„Wie bei der Stasi”

Groteske um kirchliche Scheidung: „Wie bei der Stasi”

Eheannullierung. Groteske: Was bei einer kirchlichen Scheidung alles passieren kann

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Mirko Novotny* war entsetzt, als er sein Dossier zum ersten Mal in die Finger bekam. 46 Seiten hatte die Kirche über ihn zusammengestellt. Sie lasen sich wie das Psychogramm eines gestörten Mannes: Novotny stamme aus einer zerrütteten Familie; seine Eltern hätten ihn vernachlässigt, und, als wäre das nicht schlimm genug, musste er auch noch lesen, er habe seine Ex-Frau zu einer Abtreibung überreden wollen. Der gemeinsame Sohn ist heute 14 Jahre alt.

Den Akt hatte das Diözesangericht Wien angelegt. Der Grund: Novotnys frühere Frau wollte ihre 1991 im ehemaligen Jugoslawien geschlossene Ehe annullieren lassen und mit Gottes Segen ein zweites Mal heiraten. Der Gatte weigerte sich; ihm genügte die Scheidung vor einem Zivilgericht.

+++ Jedes Jahr erklären die neun bischöflichen Diözesangerichte Österreichs etwa 120 Ehen für nichtig +++

Vor drei Jahren erhielt Novotny ein Schreiben. Das Kirchengericht teilte ihm mit, ein Annullierungsverfahren sei aufgenommen worden. Der Außendienstmitarbeiter ließ das Kirchengericht daraufhin in mehreren E-Mails wissen, dass man ihn damit in Ruhe lassen solle. Diese Nachrichten blieben ohne Antwort.

Wie der 48-Jährige später aus seinem Akt erfuhr, sammelten seine Ex-Frau und das Gericht indes eifrig Beweise für die Ungültigkeit der Partnerschaft. Zwei Zeugen und seine Ex-Frau wurden befragt. Diese gab zu Protokoll, Mirko Novotny sei unter "unwürdigen Umständen“ aufgewachsen. Das treibt ihm heute noch Tränen in die Augen: "Ich hatte die besten Eltern der Welt. Meine Ex-Frau hat sie nie getroffen. Sie starben, bevor ich sie kennenlernte.“ Auch die Sache mit der Abtreibung sei eine "böse Lüge“, so Novotny.

Die beiden Kinder des Paares leben seit der Trennung bei ihm. Die erwachsene Tochter hat den Kontakt zur Mutter abgebrochen. Laut Aktenlage hatte Novotnys Ex-Frau einen Priester gefunden, der ihre Behauptungen vor Gericht bezeugte. Allerdings konnte der Gottesmann von den lange zurückliegenden Geschehnissen nichts wissen, sagt Mirko Novotny. Er und seine Frau hätten ihn erst 2007 kennengelernt.

2012 forderte das Diözesangericht Novotny schriftlich auf, sich psychologisch untersuchen zu lassen. Ein Gutachter sollte klären, ob das Paar zur Zeit der Eheschließung geistig gesund gewesen war. Der Mann weigerte sich. Eine Diagnose wurde trotzdem gestellt.

"Wir können niemanden zum Psychologen zwingen. Aber wir haben Koryphäen, die anhand der Dokumente und der Aussagen der beiden Parteien ein Gutachten erstellen können“, sagt Walter Sturm, Notar am Diözesangericht Wien. Oftmals würden die Antragssteller Krankenakten ihrer Ex-Partner beisteuern. Laut Konkordat habe die Kirche sogar das Recht, bei Ärzten Krankengeschichten anzufordern, was man aber "schon seit Jahren nicht mehr gemacht habe“, so Sturm.

Im Fall Mirko Novotnys hielt man das auch gar nicht für nötig. Dem von der Kirche bestellten Psychiater genügten die E-Mails, die Novotny seinerzeit an das Kirchengericht geschickt hatte, um dem Mann aus der Ferne eine "ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung“ zu attestieren.

An diesem Punkt nimmt die Geschichte eine ironische Wendung. Die Ehe wurde daraufhin annulliert - allerdings nicht wegen der psychischen Problematik des Mannes, sondern aus "Mangel an Urteilsvermögen“ bei der Frau, wie es im gerichtlichen Spruch der ersten Instanz vom 11. April 2013 heißt: "Nicht erwiesen ist und nicht feststeht die Ungültigkeit aus dem Rechtsgrund ‚Eheführungsunvermögen‘ des Mannes.“

Sollte Mirko Novotny je wieder Lust verspüren, kirchlich zu heiraten, wäre der Weg dafür frei. Seine Ex-Frau hingegen wurde "gemäß Art. 251 § 1 der Instruktion ‚Dignitas connubii‘“ mit einem Eheverbot belegt. Ein durchaus übliches Vorgehen, so Diözesangerichtssprecher Sturm: Die Partei mit dem "psychischen Defekt“ - in diesem Fall die Frau - müsse in einem weiteren Verfahren erst beweisen, wieder gesundet und "ehefähig“ zu sein, ehe sie vor den Altar treten könne.

Mirko Novotny, seit jeher gläubiger Katholik, trat inzwischen aus der Kirche aus. Die Lektüre seines Aktes sitzt ihm noch in den Knochen: "Das war wie bei der Stasi.“ Ihm sei es mittlerweile völlig egal, ob das Diözesangericht ihn für psychisch gestört halte oder nicht. "Aber die Lügen über meinen Sohn und meine Eltern müssen entfernt werden. Dafür werde ich kämpfen.“ Der zweifache Vater richtete bereits mehrere Beschwerden an die Kirche. Sie blieben bisher ungehört.

*Name von der Redaktion geändert

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.