Grenzwertige Handystrahlung

Grenzwertige Handystrahlung: Debatte um mögliche Nebenwirkungen des Mobilfunks

Debatten um Neben- wirkungen des Mobilfunks

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In den internationalen Medien schlug die Nachricht ein wie eine Bombe. Belgien senkt die Grenzwerte für Mobilfunkstationen und Handymasten derart drastisch, dass sie nur noch zehn Prozent der in Österreich geltenden Limits betragen. Das führte in der Vorwoche auch in Österreich zu heftigen Debatten über die geltenden Grenzwerte. Die Mobilfunkindustrie und der Wissenschaftliche Beirat Funk, ein Expertengremium, das Verkehrsministerin Doris Bures berät, sehen keine Veranlassung für eine Änderung, Umweltmediziner hingegen raten zu vermehrter Vorsicht.

Der Streit flackert immer wieder auf, weil es einen Interessenkonflikt zwischen Industrie und Handyskeptikern gibt und weil es der Wissenschaft trotz zahlreicher Untersuchungen bis heute nicht gelungen ist, eine Gesundheitsgefährdung durch Handystrahlen nachzuweisen. Nun taucht auch hierzulande die Forderung nach einer Senkung der Grenzwerte auf. Denn die derzeitigen, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Limits, an denen sich auch Österreich orientiert, sollen von einer indus­triefreundlichen privaten Organisation und nicht von einem unabhängigen Gremium ermittelt worden sein.

Doktorarbeit lieferte Zündstoff
Anlass für die aktuelle Diskussion lieferte die Doktorarbeit eines gewissen Dirk Adan von der Katholischen Universität im belgischen Leuven. Der Jungwissenschafter verglich Ratten, die er für einen längeren Zeitraum Handystrahlung ausgesetzt hatte, mit nicht bestrahlten Tieren. Ergebnis, so der Doktorand: Die bestrahlten Tiere würden nur halb so alt werden wie ihre nicht bestrahlten Artgenossen, würden mehr Tumore entwickeln, unter einem nachlassenden Gedächtnis sowie einem geschwächten Immunsystem leiden.

Dass sich Belgien aufgrund einer Doktorarbeit dazu entschließt, die Grenzwerte für Handystrahlen drastisch zu senken, kann das Forum Mobilkommunikation (FMK), Interessenverband der Industrie, nicht nachvollziehen. „Das ist eine rein politische ­Entscheidung ohne wissenschaftliche Grundlage“, erklärt Michael Buchner vom FMK. Die belgische „Ratten-Studie“ wäre nicht einmal in einem wissenschaftlichen Fachmagazin publiziert worden, was generell als Mindestqualitätsanforderung gilt. Außerdem wäre die Studie nur mit 31 ­Tieren durchgeführt worden, die Daten wären ­somit wegen geringer Fallzahlen nicht ­valide.

Branchenaufschrei
Auch der Wiener Strahlenphysiker Norbert Vana vom Wissenschaftlichen Beirat Funk (WBF) – die Expertenkommission gilt als unabhängig, wird aber immer wieder wegen ihrer angeblichen Verbindungen zur Industrie kritisiert – versteht den Wirbel um die belgische Studie als Politikum: „Man kann nicht die Ergebnisse einer Studie, die mit Ratten durchgeführt wurde und noch dazu mit einer Frequenz, die mit einem Handysignal nichts mehr zu tun hat, einfach so auf den Menschen übertragen“, so Vana.
Laut „Kurier“ müssen nun in Belgien um 100 Millionen Euro Sender umgebaut oder neu errichtet werden. Auch das FMK warnt, dass die Versorgungsqualität massiv beeinträchtigt werden würde, sollte Österreich mit seinen rund 17.000 Sendemasten eine Grenzwertsenkung wie in Belgien andenken. Vor allem das flächendeckende Notfallsystem könnte dann nicht mehr garantiert werden. Die Mobilfunkbetreiber erwarten Mehrkosten von 30 Prozent, sollte eine Anpassung der Sendeanlagen an neue Grenzwerte erforderlich sein.

