Innenministerium spart Polizei kaputt

Innenministerium spart Polizei kaputt: Einbrüche und Diebstähle nehmen rasant zu

Einbrüche und Diebstähle nehmen rasant zu

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Im achten und letzten Stock eines schmucklosen Wiener Wohnbaus in Praternähe steht eine verdächtige Gestalt im Gang herum, verboten ist das nicht. Zwei Beamte der Spezialeinheit zur Bekämpfung der Straßenkriminalität haben den Mann bis hierher verfolgt; sie sehen sofort, dass an einer Tür das Zylinderschloss abgerissen ist: „Aha, Georgier.“ Sie nehmen ihn fest und schnappen sich dann seinen Komplizen, der gerade dabei war, wertvolles Kleinzeug in seiner Tasche zu verstauen.

Als die Beamten am frühen Nachmittag ins Büro in der Meidlinger Kaserne zurückkommen, machen sie auf der Liste der aufgeklärten Wohnungseinbrüche zwei Stricherl. So läuft es an den guten Tagen, wie an jenem 18. Juni 2009 – doch davon gibt es nicht viele. Den „Fensterbohrern“ zum Beispiel haben die Kollegen wochenlang nachgestellt. Nie haben sie einen davon erwischt. Es seien „Spezialisten“, sagt der Wiener Kriminalbeamte Wolfgang Preiszler. Mitten in der Nacht huschen die Einbrecher durch Villengegenden, bohren lautlos Glasscheiben auf, öffnen mit einem Haken die Fenster und räumen Kästen und Schubladen aus, während die Bewohner im Tiefschlaf liegen. Jedes Mal, wenn die Opfer den Schaden anzeigen, haben die Beamten wieder einen unaufgeklärten Fall mehr.

Davon gibt es immer mehr, seit das Verbrechen sich internationalisiert hat und das enorme Wohlstandsgefälle Banden aus Georgien, Moldawien und Rumänien nach Österreich lockt, um hier zu „arbeiten“. Die Politik hat dem Problem lange Zeit nur Law-and-Order-Parolen entgegengesetzt und den Apparat mit Sparprogrammen sowie Reformen und Gegenreformen zerrüttet, statt ihm bei der immer schwieriger werdenden Verbrecherjagd zu helfen. Auch die hastig gegründete Sonderkommission Ost von Innenministerin Maria Fekter, bei der 200 Polizisten aus den Bundesländern ab Juli ihre Wiener Kollegen verstärken sollen, wird kaum Abhilfe schaffen: Denn die Exekutivbeamten werden nach ihrer Einarbeitungszeit von drei Monaten bereits wieder die Heimfahrt antreten – ausgestattet mit zehntausenden Euro an Versetzungszulagen. „Die Müllabfuhr zu bewaffnen wäre auch nicht sinnloser“, ätzt der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz. Denn die Polizei braucht dringend mehr Personal: Allein in Wien schrumpfte die Zahl der Kriminal­polizisten von 1200 auf 800. Jedes Wiener Exeku­tivorgan muss jährlich durchschnittliche 32,6 Anzeigen bearbeiten – im Burgenland sind es 6,3.

Perfektes Verbrechen. Das Stadt-Land-Gefälle bei Eigentumsdelikten ist enorm. Die Hälfte aller Wohnungseinbrüche wird in Wien begangen, in den Bundesländern sind bestenfalls Gemeinden an den Autobahnen Ziel-eins-Gebiete für Verbrecher. Und die Einbruchsrate steigt: Allein Wien, Niederösterreich und die Steiermark verzeichnen seit Jahresbeginn ein Viertel mehr Einbrüche als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahrs. So brechen die Diebe jede Nacht im Schnitt in 64 Häuser in Österreich ein, entwenden aus 62 Autos Radios, Navigationsgeräte oder Aktentaschen und machen sich mit 15 weiteren Fahrzeugen (sowie 45 Fahrrädern) aus dem Staub. Das perfekte Verbrechen gibt es, die Aufklärungsquote stagniert auf niedrigem Niveau bei fünf bis acht Prozent. Das bedeutet, dass die Polizei nur drei der 64 täglichen Einbrüche klärt, vier der 62 Autoradios sicherstellt, einen von 15 Autodieben fasst und gerade einmal zwei der 45 verschwundenen Fahrräder wiederfindet.

In deutschen Städten wie Berlin oder München ist die Aufklärungsquote wesentlich höher. Das liegt auch daran, dass hierzulande immer weniger Polizisten im Einsatz sind: Allein in St. Pölten verringerte sich seit dem Jahr 2000 die Zahl der Exekutivbeamten von 240 auf 150. „Wir haben so wenig Polizei, dass wir für Straßensperren die Feuerwehr heran­ziehen müssen“, klagt St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler. Er war vergangene Woche mit einigen Bürgermeisterkollegen bei Parteifreund und Bundeskanzler Werner Faymann, um die „dramatische Situation bei der Exekutive“ anzuprangern. Seit den Verlusten der SPÖ an die FPÖ bei der EU-Wahl will sich SPÖ-Chef Faymann beim Sicherheitsthema profilieren. Prompt sagte er 2000 zusätzliche Polizisten zu. Selbst wenn er sein Versprechen einlöst, wird es Jahre dauern, bis die zusätzlichen Kräfte ihren Dienst antreten. Schon die Polizeischule dauert mindestens 21 Monate.

In ihrer Not entdeckt die Regierung das Reservoir an unausgelasteten Beamten. Auf dem Abstellgleis von Post und Telekom, zynisch „Karrierecenter“ genannt, sind 1200 ehemalige Mitarbeiter geparkt. Sie haben dort nichts zu tun – und sollen künftig der Exekutive bei Verwaltungstätigkeiten helfen. Das Verteidigungsministerium hat 250 unbeschäftigte Mitarbeiter in seinem Ressort entdeckt, die es der Polizei zur Verfügung stellen will. Dass die kuriose Idee, eine Polizeihilfstruppe aus weißen Elefanten zusammenzustellen, allerorten Beifall findet, zeigt den Grad der Verzweiflung. Denn der Personalnotstand hat die Politiker unvorbereitet getroffen: „Noch im vergangenen Herbst beschwerten sich Bürgermeister aus Niederösterreich bei mir, dass es dort zu viel Polizei gibt und die Menschen zu oft kon­trolliert werden“, erinnert sich ÖVP-Sicherheitssprecher Günter Kössl. Nach der Öffnung der EU-Schengengrenze wurde ein Anstieg der Kriminalität befürchtet und viel Polizei in die ehemalige Grenzregion verlagert. Die Angst war umsonst. Die ehemaligen Grenzen zu Ungarn und Co sind nicht das Sicherheitsproblem. Dennoch wird immer wieder verlangt, von Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl bis zur FPÖ, die Grenzen stärker zu kontrollieren. Nach wie vor patrouilliert das Bundesheer im Assistenzeinsatz an den Grenzen, kann aber im Ernstfall nichts anderes tun, als die Polizei zu rufen.

Individuelle Schweißnaht. In einer Welt mit durchlässigen Grenzen wird die Verbrecherjagd zum globalen Kampf gegen Windmühlen. Zwar stellen Österreicher in der Kriminalstatistik immer noch das Gros der Täter. Doch bei Massendelikten wie etwa Wohnungseinbrüchen erwischen die Polizisten kaum noch Einheimische, sagt Christof Hetzmannseder, Leiter der kriminalpolizeilichen Abteilung in Wien. Täter aus dem EU-Raum haben wesentlich zum Anstieg der Kriminalität beigetragen, konstatiert auch Kriminalsoziologe Arno Pilgram: „Die Reisefreiheit hat hier ihre Spuren hinterlassen.“ Vorbei sind die Zeiten, als „Kieberer“ ihre „Klientel“ an der individuellen Schweißnaht am Tresor erkannten. Am Werk sind heute transnationale, lose Netzwerke, in der jeder Täter, den die Polizei ausschaltet, sofort durch einen neuen ersetzt wird. „Der Kriminaltourismus nährt sich aus dem Wohlstandsgefälle“, sagt Hetzmannseder. Solange es in Europa arme Regionen gebe, wird sich stets genug Nachwuchs für Diebe und Einbrecher finden. Gerade deshalb bräuchte es dringend professionelle und internationale Zusammenarbeit: „Wir müssen uns besser mit der Exekutive vernetzen, etwa der in Polen“, fordert SPÖ-Sicherheitssprecher Otto Pendl.

Erfolge sprechen sich schnell herum. Eine rumänische Bande räumte quer durchs Land die Kassen öffentlicher Münzfernsprecher aus. Der Modus operandi war so schlicht und effizient, dass er zum Franchise-System ausgeweitet wurde. Neue Mitglieder konnten um ein paar hundert Euro einen Satz passender Schlüssel erwerben. „Plötzlich war ein halbes Dorf aus Rumänien involviert“, erzählt ein Kriminalbeamter. Als die Bande aufflog, stellte sich heraus: Sogar der Bürgermeister des Dorfes hatte mitgemacht.

76.782 Vermögensdelikte zählte die Wiener Polizei heuer in den Monaten Jänner bis Mai. Das entspricht einem Plus von 13,7 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Beispiel Taschendiebe: 3477-mal schlugen sie in öffentlichen Verkehrsmitteln zu, 2278-mal in Museen und anderen öffentlichen Orten, 3455-mal in geschlossenen Räumen, dazu kommen 416 „sonstige“ Taschendiebstähle. Längst hat sich bei Vermögensdelikten eine internationale Arbeitsteilung durchgesetzt. „Wohnungen machen im Moment vor allem Georgier. Moldawier machen Geschäfte und öffentliche Ämter, Rumänen machen Handtaschen“, sagen Kriminalbeamte. Jede Ethnie pflege ihre Vorlieben: Georgische Einbrecher reißen Zylinder bei Türschlössern ab und schneiden Kassetten aus Holzflügeltüren, aus Autos nehmen sie bevorzugt Handys und Laptops mit. Die Mühe, Radios aus der Konsole auszubauen, machten sich erfahrungsgemäß nur mehr ihre polnischen Kollegen.

Schmuckstücke und andere handliche Beutestücke wurden in der Vergangenheit per Post an Zwischenhändler und Abnehmer geschickt. Als die Polizei begann, Briefe und Pakete zu öffnen, wurden Privattransporte en vogue. Manchmal stoppt eine Autobahnstreife einen Lieferwagen, der bis oben hin mit Kleidung, Digitalkameras und zerlegten Fahrrädern vollgestopft ist. In der Regel weiß der Chauffeur, wohin er die Ware bringen soll, aber nicht, wer ihn damit auf den Weg geschickt hat.

Verstockte Täter. Die festgenommenen Tatverdächtigen seien bei den Einvernahmen „ziemlich verstockt“, erzählt eine Kriminalbeamtin. In ihrem Wiener Büro hängen verzweigte Netzwerkdiagramme: Ihre Kollegen nahmen nach einem Einbruch in einem kleinen Lokal zwei Männer fest und hantelten sich dann von einem kriminellen Bekannten zum nächsten weiter. Im Laufe weniger Wochen kam so ein Pulk von über hundert Leuten zusammen, „die in wechselnden Konstellationen zusammenarbeiten und alles machen, von Handtaschen bis Wohnungen“. Generation Facebook eben. Im Internet kursieren Seiten mit Tipps für Kriminaltouristen, auf denen sogar nachzulesen ist, wo die besten Gefängnisse sind und wo man, wenn überhaupt, am besten „singt“. Illustriert werden die Haftrezensionen mit Fotos, die Insassen beim Tischtennisspielen zeigen, und mit Bildern von Zellen mit Flachbildschirmfernsehern.

Die Geschichten, die festgenommene Einbrecher und Diebe den Beamten auftischen, sind fast immer gleich: Man sei gerade erst ein paar Tage im Land, habe nichts zum Schlafen gefunden und deshalb im Park übernachtet, und aus der Not heraus habe man halt einen Einbruch gemacht. Auch die Zivilfahnder, die vor zwei Wochen die beiden Männer in der Nähe des Praters beim Einbrechen erwischten, nahmen so eine Geschichte zu Protokoll. Als sie nachforschten, fanden sie heraus: „Einer der Georgier ist seit fünf Jahren im Land, er hat um Asyl angesucht, das wurde abgelehnt, und er ist wegen Wohnungseinbruchs verurteilt.“ Der andere war Ende April gekommen und hatte vor Kurzem einen Asylantrag gestellt. Auch das ist ein bewährtes Muster. „Kriminelle nützen das Asylverfahren, um sich vor einer Abschiebung zu schützen“, sagt Willfried Kovarnik, Leiter der Wiener Fremdenpolizei.

Für Unmut im Apparat sorgen aber auch die Folgen der Polizeireform des früheren Innenministers Ernst Strasser: „In seiner Ära wurden zu viele Polizisten eingespart“, gesteht selbst Strassers Parteifreund, ÖVP-Sicherheitssprecher Kössl, ein. Zum ständigen Spardruck kamen politische Säuberungen. Strasser entfernte aufmüpfige und politisch missliebige Beamte aus dem Sicherheitsapparat und zerschlug dabei nicht nur überkommene, verkrustete Strukturen, sondern auch funktionierende Netzwerke: „Eine Welle guter roter Kriminalpolizisten wurde durch schwarze Zollwachebeamte ersetzt. Die fangen keine Einbrecher“, analysiert der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz. Hinter vorgehaltener Hand erzählen leitende Beamte, wie ganze Abteilungen durch Mobbing und Überforderung kaputt gemacht wurden: „Einige Kollegen sind völlig ausgebrannt, und ich fürchte mich vor dem Tag, an dem der nächste umfällt und für Monate in den Krankenstand geht.“

Ein erfahrener Ermittler erinnert sich an die „alten Zeiten“, als es bei den Einvernahmen noch familiär zuging. Mitte der achtziger Jahre ließen Unternehmen das Geld für ihre Mitarbeiter im Tresor liegen, Tresoreinbrüche waren deshalb sehr in Mode. „Einen Bären reißen“, hieß das damals. Die Wiener Polizei stellte eine Gruppe zusammen, die den Panzerknackern nachging. Jeder hatte seinen unverwechselbaren Stil. Ein Spezialist hatte sich extra einen Tresor zugelegt, um zu üben. Erst nach langem Trockentraining machte er ernst und öffnete den gefüllten Tresor eines Juweliers mit einem einzigen, gezielt gebohrten Loch.

Schuhe am Tatort. Die Täter kamen zunächst aus Österreich, später zunehmend aus dem früheren Jugoslawien. Sie alle hielten sich eisern an die Devise, Mitwisser nach Möglichkeit zu vermeiden: „A Hackn alla is a goldener Sta.“ 1989 schließlich, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, übernahmen Ex-Securitate-Leute aus Rumänien die Zunft. Mitte der neunziger Jahre hielten Blitzeinbrüche in Mediamärkte die Polizei auf Trab. Die Banden hatten es auf teure Kameras und Hi-Fi-Geräte abgesehen. In der Nähe des Tatorts buddelten die Täter Mülltonnen ein, die nach dem Einbruch als Bunker für die erbeutete Ware dienten. Manchmal fanden die Beamten am Tatort die Schuhe der Täter. Damit waren Fußabdrücke für die Spurenermittler unbrauchbar. Ein Markenzeichen waren Durchbrüche vom Keller aus: Einmal entfernte ein polnischer Täter an einem Wochenende ein ganzes Gewölbe und arbeitete sich in ein Juweliergeschäft hoch. Als der Besitzer am Montag zum ­Tresor ging, war von außen kein Kratzer zu ­sehen, doch als er ihn öffnete, war er leer, und der Bestohlene schaute bis in den Keller hinunter. „Die Polen waren gute Einbrecher“, sagt der Beamte, fast anerkennend.

Lange ignorierte der Staat, dass die psychischen Folgen den Opfern meist mehr zu schaffen machen als der materielle Schaden, kritisiert Udo Jesionek, Präsident der ­Opferschutzeinrichtung Der Weiße Ring. Deutschland ist da Jahre voraus: Eine Studie des Kriminologen Günther Deegener zeigte Mitte der Neunziger, dass sieben von zehn Einbruchsopfern unter Ängsten litten, fast ebenso viele unter Schlafstörungen. In Österreich wurden die Beschwerden lange unterschätzt, auch von der Polizei, klagt Jesionek: „Natürlich gibt es Menschen, die alles einfach wegstecken. Aber vor allem die Kombination aus alt, einsam, Einbruch kann verheerende Folgen haben.“

Einbrechern wird es oft auch zu leicht gemacht. Der „Begehschlüssel“ (umgangssprachlich auch „Z-Schlüssel“ genannt), der das Schloss an Gegensprechanlagen öffnet, ist nicht mehr durch ein Patent geschützt und um nicht einmal 20 Euro überall zu kaufen. „Diesen Generalschlüssel hat heutzutage jeder. Pizzaboten, Prospektverteiler oder Handwerker“, seufzt Friedrich Noszek, Präsident des Zentralverbands der Hausbesitzer. Aber selbst aufwändige Sicherheitstüren sind für Profis kein Problem: „Nach einer Dreiviertelstunde ist alles offen“, erzählt ein „Franz“, der für das Buch „Der Blick des Einbrechers“ interviewt wurde. Mehr Sicherheit kann paradoxerweise ein schlichtes Türschild bieten: In dem Buch erzählen ertappte Einbrecher, nach welchen Kriterien sie ihre Tatorte auswählen. „Hermann“ berichtet: „Jemand, der auf dem Türschild gern brilliert mit dem Ingenieur- oder Doktortitel und auch ein sehr geschwungenes Türschild hat, der legt auf sich viel Wert und hat auch sehr viel Besitztum.“ Kurz: ein lohnendes Objekt.

Selbst Profis sind vor Missgeschicken nicht gefeit. Vor Kurzem ließ sich ein Kriminalbeamter in einem Schanigarten nieder, um mit ein paar Kollegen ein Bier zu trinken. Es war ein warmer, sonniger Tag. Sein Sakko hängte er über die Lehne seines Sessels. Als er zahlen wollte, griff er in sein Sakko. Seine Geldtasche war weg. Ein Klassiker.

Mitarbeit: J. Barth, M. Lettner, U. Schmid

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin