Der Vorstreiter

Der Vorstreiter: Der Kärntner Imam Amir Al-Amin

Integration. Der Kärntner Imam Amir Al-Amin hat ein Talent, sich Probleme einzuhandeln

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Die Moschee liegt gleich hinter dem Klagenfurter Hauptbahnhof. "Da sind wir!“, ruft Amir Mohamed Al-Amin und bleibt vor einem unansehnlichen Zweckbau stehen, der wie eine von der Stadterneuerung vergessene Nahversorgerruine an einem mehrstöckigen Wohnblock klebt.

Von der Straße aus tritt man in einen mit Teppichen ausgelegten Raum. Hier warten Ali, der Bosnier mit dem Rauschebart, und drei weitere Männer auf ihren Vorbeter. Al-Amin hat in einem Kämmerchen, in dem Muslime sonst den Koran studieren und manchmal ein paar Einheimische Arabisch lernen, Datteln und Zuckermelone aufgetischt. Die Tür zum Gebetsraum lässt er offen: "Damit Sie uns zuschauen können.“

Wir haben nichts zu verbergen, lautet die Botschaft. Und sie passt genau zu der Rolle, in der Amir Al-Amin sich gerade neu erfindet: der Kärntner Imam, vor dem sich niemand fürchten muss. Wenn Ali im missionarischen Überschwang die kurze Autofahrt ins Klagenfurter Café "Anatolien“ nützt, um einer Nicht-Muslimin den rechten Weg ins Paradies zu weisen, bremst ihn der Imam sanft: Jemanden zum Islam "einzuladen“ sei okay, "jemanden zu drängen, aber nicht“.

Al-Amin musste Lärm machen, bevor er selbst die moderaten Töne traf. Als "Hassprediger“ und "Fundamentalisten“ hatte ihn der verstorbene Landeshauptmann Jörg Haider vorgeführt und ihm über die Medien ausrichten lassen: "Von mir kriegt er die Staatsbürgerschaft nicht.“ Der gebürtige Sudanese lasse jeden Integrationswillen vermissen, goutiere die Anschläge auf das World Trade Center vom September 2001, schüttle Frauen nicht die Hand und schlage Schulkinder.

Beweise blieb Haider schuldig.
"Er hat Gerüchte weitererzählt, als wären sie wahr“, sagt Al-Amin. Bis zu den Höchstrichtern musste er um seinen rot-weiß-roten Pass streiten. Zweimal hob der Verfassungsgerichtshof den negativen Einbürgerungsbescheid aus Kärnten auf. 2010 erkannte der Verwaltungsgerichtshof schließlich, der verunglimpfte Islam- und Arabischlehrer habe ein Recht auf die Staatsbürgerschaft.

Nun hat Al-Amin über den Zwist mit Haider und alles, was er sonst noch erlebte, seit er 1990 in Österreich gelandet ist, ein Buch geschrieben*. Die mit religiösen und historischen Unterweisungen reichlich ausgeschmückte Biografie beginnt mit dem Satz: "Ich habe zwei Makel.“ Er habe eine dunkle Hautfarbe und sei praktizierender Muslim und Islamlehrer.

Im Sudan, wo Al-Amin 1966 auf die Welt kam, mussten alle Hauptschüler den Roman "Große Erwartungen“ von Charles Dickens lesen. Die Sehnsucht des Waisenkinds Pip, das in die große Stadt aufbrach, sei wie ein Samen in ihm gewachsen, bis er sich selbst in die Fremde aufmachte. So erzählt Al-Amin. Mit dem Visum für Großbritannien wurde es nichts. Der junge Mann aus Omburman bei Khartoum bucht einen Flug nach Istanbul, wird von einer Bande ausgeraubt, schlägt sich nach Belgrad durch und gelangt mithilfe von Schleppern über die grüne Grenze nach Österreich.

Traiskirchen war im Februar 1990 voll mit Flüchtlingen aus Osteuropa. Al-Amin landet in einer Pension im südsteirischen Deutsch-Groitz. Er findet ab und zu Arbeit, verliert sie bald wieder, schleppt Mehlsäcke, heuert bei einer Putzfirma an, verdingt sich als Küchengehilfe in einem Sanatorium und geht als Erntehelfer nach Italien. Die entscheidende Wende kommt in Gestalt eines Islamlehrers in Innsbruck. Nach der Begegnung mit diesem Mann will Al-Amin nur eines: auch Islamlehrer werden. Er absolviert die Prüfung und wird von der Glaubensgemeinschaft nach Kärnten geschickt. In die "Höhle des Löwen“, ins "Machtzentrum der Rechtsnationalen um Jörg Haider“ habe er am allerwenigsten gewollt, schreibt Al-Amin.

