Grenz­verhetzung

Ungarn. Österreichische Bauern unter der Knute des Orbán-Regimes

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Drei Kilometer hinter der österreichischen Grenze liegt Bucsu. Die verfallenen Gebäude der Zollwache erinnern daran, dass hier einmal scharf kontrolliert wurde. Heute ist das ungarische Dorf an den Ausläufern der Ostalpen über die Schnellstraße ohne Zwischenstopp zu erreichen.
Der Eiserne Vorhang in den Köpfen der Einwohner war noch nicht gefallen, als Edeltraut D. hier 1994 Felder kaufte. „Schotteritschn“ seien das gewesen. Das ist Mostviertlerisch und beschreibt die versteppten, brachliegenden Flächen, die jahrelang keine Ernte trugen. Die Bäuerin aus Österreich musste sie erst „lebendig“ machen.

Heute gedeihen darauf Wintergerste, Weizen, Mais, sofern Wild und Wetter es zulassen. 40 oder 50 Hirsche trampelten ihr unlängst durchs Rapsfeld: „Die Pflanzen waren richtig niedergetreten.“ Das zählt für die Bäuerin zu den normalen Unbilden – verglichen mit den Scherereien, die österreichische Landwirte heute in Ungarn haben, fast schon eine Lappalie.
Die nationalkonservative Regierung unter Viktor Orbán würde Ausländern lieber heute als morgen ihre Äcker wegnehmen, ließ dafür das Bodengesetz ändern und schreckt selbst vor Enteignungen nicht zurück. Es wird kolportiert, zwischen 1995 und dem EU-Beitritt Ungarns 2004 hätten Österreicher mit Taschenverträgen Land an sich gerissen. So heißen undatierte Kaufvereinbarungen, die so lange in der Tasche bleiben sollten, bis der Erwerb von Grund und Boden erlaubt war. Gegen sie ersinnen die Behörden nun vielerlei Schikanen: von Steuerprüfungen bis Hygienetests.
Bei D. lief alles rechtens ab. Von den 800 Hektar, die sie in Ungarn bestellt, ist ein Teil gepachtet, ein Teil gehört ihr. Vor zwei Jahren kaufte sie Privatleuten drei kleinere Parzellen ab. Das Bezirksamt in Szombathely genehmigte den Deal. Im November 2012 schrieb das Ministerium: Der Kauf hätte nie über die Bühne gehen dürfen, D.s Name sei aus dem Grundbuch zu tilgen. Das Bezirks-amt legte sich quer und wurde von der ungarischen Staatsanwaltschaft geklagt.

Vergangene Woche hatte Frau D. ihren Sechziger, doch nach Feiern war ihr nicht zumute: „Wo führt das hin, wenn sich Gesetze über Nacht und rückwirkend ändern?“ 16 Namen von betroffenen Landwirten stehen derzeit auf einer Liste in der österreichischen Botschaft in Budapest. Agrarattaché Ernst Zimmerl trägt ihre Geschichten für Brüssel zusammen. Laut ungarischer Regierung sollen sich eine Million Hektar in österreichischer Hand befinden, 20 Prozent der Ackerfläche. Zimmerl hält das für überzogen: „Tatsächlich sind es drei bis vier Prozent.“

Stimmung und Schuld
Grund und Boden versprechen in Ungarn hohe Renditen. Wohlhabende Clans spitzen deshalb auf günstige Lagen; sind sie von Unkraut befreit und bereits beackert, umso besser. In weiten Teilen der Bevölkerung hingegen drückt der Schuh: Ein Lehrer verdient 350 Euro im Monat. Lebensmittel und Benzin sind gleich teuer wie in Österreich. Selbst bestens Ausgebildete finden schwer Arbeit. „Bei uns melden sich Rechtsanwälte, die am Feld mitarbeiten wollen“, erzählt ein Bauer aus dem burgenländischen Seewinkel. Ein Teil seiner Felder liegt jenseits der Grenze: „Klar ist die Stimmung feindselig. Geht es den Leuten schlecht, findet sich immer jemand, der ihnen erklärt, dass daran die bösen Ausländer schuld sind.“
„Die Stimmung ist angespannt“, sagt ein Landwirt, der sich wie die meisten nicht mit Gesicht und Namen in die Medienöffentlichkeit wagt. „Nicht auffallen, irgendwie über die Runden kommen“, hat sich ein Burgenländer vorgenommen. Der Mann bewirtschaftet in Ungarn 30 Hektar. Acht davon macht ihm das Ministerium nun streitig. Sein Fall liegt beim Obersten Gerichtshof: „Der kann sich zwei Jahre Zeit lassen zu entscheiden.“ So wird jede Planung sinnlos. Ein Niederösterreicher, der 900 Hektar in Ungarn gepachtet hat, strich eine 100.000-Euro-Investition: „Ich traue der Regierung keinen Zentimeter mehr über den Weg.“

Als Edeltraut D. vor 20 Jahren nach Bucsu kam, war sie eine Attraktion. An eine Frau mit blonden Haaren auf einem Traktor musste man sich erst gewöhnen. „Inzwischen kann ich ein bisschen Ungarisch und bin ganz gut integriert“, sagt sie. Im Dorf leben 700 Menschen, es gibt ein Dutzend Bauern, von denen nur mehr zwei Vieh im Stall haben. Die Landwirte aus der Gegend lassen bei ihr das Getreide wiegen. Einige lagern Weizen und Mais ein. D. beschäftigt zwei Fixangestellte, einen Aushilfsfahrer und im Sommer einen Praktikanten. Ihr jüngster Sohn ist 24 und zeigt Interesse, den Hof zu übernehmen.

Es hat die Bäuerin aus dem Mostviertel 20 Jahre gekostet, so weit zu kommen. Mit Wild, Wetter und den Lebensentwürfen ihrer sieben Kinder und sieben Enkel hat sie umzugehen gelernt. Doch wenn sie an die Verhandlung denkt, die das Bezirksgericht Szombathely für kommenden April angesetzt hat, wird ihr mulmig: „Die rechtliche Unsicherheit ist das Allerschlimmste.“

Hintergrund
Schleichender ­Demokratieverlust
Während in Ungarn Höchstrichter übergangen und Landwirte schikaniert werden, ringt die EU-Kommission noch um eine Linie.

Selbst von den Freunden aus der Familie der europäischen Volksparteien musste sich die ungarische Staats- und Regierungsspitze ermahnen lassen. Die fragwürdigen Verfassungsänderungen, die der rechtspopulistische Regierungschef Viktor Orbán Anfang vergangener Woche durchs Parlament peitschen ließ, waren neben Zypern-Rettung und syrischer Rebellen-Bewaffnung Thema auf dem EU-Gipfel vergangene Woche in Brüssel. Die EU-Kommission will jedenfalls einige der neuen Grundgesetzbestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit den EU-Verträgen prüfen.

Ungarns Staatspräsident János Áder, der just zum Zeitpunkt der Parlamentsabstimmung in Berlin weilte, erfuhr von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie die Verfassungsänderungen kritisch sieht. Parlamentspräsident László Kövér sollte dem bayerischen Landtag einen Besuch abstatten, er wurde wieder ausgeladen. Landtagspräsidentin Barbara Stamm gehört der CSU an.

Kernstück der Verfassungsnovelle ist die faktische Entmachtung des Verfassungsgerichts. Das Gremium war bislang das gewichtigste Hindernis für Orbáns Pläne, alle Macht im Staat in seinen Händen zu konzentrieren. Das Verfassungsgericht setzte wichtige Teile des repressiven Mediengesetzes außer Kraft, kippte die von Orbán ersonnene obligatorische Wählerregistrierung und erklärte das angestrebte Verbot von Wahlwerbung im privaten Rundfunk für verfassungswidrig.

Auch als Orban einzelne Bestimmungen als Verfassungszusätze ins Grundgesetz hieven ließ, widersprachen ihm die Höchstrichter. Nun soll damit Schluss sein. Gemäß der novellierten Verfassung haben die Verfassungsrichter keine Möglichkeit mehr, Verfassungsänderungen zu beurteilen.

Seit 2010 regiert Orbán mit einer Zweidrittelmehrheit seiner Fidesz-Partei im Parlament. Deshalb kann er Gesetze, welche die Verfassungsrichter für grundrechts- und verfassungswidrig erklären würden, einfach als Verfassungsänderungen beschließen lassen. Der konservative Rechtsgelehrte László Sólyom, der von 2005 bis 2010 Staatspräsident und von 1990 bis 1998 der erste Präsident des Verfassungsgerichts war, sprach von einer „Aufhebung der Gewaltenteilung“; die Regierungsmehrheit könne nun ungehindert von verfassungsmäßigen Kontrollen agieren.

In Brüssel gab sich Orbán trotzig. Man solle ihm erst einmal nachweisen, dass die Verfassungsänderungen gegen EU-Recht verstießen, meinte er. Wie schon beim Mediengesetz tut sich Brüssel schwer mit Orbán. Die EU versteht sich als Wertegemeinschaft, die bei ihren Mitgliedern das Bekenntnis zur Demokratie voraussetzt. Kodifiziert ist das allerdings nicht.
Man kann auch nicht behaupten, dass Orbán über Nacht die Diktatur einführen würde. Sein Konzept ist raffinierter: Die neue Verfassung und Gesetze wie das Mediengesetz schränken die Freiheit scheibchenweise ein. Unabhängige staatliche Institutionen werden unter die Kontrolle von Fidesz-Parteisoldaten gestellt oder entmachtet. Die Behörden verbreiten – wie sich auch am schikanösen Umgang mit österreichischen Landwirten in Ungarn zeigt – obrigkeitsstaatliche Willkür, anstatt dem Gesetz zu dienen. Dies alles höhlt die Demokratie schleichend aus.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

war von 1998 bis 2024 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges.