Heavy Metal erlebt eine Renaissance

Neues von Metallica, AC/DC & Motörhead

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In einer geräumigen Suite des Londoner Claridge’s Hotel, einer der teuersten Adressen mitten in Mayfair, blättert ein Mann mit schwarzen Locken, schwarzen Röhrenjeans und einem mit lebensgroßen Umrissen von Schmeißfliegen gemusterten, natürlich ebenfalls schwarzen Hemd in der Speisekarte: „Ich krieg den Caesar Salad, aber ohne Pancetta“, sagt Kirk Hammett, Leadgitarrist von Metallica, nach langem Nachdenken. „Und keine Hühnerbruststreifen! Die Anchovis gehen in Ordnung.“

Einer der vermeintlich unverwundbaren Heroen des Heavy Metal bangt um seine schlanke Linie! Andererseits gehört der gelegentliche Bruch mit den Machoklischees des Rock spätestens seit dem preisgekrönten Film „Some Kind of Monster“ mit zum paradoxen Mythenkatalog rund um Metallica. Eine vor vier Jahren erschienene, seither als DVD zu Kultstatus avancierte Dokumentation hatte die Machtkämpfe zwischen dem kleinwüchsigen Schlagzeuger und Wortführer Lars Ulrich und dem imposanten Rhythmusgitarristen und Sänger James Hetfield schonungslos offengelegt. Die Realsatire brachte der mit hunderten Millionen verkaufter Tonträger kommerziell erfolgreichsten aller harten Rockbands gleichermaßen Spott und Sympathien ein. Vor allem aber zeigte sie Metallica am Ende ihrer Weisheit: erwachsen und nüchtern gewordene Buben, die nach dem endgültigen Ablaufen ihrer mittels Alkohol und Drogen verlängerten Pubertät die Freude am Krachmachen verloren hatten.

Fünf Jahre nach der schweren Geburt ihres Albums „St. Anger“ feiern Metallica mit „Death Magnetic“, der zehnten Studioplatte ihrer 27-jährigen Laufbahn, eine schöpferische Renaissance. Dahinter steckt niemand Geringerer als der auf Wiedergeburten aller Arten spezialisierte Produzent Rick Rubin. In den achtziger Jahren als Mitgründer des Plattenlabels Def Jam für die historische Kreuzung von HipHop und Metal verantwortlich, hatte Rubin in den vergangenen Jahren – zwischen seinen Arbeiten mit so eklatant unterschiedlichen Künstlern wie U2, Shakira, Red Hot Chili Peppers, The (International) Noise Conspiracy, Justin Timberlake, den Dixie Chicks oder zuletzt Jakob Dylan – unter anderem den verblassten Schlagerstern Neil Diamond neu aufpoliert. Rubins bedeutendstes Verdienst bleibt jedoch die Rehabilitierung des großen Johnny Cash mittels einer Serie ebenso einfühlsam wie nüchtern produzierter Alben. Auf gewisse – wenngleich merklich dröhnendere – Weise erzielt er mit Metallicas „Death Magnetic“ einen ähnlichen Effekt.

„Rubin ist kein Musiker“, konstatiert Kirk Hammett, nachdem er die Speisekarte zur Seite gelegt hat. „Man könnte ihn einen Superfan nennen. Er weiß, wie ein Künstler am Höhepunkt seiner Karriere klingen sollte. Er schält die Schichten ab, die sich über die Jahre rund um eine Band gebildet haben, und arbeitet sich bis zum Kern tief drinnen vor – dieser unberührbaren Essenz, die aus der Verbindung von uns vier Musikern entstanden ist.“ In der Realität verläuft Rick Rubins Arbeit wesentlich prosaischer. „Er ist im Studio gesessen, hat zugehört und gesagt: ja, nein, gut, scheiße, gut, nicht gut. Und wenn er sagte, dass etwas scheiße war, haben wir’s geändert.“

Die Rückkehr von Metallica fällt mit der späten Blüte anderer Bands aus der alten Schule des Metal zusammen. Gerade erst haben die Briten Motörhead ihr neues Album „Motörizer“ veröffentlicht, die Australier AC/DC folgen im Oktober mit ihrem neuen Opus „Black Ice“. Zwar waren all diese Bands nie wirklich von der Bildfläche verschwunden. Doch nun stehen sie wieder besonders hoch im Kurs – vielleicht weil der Soundtrack des Kalten Kriegs wieder gut ins Weltbild passt. In der aktuellen Rezension des US-Musikmagazins „Rolling Stone“ wird Metallicas „Death Magnetic“ großspurig – und ebenso geschmacklos – als „das musikalische Äquivalent der russischen Invasion in Georgien“ bezeichnet: „Ein plötzlicher Aggressionsakt eines schlafenden Riesen.“

