Goldsuche

Goldsuche: Schätze der Tiefe

Schätze der Tiefe

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xakt vier Buchstaben brachten die Gewissheit. Tagelang war „Zeus“, der kompakte Unterwasserroboter, über den Grund des Atlantiks gesteuert worden, hatte in etwa 520 Meter Wassertiefe Fotos geschossen. Mitte Oktober konnte der Archäologe Neil Cunningham Dobson die Erfolgsmeldung ans Festland funken: „Zeus“ war 160 Kilometer vor der Küste des US-Bundesstaates Georgia fündig geworden, hatte am Meeresgrund eine Bronzeglocke aufgespürt. Vier darauf eingeprägte Großbuchstaben waren deutlich erkennbar: „SSEE“.
Die Männer an Bord des Expeditionsschiffes „Odyssey Explorer“ wussten, dass sie das gesuchte Wrack damit identifiziert hatten. „SSEE“ war zweifellos Teil des Schiffsnamens „SS Tennessee“ – eine zeitweilige Bezeichnung des Seitenraddampfers „SS Republic“, der im Oktober 1865 auf der Route von New York nach New Orleans gesunken war, nachdem er zwei Tage vergeblich gegen einen Hurrikan angekämpft hatte. Die Besatzung und die meisten der 59 Passagiere hatten überlebt, doch die Fracht des Schiffes blieb für 138 Jahre im Ozean verschwunden – bis das Wrack nun von einer Crew der Odyssey Marine Exploration, eines auf Schiffsbergungen spezialisierten Unternehmens mit Sitz in Tampa, Florida, aufgespürt wurde.
Zwölf Jahre hatten die Versuche, die „SS Republic“ zu finden, gedauert, fast 2500 Quadratkilometer Seefläche waren abgesucht, 24 mögliche Fundstellen inspiziert worden, stets unter Verwendung modernster Ortungstechnologie. Die Experten brachten Geräte mit Bezeichnungen wie Edgetech Chirp Side-Scan Sonar und Seaspy Overhauser Magnetometer sowie ihre Unterwasserroboter zum Einsatz, von Fachleuten Remote Operated Vehicles genannt. Mehrere Millionen Dollar hat die Aktion bisher gekostet.
Der Aufwand erklärt sich aus der Fracht, die an Bord der „SS Republic“ vermutet wird: Der Dampfer soll Gold- und Silbermünzen geladen gehabt haben, die zum Zeitpunkt des Untergangs einen Nominalwert von 400.000 Dollar repräsentierten. Der heutige Wert der Ladung wird auf bis zu 120 Millionen US-Dollar taxiert.

Goldfund. Seit der Entdeckung der Schiffsglocke sind rund 40 Experten samt ihren High-Tech-Apparaturen im Dauereinsatz. Bei 23 Tauchgängen wurden gut 5000 Digitalaufnahmen von der Fundstelle angefertigt und zu einer fotografischen Unterwasserlandkarte zusammengefügt. Am 1. Dezember erfuhr die Weltöffentlichkeit von den Aktivitäten im Atlantik: „Odyssey entdeckt Gold- und Silbermünzen der ,SS Republic‘“, verlautbarte das Unternehmen. Rund 750 Goldmünzen habe man beim Wrack gefunden, zudem tausende Artefakte. „Die Entdeckung des Goldes war natürlich der große Moment“, sagt Greg Stemm, Gründer und Vorstand von Odyssey. „Viel Zeit zum Feiern hatten wir allerdings nicht.“ Denn schon innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate, berichtet Stemm, sollen die Bergung und archäologische Arbeiten an der Fundstelle abgeschlossen werden.
Ähnlich wie Odyssey sind auf den Weltmeeren dutzende Unternehmen unterwegs, um – mit teurem technischem Equipment an Bord und dem Kapital risikofreudiger Anleger im Rücken – nach versunkenen Goldschätzen mythenumrankter Schiffe aus früheren Jahrhunderten zu fahnden.
Mehr als drei Millionen Schiffe sollen im Lauf der Zeit fatalen Stürmen, tückischen Riffs, marodierenden Piraten oder simplen Navigationsfehlern zum Opfer gefallen sein. Etwa ein Prozent davon, so die gängige These, befindet sich in einer Gewässertiefe, die eine Bergung theoretisch ermöglicht. Und geschätzte 3000 Wracks sollen Reichtümer an Bord haben, die selbst extrem kostspielige Suchaktionen zum lukrativen Geschäft machen können – wenn die geborgenen Schätze an Museen oder begüterte Sammler veräußert werden.
Auf manchen Routen sollen an die 30 Prozent aller Schiffe abhanden gekommen sein –  mit Gold und Silber beladene spanische Galeonen, amerikanische Dampfer der Goldgräberzeit, Schiffe der holländischen Ostindienkompanie. Auch die Hälfte der spanischen Armada verschwand bekanntermaßen in den Fluten.

