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Mit der Wiener Börse geht es seit Jahren bergab

Wiener Börse. Seit Jahren geht es mit dem Handelsplatz bergab. Schuld daran ist vor allem die Politik

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Es war am 11. Juli dieses Jahres, einem Donnerstag. Draußen ließ die hochsommerliche Hitze den Asphalt der Fifth Avenue glühen. Drinnen, im noblen Hotel „St. Regis“, redete sich eine Delegation Österreicher in absurd heruntergekühlten Tagungsräumen den Mund fusselig. Die Atmosphäre: wohltemperiert. Das Interesse laut Bekunden der Teilnehmer: sehr groß. Birgit Kuras, Vorstandsdirektorin der Wiener Börse, war mit der Führungsriege von Verbund, Immofinanz, Raiffeisenbank International und des Leiterplattenproduzenten AT&S, sowie Vertretern der Oesterreichischen Nationalbank und der staatlichen Industrieholding ÖIAG in die USA gereist, um bei einer Investorenkonferenz potenzielle Großanleger für den österreichischen Aktienmarkt zu gewinnen.

Auf dem Flugmeilenkonto von Kuras und ihres Vorstandskollegen Michael Buhl hat sich heuer schon einiges angesammelt. Ausgewählte Investoren in London, Mailand, Paris und Warschau wurden zu Roadshows geladen. In den kommenden Wochen stehen noch Zürich, Frankfurt und abermals London auf dem Programm.

Diese Überzeugungsarbeit ist bitter notwendig. Seit Jahren geht es mit der Wiener Börse stetig bergab. Aus dem einst wichtigsten Handelsplatz für Mittel- und Osteuropa wurde einer von nur noch regionaler Bedeutung. Während andere Aktienbörsen längst wieder Vorkrisenniveau erreicht haben, dümpelt Wien vor sich hin. Der Abwärtstrend ist freilich nicht nur der internationalen Finanzkrise geschuldet. Ein guter Teil der Probleme, mit denen die Börse zu kämpfen hat, ist hausgemacht. Vor allem leidet sie unter dem marktfeindlichen Aktionismus der Regierung.

ATX halbiert
Wie rasant die Talfahrt seit dem Jahr 2007 verlaufen ist, verdeutlichen die wichtigsten Kennzahlen. Die Marktkapitalisierung – also der Börsenwert aller notierten Unternehmen – sank von rund 158 Milliarden Euro auf aktuell 83 Milliarden. Der durchschnittliche Monatsumsatz liegt derzeit bei 3,2 Milliarden Euro. Das ist nur ein Fünftel dessen, was vor der Krise erzielt wurde. Der Leitindex ATX hinkt den internationalen Indizes nur noch hinterher. Seit seinem Höchststand im Juli 2007, als er zeitweise sogar die 5000-Punkte-Schwelle überschritt, hat er sich halbiert. Von den Höhenflügen wie sie etwa Dow Jones oder DAX erleben – keine Spur.
Wenig überraschend, dass die Börsenvorstände Anfang vergangener Woche einen Hilferuf in Richtung neuer Bundesregierung absetzten. Die Forderungen sind nicht neu. Die Abschaffung der Gesellschaftssteuer etwa, die Österreich auf die Kapitalzufuhr an Unternehmen – im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten – noch immer einhebt. Eine Reform der Wertpapier-KESt sowie der Wunsch nach weiteren Privatisierungen stehen im Forderungskatalog. „Ein Bekenntnis der Politik zum Kapitalmarkt wäre wichtig. Das hat bisher gefehlt“, meint Kuras. Die Hoffnung stirbt zwar bekanntlich zuletzt, aber dass sich bei einer Neuauflage der Großen Koalition viel ändert, ist wohl nicht zu erwarten. Die SPÖ sieht in Aktienkäufern nur Zocker und Spekulanten. Von der ÖVP gibt es bestenfalls Lippenbekenntnisse. Eine Strategie zur Belebung des Kapitalmarkts hingegen nicht. „Es herrschen fast schon kommunistische Zustände. Alles, was die Politik getan hat, ist der Börse Prügel vor die Füße zu werfen“, schimpft Fritz Mostböck, Chefanalyst der Erste Group.