„Alles Blödsinn, ich bin mir ziemlich sicher, dass in Österreich keine einzige Antenne umgebaut oder neu montiert werden müsste“, erklärt der Umwelthygieniker Michael Kundi von der Medizinischen Universität Wien. Tatsächlich schöpfen die Handynetzwerkbetreiber in Österreich laut TÜV-Messungen nur 0,3 Prozent der geltenden Emissionswerte aus. Kundi: „Der Aufschrei der Mobilfunkindustrie ist völlig irrational, damit soll nur Druck auf die Politik ausgeübt werden.“ Warum die Betreiber gegen eine Grenzwertsenkung Sturm laufen, hat nämlich laut Kundi gänzlich andere Gründe – die Entstehungsgeschichte der geltenden Grenzwerte, die sich an den von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Werten orientieren.

Die WHO-Grenzwerte wiederum ­richten sich nach den 1998 verkündeten Empfehlungen der Internationalen Kommission zum Schutz vor nicht ionisierenden Strahlen (ICNIRP), die sich ausschließlich an so genannten thermischen Effekten orientieren. Dabei geht es um jene Schwelle, bei der Moleküle derart zu schwingen beginnen, dass sie Wärme erzeugen – ein Effekt, den beispielsweise Mikrowellenherde zur Erwärmung von Speisen nutzen.

ICNIRP nicht unabhängig
Doch die ICNIRP soll laut Kritikern kein unabhängiger Verein, sondern eine getarnte Mobilfunk-Lobby sein. Der damalige Vorsitzende dieses Münchner Privatvereins soll gleichzeitig Mitglied der deutschen Strahlenschutzkommission gewesen sein, die für die gesetzliche Durchsetzung von politischen Entscheidungen wie eben Grenzwerten zuständig ist. „Es kann nicht sein, dass eine Person, die unabhängig Werte empfehlen soll, gleichzeitig dafür zuständig ist, dass diese auch auf gesetzlicher Ebene verankert werden“, echauffiert sich Ulrich Warnke, Biologe und Physiker an der Universität des Saarlandes. Außerdem sei nicht einzusehen, warum die WHO kein eigenes Gremium zur Festlegung von Grenzwerten berufen hat – weshalb Warnke fragt: „Müssen wir vorgeschlagene Grenzwerte von einem privaten Verein übernehmen?“

Hitzige Debatte
Was Kritikern wie Warnke aber besonders sauer aufstößt, ist die Tatsache, dass die ICNIRP bei ihrer Empfehlung eben nur die thermischen, nicht aber die athermischen, biologischen Effekte ­beachtet, die allerdings bisher nur bei In-­vitro-Experimenten im Labor nachgewiesen werden konnten. Die Frage, ob es diese athermischen, biologischen Effekte auch im menschlichen Organismus gibt und ob sie gesundheitsschädliche Wirkungen haben könnten, ist der Kernpunkt der Diskussion. Belgien geht nunmehr offenbar davon aus, dass es sie gibt, was wiederum die Frage nach dem erhöhten Krebsrisiko aufwirft – deshalb müssten als Vorsichtsmaßnahme die Grenzwerte gesenkt werden. Vorsichtiger als Österreich sind bereits eine Reihe von Ländern, welche die Grenzwerte bereits deutlich unter den von der WHO empfohlenen Richtwert gesenkt oder diesen nie akzeptiert haben: Italien, Russland, China, Griechenland, Luxemburg, Polen, Slowenien, Schweiz haben niedrigere Grenzwerte als Österreich.

Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats Funk, Vana, sagt, es bestehe keinerlei Anlass zu einer Senkung der Grenzwerte, weil es für die behauptete Existenz biologischer Effekte keinerlei wissenschaftlichen Beweis gebe. Umwelthygieniker Kundi hingegen glaubt, dass es bereits eine Fülle von Hinweisen, wenn auch keine Beweise für biologische Wirkungen der Handystrahlen gebe, sodass man nicht vorsichtig genug sein könne. Der springende Punkt ist aber: Niedrigere Grenzwerte für Handymasten wie in Belgien könnten eine Lawine auslösen. „Als Nächstes wären dann die Handys selber dran, ein Schneeballeffekt, vor dem die Industrie Angst hat“, erklärt Kundi. Denn die bei In-vitro-Experimenten nachgewiesenen Effekte treten bereits bei einem Tausendstel der in Österreich geltenden Grenzwerte auf.

Reflex-Studie
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die so genannte Reflex-Studie, ein von der EU gefördertes Projekt, das in den Jahren 2000 bis 2004 teilweise am Institut für Arbeitsmedizin der Wiener Medizinuni durchgeführt wurde. Demnach kann die von Handys ausgehende elektromagnetische Strahlung bereits bei sehr niedriger Frequenz im In-vitro-Experiment an menschlichen Zelllinien das Erbgut einer Zelle durch so genannte DNA-Strangbrüche schädigen. Menschliche Körperzellen, in denen solche DNA-Strangbrüche laufend vorkommen, sind normalerweise imstande, die Schäden wieder zu reparieren. Im Ausnahmefall kann die Reparatur jedoch fehlerhaft sein, die Zelle kann mutieren und sich unter Umständen zu einer Krebszelle entwickeln. Deshalb werden Faktoren, welche die Frequenz von DNA-Strangbrüchen erhöhen, als mögliches Krebsrisiko eingestuft.
„Ich habe die Ergebnisse des Reflex-­Projekts nie geglaubt. Ich konnte mir nie erklären, wie eine so niedrige Strahlung die Energie aufbringen soll, um das Erbgut zu brechen“, erklärte Vana im Vorjahr gegenüber profil. „Das ist das typische Argument eines Technikers – es muss für sie alles immer über den direkten Weg der Energie gehen, jedoch lassen sie die komplizierten Mechanismen der Biologie außer Acht, von denen sie eben nichts verstehen“, sagt der Krebsforscher Wilhelm Mosgöller von der Medizinischen Universität Wien.

Laut Mosgöller verursacht die Strahlung keine direkten Schäden am Erbgutstrang, sondern irritiert wichtige Zellenzyme, was die Reparaturkapazität der Zelle herabsetzt. Der israelische Forscher Joseph Friedmann vom renommierten Weizmann-Institut konnte bereits vor Jahren nachweisen, dass das für die Zellregulation wichtige ERK-Enzym sein Verhalten bereits bei einer geringen Strahlendosis verändert. Ob das allerdings auch im lebenden Organismus so ist, konnte die Wissenschaft bisher nicht klären. Dennoch wurden in Israel aufgrund von Friedmanns Forschungen die Grenzwerte für Handy-Sendestationen gesenkt.

Lieber vorsichtig Der Münchner Mediziner Franz Adlkofer, Koordinator der Reflex-Studie, will nun in einer EU-weiten Studie erforschen, wie sich Zellen im Organismus verhalten. Aber schon jetzt gibt es weitere Hinweise auf mögliche Wirkungen von Handystrahlung, die immer mehr Experten zu mehr Vorsicht raten lassen. Und auch immer mehr Regierungen scheinen aufzuhorchen. „Ich ging vor Kurzem einer Einladung der französischen Regierung nach, die mich als Berater zu einer Diskussion hinzugezogen hat, da sie ebenfalls andenken, die Grenzwerte zu senken“, sagt Adlkofer.

So gibt es im Rahmen der noch nicht ­publizierten „Interphone“-Studie, bei der mehrere Forscherteams einen möglichen Zusammenhang von Hirntumoren und ­Handynutzung untersuchen, einige noch umstrittene vorläufige Ergebnisse, die auf ein erhöhtes Krebsrisiko hindeuten könnten. „Das Handy rettet in Notfällen bestimmt viele Leben und ist nützlich, wir wollen nicht, dass diese Technologie verschwindet. Aber es sollte sicherheitshalber mit mehr Vorsicht umgegangen werden, bis sich die Daten erhärten“, meint Krebsforscher Mosgöller.