Das Ende einer Dienstreise

dayli-Pleite: Irrtümer und Irrwege einer gescheiterten Sanierung

dayli. Konzern-Sanierer verliert eine Million in einer Sporttasche, der Novomatic-Konzern bei der Pleite 25 Millionen

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Als Rudolf Haberleitner am frühen Nachmittag des 27. Juni mit einem Vertrauten in Udine eintrifft, hat er eine mehrstündige Autofahrt in den Knochen. Und ist trotzdem bester Dinge. Wochen hat er sich auf diese Dienstreise vorbereitet. Telefonate, Mails, Meetings, Background check. Eigentlich kann nichts schiefgehen, darf nichts schiefgehen. Schließlich hat er seinen Teil der Vereinbarung erfüllt. Sein Termin, ein italienischer Geschäftsmann, den er unter dem Namen ­Ermanno R. kennt, wartet bereits in der Lobby des „Best Western“-Hotels in der Viale Tricesimo.

Im heimatlichen Pucking, das Haberleitner in den frühen Morgenstunden verlassen hatte, war die Betriebstemperatur zu diesem Zeitpunkt unter null gefallen. In der oberösterreichischen Konzernzentrale der TAP Dayli Vertriebs GmbH, vormals Schlecker Österreich, türmten sich die Rechnungen. Handelspartner lieferten nur mehr gegen Vorkasse, rund 3400 Beschäftigte, vornehmlich Frauen, warteten auf ihre Juni-Gehälter. In den Medien wurde bereits offen über eine Insolvenz spekuliert. Die Handelskette, die Haberleitner erst elf Monate zuvor aus der Konkursmasse der deutschen Schlecker-Gruppe herausgelöst hatte, schuldete den Banken keinen Cent – und zwar, weil kein Kreditinstitut bereit war, das Unternehmen mit Fremdkapital zu alimentieren.

Ermanno R., den Unternehmer aus Seriate nahe Bergamo, kennt Haberleitner erst seit dem 14. Juni persönlich, von einem Treffen in Mestre. Und er hat von dem Italiener den besten Eindruck mitgenommen. Seriöses Auftreten, fundiertes betriebswirtschaftliches Wissen, fließend in Deutsch und Englisch. Den Kontakt vermittelte ein Oberösterreicher mit Wohnsitz in Vorchdorf. Kommen die Herren in Udine ins Geschäft, ist Haberleitner vorerst aus dem Gröbsten raus. R. will – das hat er beim ersten Meeting nahe Venedig signalisiert – Dayli einen Millionenkredit gewähren; als „Anschubfinanzierung“ für eine spätere Beteiligung.

Im August 2012 hatte Haberleitner den Österreich-Ableger von Schlecker übernommen. Da war das Unternehmen bankrott – wie auch die deutsche Mutter. Der Jahresabschluss 2011 wies ein Minus von 55 Millionen Euro aus, der mit Abstand größte Vermögenswert in der Bilanz waren uneinbringliche Forderungen gegenüber ­Schlecker Deutschland. Zu den 900 Österreich-Filialen bekam Haberleitners Sanierungsgesellschaft TAP – die Abkürzung steht für „Turn-around Platform“ – noch hunderte Standorte in Belgien, Italien, Polen und Luxemburg. Allein im Lande beschäftigte Schlecker zu diesem Zeitpunkt rund 3600 Mitarbeiter.
Die Pläne trabten hoch. Haberleitner projektierte nur im Superlativ. Schon 2013 wollte er wieder tiefschwarze Zahlen schreiben, die Summe der Filialen dies- und jenseits der Grenze sollte bis 2016 auf 4800 steigen, ein Börsegang war da nur die logische Konsequenz. In Interviews sprach Haberleitner davon, dass Financiers seinem „TAP-Fonds“ bis zu 500 Millionen Euro zugesagt hätten, die nur darauf warteten, abgerufen zu werden.

Die Wahrheit: In den Monaten darauf sollte lediglich ein Investor eine nennenswerte Summe einbringen: Novomatic. Im Oktober 2012 gewährte der Glückspielkonzern der TAP Dayli Vertriebs GmbH einen Kredit in der Höhe von zehn Millionen Euro, im März dieses Jahres übernahmen Novomatic und dessen Gründer Johann Graf dann auch noch 50 Prozent der Gesellschaft – gegen einen einmaligen, „nicht rückzahlbaren“ Zuschuss von weiteren 15 Millionen Euro, in Summe also 25 Millionen Euro. Doch die Partnerschaft war enden wollend. Im Mai 2013 stiegen Novomatic und Graf wieder aus. Und erwiesen sich als großzügig. Der Kredit über zehn Millionen Euro wurde auf Jahre gestundet, der Gesellschafter-Zuschuss in der Höhe von 15 Millionen Euro gegen eine sogenannte Besserungsvereinbarung getauscht.

