Reformer haben in der Schule einen schweren Stand

Lernsteuerung

Bildung. Doch auch wenn die Gewerkschaft es nicht gern sieht - sie werden immer mehr

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Als Günther Reiter Deutschlehrer werden wollte, hatte er Bilder im Kopf, die ihn beflügelten: Er würde junge Menschen für Literatur begeistern, ihnen beibringen, gute Texte zu schreiben, vielleicht sogar Theaterstücke, die sie auf der Schulbühne aufführten. Nur ein Bild hatte er nicht im Kopf: er, allein in seinem Arbeitszimmer zu Hause, den Rotstift in der Hand, über Stapel von Heften gebeugt.

Langweilig sei das, sinnlos obendrein, sagt Reiter: "Aus rot angestrichenen Fehlern lernen die Schüler gar nichts.“ Jüngere Studien geben ihm Recht. Wie man einen Leserbrief schreibt oder eine Geschichte spannend erzählt, würde Reiter seinen 180 Schülern in der Vienna Business School, einer privaten Handelsakademie in der Wiener Schönborngasse, gern in Workshops beibringen. Er hätte auch "überhaupt kein Problem“, 40 Stunden in der Woche in der Schule zu sein: "Je besser meine Schüler schreiben, umso mehr Freude haben sie. Und ich auch.“

Das entspricht nicht dem Bild, das die Gewerkschaft von Lehrern zeichnet: 20 Stunden arbeiten, zu Hause mittagessen, Reformen verhindern. "Nicht alle sind so. Das wird falsch dargestellt“, klagt Herbert F. "Ich bin jetzt schon den ganzen Tag hier, bereite mich vor, korrigiere Tests, und wenn ich keinen ruhigen Platz finde, übersiedle ich ins Café. Zu Hause will ich für meine Familie da sein.“ Seine Fächer sind Politische Bildung und Volkswirtschaftslehre an einer Handelsschule in Wien. In diesem Schultyp versammeln sich die nicht ganz Erfolgreichen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Lehrer wie F. gerade in den Handelsschulen mehr werden. Um Ideologie geht es dabei nicht: "Wir brauchen die Ganztagsbetreuung, wenn wir nicht wollen, dass die Kinder beim Millennium Tower herumhängen.“

Reformer haben einen schweren Stand. Dem Gros der Lehrer sitzt die Angst vor neuen Belastungen im Nacken. Im Bereich AHS gilt jede Neuerung als Bedrohung. "In der Schule soll kein Stein auf dem anderen bleiben, aber es gibt für nichts Geld, weil alles in die Neue Mittelschule rinnt“, empört sich eine Gymnasiallehrerin. Die Stimmung sei im Keller. 70 Lehrer teilten sich ein 200 Quadratmeter großes Konferenzzimmer und vier Computer. "Die Lehrer fühlen sich geprügelt und ungerecht behandelt“, sagt der grüne Bildungssprecher Harald Walser. Er selbst unterrichtet an einer AHS in Bregenz. Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) blockiere jede Neuerung und schädige den Stand. Walser: "Das Image der Lehrer ist am Boden.“

Nebenjob.
Vergangene Woche wurde wieder über ein neues Dienstrecht verhandelt. Die Gewerkschaft machte schon im Vorfeld klar, dass über Arbeitszeitänderungen nicht zu reden sei. "Lehrer halten es für ein Privileg, über ihre Zeit zu verfügen. Das wollen sie nicht aufgeben“, sagt eine AHS-Lehrerin. Mitunter frönen sie aufwändigen Hobbys und halten die Schule für eine recht angenehme Nebenbeschäftigung. Unter dem Ruf, den diese Kollegen verbreiten, leiden die Jungen, die sich ins Zeug werfen.

Ina Brandner unterrichtet seit zwei Jahren Englisch am Gymnasium in der Wiener Rahlgasse, "einer zum Glück sehr engagierte Schule“, und übernahm das Übungsprojekt "EcoKids“, das einige ihrer Nachmittage in Beschlag nimmt. Die Reaktion der Arbeitskollegen ihres Vaters auf ihren Beruf ärgert sie: "Sofort fangen alle zu schimpfen an: Die arbeitet eh nur 20 Stunden.“ Die Schar jener, die nicht darauf warten wollen, dass sich Politik und Gewerkschaft bewegen, wächst. In der Handelsschule in Steyr war es pure Not, die einige der Lehrer erfinderisch machte. In ihren Klassen saßen Jugendliche ohne Aussicht auf eine Lehrstelle. So dürfe es nicht weitergehen, befand eine Handvoll Pädagogen und rief die Initiative Cooperatives Offenes Lernen (Cool) ins Leben: weniger Lernstoff, mehr Begleitung beim Lernen, Lehrer, die sich nicht als Alleinunterhalter, sondern als Coaches verstehen. Die Kollegen reagierten pikiert. Georg Neuhauser, Cool-Mitbegründer und seit 33 Jahren Lehrer für Biologie, Physik und Chemie, war schnell als Verräter verschrien: "Wir fangen uns eine Watsche nach der anderen ein, weil wir Kollegen angeblich in die Mehrarbeit hetzen.“

Erwin Dorn, Lehrer am Bundesrealgymnasium Traun bei Linz, erlebte als unabhängiger Gewerkschaftsfunktionär mit, wie kleinste Reformen im Keim ersticken. Deshalb lenkte er seinen Innovationsgeist in neue Bahnen. Er gründete - gemeinsam mit Psychologielehrerin Ingrid Rathner - den Verein "Kunst, Kultur, Schule“ ( www.kukusch.at): "Ich will mich nur dort einbringen, wo ich etwas bewegen kann.“

Rathner, die in einem großen Gymnasium in der Linzer Hamerlingstraße arbeitet, lacht über den Zettel, der neben dem Eingang ihrer Schule hängt: "Schulfremden“ Personen sei der Zutritt verwehrt. Sie will viele "Schulfremde“ anlocken: Jazzmusiker, Theatermacher, Gymnasiasten aus dem Ausland. "Um Behübschung von Schule geht es da nicht, sondern darum, den Koloss von Grund auf zu verändern.“ Lieber heute als morgen würde Rathner die Schulglocken abmontieren, den starren 50-Minuten-Unterricht neu takten, "mit Kolleginnen und Kollegen den Unterricht gemeinsam planen und sich mit ihnen über Schüler und neue Ideen austauschen“.

Ihr Direktor hat für solche Einfälle ein offenes Ohr. In vielen Schulen aber rennen passionierte Lehrer gegen Gummiwände, erzählt Gerhard Rüdisser, Mathematik- und Physiklehrer aus Bregenz. Als Obmann der Unabhängigen Bildungsgewerkschaft (UBG) macht er sich für höhere Einstiegsgehälter, bessere Arbeitsplätze und sinnvolle Nachmittagsbetreuung stark. Der Widerstand ist massiv. Lebhaft erinnert sich Rüdisser an eine Sitzung, in der ein AHS-Gewerkschafter die legendäre Formel prägte: "Wir haben die besseren Schüler. Wir verdienen besser. Warum sollten wir etwas ändern?“ Ein Drittel der Gymnasiallehrer teile diese Blockadehaltung. Ein weiteres Drittel sehe Bedarf für Reformen, habe aber Angst. Das restliche Drittel sei dafür, dass sich in der Schule etwas bewegt.

"Ich helfe den Kindern beim Lernen, beaufsichtige sie beim Spielen, schlichte Streit.“ Eva Holzmann unterrichtet seit 35 Jahren. Niemand zwingt sie, ihre Nachmittage im Tagesschulheim des Gymnasiums Pichelmayergasse in Wien-Favoriten zu verbringen. In ihrem Alter macht das fast niemand mehr, und es wurmt sie ein wenig, dass einige Kollegen nicht sehen, dass davon die Lehrer profitieren können. "Man lernt die Kinder besser kennen, baut Vertrauen und Beziehungen zu ihnen auf. Das hilft im Unterricht.“ In den Halbtagsschulen eskalieren die Probleme, weil für Begleitung und Unterstützung kaum Zeit bleibt. Ideen gibt es genug. HAK-Lehrer Reiter etwa träumt von Lektürestunden. Viele seiner Schülerinnen und Schüler haben zu Hause keinen Arbeitsplatz, Facebook läuft nebenbei: "Wie man ruhig und konzentriert ein Buch liest, können sie nicht lernen.“

Im Gymnasium in der Erlgasse in Wien-Meidling treffen Migrantenkinder auf die einheimische Bildungsschicht. Als Erika Hummer hier neben Italienisch auch Informatik zu unterrichten begann, hatte sie zum Thema Computer, Internet, soziale Netzwerke selbst einiges nachzuholen: "So bin ich zum E-Learning gekommen.“ In Chatforen suchen ihre Schüler heute gemeinsam nach Lösungen und analysieren Fehler. Via Facebook, SMS, E-Mail und Lernplattformen halten sie Kontakt mit ihrer Lehrerin.

Hummers Kollegenschaft schüttelt den Kopf, die E-Learning-Expertin schwört auf virtuelle Kommunikation: "Die Kinder bekommen unmittelbar Feedback, lernen mehr, ich erspare mir Arbeit.“ Die Lehrerin ist überzeugt, dass sich der Schulbetrieb in den nächsten Jahren dramatisch ändern wird, ob es den beharrenden Kräften passt oder nicht. Noch wirken viele Pioniere im Verborgenen. Zu groß ist die Angst vor den Kollegen: Als die Initiatoren des Bildungsvolksbegehrens kürzlich vorbildliche Lehrer suchten, fand sich kein einziger, der mit Namen und Gesicht vor den Vorhang treten wollte. Absurd, aber wahr ist auch die Geschichte jenes Lehrers aus der Steiermark, dem Kollegen vorwarfen, zu viel zu arbeiten. Der junge Mann wurde vor den Landesschulrat bestellt und mit der Beschwerde über seinen ungehörigen Einsatz konfrontiert.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

war von 1998 bis 2024 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges.