Van der Bellen: „Bin eine irdische Figur“

Interview: „Ich bin eine irdische Figur“

Im Interview über die umstrittenen Karikaturen

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profil: Die Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen berührt zwei zentrale grüne Themen: Bürgerrechte, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit einerseits – Toleranz und Verständnis im Umgang mit fremden Kulturen andererseits. Wie bewältigen Sie diesen Clash?
Van der Bellen: Es gibt hier tatsächlich ein Spannungsverhältnis. Für uns stehen Pressefreiheit und Meinungsfreiheit auf der Werteskala ganz oben. Andererseits kann ich ein gewisses Unbehagen in dieser Angelegenheit nicht verhehlen. Historisch gesehen sind Meinungsfreiheit und Pressefreiheit vor über 200 Jahren in der französischen Aufklärung erstritten worden. Aber gegen wen? Gegen die herrschenden Fürsten, gegen Machthaber von oben. Voltaire, als Synonym für die Aufklärung, hat nach oben geschlagen. Die betroffene dänische Tageszeitung hat nach unten getreten: gegen eine religiöse Minderheit.
profil: Auch das ist erlaubt.
Van der Bellen: Dass man Moslems beziehungsweise Mohammed karikiert, ist zwar das gute Recht dieser Zeitung. Und wir sind jetzt auch alle gefordert, für dieses europäische Grundrecht auf die Barrikaden zu gehen. Dennoch sollte die Pressefreiheit mit einer gewissen Verantwortung wahrgenommen werden. Und Meinungsfreiheit ist ja nicht dazu da, dass jeder jeden niedermachen darf.
profil: In manchen islamischen Ländern werden derzeit Meinungsfreiheit und Botschaftsmauern niedergemacht.
Van der Bellen: Natürlich steht es außer Frage, dass wir uns diese Meinungsfreiheit nicht nehmen lassen. Und die Besetzung einer Botschaft ist unter keinen Umständen akzeptierbar. Dennoch habe ich ein Unbehagen, dass es bei den Karikaturen nicht gegen Politiker, sondern gegen eine religiöse Minderheit ging.
profil: Das heißt, man darf sich über den Professor Van der Bellen lustig machen, aber nicht über Moslems in Österreich beziehungsweise deren Vertreter.
Van der Bellen: Ich bin eine irdische Figur. Aber wie kommt Mohammed dazu, für die Al-Qa’ida-Mörder in Geiselhaft genommen zu werden. Die hätten Bin Laden karikieren müssen.
profil: Und Witze über Kardinal Christoph Schönborn?
Van der Bellen: Er ist eine irdische Figur. Wir haben in Europa eine ganz andere Tradition. Wenn der Papst karikiert wird, dann akzeptieren wir das im Großen und Ganzen, auch wenn das eine heikle Frage ist. Aber das ist unsere Zivilisation und unsere Kultur.
profil: Gibt es aus grüner Sicht den Kampf der verschiedenen Kulturen?
Van der Bellen: Nein. Man muss darauf hinweisen, dass sich die Moslems in ganz Europa von den gewaltsamen Demonstrationen distanzieren. Die Hassprediger in Österreich heißen Strache und Haider. Das sind keine Moslems. Ich habe den Eindruck, dass unsere Wahrnehmung durch das Fernsehen verzerrt ist. 500 Demonstranten vor einer Botschaft schauen plötzlich wie 50.000 aus. Diese Ausschreitungen können in keiner Weise akzeptiert werden, aber daraus den Clash of Civilizations zu konstruieren heißt, gesteuerte Berufsstudenten in Teheran aufzubauschen.
profil: Hierzulande gibt es kleinere Kulturprobleme – etwa das Beispiel moslemischer Mädchen, die von ihren Vätern aus nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen. Gibt es die breit diskutierte Parallelgesellschaft moslemischer Zuwanderer?
Van der Bellen: Mit viel Gesprächsbereitschaft, Geduld und Erklärung ist es in den allermeisten Fällen immer noch gelungen, einen Konsens bei solchen Problemen herzustellen. Man muss aber mit Nachdruck darauf hinweisen, dass es in Österreich Regeln gibt, die nicht verhandelbar sind. Die Teilnahme von Mädchen am Schwimmunterricht ist so ein Fall. Es ist auch inakzeptabel, wenn manche Buben meinen, eine Lehrerin sei keine Respektsperson. Natürlich sind das Kinder, aber es bedarf schon einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dieser Problematik.