Strategische Schatzsuche. Allein Odyssey gibt an, derzeit ein gutes Dutzend konkreter Suchprojekte zu verfolgen. Das Dampfschiff „Seattle“, das im amerikanischen Bürgerkrieg samt Goldbarren unterging, zählt ebenso dazu wie das britische Kriegsschiff „HMS Sussex“, das 1694 infolge eines heftigen Sturms nahe der Straße von Gibraltar auf Grund lief. Zehn Tonnen Gold und an die hundert Tonnen Silber sollen solcherart im Mittelmeer versunken sein.
Die amerikanische Oro Del Mar Salvage Company wirbt um Anleger, welche die Bergung eines spanischen Schiffes aus dem Jahr 1715 finanzieren sollen. Ab einem Investment von 5000 Dollar ist die kommerzielle Beteiligung an dem auf drei Jahre angelegten Unterfangen möglich. Nach dem gleichen Prinzip versucht die französische Surcouf Group 970.000 Dollar für Vorhaben im Indischen Ozean und im Chinesischen Meer zu akquirieren – und stellt im Erfolgsfall hohe Renditen in Aussicht: 40 Prozent des Profits sollen den Investoren zufließen.
Die britische Aktiengesellschaft Deep Sea Exploration erstellt zur Orientierung potenzieller Anleger sogar detaillierte Listen, in welche die an Bord des jeweiligen Wracks vermutete Fracht sowie die dafür erzielbaren Preise eingetragen sind – Kanonen, Keramik, Navigationsinstrumente und, natürlich, Münzen, Goldbarren, Silber, Juwelen. Zurzeit verfolgt das Unternehmen eine ganze Reihe von Projekten, darunter die Suche nach einem „Banker’s Wreck“ getauften Schiff, das im 17. Jahrhundert auf eine Sandbank bei England lief und zerbrach. Der Wert der Ladung gilt angesichts des historischen Hintergrundes der Schiffsreise als enorm: Nach mehreren Dekaden, in denen England keinen Handel mit dem Ausland getrieben hatte, durften vor allem holländische Banken wieder am britischen Finanzmarkt teilnehmen – weshalb Bankiers an Bord des Schiffes ein stattliches Vermögen in Münzen und Goldbarren nach England transportieren wollten.
Die portugiesische Bergegesellschaft Arqueonautas konzentriert sich auf Schwerpunktregionen, in denen eine Vielzahl von Schiffen verloren ging. Einer dieser Hot Spots sind die Kapverdischen Inseln, wo mehr als 300 gesunkene Schiffe vermutet werden – 14 davon konnte Arqueonautas inzwischen bergen, darunter die „Princess Louisa“, die im April 1743 an einem Riff zerschellte. Insgesamt rund 70.000 Gold- und Silbermünzen sowie 5000 Artefakte konnten die Arqueonautas-Taucher am Meeresboden einsammeln. Mittlerweile sei das Kapverde-Projekt abgeschlossen, berichtet Stefan Schins, Leiter der deutschen Arqueonautas-Niederlassung: „Wir haben alle relevanten Wracks identifiziert, gefunden und zum Teil bereits versteigert“, so Schins. Nun ist das Unternehmen an der Küste Mosambiks aktiv, wo rund 80 Schiffswracks vermutet werden.
Die deutsche Sea Explorer AG (SEAG), die den Fund einer um das Jahr 960 gesunkenen chinesischen Dschunke sowie die Ortung eines Schiffes des legendären Piraten Henry Morgan vorweisen kann, verhandelt derzeit mit einem britischen Investor wegen der Suche nach zwei vor Mexiko versunkenen Schiffen. „Es handelt sich um zwei der reichstbeladenen Schiffe, welche die spanische Krone je verloren hat“, sagt SEAG-Sprecher Benjamin Köhler. Anfang 2004 soll das Projekt starten – eventuell zugleich mit der Suche nach einem bei Osttimor vermissten Wrack, welches seit 1769 mit zwei Tonnen Goldbarren in 70 bis 80 Meter Wassertiefe liegen soll. „Wir können das fragliche Gebiet bereits auf die Größe eines Bürokomplexes eingrenzen“, so Köhler.