Einer dieser Prügel ist die in dieser Legislaturperiode eingeführte Wertpapier-KESt, einer 25-prozentigen Abgabe auf Kursgewinne, unabhängig von der Haltefrist. Aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit mag sie ihre Berechtigung haben. Doch die Steuer ließ seit ihrem Start im April des Vorjahres die Umsätze an der Börse fast halbieren und hat die traditionell ohnehin geringe Affinität der Privatanleger zu Aktieninvestments nahezu ausgelöscht. „Der Schaden, den man mit der Steuer angerichtet hat, steht in keinerlei Relation zum Nutzen“, meint Mostböck. Laut Schätzungen spült die Wertpapier-KESt lediglich etwa 20 Millionen Euro im Jahr ein. Als Beitrag zur Budgetkonsolidierung taugt sie also kaum.
Dazu kommen die verheerenden Erfahrungen mit der 2003 vom damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser eingeführten prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge, die gleichzeitig die Wiener Börse ankurbeln sollte, weil die Fonds vornehmlich in heimische Aktien investierten. Die Börsen stürzten freilich ab, die Aktien wurden abgestoßen, das Kapital in risikolosen Papieren angelegt, um wenigstens den garantierten Betrag in Sicherheit zu bringen. Und Skandale nicht zu knapp (Meinl European Land, Immofinanz, A-Tec, Telekom Austria) führten dazu, dass nur mehr drei Prozent der Österreicher Wertpapiere besitzen. In besseren Zeiten waren es acht. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Quote bei 14 Prozent. In skandinavischen Ländern sogar bei 35. Wenn das Grundrauschen der Kleinaktionäre im Orderbuch der Börse fehlt und damit Liquidität verlorengeht, wird es gefährlich. Wenn institutionelle Investoren nur noch gegen sich selbst handeln können, weichen sie auf billigere außerbörsliche Märkte aus. Umso fataler, weil sich viele internationale Großanleger aus Angst vor der engen Verflechtung der heimischen Unternehmen mit osteuropäischen Ländern schon vor geraumer Zeit verabschiedet haben.

Fehlende Anreize
Es ist schon erstaunlich. Jetzt, wo ihre Tage als Finanzministerin mutmaßlich gezählt sind, entdeckt Maria Fekter ihre Liebe zum Kapitalmarkt. In einem Gastkommentar im Fachmagazin „Der Börsianer“ merkt sie an: „Ich halte es für makroökonomischen Unsinn, Fremdkapital und nicht Eigenkapital zu begünstigen.“ In einem neuen Regierungsabkommen möchte sie die Abschaffung der Gesellschaftssteuer verankern und Eigenkapitalzinsen steuerlich absetzen lassen. Pläne, die im schwarzen Finanzministerium in den letzten Jahren kein Thema waren.
Auch sonst ist ihr zum Thema in der Vergangenheit nicht viel eingefallen. So richtig schmackhaft haben weder Fekter noch der Rest der Regierung den Unternehmen den Kapitalmarkt nie gemacht. Bis auf den Aluminiumhersteller Amag, der sich im April 2011 aufs Parkett wagte, gab es seit Jahren keine Börsenneuzugänge. Von dem einst selbst gesteckten Ziel von sieben IPOs („Initial Public Offering“, der englische Fachausdruck für Börsengang) pro Jahr, ist schon lange keine Rede mehr. Dabei gibt es jede Menge Erfolgsbeispiele. Der Anlagenbauer Andritz hat sich über die Börse groß gemacht. Einstige Staatsunternehmen wie OMV oder voestalpine re­üssieren am Kapitalmarkt und in der Welt­wirtschaft. Auch wenn heimische Unternehmen aufgrund unsicherer Konjunkturaussichten bei Investitionen derzeit verhalten agieren – nur mit einem funktionierenden Kapitalmarkt hat die Volkswirtschaft die Möglichkeit, große Unternehmen aufzubauen. Was wiederum heimische Standorte sichert und für Arbeitsplätze sorgt. Viele, vor allem Familienunternehmen, halten es aber wie Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz, der mehr als einmal zu Protokoll gab, dass er „nicht im Traum daran denke, an die Börse zu gehen“.

