Ehe aber gleich wieder annullieren lassen. Mein Bräutigam hat mich nämlich arglistig getäuscht. Er hat mich in dem Glauben gewiegt, dass er groß und stark sei, und dann hat sich herausgestellt, dass er nicht einmal einen simplen Kleiderkasten heben kann. Damit hat er mich im Hinblick auf eine wesentliche Eigenschaft belogen. Für mich ist es nämlich eine wesentliche Eigenschaft, dass Männer stark sind, so ist das nun einmal in meinem Weltbild verankert. Hätte ich gewusst, dass er ein Schwächling ist, hätte ich ihn nie geheiratet. Die Richterin hat das zum Glück eingesehen und unsere Eheschließung für ungültig erklärt …
Ja, natürlich, eine erfundene Geschichte – aber könnte sie wahr sein? In Frankreich hat sie sich gerade so ähnlich abgespielt. Eine junge Moslemin heiratete, in der Hochzeitsnacht stellte sich heraus, dass sie nicht mehr Jungfrau war, daraufhin brachte ihr Mann sie empört zu ihren Eltern zurück und klagte auf Annullierung der Ehe. Er bekam Recht, da ihn, so die Begründung der Richterin, seine Frau über „ihre wesentlichen Eigenschaften“ getäuscht habe.
Der Fall wurde publik und löste in Frankreich einen Entrüstungssturm aus, weil die Bewertung der Jungfräulichkeit als wesentliche Eigenschaft einer Person in der Öffentlichkeit nicht gut ankam. Nun läuft ein Berufungsverfahren, dessen Ausgang darüber entscheiden wird, ob die beklagte Braut in Zukunft als ledig oder als geschieden gilt.
Kollege Robert Treichler, der den Fall in profil 25/2008 kommentierte, war aufseiten der Richterin. Ihre Entscheidung sei richtig gewesen. Tatsächlich sei der Bräutigam ja getäuscht worden, und da das Gesetz nicht festlege, was als wesentliche Eigenschaft zu werten sei, habe der Bräutigam Definitionsfreiheit gehabt. Wesentlich sei demnach jede
Eigenschaft, ohne die der Kläger die Beklagte nicht geheiratet hätte.
Ist es so? Nein, sagt die Wiener Anwältin und Scheidungsspezialistin Helene Klaar. Was – bei Gericht – als wesentliche Eigenschaft gelte, unterliege nicht der individuellen Festlegung durch die Eheleute. Mit Fug und Recht einfordern könne man nur Eigenschaften, die nach allgemeiner Auffassung als essenziell akzeptiert würden.
Klingt logisch. Denn andernfalls – siehe oben:
Wenn ich gewusst hätte, dass du nicht kochen kannst / nicht wirklich blond bist / zwei linke Hände hast, hätte ich dich nie geheiratet. Ich betrachte unsere Ehe als ungültig!
Natürlich steht jedem Menschen der Entschluss frei, nur eine naturblonde Person heiraten zu wollen, die das Schnitzel so perfekt hinkriegt wie die Mama, oder einen Kerl, der sich mit dem Verlegen von Lichtleitungen auskennt. Und natürlich muss man nicht unbedingt verheiratet bleiben, wenn man vom Eheleben tief enttäuscht ist. Aber gerichtlich relevant sind bloß Erwartungen, die auf den vom Gesetz festgelegten ehelichen Verpflichtungen basieren.
Und insofern ist es sehr bedenklich, wenn eine französische Richterin im Jahr 2008 die Jungfräulichkeit per Gerichtsurteil zur bräutlichen Verpflichtung erklärt.

Aber Braut und Bräutigam sind Moslem und Moslemin!
Ja, und?

Zivilgerichte haben nach staatlichen Gesetzen zu urteilen, nicht nach religiösen Geboten oder nach traditionellen, vom Gesetz nicht gedeckten Standards einzelner Bevölkerungsgruppen. Deshalb ist auch das Argument fragwürdig, die verstoßene Braut sei durch eine Annullierung der Ehe besser dran als durch eine Scheidung, weil geschieden zu sein Frauen in einem moslemischen Umfeld abwerte.
Abgesehen von der Abwertung, die eine Annullierung wegen fehlender Jungfräulichkeit sicherlich bedeutet, kann es auch nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, unrechtmäßiger Diskriminierung Rechnung zu tragen und sie damit als unumgänglich anzuerkennen.
Die Rechtslage verbietet – sowohl in Frankreich als auch bei uns – eine Benachteiligung geschiedener Frauen aufgrund ihres Zivilstandes. Aufgabe der Rechtsprechung wäre es, diesem Grundsatz zum Durchbruch zu verhelfen, falls er missachtet wird, und nicht, seine Missachtung zu tolerieren, indem sie als selbstverständlich vorausgesetzt wird.
Mag sein, dass die junge Frau, wie kolportiert wird, vor allem froh ist, einer ungewollten Ehe entkommen zu sein. Aber wollen wir wirklich davon ausgehen, dass manche Frauen aus ungewollten Ehen nur befreit werden können, indem wir unsere Rechtsgrundsätze außer Acht lassen? Und wenn ja, was signalisieren wir damit?

2.

Kürzlich, beim Heurigen, in einer Wiener Umlandgemeinde: Der Bürgermeister1) rühmt sich einer mediatorischen Großtat.
Seine Geschichte geht so: Da taucht doch plötzlich eine Frau bei ihm auf, mit zwei Koffern und einer Stich- oder Schnittverletzung im Gesicht. Sie brauche einen Unterschlupf, sagt sie, sie gehe nicht mehr nach Hause, ihr Mann habe sie mit dem Brotmesser bedroht und auch verletzt.
Der Bürgermeister, ein lebenserfahrener Mann in mittleren Jahren, weiß sofort, wie zu reagieren ist.
„Sei froh“, sagt er, ganz Herr der Situation, zu der Frau, „dass er nicht das Fleischmesser genommen hat, da tätst anders ausschauen. Und jetzt gehst heim, gibst ihm a Bussl, und ihr seids wieder gut.“
Oh ja, wir haben ein ziemlich gutes Gewaltschutzgesetz und ziemlich gute Beratungseinrichtungen. Was uns offenbar fehlt, ist eine ausreichende Aufklärung ignoranter Patriarchen in Schlüsselpositionen.