Musikspiele. Die Beteiligung der Software-Industrie am neuen Erfolg alter Metalbands hingegen steht außer Zweifel: Die Absatzzahlen entsprechender Musikspiele stiegen in den vergangenen Jahren rapide an. „Entfessle den Rockstar in dir“, lautet der Werbeslogan des erstmals vor knapp drei Jahren lancierten Computerspiels „Guitar Hero“. Mit einem gitarrenförmigen „Controller“ in Händen wird dem Spieler suggeriert, gemeinsam mit einer Band auf einer Bühne zu stehen. Mittels Drücken verschiedenfarbiger Tasten auf dem Griffbrett und Anschlagen des als Saitenersatz fungierenden „Strum Bar“ folgt man dabei dem am Bildschirm eingeblendeten Part des zugespielten Songs. Im „Career Mode“ gehen die Spieler sogar auf virtuelle Tourneen durch verschiedene Konzerthallen. Gesammelte Punkte werden mit „Star Power“, Instrumenten und Gagen belohnt. Sowohl online als auch auf diversen Partys vereint sich die Spielercommunity sogar in einem internationalen Wettstreit: In amerikanischen Bars etablierten sich „Guitar Hero Nights“ als Alternative zu Karaoke-Abenden, auf der Videoplattform von YouTube wimmelt es nur so von verwackelten Videoaufnahmen stolzer Teenager, die bei „Guitar Hero“-Turnieren synchron zur Musik ihre Controller schwingen. Das 2007 veröffentlichte Konkurrenzspiel „Rock Band“ kombiniert Computerspiel und Karaoke ohnedies, indem es der Gitarre einen Schlagzeug-Controller und ein Mikro zum Mitsingen hinzufügt. Die Musik dazu entstammt einem jahrzehntelang erprobten Kanon von Rock und Metal: Teenager spielen Luftgitarre zu reichlich alten Klassikern von den Stones, Jimi Hendrix, The Who, Queen und Nirvana; zu Metal von Black Sabbath, AC/DC, Motörhead, Judas Priest, Iron Maiden, Suicidal Tendencies oder Anthrax; aber auch zu Punksongs von The Clash, Sex Pistols und den Dead Kennedys beziehungsweise zu jüngerem Indierock von den Killers und Franz Ferdinand.

Niemand freilich ist so geschäftstüchtig wie Metallica: Die Band bringt ihr neues Album gleichzeitig auch als „Guitar Hero“-Version zum Mitspielen auf den Markt. Für Anfang 2009 ist gar eine eigene Metallica-Spezialedition von „Guitar Hero“ geplant. Ganz abgesehen von den Lizenzeinnahmen ist auch der Werbeeffekt der Computerspiele nicht zu unterschätzen: Als Aerosmith, die Veteranen der siebziger Jahre, von „Guitar Hero“ mit einer solchen Spezialedition geehrt wurden, schnellten die Verkaufszahlen ihrer Tonträger und Downloads um 40 Prozent nach oben. Die junge Band Bang Camaro aus Boston verdankte der Verwendung ihres Songs „Push Push (Lady Lightning)“ in „Guitar Hero II“ gar ihren ersten Hit. Laut einer Studie der Brown University auf Rhode Island geben 76 Prozent der Spieler von „Guitar Hero“ an, Songs gekauft zu haben, die sie durch das Spiel kennen gelernt hatten.

Gerade in den USA, wo die Radiosender sich fast flächendeckend dem musikalischen Mainstream verschrieben haben, werden Computerspiele zu einer immer wichtigeren Plattform für ruppige Rockmusik – und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Bands Songs produzieren, die nicht mehr den Anforderungen des Radios, sondern denen der PC-Spiele entsprechen. Auch hier übernehmen Metallica die Vorreiterrolle: Die sieben- bis achtminütigen Songs ihrer neuen Platte sind schon jetzt nicht mehr radiokompatibel.

In einer der 2002 gefilmten Schlüsselszenen aus „Some Kind of Monster“ versuchte Lars Ulrich, dem sichtlich angegriffenen Kirk Hammett noch beizubringen, dass das klassische Konzept des narzisstischen Gitarrensolos mittlerweile obsolet sei. Auf „Death Magnetic“ erhielt der zurechtgewiesene Gitarrist hingegen wieder reichlich Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu spielen.

Rückkehr zu den Wurzeln. „Sagen wir es klipp und klar: Auf dieser Platte gibt es Momente, in denen wir versucht haben, unsere Helden zu ehren: Wir wollten den Geist von Deep Purple heraufbeschwören“, bekennt Hammett. „Da gibt es einige Soli, bei denen ich mir vorstellte, ich wäre Ritchie Blackmore, der Gitarrist von Deep Purple.“ Die Vorstellung, dass selbst der Gitarrist von Metallica noch wie ein Teenager in einer Schülerband davon träumt, in den Körper seines Idols zu schlüpfen, ist nicht bloß rührend. Sie passt auch hervorragend zum Selbstverständnis der zu knapp zwei Dritteln unter 22-jährigen und fast durchgehend männlichen Generation „Guitar Hero“.

Die Welttournee von Metallica wird diesen Herbst, nach zwei europäischen Gastspielen in Berlin und London, durch die USA und Kanada rollen, begleitet von einem enormen Tross aus drei vollständigen Crews, die jeweils eine von drei identischen Tonanlagen während jedes Konzerts bereits am nächsten Ort auf- beziehungsweise am vorigen abbauen. Zeitgerecht dazu erscheint im Oktober eine Version von „Guitar Hero“ auf dem Markt, die den Spielern erstmals ein virtuelles Studio zur Verfügung stellt, in dem sie selbst Songs produzieren, diese innerhalb der Community verbreiten und schließlich mit anderen „Bandmitgliedern“ spielen können.

PR-Desaster. Im Jahr 2000 hatte Lars Ulrich noch einen großen Teil der Fangemeinde vor den Kopf gestoßen, als er wegen der unerlaubten Verbreitung von Metallica-Songs gegen die damals offene Internetplattform Napster und deren hunderttausende User zu Felde zog. Das Schauspiel des Rock-Millionärs, der zum Schutz seines Reichtums das eigene Publikum vor Gericht zerrt, war für Metallica ein PR-Desaster. Als vergangene Woche ein illegaler Download des „Death Magnetic“-Albums vorzeitig seinen Weg ins Netz fand, gab sich Ulrich dagegen betont entspannt: „Alle sind zufrieden. Wir schreiben 2008, und so ist das eben heutzutage.“

Die neue Gelassenheit ist verständlich, schließlich verdient seine Band mit ihren Tourneen ohnehin Abermillionen Euro. Allerdings hatte Ulrich immer behauptet, dass es ihm bei seiner Klage gegen Napster nicht um Geld, sondern um das Prinzip des künstlerischen Eigentums und der kreativen Kontrolle ging. „Wir waren nie gegen Downloads an sich“, erklärt Kirk Hammett, „aber die freie Zugänglichkeit des Internets ist eben ein zweischneidiges Schwert. Ich bin weniger konsterniert über unsere Lage als über jene junger Bands, die erst anfangen und Einkünfte brauchen, um überhaupt existieren zu können.“ Um die Zukunft seines Genres macht er sich jedenfalls keine Sorgen: „Heavy Metal steht immer noch für eine rebellische, antiautoritäre Aggression, es ist die Stimme der Entrechteten. All das ist jetzt immer noch so wahrhaftig wie damals, als wir jünger waren. Vielleicht ist Metal deshalb nie ausgestorben.“

Wenn Metal aber der klassische Soundtrack des Aufbegehrens gegen die Elterngeneration bleibt, stehen die Bandmitglieder – mit Ausnahme des 2003 rekrutierten Bassisten Robert Trujillo – als Väter zumindest unleugbar auf der falschen Seite des Generationenkonflikts. „Mein erster Sohn ist zwei Jahre, mein zweiter erst sechs Wochen alt. Mir steht diese Erfahrung also noch bevor“, räumt Hammett ein. „Ich werde sehen, was meine Kinder in ihrem Leben bewegt. Vielleicht werden sie ja klassische Musiker oder, noch schlimmer, konservative Politiker. Ich werde das jedenfalls im Auge behalten.“

Von Robert Rotifer