Was fehlt?

Debatte. Das Jüdische Museum Wien eröffnet neu - und hat einiges an Problemen zu überwinden

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Soll Judentum für Nichtjuden ausgestellt werden? Was ist Judentum überhaupt? Und wer definiert das? In New York trieb das Jüdische Museum Mitte der neunziger Jahre Ungewissheiten wie diese lustvoll auf die Spitze und trug zur polemischen Frage „too jewish?“ eine ganze Ausstellung zusammen. ­Gezeigt wurden etwa satirische Kunstobjekte wie „Barbara Bushs Weihnachtsbaum“, der mit Konterfeis von Barbra Streisand behängt war.

Jüdische Museen bedeuten Spannung, kritische Auseinandersetzungen mit Selbstverständnis und zugeschriebenen Rollen – im nun neu startenden Wiener Museum ebenso wie in Warschau, wo in einem gläsernen Kubus derzeit ein Haus der Geschichte der Juden in Polen entsteht. Eine der gigantischen Glasfassaden ist durch einen Spalt aufgerissen. Das Jüdische Museum Berlin, spektakulär gebaut von Daniel Libeskind, hat einen geborstenen Davidstern als Grundriss. Ende Oktober feiert das Berliner Museum sein ­zehnjähriges Jubiläum und demonstriert dabei selbstbewusst, was es aus dem Erfolg von bisher mehr als sechs Millionen Besuchern ableitet: Man lässt Fachleute aus Ost und West über „Visionen der Zugehörigkeit. Juden, Türken und andere Deutsche“ diskutieren. Das Thema der Jubiläumswoche lautet brisant: „Was ist deutsch im 21. Jahrhundert?“ Die Ausstellung dazu verheißt schlicht „Heimatkunde“.

Gefeiert wird nun auch in Wien: Das Jüdische Museum lädt nach neun Monaten Umbauzeit Anfang dieser Woche zur Wiedereröffnung. Die erste Ausstellung demonstriert zwar einen Zug zum Populären, erschließt sich aber erst auf den zweiten Blick als hier gut platziertes Thema: „Bigger than Life – 100 Jahre Hollywood“ heißt die (schon aus Platzgründen im kleinen Jüdischen Museum alles andere als übergroß präsentierte) Schau, welche die Etablierung der Traumfabrik durch jüdische Einwanderer würdigt. Die offizielle Eröffnungsrede wird Finanzstadträtin und Vizebürgermeisterin Renate Brauner halten. Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny wird lediglich im Rahmen der Presse-Preview in Erscheinung treten. Dies dokumentiert das gewichtige Wort der Geldgeberin – die stadteigene Wien-Holding ist Trägerin des Hauses. Brauner hatte schon im Vorfeld die Devise ausgegeben, das Jüdische Museum müsse Anziehungspunkt für die Stadt und Pflichtprogramm jedes Wien-Touristen werden.

Danielle Spera, die 2010 bestellte Direktorin, vormalige ORF-Anchorwoman, hat ein Museum in gänzlich neuer Form angekündigt – und beansprucht jetzt eine „Vorreiterrolle“ in der weltweiten Diskussion um die Zukunft jüdischer Museen. Im heurigen Frühjahr diskutierten genau dar­über Hunderte Fachleute aus amerikanischen Museen, jene aus Europa werden es demnächst bei ihrer Jahrestagung in London tun. In Wien geht man das Thema etwas simpler an: Eine interaktive Besucherbefragung ist als Teil der neuen Dauerausstellung geplant – unter anderem mit Fragen wie „Mussten jüdische Museen erfunden werden?“, „Sind alle Juden religiös?“ und „Was fehlt?“. Chefkurator Werner Hanak-Lettner verteidigt das Vorhaben: „Wir stellen uns selbst und unseren Besuchern sieben Fragen auf dem Weg zur Dauerausstellung, aber wir stellen auch selbst etwas in den Raum – und halten es durch den Input von außen in Bewegung.“ Das scheint nötig, denn das Museum in der Dorotheergasse hat so etwas wie ein Identitätsproblem: In US-Großstädten seien die Aufgaben eines jüdischen Museums „viel einfacher zu klären, denn das verteilt sich dort besser“, erklärt Spera. „Da gibt es ein Holocaust Museum, ein Museum of Jewish Heritage und ein Haus, das sich dem zeitgenössischen Judentum widmet.“ Aber die Herausforderung, all das im eigenen kleinen Museum zu vereinen, mache es „auch spannend“, sagt sie noch.

Im wiedereröffneten Innenstadt-Palais Eskeles wird man jedenfalls nun in strahlendem Weiß empfangen, das von der Fassade bis zu den Sitzmöbeln im Foyer reicht. Das verschrobene Café Teitelbaum – benannt nach den vielen Teitelbaums, die bis 1938 in Wien gelebt hatten – ist verschwunden, das Museumscafé wird nun von einer Großbäckerei betrieben. Das neue Logo ist ein Davidstern: In Wien erscheint er auf rotem Grund, bisher hatte eine im Design des Jugendstils stilisierte Menora auf die kulturelle Blüte des Wiener Judentums verwiesen.

Am Donnerstag vergangener Woche führte Danielle Spera profil durch das ­Chaos der letzten Arbeiten vor der Neu­eröffnung. Mit Hingabe erläutert sie etwa die Geschichte eines Mädchens, das per Kindertransport nach Großbritannien in Sicherheit gebracht wurde – und von dem im Erdgeschoß (neben Nancy Speros Wand­installation) das in Wien hinterlassene Spielzeug und Fotos gezeigt werden. Ein „Schaudepot“ findet sich im dritten Stock, wo neben geretteten Kultgegenständen auch Teile der „Antisemitica“-Kollektion des nicht unumstrittenen Unternehmers Martin Schlaff gezeigt werden – und virtuelle Erinnerungen an die vielen Wiener Synagogen vor 1938 abzurufen sind. Welche Wirkung all die Exponate entfalten werden, die aus den vielfältigen, mehr als 16.000 Objekte umfassenden Sammlungen im Haus nun zur Präsentation ausgewählt wurden, war inmitten des Baulärms vergangene Woche noch nicht recht abzuschätzen. Eines ist für Spera zentral: „Im Mittelpunkt steht für mich die Jugend. Wir müssen die Schulklassen erreichen. Bei den Jugendlichen anzusetzen ist unsere wichtigste Aufgabe, wenn wir über die Zielgruppen des Museums sprechen.“

Der räumlichen Umgestaltung wird bereits erste internationale Anerkennung gezollt. Barbara Kirshenblatt-Gimblett von der Universität New York meint gegenüber profil, die Renovierung sei „beeindruckend“. Sie bringe „Licht und Öffnung in diesen schönen Bau und schafft zugleich ein heutiges Setting für das Museum“. Kirshenblatt-Gimblett ist maßgeblich am Programm des neuen Museums in Warschau beteiligt und wurde von Spera in den wissenschaftlichen Beirat berufen, den der Aufsichtsrat des Museums ihr nahegelegt hatte. Der Auslöser der bemerkenswerten Empfehlung, Experten beizuziehen, ist bekannt: Nach dem großen Aufräumen zu Jahresbeginn war von der Dauerausstellung des Hauses nur ein Scherbenhaufen geblieben. Sie hatte die Frage, wie jüdische Geschichte dargestellt werden könne, beeindruckend auf gläsernen Hologrammen durchsichtig gemacht. Museumsdirektoren und Experten aus halb Europa zeigten sich vom brachialen Ende dieser Ausstellung empört, umso mehr, als Spera an den Hologrammen nichts als „veraltete Technik“ zu erkennen vermochte. „Die Rolle als Avantgarde, die das Jüdische Museum Wien hatte, ist beschädigt“, stellte Cilly Kugelmann vom Jüdischen Museum Berlin damals fest.

Nach der Hologramm-Affäre hatte die Chefkuratorin ihren Abschied genommen, Prokurist Peter Menasse trat wenige Wochen später zurück, nachdem er Kritikern des Hauses polemisch SS-Treue attestiert hatte. Eigene Fehler kann Danielle Spera in der Affäre rückblickend nicht erkennen: „Ich hätte nichts anders machen können.“

Der breite Protest der Fachwelt habe das internationale Ansehen des Hauses „ganz sicher nicht“ beschädigt, meint sie und verweist auf „viele Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen, in die wichtigsten Museen“. Die Direktorin ist eine flüchtige Erscheinung. Sie entzieht sich, noch während man mit ihr redet, beantwortet Fragen sehr knapp, verweist in aller Freundlichkeit an ihre Kuratoren, ihr Team, ihre Exponate. So viel immerhin steht fest: Für die Neugestaltung des Museums machte die Stadt 2,5 Millionen Euro locker, die Fassadenrestaurierung kostete zusätzliche 100.000 Euro, für alles Weitere soll dem Vernehmen nach Geld über Kredite aufgebracht werden. Über die kolportierten anderthalb Millionen, die man für die neue Dauerausstellung noch benötigte, kann die Direktorin nur lachen: „Nein. Was wir zusätzlich brauchen, werden wir über unsere längst festgesetzte laufende Förderung finanzieren – über fünf oder sechs Jahre verteilt.“

Auch die Dezimierung ihres Kuratorenteams bereitet Spera keine Sorgen. „Wir sind mit vier KuratorInnen und zwei weiteren wissenschaftlichen MitarbeiterInnen gut aufgestellt. Alle Bereiche – Judaistik, Kunst- und Literaturgeschichte, Museologie – sind vorhanden. Andere Museen, die größer sind als unser Haus, verfügen über ein bis zwei angestellte KuratorInnen.“ Hanak-Lettner scheint da nicht ganz so sicher zu sein wie seine Direktorin: „Die Neupositionierung des Hauses ist in vollem Gang. Derzeit arbeiten sechs Leute wissenschaftlich für das Jüdische Museum. Wir werden sehen, ob das in Zukunft genügt."

Foto: Sebastian Reich