profil: Sie selbst stehen beim Bundeskongress der Grünen Anfang März zur Wiederwahl. Vor zwei Jahren haben Sie bloß 84 Prozent bekommen. Im Wahljahr sollten es schon um die 90 Prozent werden.
Van der Bellen: Ich lege mir überhaupt keine Latten und gebe jetzt einmal eine typische Politikerantwort: Ich würde mich über eine hohe Zustimmung freuen.
profil: Vor Kurzem haben Sie noch gesagt, Sie seien ein Politiker, der manchmal die fehlgeleitete Bereitschaft habe, alle Fragen zu beantworten.
Van der Bellen: Aber nicht immer, nur manchmal.
profil: Sie sind laut Meinungsumfragen der vertrauenswürdigste von allen Parteichefs. Ist es Ihre Ausstrahlung, Ihre Ruhe oder der grau melierte Bart?
Van der Bellen: Vielleicht liegt es daran, dass ich versuche, nicht in das Messianische zu verfallen, nicht zu versprechen, dass alles wunderbar wird, wenn die Grünen mehr zu reden haben.
profil: Andererseits hatten Sie von allen Parteichefs bei den ORF-„Sommergesprächen“ die wenigsten Zuschauer.
Van der Bellen: Vielleicht war das Wetter bei mir am schönsten.
profil: Vielleicht interessieren Sie die Leute am wenigsten.
Van der Bellen: Das werden wir bei den Wahlen sehen.
profil: Boshaft zusammengefasst: Sie sind vertrauenswürdig, aber langweilig.
Van der Bellen: Das hat Jörg Haider auch schon immer gesagt. Es stimmt aber nicht. Wir Grüne polarisieren – vor allem im Umgang mit Haider oder Strache. Dass ich jetzt plötzlich als Pfau durch brennende Reifen springe, werden Sie nicht im Ernst von mir erwarten.
profil: Es gibt aber bei den Grünen auch ein paar pfauenhafte Gestalten. Braucht eine Partei Pfaue?
Van der Bellen: Buntheit ist besser als Einheitsgrau.
profil: Es gab bei Ihnen Debatten darüber, ob sich manche Parteifunktionäre nicht zu sehr medial inszenieren.
Van der Bellen: Wen oder was meinen Sie?
profil: Ihre Stellvertreterin Eva Glawischnig.
Van der Bellen: Ich war bei ihrer Hochzeit dabei. Da war nichts Inszeniertes.
profil: Noch einmal: Ein paar Pfaue braucht jede Partei?
Van der Bellen: Ob ich diese Krawatte trage oder eine andere, ist nicht ernsthaft ein Thema für die Öffentlichkeit, oder?
profil: Bei den Grünen unter Umständen schon. Da trägt außer Ihnen kaum jemand eine Krawatte.
Van der Bellen: Das stimmt. Ich hab das immer pragmatisch gesehen. Ich habe meine Vorlesungen in Jeans und Hemd gehalten, aber bei einem Termin im Wissenschaftsministerium einen Anzug getragen.
profil: Glauben Sie, dass ein zukünftiger Innenminister Peter Pilz eine Krawatte tragen würde?
Van der Bellen: Das ist kein Kriterium politischer Qualität.
profil: Wird Pilz im Herbst in der Regierung sein?
Van der Bellen: Wer weiß? Ich werde mich hüten, dazu jetzt Stellung zu nehmen.
profil: Die Grünen sind seit 20 Jahren im Parlament. Werden Sie es heuer endlich schaffen, in eine Regierung zu kommen?
Van der Bellen: Wir wollen, dass uns die Wählerinnen und Wähler den Traum erfüllen, drittstärkste Kraft in Österreich zu werden. Jenseits der Regierungsfrage hätte das eine enorme symbolische und atmosphärische Bedeutung für Österreich.
profil: Wissen Sie, was der deutsche SPD-Vizekanzler Müntefering über die Oppositionsrolle sagt?
Van der Bellen: Dass Opposition Mist ist.
profil: Ist Opposition wirklich Mist?
Van der Bellen: Es ist jedenfalls das Handwerk, das wir gründlich gelernt haben und sehr gut beherrschen. Aber die Machtfrage stellt sich auch einmal. Wir haben das zur Genüge ausgewalzt.
profil: Erstes Ziel für die Grünen muss es doch sein, endlich einmal ein zweistelliges Ergebnis bei Nationalratswahlen zu erzielen.
Van der Bellen: Da steht nicht der Mythos der Zweistelligkeit im Vordergrund. Wir wollen unsere Verhandlungsposition beim Umweltschutz, der Gleichstellung von Frauen, besserer Bildung und Armutsbekämpfung stärken. Wenn es nicht gelingt, dann wird es mit der Regierungsbeteiligung schwierig.
profil: Und was ist dann?
Van der Bellen: Scherzhaft gesagt, beginnt dann die Suche nach dem Schuldigen.

Interview: Gernot Bauer