Erzfeind Haider hilft ihm posthum vielleicht sogar, seine Biografie unter die Leute zu bringen. So viel Schelm ist Al-Amin, diesen Treppenwitz der Geschichte auszukosten. Als er am Dienstag der Vorwoche vor seinem Stammcafé in Klagenfurt saß, vergingen keine fünf Minuten, ohne dass ihm von irgendwoher ein as-Salam alaikum zuflog. Er grüßte zurück und lachte: "Der Herr Dr. Haider hat am meisten dazu beigetragen, mich berühmt zu machen.“ Sein eigener Beitrag sei freilich auch nicht gering zu schätzen, sagt ein Stadtpolitiker aus Klagenfurt: "Al-Amin ist sicher nicht der Hassprediger, als den ihn Haider hingestellt hat. Der große Friedensstifter, als der er sich jetzt geriert, ist er aber auch nicht.“

Ein Talent anzuecken ist Al-Amin jedenfalls nicht abzusprechen. Man könnte ihn neutral einen "streitbaren Charakter“ nennen. Der Glaubensgemeinschaft warf er vor, bei Postenbesetzung zu viel auf Freunderlwirtschaft und zu wenig auf Qualifikationen zu achten. Dafür, sagt er, habe man ihn auf die Abschussliste gesetzt und allerlei böse Gerüchte über ihn gestreut. Er zog vor das Arbeitsgericht und boxte sich auf seinen Posten zurück. Heute ist er für den Islamunterricht an den Klagenfurter Schulen zuständig und steht im Sold des Landes Kärnten.

Geheimpolizisten, die sich beim Freitagsgebet unter die Gläubigen mischen, um ihn als Hassprediger zu überführen, pflegt er mit den Worten zu provozieren: "Wir begrüßen heute auch wieder die Herren vom Verfassungsschutz in der Reihe ganz hinten.“ Als Jörg Haider ihn durch den Dreck zog, scheute er sich nicht, den Landeshauptmann anzuzeigen. Die Causa wanderte bis zum Obersten Gerichtshof. Dort befand man, Hassprediger dürfe man den Islamlehrer nicht nennen, die Bezeichnung "fundamentalistischer Moslem“ sei zulässig. Es wäre nicht er, würde er nicht weitermachen: "Ich bin kein Fundamentalist!“ Sein Rechtsbeistand, der Klagenfurter Anwalt Farhad Paya, bereitet nun eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor.

"Ich bin im Leben immer davon ausgegangen, dass Schwierigkeiten verschwinden, wenn man ihnen mutig zu Leibe rückt.“ Dieser Ausspruch des Biochemikers und Science-Fiction-Autors Isaac Asimov krönt die Biografie des Islamlehrers. Er habe bewusst einen jüdischen Denker zitiert, um zu zeigen, wie "aufgeschlossen“ er sei, sagt Al-Amin. Und das ist er - bei aller Lust an der Provokation - wohl auch. Er sei der "erste Imam in Kärnten“, der aus Prinzip auf Deutsch predigt, sagt er. Und er tritt dafür ein, dass es ihm seine Kollegen "im Sinne der Integration“ gleichtun.

Am 20. Juni 2010 wurde Al-Amin auf dem Papier ein "richtiger Österreicher“. Das schützte ihn aber nicht vor weiterer Unbill. Als er im Vorjahr wegen eines Führungszeugnisses bei der Polizei vorstellig wurde und die Beamten ihn mit einem in Somalia geborenen Kanadier verwechselten, flüchtete er in Panik, fiel eine Treppe hinunter, verstauchte sich den Knöchel und rettete sich auf das Dach eines Nachbargebäudes. Die Episode war schmerzhaft, bescherte ihm aber immerhin den Titel für sein Buch: "Der Imam auf der Parkgarage“.

Bei allem Schlechten, das ihm in seiner neuen Heimat schon widerfahren sei, unterm Strich überwiege das Gute. "Ich habe mich hier entwickelt“, sagt Al-Amin. Zum Abschied gibt es einen kräftigen Händedruck.

* Amir Al-Amin: "Der Imam auf der Parkgarage. Wie ich lernte, ein guter Staatsbürger zu sein“. Galila Verlag 2012, 173 Seiten, 18,90 Euro

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges