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Helmut A. Gansterer Zimmer-Lehmann-Lehren

Zimmer-Lehmann-Lehren

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Dieser Tage, da ich einen Vortrag im Cubus von Wolfurt, Vorarlberg, hielt, dachte ich an Dr. Georg Zimmer-Lehmann. Er diente namhaften Creditanstalt-Generaldirektoren wie Heinrich Treichl, Hannes Androsch und Guido Schmidt-Chiari. Er saß im Vorzimmer der Macht. Infantile Jungjournalisten wie unsereins nannten ihn Vorzimmer-Lehmann. Seine Funktion war unbestimmt. Sie war wie die Hintergründe der Bilder von Leonardo da Vinci sfumato, in weichzeichnerischen Rauch gehüllt. Postillon d’amour wäre zu keck gesagt, officier de liaison korrekter. Auch für mich war er zuständig, wenn seine Herren keine Zeit hatten.

Er erfüllte seine Aufgabe gut. Er war ein glänzender Erzähler. Man ging zwar mit leeren Händen, was die konkrete Story für „trend“ oder profil betraf, die man recherchierte. Aber man gewann horizontal und vertikal neues Wissen. Und man gesundete am Lachen. Zimmer-Lehmann war Weltmeister der Selbstironie. Er begriff wie nur wenige, dass ein Gentleman nie über Siege, nur über Nieder­lagen sprechen darf.

Er litt ein wenig darunter, dass er für unsere langen Nachmittage und Abende in der Creditanstalt (CA) nur den drittbesten Banken-Keller bieten konnte. Kurt Nößlinger, Gouverneur der Postsparkasse, bot bessere Knoll-Jahrgänge. Und der zeitweilige Direktkonkurrent, der rote Länderbank-Boss Franz Ockermüller, war sowieso ­unschlagbar. Im Gegensatz zu seinen nüchternen, teils calvinistischen CA-Wettbewerbern verachtete er Berichterstatter, die beim 6-Uhr-Früh-Interview unter der Last allergrößter Napoleon-XO-Cognac-Schwenker in die Knie gingen. Damals brauchte man als strebsamer Journalist neben Hirn und Herz auch eine genetisch begünstigte Leber. Ockermüller mochte mich. Ich hielt durch, stand fest und spielte glaubwürdig den Denkenden. Er versorgte mich mit sensationellen Infos, an die ich mich anderntags nicht mehr erinnerte.
Georg Zimmer-Lehmann bezeichnete sich als „bester Taxler Europas“. Er war es tatsächlich. Seine Chefs durften sich geborgen fühlen, wenn er an Bord war. Ich versuchte manchmal, Zimmer-Lehmann als „Taxler Europas“ aus dem Tritt zu bringen. Ich fragte ihn nach allen Gassen Wiens – eine leichte Übung für ihn. Ich fragte ihn nach dem damals noch nicht abgebrannten Venedig-Opernhaus La Fenice und Madrids Teatro Real. Er nannte tatsächlich den kürzesten Weg von den Airports. ­Gespenstischer noch meine altmodischen Lieblingsorte wie Stratford-on-Avon, Brighton, Porto­fino, Biarritz, Semmering und Neusiedl am See. Zimmer-Lehmann war vor dir da. Er kannte die neuesten Einbahnstraßen. Er war zu seiner Zeit so gut wie heutige mobile Navis à la Garmin nüvi und TomTom.

Spezialfähigkeiten, so glaube ich heute, werden einem Menschen nicht gutgeschrieben. Sie beschädigen ihn. Sie werfen ihn in eine Voliere mit sprechenden Vögeln. So wurde auch Zimmer-Lehmann stets unterschätzt.

Ich witterte trotz wacher Heiterkeit eine tiefe Melancholie in ihm. Wenn wir lang genug beim drittbesten Wein verharrten, fühlte ich eine existenzielle Trauer. So wie bei Bernhard Paul, der mir zeitgleich vertrauter war, als profil-Chefgrafiker. Paul zog aus der regelmäßigen profil-Arbeit die größten Ausbruchskräfte. Er schuf mit André Heller den Zirkus Roncalli, überwand mit seiner vollendeten Leidenschaft auch den weltberühmten Partner Heller und fand daneben noch die Zeit, profil-Leuten das Zeichnen zu lehren. Ich erinnere mich an den Satz: „Die ­Rasierklinge ist wichtiger als der Pinsel.“
Diese Kraft hatte Zimmer-Lehmann nie. Er fühlte sich in der Creditanstalt daheim. Sie war sein Heim und sein Schloss. Nur manchmal gab er Gedanken frei, die seine Chefs in ihm nicht vermuteten, vielleicht auch gar nicht wünschten, weil er in seiner untergeordneten Funktion so gut war.
So beklagte Georg Zimmer-Lehmann nur selten, was ihm missfiel.

Beispielsweise die Schulpolitik oder, wie er mir am Ende einer langen Nacht sagte, der Minderwertigkeitskomplex der Österreicher, der nach seiner internationalen Erfahrung nicht gerechtfertigt war. „Wir sind“, sagte er, „aus Glück und Zufall und eigenes Verdienst kreativer als andere, hören aber auf die Mehrheit der Bremser.“

Ich dachte an ihn, als mich Jungunternehmer Vorarlbergs im Cubus von Wolfurt fragten, ob wir wirklich unter den Top Ten der Welt seien. Ich gebe diese Frage an meinen Freund Eugen Russ und die Chefredakteure seiner Medien weiter. Sie werden bessere Antworten finden als ich. Zumal mir der Vorarlberger Fixstern Michael Köhlmeier jüngst versicherte, man wisse nun auch bei ihm daheim, dass übertriebene Bescheidenheit zum psychologischen Hindernis werden könnte.

Was Dr. Georg Zimmer-Lehmann betrifft, fand ich ihn im Internet nicht mehr verzeichnet. Wo immer er sein möge, soll er herzlich gegrüßt sein. Diese Kolumne ist ihm gewidmet, und hunderttausenden anderen ÖsterreicherInnen, die in der zweiten Linie arbeiteten und niemals gewürdigt wurden.

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