Fruchtbarkeitsgötter

Gynäkologie: Religionsvertreter reden bei Ärztekongress über Fortpflanzung

Gynäkologie. Auf einem Ärztekongress reden fünf Religionsvertreter über Fortpflanzung

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Ende November tagt in Wien die gynäkologische Fachwelt. Zwei Tage lang sollen Experten über Schwangerschaftshormone, tiefgekühlte Eier und polymorphismusdiagnostische Details in der Aula der Wissenschaften fachsimpeln.

Um dabei keinen "Röhrenblick“ zu entwickeln, ließen sich die Veranstalter einen Ausflug in fremde Gefilde einfallen. Ein katholischer Moraltheologe, ein evangelischer Superintendent, ein Buddhist, ein Islam-Gelehrter und ein Oberrabbiner sollen die "Reproduktionsmedizin im Lichte der Weltreligionen“ erörtern.

Als der Wiener Gynäkologe Christian Fiala die Einladung überflog, blieb er bei diesem "Runden Tisch“ hängen. Seither lässt ihn der Gedanke nicht mehr los, "dass bei der einzigen allgemeinen Session ausschließlich Vertreter von Religionen sprechen, die historisch zum Thema wenig Positives beigetragen haben.“

In seinem Ambulatorium Gynmed unweit des Wiener Westbahnhofs führt Fiala Abtreibungen durch. Oft lauern religiöse Eiferer seinen Patientinnen auf. Am Fortpflanzungs-Symposium wird nur über gewollte Schwangerschaften geredet. "Dabei könnten Wissenschafter, die sich einer evidenzbasierten Medizin verpflichten, auf dem Gebiet der Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen große Verdienste erringen“, sagt Fiala.

Bis heute gibt es nicht einmal verlässliche Zahlen, wie viele Abtreibungen durchgeführt werden, weil Österreich das einzige westeuropäische Land ist, in demsie zwar legal sind, aber nicht von der Krankenkasse bezahlt werden. Laut Schätzungen kommen auf rund 80.000 Geburten jährlich 30.000 bis 35.000 Schwangerschaftsabbrüche.

Von „aggressiven Atheisten” bedrängt
Medizin-Professor Johannes Huber, der die Tagung mit seinem Kollegen Franz Fischl ausrichtet, verteidigt den Exkurs ins theologische Fach: "Auch beim Weltkongress in Venedig sind Religionen zu Wort gekommen. Das heißt nicht, dass wir Werbung für sie machen.“ Und er räumt ein, dass Frauen und Sexualität "nicht das netteste Kapitel der Kirchengeschichte“ sei. Mitveranstalter Franz Fischl hingegen fühlt sich von "aggressiven Atheisten“ bedrängt, die es darauf abgesehen hätten, eine Tagungsagenda zu bestimmen: "Das ist von Toleranz und Demokratie weit entfernt.“

Kritiker Fiala jagt eine Fortpflanzungsdebatte zwischen fünf Männern aus fünf Religionsgemeinschaften "kalte Schauer“ über den Rücken. Er würde die Herren lieber mit Medizinern streiten sehen, "schließlich verdankt sich das heutige gesundheitliche Niveau der Frauen auch dem Kampf gegen die fundamentale Intoleranz der Religionen“.

„Retortenbabys”
Stoff für Kontroversen gäbe es genug. 30 Jahre nach der Geburt des ersten "Retortenbabys“ Louise Joy Brown - inzwischen wurden weltweit geschätzte vier Millionen Kinder mit Hilfe der modernen Reproduktionsmedizin geboren - verteufelt die katholischen Kirche immer noch jede Form von künstlicher Befruchtung, auch innerhalb der Ehe, und lehnt pränatale Diagnostik und Forschung an Embryonen ab, wenn sie nicht Heilzwecken dienen.

Die evangelische Kirche überlässt die Entscheidung dem Gewissen des Einzelnen. "Wir halten die In-Vitro-Fertilisation weder von vornherein für sündhaft, noch stellen wir dafür einen Freibrief aus“, sagt der Wiener Superintendent Hansjörg Lein, einer der Teilnehmer am Aufregertisch. Seine Kirche suche das Gespräch mit der Gesellschaft, in diesem Sinne finde er es auch "ein wenig seltsam“, wenn Männer und Religionsvertreter unter sich bleiben.

„Seid fruchtbar und vermehret euch!”
Die jüdische Debatte kreist um das biblische Gebot "Seid fruchtbar und vermehret euch!“ Aus Thora und Talmud leiten Rabbiner ab, dass künstliche Befruchtungen - etwa innerhalb der Ehe und zur Behandlung von Unfruchtbarkeit - durchaus gottgefällig sind. Im progressiven Judentum darf das Sperma auch von Dritten kommen. Ähnlich hält es der Islam, wobei Sunniten, die 90 Prozent der muslimischen Weltbevölkerung stellen, künstliche Befruchtung innerhalb der Ehe erlauben, Samenbanken und Leihmutterschaft aber ablehnen.

Mahmoud Kellner, 1971 als Martin Kellner in Bad Ischl geboren, schloss Ethnologie, Arabistik, Turkologie, Psychologie und Soziologie in Wien mit einer Arbeit über die Grenzen der Medizin im islamischen Recht ab. Danach studierte er Arabisch und Islamische Wissenschaften in Syrien, Saudi-Arabien und im Jemen. "Ich erkläre Medizinern, mit welchen Vorbehalten sie rechnen müssen, wenn sie muslimische Patientinnen behandeln. Ich will niemandem etwas aufdrängen“, sagt Kellner, der heute als Islamlehrer in Wien arbeitet.

Den Gynäkologen Christian Fiala besänftigt das nicht. Religionsvertreter sollten ihre Ansichten in Synagogen, Moscheen und Kathedralen verbreiten, nicht in der Aula der Wissenschaften, "weil Frauen in allen Religionen bevormundet werden, ein Recht auf Selbstbestimmung gibt es für sie nicht“. Den Titel des runden Tisches würde er gerne ändern: Statt "Reproduktionsmedizin im Lichte der Weltreligionen“ sollte er aus seiner Sicht "In der Finsternis“ lauten.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges