Ratlos im Rathaus

Michael Häupl: Ratlos im Rathaus

SPÖ Wien. Häupl hat der Partei eine Niederlage eingebrockt. Nun droht ihm eine Nachfolgedebatte

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In der Politik ist immer was los. Allerdings nicht immer etwas Interessantes. Am Dienstag der Vorwoche sitzt Bürgermeister Michael Häupl bei seiner wöchentlichen Pressekonferenz und schaut drein, als müsste er einer Lesung aus dem Wiener Telefonbuch beiwohnen. Neben ihm referiert Finanzstadträtin Renate Brauner wortreich und temperamentvoll wie immer über die grandiosen Zuwächse des öffentlichen Verkehrs in der Bundeshauptstadt. Häupl fixiert derweil mit trüben Augen einen Punkt am anderen Ende des Saals; das hilft vielleicht gegen den drohenden Sekundenschlaf. Nach Brauner ist Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou an der Reihe – auch sie ein berüchtigtes Energiebündel. Der Bürgermeister unterdrückt ein Seufzen, stützt das Kinn auf die linke Handfläche und scheint sich gedanklich wegzuzappen. Man möchte gar nicht wissen, wohin. Häupls Gesichtsausdruck zufolge steppt auch dort nicht der Bär.

Etwas munterer wird Wiens Stadtoberhaupt erst, als die offizielle Tagesordnung abgehandelt ist und er persönlich zur aktuellen Politik befragt wird. Dafür ist dieses allwöchentliche Presse-Ritual ja eigentlich da: Der Bürgermeister, zugleich Landeshauptmann von Wien und somit ein besonders wichtiger Politiker, erklärt den weniger unverzichtbaren Berufskollegen die Welt. So mancher innenpolitische Aufreger der Vergangenheit nahm im Steinsaal des Rathauses seinen Anfang. Diesmal geht es leider um Unerfreuliches – nämlich um das Ergebnis der Wehrpflicht-Volksbefragung. Häupl hatte den Schwenk der SPÖ in Richtung Berufsheer vor zweieinhalb Jahren initiiert. Ohne Not. Einfach, weil gerade Gemeinderatswahlkampf war und die „Kronen Zeitung“ sich darüber freute. Hätte er das damals sein lassen, müsste die Partei jetzt keine ­Niederlage erklären. „Wenn eine Volksbefragung so ausgeht, wie sie nun ausgegangen ist, werden sicherlich einige einen Schuldigen suchen und in mir auch finden. Ich stehe zur Verfügung“, erklärt Häupl grimmig. Alles in allem habe er sich nun aber erschöpfend zur Wehrpflicht geäußert. In Zukunft möge man ihn damit, wenn’s leicht geht, in Ruhe lassen.

Michael Häupl galt stets als Politiker mit Instinkt und Gespür, der wusste, womit die Wähler zu erfreuen sind. Dass diesem Vollprofi beim Thema Berufsheer eine solche Fehleinschätzung unterlaufen konnte, hat die SPÖ gehörig verstört. In den kommenden Monaten stehen fünf wichtige Wahlen an. Das wird mühsam genug. Kann man sich auf das rote Wien jetzt auch nicht mehr verlassen?

Schmach Wehrpflicht-Volksbefragung
Michael Häupl, 63, hat schon bessere Tage erlebt. Er weiß natürlich, dass er seiner Partei zuletzt mehr geschadet als genützt hat. Vorbei ist es auch mit seinem Image als personifizierter Weisenrat der SPÖ. Fest steht nunmehr: Der Wiener ­Bürgermeister hat nicht immer Recht. Weiters wurde bewiesen: Auch seine straff organisierte Landespartei kann eine ­Kampagne in den Sand setzen. Das Punsch-O-Mobil mit Mausi Lugner als Werbefrontfrau vermochte überraschenderweise nicht zu reüssieren. Als Nächstes droht Häupl wahrscheinlich eine Nachfolgediskussion.
Wien war zwar das einzige Bundesland mit einer Mehrheit für das Berufsheer. Aber nur 40 Prozent der Stimmberechtigten hatten sich aufgerafft, um ihr Kreuzchen zu machen. In der Endabrechnung steuerte das tiefschwarze Niederösterreich mehr Pro-Berufsheer-Stimmen bei als die seit Menschengedenken rote Bundeshauptstadt. Egal, wie man es dreht und wendet: Das ist eine Schmach.

