Luxus. Essay

Luxus. Essay: Geiz ist geisteskrank

Geiz ist geisteskrank

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„In zirka 100 Tagen finden Wert und Preis zusammen.“
Werbepapst David Ogilvy

Die Verlierer des Zweiten Weltkriegs hatten einen Vorteil und einen Nachteil. Der Vorteil lag darin, dass sie ihre Wirtschaft mit modernen Maschinen neu aufbauen mussten, weil die alten zerbombt oder konfisziert waren. So wurden die Verlierer bald wieder zu Wirtschafts-Siegern.
Der Nachteil lag darin, dass die Nachkriegsarmut zu einem Konsumverhalten des „Billig, aber viel“ zwang. Die Armut reichte bis in die sechziger Jahre, das Konsumverhalten bis heute.

Sympathisch und verständlich, wenn Senioren im Alter von 65 plus, die den Krieg und die Nachkriegsnot bewusst erlebten, noch heute lieber von großen Tellern essen, die mit vielen Beilagen preiswert gefüllt sind. Und dass sie in allem, der Kleidung, der Möblierung, bei Zierpflanzen und in der Kunst, so verfahren. Weniger verständlich, dass selbst 50-Jährige, die als Schüler schon das Wirtschaftswunder, und gar 40-Jährige, die bereits den Wohlstand erlebten, noch heute so konsumieren wie Menschen früher.

Wer sich heute ohne Not in das Prinzip „Billig, aber viel“ fügt, setzt kein Zeichen der Bescheidenheit, sondern eines des Ungeschicks. Das klügere Motto einer materiell besseren Zeit kann nur „Immer weniger von immer Besserem“ heißen. Dieses Prinzip hat ausschließlich Vorteile, im Ganzen wie im Einzelnen.

Nationalökonomisch: Eine Nation, die mehr auf Qualität als auf Menge schaut, wird das gleiche Bruttonationalprodukt und Wachstum erarbeiten, aber ökologischer (Umweltschutz, Schonung der Ressourcen) agieren.

Betriebswirtschaftlich: Firmen, die eher auf Nischenqualität als auf Mengenwettbewerb geschaut haben, haben heute bessere Bilanzen und Gewinne, auch wenn sie kleiner sind als jene, die auf billige Menge setzen.

Privathaushalt: Auch in den Eigenheimen schneiden jene besser ab, die gelernt haben, auf Qualität und nicht blindlings auf Schnäppchen zu setzen. Man kann um das gleiche Geld in einem Haus unendlich viel Schrott anhäufen – oder ganz langsam echte Werte erwerben.

Das ist freilich leichter gesagt als getan. Am ehesten können den Wert des Wertes die modernen, mobilen Singles erkennen. Sie ziehen gleichsam als Nomaden öfter um. Sie begreifen bald, dass sie eine einfache Wahl haben: immer wieder Halden von Müll zurückzulassen, für dessen Entsorgung sie auch noch zahlen müssen, oder mit haltbaren, geschmackssicheren und wertvollen Besitztümern (erstklassige Schuhe, Anzüge, Audio-Equipments, E-Tools, Kunstwerke) weiterzuziehen, die für einen Normalverdiener in einem unverwüstlichen, urösterreichischen Puch-Mercedes-G Platz finden.

Die materielle Seite des Konsumverhaltens ist zwar nicht die wichtigste. Interessant ist sie gleichwohl. Es geht dabei um das Phänomen der „nachhaltigen Investition“.

Die ersten Anhänger dieser Philosophie waren die Aristokraten, die über Jahrhunderte lernten, mit oft knappen Mitteln in das Richtige zu investieren. Beispielsweise in erstklassige konservative Kleidung – eine, die zunächst teuer kommt, aber Moden überdauert und von selbstbewussten Charakteren notfalls auch in repariertem Zustand stolz getragen wird. In England, dem Homeland der Gentlemen, führt das bis heute zu witzigen Auswüchsen. Neue Anzüge und Schuhe, die von Zeit zu Zeit unvermeidlich sind, werden in ihrer peinlichen Frische zunächst nur im barbarischen Ausland eingetragen (nur noch selten hingegen von Butlern, die früher danach ausgewählt wurden, ob sie die gleiche Halsweite, die gleiche Taille und die gleiche Schuhgröße hatten).

Junge britische Gentlemen, die man heute noch zahlreich im Banker- und Brokerviertel von London findet, wie auch ihre Pendants in Hamburg, Zürich und Wien unterhalten sich über die besten Änderungsschneider und Schuhflicker so temperamentvoll wie über Exxon und Microsoft. Wobei die Engländer insofern die Nase vorne haben, als sie eine traditionelle Lässigkeit zur Schau stellen, die auf dem Kontinent nicht geschätzt wird. Ein Engländer ohne Eifleck auf der Paisley-Krawatte (oder ein wenig Schuppen auf den Schultern) würde sich in London als Fremdarbeiter kenntlich machen.

Genau genommen steckt hinter dieser Attitüde schon wieder Fremdbestimmung – ein Idealbild, das man durch Erziehung oder Aneignung übernimmt.

Der Kern eines wirklich idealen Konsumverhaltens ist aber ein selbst gesteuertes, nicht ein fremdbestimmtes Verlangen. Dieses wird mit zunehmender Aufklärung und Weisheit nach dem Optimum streben. Also nach den besten Produkten, die individuell leistbar sind, Sehnsüchte stillen und Kräfte fürs Wichtigere freimachen – das Denken und Leben.

Diese Übung ist schwierig. Nur wenigen gelingt sie. Sie verlangt Geduld und eine gewisse Sparsamkeit. Die meisten verlieren auf halbem Weg die Nerven. Sie kaufen das für ihre Seele zweit- oder drittbeste Haus, Auto oder Kunstwerk und bleiben unzufrieden. Eines Tages, sofern sie das Glück eines beständigen Wohlstandseinkommens genießen, landen sie beim Objekt ihrer Sehnsucht und damit ihrer inneren Ruhe. Aber auf kostspieligen Umwegen, da das Zweitbeste und Drittbeste nur mit Verlust zu verkaufen waren. Manchmal erreichen sie das Ziel auch nicht. Sie wurden ärmer, weil die Karriere innehielt. Oder sie wurden älter und vorsichtiger. Dann bleibt der Traum, was er war.

Diese Unglücklichen werden nie mehr abschätzen können, wie es, je nach Einkommen, mit einem Lancia Thesis, Jaguar XJ 8 oder solid-wilden Porsche 911 Carrera targa gewesen wäre. Oder einem Markenanzug von Don Gil oder Maßgeschneidertem von Knize. Oder Schuhen von Materna, zahlenmäßig limitierten Edelfüllern von Montblanc, Edelbränden der elitären Bruderschaft „Quinta Essentia“, Kameras von Leica oder einer Nacht im Hotel-Palais Schwarzenberg. Oder wie die große, anspruchsvolle Reise durch Lateinamerika gewesen wäre, weil fünf Reisen nach Tarvis, Udine und Treviso die vernünftigere Zwischenlösung schienen.

Gibt es ein Vorbild für die private Konsum-Philosophie „Immer weniger von immer Besserem“? Im Westen kaum. Da wird es eher düsterer. Die Schnäppchen-Philosophie ist immer noch am Leben. Werbesprüche wie „Geiz ist geil“ werden nicht vom Markt gelacht, sondern begeistert begrüßt.

Wie berührend dagegen Besuche in traditionellen japanischen Häusern. Dort gibt es keine Mengen, nur Qualität. Die Räume werden möglichst groß und leer gehalten, luftig durch Schiebetüren, mit oft wertvollen Böden und Tatamis, den Matten aus gepresstem Reisstroh. Wie eine Monstranz wird die „Kunstnische“ hochgehalten, in der ein einziges Kunstwerk hängt (Gemälde) oder steht (Skulptur), in welchem die finanziellen Möglichkeiten der Familie gebunden sind. Erst wenn darin etwa ein Holzschnitt des Künstlers Katsushika Hokusai hängt, wird eine zweite Nische eröffnet.
Geiz ist nicht geil, sondern geisteskrank.

Nur ist halt die asiatische Kunstphilosophie auch keine Lösung. Die wirkliche Lösung, die wirkliches Glück verspricht, kann für einen Europäer nur in einer Synthese liegen.

Einerseits ist bei jedem Kauf die Qualität unbedingt vor die Menge zu stellen. Daneben aber, speziell in Design und reiner Kunst, sollten Seele und Brieftasche noch Platz haben für Anfänger und Außenseiter, die Unterstützung verdienen. Man hat ja nichts davon, wenn es einem selbst gut geht, allzu vielen anderen aber nicht.