Möglich wird derartige Genauigkeit durch moderne Technologie. Zwar hatten einst schon die spanischen Konquistadoren Sklaven nach verlorenen Schiffen tauchen lassen, und mit späteren Erfindungen wie der Taucherglocke konnten die Menschen immer länger unter Wasser bleiben – der heutigen Branche der Schatzsucher verleihen jedoch vor allem präzise Ortungsinstrumente wirkliche Effizienz. „Die Hatz nach dem Gold am Meeresgrund beginnt gerade erst“, glaubt Köhler. Vor allem US-Unternehmen seien „richtig heiß aufgrund des technischen Fortschritts“. Auch Iraklis Paschalidis, PR-Manager bei Deep Sea Exploration, beobachtet eine „Professionalisierung der Szene. Es wird wirklich mit High-Tech und unter Beiziehung von Wissenschaftern gearbeitet.“ Die Technik sei zumeist vom Militär entwickelt und in der Folge vorwiegend von der Ölindustrie genutzt worden. Paschalidis: „Wir sind nun die Dritten im Bunde.“

Archivrecherche. Bevor allerdings die Expeditionsschiffe mit all dem Equipment in See stechen können, sind die Historiker am Zug. Ohne penible Analyse alter Aufzeichnungen ist selbst teuerste Technik nutzlos. Dies erklärt auch, warum eine enorme Menge registrierter Wracks nach wie vor unentdeckt ist – obwohl tausende Schatzsucher ihr Glück versuchen und die ungefähre Position oft bekannt ist.

Doch in den riesigen Gewässern müssen die oft spärlichen Überreste eines Schiffes mitunter bloß ein paar Seemeilen vom vermuteten Ort entfernt im Sediment begraben sein, um Suchfahrten scheitern zu lassen. Deshalb werden Experten wie der britische Archivforscher Nigel Pickford konsultiert, die aus internationalen Bibliotheken in oft jahrelanger Arbeit alle verfügbaren Daten über ein Schiff zusammentragen: Logbücher, Versicherungs- und Frachtpapiere, Gerichtsakten, Berichte Überlebender, Zeitungsartikel.

Die Recherche für das „Banker’s Wreck“ beispielsweise fand in fünf europäischen Ländern statt. Und nicht selten sind die Forscher mit irreführenden Daten konfrontiert: So hatten fünf Schatzsucher vergeblich nach dem Wrack des Dampfers „Prins Frederik“ gesucht, der 1890 in der Biskaya sank, weil sie sich auf Inhalte eines fehlerhaften Gerichtsurteils verlassen hatten. Erst Pickford gelang es, die falschen Angaben zurechtzurücken – er deckte dabei auch historische Manipulationen auf. Es sei „wirklich aufregend, wenn man dann wirklich versteht, was passiert ist“, so Pickford (siehe Interview).

Die Fragen, die all die Dokumente beantworten sollen, lauten etwa: Wie schnell war das Schiff unterwegs? Ist es von der geplanten Route abgewichen? Wie sah die Beladung aus, wie liefen die Maschinen? Was ist über die Wind- und Strömungsverhaltnisse bekannt, was über die Gezeiten? In Kombination können all die Daten ziemlich genau verraten, wo sich ein Wrack befinden muss – welches anschließend mittels High-Tech lokalisiert werden soll:

Praktisch alle Schiffe verfügen heute über die satellitengestützte Ortungstechnologie Global Positioning System (GPS). Die Geräte dienen nicht nur der Navigation, sondern auch der Erfassung gefundener Artefakte. Mittels GPS-Peilung ist es möglich, detaillierte Karten zu erstellen, in welche die exakte Position von Objekten am Meeresgrund eingetragen werden kann. Das Side-Scan-Sonar sendet Schallwellen aus, die reflektiert und an Bord übermittelt werden. Per Satellitenanbindung folgen die Geräte definierten Planquadraten und tasten bis zu 1,5 Quadratkilometer pro Stunde ab. Auf einem Bildschirm wird eine Grafik erzeugt, die sämtliche Objekte am Meeresgrund wie auf einer elektronischen Unterwasserkarte darstellt – und auch den Abgleich registrierter Strukturen mit historischen Schiffsbauplänen ermöglicht. Die Präzision derartiger Instrumente wird laufend weiter verbessert. „Vor 15 Jahren konnten Sie ein Haus scannen, heute eine Zigarettenschachtel“, so Arqueonautas-Experte Schins. Magnetometer werden hinter dem Expeditionsschiff hergezogen und messen mit Sensoren erdmagnetische Felder. Durch Metallteile verursachte Abweichungen vom Magnetfeld können auf eine Wrackfundstelle hindeuten. Moderne Magnetometer ermöglichen die Wahrnehmung von Eisenteilen minimaler Dimension auf weite Entfernungen. Spezialsoftware erlaubt zudem die Erstellung von Magnetlandkarten samt Abbildung geringfügigster Anomalien. Sub-Bottom-Profiler dienen der Erforschung und Kartierung des Gewässeruntergrundes. Indem Antennen akustische Signale aussenden, die reflektiert und an einen Empfänger übermittelt werden, können in Sandschichten verborgene Objekte aufgespürt werden. Mit der 3D-Trilateration, auch Direct Survey Method genannt, werden gefundene Gegenstände dreidimensional vermessen. Dazu wird mittels Computerunterstützung ein Raster von Markierungen über die gesamte Fundstelle gelegt, und mithilfe dieser Orientierungspunkte lässt sich die Position von Objekten errechnen.

Robotereinsatz. Ist ein gesuchtes Wrack tatsächlich identifiziert, kommt ein Arsenal weiterer Apparaturen zum Einsatz: Remote Operated Vehicles etwa, Roboter in verschiedensten Größen, die ferngesteuert über den Meeresboden krabbeln und mit Videokameras und Greifarmen bestückt sind. Mit Minibaggern, Sandgebläsen, Vakuumsaugern oder Silikonwerkzeugen wird versucht, Ablagerungen zu entfernen, ohne die Fundstücke zu beschädigen. Mitunter freilich, berichtet SEAG-Sprecher Köhler, müssten Taucher auch „mit Pinselchen arbeiten wie die Archäologen an Land“.

Gelingt eine Bergung, so Köhler, sei das für die Crew „die absolute Erfüllung“. Es gebe „Freudentänze auf der Plattform, alle freuen sich wie kleine Kinder“. Dies vor allem dann, wenn hunderte Jahre im Meer liegende Artefakte – je nach Temperatur, Sauerstoff- und Salzgehalt am Fund-ort – oft noch in verblüffend gutem Zustand sind und wenn Goldmünzen aussehen, als wären sie eben erst aus der Brieftasche gerutscht.

Heftig umstritten ist freilich, dass all die Unternehmen, deren Investoren schließlich Renditen erwarten, oft große Teile der geborgenen Schätzen möglichst rasch bei Auktionen veräußern. Kritiker sehen die Bergegesellschaften als profitgierige Abenteurer, als moderne Schatzräuber, die sich wenig um die historische Bedeutung der Fundobjekte scheren würden. Eine „sehr große Abneigung aus der Riege der Archäologen“ konstatiert auch Köhler.

Die Schatztaucher halten dagegen, es sei besser, sie suchten nach den Wracks als gar niemand – denn den öffentlichen Forschungsstellen fehlten schlicht die Mittel dafür. Zudem dränge die Zeit: „Manche Sachen sind in 50 Jahren nicht mehr zu bergen, weil sie dann zerstört sind“, sagt Paschalidis, „die Zeit läuft gegen uns.“

Kulturerbe. Darüber hinaus wird stets beteuert, dass ungeachtet der erforderlichen Profitorientierung auch die kommerziellen Bergeunternehmen der Forschung hohen Stellenwert einräumen: Nennenswerte Chargen der geborgenen Schätze gingen an Museen, und bei den Arbeiten würden stets Wissenschafter beigezogen. „Man hat ein Kulturerbe vor sich“, meint Paschalidis, „es ist unabdingbar, dass archäologisch gearbeitet wird.“ Dies nicht zuletzt aus finanziellen Interessen: „Es hat Sinn, wissenschaftlich zu arbeiten“, sagt Schins. „Wenn man die historische Geschichte zu einem Objekt erzählt, erreicht man einen viel höheren Wert.“ So habe ein geborgenes Astrolabium – ein frühes Navigationsinstrument – nur deshalb um 230.000 Euro an ein Museum verkauft werden können, weil man eine wissenschaftliche Publikation mitlieferte.

Teils unterhalten die Unternehmen auch eigene Labors zur Konservierung und Restaurierung gefundener Objekte. Arqueonautas hat ein solches auf Kap Verde eingerichtet. Mit speziellen Bädern werden Fundstücke dort vom Salz befreit, weil sie sonst zerstört würden. Gut ein Jahr dauere es meist, so Schins, bis solche Objekte nach entsprechender Behandlung überhaupt auf den Markt gebracht werden könnten.

Ein vergleichbares Zentrum betreibt Deep Sea Exploration im britischen Bentwaters. Dort wird zurzeit ein im Vorjahr
in Ostengland geborgenes Kanu aus Hartholz, das vermutlich 1200 Jahre alt ist, mittels Karbondatierung und Dendrochronologie (Altersbestimmung anhand der Jahresringe) analysiert und mit speziellen Lösungen zur Entsalzung konserviert.

Schließlich wird argumentiert, dass geborgene Wracks mitunter auch neue historische Erkenntnisse preisgeben. So konnten nach dem Fund jener chinesischen Dschunke, die um das Jahr 960 im Meer versank, erstmals bestimmte Handeslrouten im asiatischen Raum nachgewiesen werden – als stumme Zeitzeugen dienten Siegelringe, Bronzegegenstände, Porzellan- und Keramikgefäße. Jedes versunkene Schiff, meint Stefan Schins, sei eben auch „ein Fenster in die Vergangenheit“.