Einen Tag vor dem Plebiszit (als Umfragen das Ergebnis schon recht eindeutig prognostizierten) hatte Häupl auch noch in den Raum gestellt, die Österreicher vielleicht bald wieder um ihre Meinung zu bitten. „Wenn die Schuldiskussion weiter so verläuft, wird auch das früher oder später eine Frage an das Volk sein müssen“, erklärte Häupl dem „Kurier“. Diesmal ließ ihn aber sogar die eigene Partei abblitzen. Bundeskanzler Werner Faymann verweigerte jeden Kommentar. Einmal ist es genug.
Die Wiener Genossen hätten also durchaus Gründe, ein wenig in sich zu gehen und die eigenen Strategien zu überdenken. Aber das Rathaus ist nicht nur ­architektonisch eine Trutzburg; seine Hausherren benehmen sich auch entsprechend. Kritik von auswärts wird traditionell mit dem größtmöglichen Geschütz plattgemacht. Wie sich das anfühlt, weiß der niederösterreichische SPÖ-Chef Josef Leitner seit vergangener Woche. Häupl habe das Wehrpflichtthema missbraucht, hatte Leitner festgestellt. Künftige Volksbefragungen möge der Kollege doch bitte „auf das Wiener Stadtgebiet begrenzen“. In voller Mannstärke fielen Häupls Helfer dar­aufhin über den Parteifreund her. Von einer „bizarren Attacke“ und einem „sinnlosen Rundumschlag“ sprachen etwa Landtagspräsident Harry Kopietz und Landesparteisekretär Christian Deutsch – beide unter Verweis auf die evidente Erfolglosigkeit des niederösterreichischen Kollegen. Wie pingelig die Herrschaften sein können, zeigt ein kleines Detail: Die Austria Presse Agentur musste eine Meldung berichtigen, in der Häupl geringfügig falsch zitiert worden war. Er werde sich nicht in Leitners „kreativen und mit Sicherheit erfolgreichen Wahlkampf einmischen“, hatte es zuerst geheißen. In der korrigierten Fassung sprach Häupl vom „mit Sicherheit kreativen
und hoffentlich auch erfolgreichen Wahlkampf“. Es war ja schließlich böse gemeint, und das soll ruhig jeder mitkriegen.

Toter Schmäh
Michael Häupl amtiert seit Ende 1994 als Bürgermeister von Wien. 18 Jahre sind in der Spitzenpolitik eine Ewigkeit. Selbst unter den Landeshauptleuten gibt es nur einen Kollegen mit noch längerer Dienstzeit: Erwin Pröll in Niederösterreich. Eigentlich galt als ausgemacht, dass die Gemeinderatswahl 2010 Häupls letzter Großeinsatz werden würde. Danach wollte er sich – so die kolportierte und nie ernsthaft dementierte Planung – schön langsam zurückziehen und seine Amtsübergabe in die Wege leiten. Seit Sommer vergangenen Jahres erklärt der Bürgermeister aber beharrlich, er werde 2015 wieder antreten. Was er tatsächlich im Sinn hat, wissen auch enge Mitarbeiter nicht. Ähnlich der britischen Queen muss Häupl den Zeitpunkt seines Karriereendes nicht in Dialogform verhandeln. „Das wird er vermutlich mit sich selbst im stillen Kämmerchen ausmachen“, meint ein Weggefährte. Einen designierten Nachfolger gibt es nicht. Das wird im Selbstgespräch wohl auch eine Rolle spielen.