Obschon Novomatic keine Forderungen aus dem missglückten Experiment geltend machte, benötigte TAP Dayli weiteres Geld. Haberleitners Planungen zufolge sollten kurzfristig mehr als 50 Millionen Euro in die Modernisierung der abgewirtschafteten Schlecker-Filialen gehen. Ein Betrag, der aus dem Cashflow nie und nimmer darzustellen gewesen wäre. Und die laufenden Umsätze reichten anscheinend nicht einmal mehr aus, um die Rechnungen zu bezahlen.

Ermanno R. also, der weiße Ritter und sein „Darlehensvertrag“.
Noch ehe Haberleitner die Dienstreise nach Udine antritt, hat er den Vertrag unterzeichnet. Dieser ist gerade einmal vier DIN-A4-Seiten lang, zusammengefaltet passt er in jede Westentasche. Da steht etwa: „Der Darlehensnehmer (Anmerkung: TAP Dayli) beabsichtigt … ein zweckgebundenes Darlehen aufzunehmen, welches als Anschubfinanzierung zu einer später von Herrn R. beabsichtigten Beteiligung an der TAP Dayli Vertriebs GmbH zu sehen ist: Das Darlehen findet Verwendung für die Überbrückung der Warenfinanzierung bis zu einer Einräumung einer Warenkreditversicherung und für die Finanzierung von Investitionen, die im Zuge des Roll outs der neuen Dayli-Filialen benötigt werden.“

Ermanno R. will in Summe 26 Millionen Euro auf fünf Jahre vorschießen – gegen einen Fixzinssatz von nur drei Prozent per anno. Aber er will, das hat er im Vorgespräch in Mestre unmissverständlich klargemacht, Sicherheit. Eine Vorabzahlung – im Vertrag als „Sondertilgung“ tituliert – in der Höhe von einer Million Euro. Dayli würden also netto 25 Millionen Euro zufließen.

Im Rückblick kann man Haberleitner bestenfalls Naivität nachsagen. In jeder Hinsicht. Kern seines unternehmerischen Konzepts war – und das hat er erst Monate nach der Übernahme von Schlecker Österreich öffentlich gemacht – ein Sieben-Tage-Konzept, frei nach dem texanischen Vorbild 7-Eleven. Der siebente Tag der Woche ist bekanntlich der Sonntag – und der ist durch eine Allianz aus Politik, Gewerkschaft und Kirche als freier Tag einzementiert, noch jedenfalls. Das musste schon Richard Lugner zur Kenntnis nehmen. Haberleitners Idee, den Ruhetag mittels einer Gastronomiekonzession zu umgehen, sorgte für den programmierten Wirbel. Bis hin zu einer Präzisierung des Gesetzes, die heute als „Lex Dayli“ gilt. Keine Sonntagsöffnung, keine Umsätze, kein Konzept, auf das Investoren oder Banken oder beide ansprängen.

Haberleitner glaubt, seine Hausaufgaben gemacht zu haben. TAP Dayli hat auch Filialen in Italien, er hat Konfidenten vor Ort gebeten, Erkundigungen über Ermanno R. einzuholen. Dessen Leumund wirkt untadelig, von einem frühen Drogendelikt einmal abgesehen. Daher schöpft er anscheinend auch keinen Verdacht, als R. ihn ersucht, die „Sondertilgung“ bei Geschäftsabschluss der Einfachheit halber in bar mitzubringen.

Im Mai dieses Jahres spitzte sich die Lage in Pucking immer weiter zu. Haberleitner sprach öffentlich von einer „Verschwörung“ gegen Dayli und davon, dass die Gewerkschaften dem Unternehmen einen Schaden in der Höhe von 20 Millionen Euro zugefügt hätten. Längst waren die Lieferanten und Gläubigerschutzverbände nervös, die Banken weigerten sich, dringend benötigte Liquidität bereitzustellen. Die Expansionspläne lagen da schon auf Eis, Dayli hatte vielmehr den Rückwärtsgang eingelegt. 560 Beschäftigte wurden beim AMS vorsorglich zur Kündigung angemeldet, 180 der 900 Filialen sollten geschlossen werden. Und plötzlich war auch von einem Rückzug aus Österreich die Rede. Aufgeben wollte Haberleitner dennoch nicht. Am 29. Mai stellte er gegenüber dem „Wirtschaftsblatt“ Gerüchte über eine nahende Insolvenz vehement in Abrede, gegenüber dem „Standard“ erklärte er am 4. Juni, er sei mit ausländischen Banken ebenso im Gespräch wie mit ausländischen Investoren.

Als Haberleitner mit seinem Kollegen das „Best Western“-Hotel betritt, hat er eine Sporttasche mit dem Logo der deutschen Lufthansa bei sich. Darin eine Million Euro cash – 2000 Banknoten à 500 Euro, in zwei Bündeln. Das Geld hat Haberleitner zuvor vom Geschäftskonto der Dayli bei der Allgemeinen Sparkasse in Linz abheben lassen. Die Herren kommen zunächst in der Lobby zu sitzen. Der Darlehensvertrag wird noch einmal durchbesprochen. Anschließend, so will es die von Ermanno R. erdachte Choreografie, sollen sie gemeinsam die Bankfiliale auf der anderen Straßenseite aufsuchen. Erst wird R. 26 Millionen Euro an Dayli überweisen, dann Haberleitner – sobald seine Hausbank in Österreich den Zahlungseingang bestätigt hat – die Million aushändigen.
Soweit der Plan.

Wer ist Rudolf Haberleitner? Diese Frage wurde in den vergangenen Monaten oft gestellt. Seine Vita ist untermittelmäßig dokumentiert. Ein gebürtiger Niederösterreicher, Jahrgang 1945, Besuch der HTL Mödling, später soll er im Ausland einen Doktortitel erworben haben. In den 1970er-Jahren arbeitete er als EDV-Experte für die Voest, dann für den US-Elektronikkonzern NCR. In den 1980er-Jahren war er in die Sanierung des dann doch kollabierten Waldviertler Möbelherstellers Bobbin involviert, später auch beim Hersteller von Torsystemen Lindpointner. In den 1990er-Jahren verdingte er sich als Privatisierungsberater der tschechischen Regierung, 2001 machte er hierzulande als Konsulent von FPÖ-Infrastrukturministerin Monika Forstinger von sich reden. Und zwar vor allem wegen der Gage: 30.000 Schilling pro Tag. Mit seiner in Wien niedergelassenen MCS Consulting will Haberleitner in Summe „250 Transaktionen“ durchgeführt haben. Auf der Homepage seiner Plattform TAP 09 (die Zahl bezieht sich auf das Gründungsjahr 2009) präsentiert er sich so: „Seit 30 Jahren Unternehmer und Eigentümer eines internationalen Consultingunternehmens mit Fokus Restrukturierung, Turnaround-Management, M&A und Corporate Finance. Spezialgebiet außergerichtliche Unternehmenssanierungen.“

Der 68-Jährige ist ein Mann mit Erfahrung. Sollte man meinen.

Nach wenigen Minuten in der Lobby zückt Haberleitners Gegenüber unvermittelt ein Banknotenprüfgerät, um den Inhalt der Lufthansa-Tasche auf seine Echtheit hin zu untersuchen. Die Eingangshalle ist an diesem Tag stark frequentiert, man sucht sich eine ruhige Ecke hinter der Rezeption. Ermanno R. greift nach der Tasche und bittet die Österreicher, mit ihm zu kommen. Er wolle nicht allein mit dem Geld sein.

Später wird Rudolf Haberleitner bei der Polizei aussagen, sein vermeintlicher Darlehensgeber habe auf dem Weg zur Rezeption plötzlich einen Haken geschlagen, sei mit der Tasche und also der Million unter dem Arm aus dem Hotel, durch einen Busch über die Straße gestürzt und in ein wartendes Auto gesprungen, das sofort abfuhr.
Nach profil-Recherchen dürfte Haberleitner einer international organisierten Tätergruppe mit serbischen Wurzeln auf den Leim gegangen sein. Und er soll längst nicht das einzige Opfer dieses sogenannten Rip deals sein. Der Fall liegt zwar formell bei der italienischen Polizei. Zwischenzeitlich wurde jedoch auch Anzeige gegen den österreichischen Mittelsmann aus Vorchdorf erstattet, der Haberleitner mit dem vermeintlichen Italiener zusammengebracht hatte. Der zuständige Ermittler des Landeskriminalamts Oberösterreich Rupert Ortner wollte gegenüber profil mit Hinweis auf die laufenden Untersuchungen keine Details nennen.

Der Betrüger lässt bei seiner Flucht aus dem Hotel einen Aktenkoffer mit einer halben Million Schweizer Franken zurück – nach vorläufigen Erkenntnissen lupenreine Blüten. Einen Ermanno R. aus Seriate bei Bergamo gibt es tatsächlich. Dieser hat mit der Affäre jedoch nichts zu tun. Er sieht dem Gauner noch nicht einmal ähnlich.

Am Donnerstag vergangener Woche musste die zahlungsunfähige TAP Dayli Vertriebs GmbH einen Antrag auf Eröffnung eines Sanierungsverfahrens ohne Eigenverwaltung stellen. Im Insolvenzantrag der Unternehmensanwälte Hasch & Partner werden die Verbindlichkeiten mit insgesamt 56 Millionen Euro beziffert. Diesen stehen Vermögenswerte in ähnlicher Höhe gegenüber – ob diese jedoch tatsächlich zu realisieren sind, bleibt abzuwarten. TAP Dayli bietet den rund 1300 Gläubigern eine Quote von 25 Prozent.

Ironie am Rande: Laut Status vom 30. Juni führt Dayli eine offene Forderung gegen Ermanno R. in der Höhe von einer Million Euro in den Büchern.