Die Angst vor lästigen Aktionären, die ständig dreinreden, ist groß. Doch gerade in Zeiten, in denen Firmenkredite teurer werden, weil die Banken für sie mehr Eigenkapital hinterlegen müssen, hätte man Anreize schaffen müssen, um neue Unternehmen an die Börse heranzuführen.

Aber vielleicht kann ja Wolfgang Nolz das Ruder herumreißen. Der Steuersektionschef wurde im Frühjahr von Fekter – quasi als Wunderwaffe – zum neuen Kapitalmarktbeauftragten bestellt. In dieser Funktion soll er den Finanzplatz Wien neu beleben. Tatsächlich scheint er gut zu tun zu haben. Ein Gespräch sei leider aufgrund zahlreicher Termine und Dienstreisen nicht möglich, lässt die Sprecherin des Finanzministeriums wissen. Fragt man jedoch Börseninsider, wie denn nun der 70-Jährige für frischen Wind sorge, erntet man ein amüsiertes Schmunzeln. „Wir sehen ihn nicht ganz regelmäßig“, meint Kuras diplomatisch. Die Zusammenarbeit müsse in Zukunft weiter intensiviert werden. Nolz ist aber ohnehin auf Linie. In einem E-Mail an profil forderte er die Politik auf, „bestehende Hemmnisse sehr kritisch zu hinterfragen“, spricht sich für neu gestaltete Mittelstandsfinanzierungen aus und ist überzeugt, dass die Reform der einst grandios gescheiterten Zukunftsvorsorge den Kapitalmarkt beleben wird. Doch Nolz muss sich den Vorgaben des Finanzministeriums beugen, wie immer die auch in Zukunft aussehen mögen.

Wenn alles nichts nützt, kann man immer noch auf Starinvestor Jim Rogers hoffen. Mitte der 1980er-Jahre empfahl er, in den ATX einzusteigen, und im Jahr 2002 sagte er dem Wiener Markt für die kommenden Jahre die beste Performance innerhalb der EU voraus. Beide Male fanden sich österreichische Unternehmen unversehens im Fokus internationaler Berichterstattung. Ausländische Investoren und Analysten gaben sich in Wien die Klinke in die Hand und sorgten für Höhenflüge an der Börse.

Infobox

Finanzmekka
Wien als bedeutendster Finanzmarkt Europas? Was heute undenkbar klingt, war in den Jahren um 1870 tatsächlich der Fall. 1771 von Maria Theresia gegründet, zählt die Wiener Börse zu den ältesten der Welt. Anfangs wurden nur Anleihen, Devisen und Wechsel gehandelt. Die erste Aktiengesellschaft, die an der Wiener Börse notierte, war ab 1818 die Oesterreichische Nationalbank. Dank Industrialisierung, der Gründung von Eisenbahnlinien und eines Baubooms in Wien wurde die Hauptstadt der k.u. k. Monarchie damals innerhalb kürzester Zeit zum größten Börseplatz der Welt, was die Anzahl der notierten Aktien betrifft: Auf dem Kurszettel standen 378 Unternehmen (heute: 99), auf dem Parkett sorgten 3000 Aktienhändler dafür, dass die Börse im Wiener Palais Ferstel aus allen Nähten platzte. Angeheizt wurde die Kursrallye durch eine Immobilien-Spekulationsblase, die sich im Zuge der Weltausstellung 1873 enorm aufblähte. Am 9. Mai, dem Schwarzen Freitag, brach schließlich die große Panik aus. Noch am selben Tag waren über 100 Unternehmen insolvent, die Mehrzahl der Banken musste schließen. Immerhin vier Unternehmen haben den damaligen Crash, die folgende Depression und alle weiteren Krisen überlebt und sind heute immer noch an der Wiener Börse notiert: Die Austria Email, die als „k.k. privilegierte österreichische Staats-Eisenbahn-Gesellschaft“ gegründet wurde (Erstnotiz 1855), der Baukonzern Porr und der Ziegelproduzent Wienerberger (beide 1869) sowie die zur Porr gehörende Immobiliengruppe UBM (April 1873).

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

war bis September 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.