Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Dry & Soft

Dry & Soft

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Grätzel entwickeln den höchsten Grad an Identität, wenn sie für etwas ganz Bestimmtes stehen. Die faszinierende 57. Straße in Manhattan zum Beispiel, die wird schon immer mit Diamantenhandel assoziiert, und das Wiener Textilviertel, eh klar. Aber wie sieht das jetzt mit dem Viertel um den Wiener Donaukanal beim Schwedenplatz aus, vom Laurenzerberg bis zum Beginn der Taborstraße?

Von Anfang an: Dort befand sich, im Erdgeschoss des Sofitel-Hotels, bis vor Kurzem eine Filiale der Gastronomin Haya Molcho, das „Neni im Zweiten“. Ich habe, ehrlich gesagt, schon vor Längerem mit mir selbst gewettet, wie lange es bestehen würde, denn das Umfeld ist ja nicht gerade ein Renner, was die sogenannte Laufkundschaft betrifft: exklusive Designerläden, die hier mittlerweile auch schon zum Fluktuieren neigen, der Charme einer modernen Bahnhofshalle, viel Grau, das wenigstens von einer gigantischen begrünten Naturwand etwas aufgelockert wird.

Nun hat das „Neni im Zweiten“ einen Nachfolger: das Steakhaus „El Gaucho“, ebenfalls ein Filialinstitut, denn ein „El Gaucho“ gibt es bereits in Graz und Baden. Der Unternehmenszweck ist das Reifen, Braten und Verkaufen von hochwertigem Rindfleisch, argentinischem aus Bio-Zucht und trocken gereiftem österreichischen. Damit ist schon einmal der erste Themengrätzelkeim gelegt, denn eine Gehminute entfernt befindet sich das „Frank’s“ mit genau demselben Konzept.

Steakviertel Tabor? Mal sehen, was da noch kommt.

Nähern wir uns langsam dem Fleisch, doch zum Aufwärmen eine Garnelen-Curry-Suppe. Muss nicht sein, das ist eine eher dünn geratene Flüssigkeit, die kaum an ein Curry erinnert. Abhaken. Vielleicht Oktopus und Blunze? Ein kleines Carpaccio vom Mollusken, ein Tentakel, leicht zäh, eine Art Wantan-Täschchen, mit Blunze gefüllt. Ordentlich gemacht, keine Frage. Tentakel und Wantan sind auch gar nicht schuld daran, dass sich bei der Vorspeise bereits ein, von mir als solcher empfundener, Makel offenbart. Ich hatte zuvor eine Glasschatulle präsentiert bekommen, eine Art gläserner Hauskatzensarg, in dem die schönsten Rinderteile bei Tisch präsentiert werden. Nachdem leider nicht alle vorrätig waren, fiel die Wahl auf 300 Gramm Ribeye, dry aged und austrian. Aber kaum habe ich das Besteck für den ersten Gang beiseitegelegt, steht schon jemand beim Tisch und tauscht die Teller aus.

So etwas macht ganz, ganz schnell das Gefühl, abgefüttert zu werden, tatsächlich in einer Bahnhofshalle zu speisen, wo der Fahrplan die Menügeschwindigkeit bestimmt. Man hätte sich vielleicht an den ÖBB orientieren sollen, aber dann wäre mein Steak vielleicht erst um Mitternacht angekommen.

Und die Qualität? Ausgezeichnete Hardware, haarscharf, aber innerhalb der Toleranzgrenze an der bestellten Garstufe medium to medium rare vorbei (Richtung medium nämlich). Unter den side dishes befindet sich im Übrigen etwas, woran ich nie vorbei kann, wenn es verfügbar ist: eine frittierte Soft-shell Crab (auf deutsch: Butterkrebs). Womit wir schlussendlich bei Grätzelthemenkeim Nr. 2 wären. Gleich hinter dem „El Gaucho“ gibt’s die während der „Krustenmauser“ gefangenen Krabben nämlich auch: im konstant angesagten „Mochi“, womit sich das Softshell-Vorkommen in Wien weitgehend auf einen Häuserblock konzentriert.

Mir sind sie im „Mochi“ lieber. Schön, wenn man die Wahl hat, hier im neuen Butterkrebsgrätzel.

El Gaucho
Praterstraße 1, 1020 Wien
Tel.: 01/212 12 10
So geschlossen (Küche bis 24 Uhr)
Hauptgerichte: argentinisches Rind 16 bis 45 Euro; österreichisches dry aged Rind 7 bis 8 Euro/100 g
www.elgaucho.at

[email protected]