Es hat gute Gründe, dass politische Ämter üblicherweise nicht mehrere Dekaden lang von derselben Person ausgeübt werden. Jeder Schmäh läuft sich einmal tot – und zwar nicht nur beim Publikum, sondern auch beim Absender. Häupl zeigt durchaus einschlägige Verschleißerscheinungen. Der Bürgermeister wirkt mitunter, als habe er sich selber schon zu oft gehört. Die ewigen Spitzen gegen die ÖVP, das staatstragende Warnen vor der FPÖ, boshafte Sticheleien gegen die eigenen Leute: Nach 18 Jahren kann der Bürgermeister nichts mehr sagen, ohne wie sein eigenes Echo zu klingen.

Ziemlich oft klingen die Wortspenden bloß noch patzig und genervt. „Den Teufel werden wir tun. Wir privatisieren einen Dreck“, lautete etwa ein Beitrag zur Privatisierungsdebatte. Seine Außenwirkung konnte der Bürgermeister vor Kurzem – sehr zugespitzt, aber nicht bis zur Unkenntlichkeit – in der ORF-Satiresendung „Wir Staatskünstler“ besichtigen. Nicholas Ofczarek gab das Stadtoberhaupt als alten Grantscherben, der den Herausforderungen des Alltags bevorzugt mit den Worten „Is ma wuascht“ begegnet. Zum Lebensgefühl der Wiener hätte das früher noch ganz gut gepasst. Aber die Dinge ­ändern sich. Seit sogar manche Kaffeehauskellner freundlich grüßen, fällt der griesgrämige Bürgermeister aus dem Rahmen.

Wirtshaus statt Meinungsumfrage
Michael Häupl ist studierter Biologe und nach Auskunft von Freund und Feind eigentlich ein gebildeter, gescheiter Mann, mit dem man auf hohem Niveau diskutieren kann. Doch kaum hatte Helmut Zilk den damals 45-Jährigen als Nachfolger auserkoren, begann die öffentliche Verwandlung. Häupl gibt seither das trinkfeste Raubein mit ganz schlichten Lebensregeln. „Ich brauche keine Meinungsumfrage, ich geh ins Wirtshaus“ ist einer dieser Häupl-Sprüche, die Volksnähe demons­trieren sollen. Die Wiener SPÖ ist eine Wahlkampfmaschine mit den besten Coaches und Beratern, die für Geld zu haben sind. Aber der Chef braucht keine Meinungsumfragen?

Paternalismus gehört seit jeher zur Politik der Hauptstadt-Roten. Was für die Leute gut ist, weiß man schließlich im Rathaus am allerbesten. Dies fällt umso leichter, als sich die Genossen nach Kräften gegen den Rest der Welt abschotten. Man lebt, arbeitet, streitet, liebt und heiratet am liebsten im kleinen Kreis. Wie ein Familienclan wacht die SPÖ über ihre Stadt – durchaus liebevoll, aber auch eifersüchtig darauf bedacht, nur ja keine Macht hergeben zu müssen.

Hauptgegner ist seit Ende der 1980er-Jahre die FPÖ, die ausgerechnet in roten Gemeindebau-Biotopen ihre größten Erfolge feierte und zuletzt auf fast 26 Prozent kam. Bisher widerstanden die Sozialdemokraten weitgehend der Versuchung, in diesem Stellungskrieg selbst nach rechts zu rücken. Wann immer Heinz-Christian Strache zu weit geht, wird er zuverlässig vom Bürgermeister höchstpersönlich zurechtgewiesen. „Dieses Plakat ist die mieseste und übelste Provokation, nur damit man ins öffentliche Gespräch kommt“, schimpfte Häupl im Wahlkampf 2010 etwa über die „Wiener Blut“-Plakate der FPÖ. In diesem Fall passte der Ton.
Um den Freiheitlichen keine Angriffsflächen zu bieten, wurden viele Probleme von der SPÖ allerdings totgeschwiegen. So galten etwa Volksschulklassen voll mit Kindern, die kein Wort Deutsch sprechen, lange Zeit als bösartige Schimäre des politischen Gegners. Erst vor Kurzem wurde der Missstand hochoffiziell zur Kenntnis genommen. Ab sofort sollen die Kinder erst einmal in Vorschulklassen Deutsch lernen, weil sie sonst, so Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl, „in der Schule keine Chance haben“.

PR-Waterloo Parkpickerl
Der Erfolg gab Häupl bisher Recht. In vier geschlagenen Gemeinderatswahlen holte er zweimal die absolute Mehrheit. Seit 2010 ist die Absolute weg. Doch die SPÖ regiert recht kommod mit den Grünen, die sich rührend um koalitionäre Harmonie bemühen. Die SP-Vorherrschaft im Rathaus ist nicht in Gefahr. Wien wird rot bleiben, egal, was passiert. Verluste bei der nächsten Wahl sind aber realistisch. Zuletzt verpasste die Regierung den Bürgern eine saftige Gebührenerhöhung. Wasser wurde um ein Drittel teurer, Falschparken um zwei Drittel. Das freut den Wähler nicht.

Im Herbst gelang es Rot-Grün noch dazu, die geplante Erweiterung der Parkpickerlzonen in ein PR-Waterloo zu verwandeln. Nutznießer war ausgerechnet die Wiener ÖVP, die in der Hauptstadt sonst kein Bein auf den Boden kriegt. Die Volkspartei hatte emsig Unterschriften für eine Volksbefragung zum Parkpickerl gesammelt. SPÖ und Grüne lavierten herum, und der ­Bürgermeister sah sich wieder einmal gezwungen, richtig grob zu werden. Als Karlheinz Hora, Verkehrs- und Planungs­sprecher der SPÖ, ebenfalls eine Volksbefragung anregte, zog Häupl über ihn her wie sonst nur über die FPÖ. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Parteitag der Wiener SPÖ stattgefunden hätte, wo der Herr Hora zum Vorsitzenden gewählt wurde. Für die SPÖ spreche allemal noch ich.“ Der Planungssprecher erklärte bald darauf seinen Rücktritt „aus persönlichen Gründen“.

Das Parkpickerl wurde mittlerweile in manchen Bezirken eingeführt, in anderen wird noch gestritten. Direkte Folge dieser Posse ist nun aber doch eine Volksbefragung. Sie wird vom 7. bis 9. März stattfinden und erfüllt für den Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer den Tatbestand der „Frotzelei“. Der Fragenkatalog sei mit Wahlkampfbegriffen gespickt, kritisiert er. „Die Volksbefragung zur Wehrpflicht war aus meiner Sicht ein demokratiepolitischer Erfolg. Es ist traurig, dass die Wiener jetzt so etwas nachschieben.“

Zum Parkpickerl wird es nur eine Frage geben (die am Status quo allerdings nichts ändern wird), dafür darf das Volk unter anderem darüber abstimmen, ob sich Wien um die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2028 bemühen soll. Angesichts der Tatsache, dass die Kommune es seit Jahren nicht schafft, das Stadthallenbad abzudichten, ist der Vorstoß einigermaßen originell. Außerdem werden die Wiener gefragt, ob sie eh dafür sind, wichtige Dienstleistungen wie Wasser, Kanal und Müllabfuhr vor einer Privatisierung zu schützen. Weniger als 90 Prozent Ja-Stimmen wären schon aufgrund der Formulierung eine Überraschung.
Die Volksbefragung wird die ohnehin klammen Stadtfinanzen mit weiteren sieben Millionen Euro belasten. Maria Vassilakou von den Grünen stört das kein bisschen. „Direkte Demokratie hat nun einmal ihren Preis. Das Geld ist gut investiert.“ Allerdings gibt Vassilakou zu, dass die Aktion auch einen hübschen Zwischenwahlkampf für die Regierungsparteien abgibt. „Das stimmt. Als ich noch in der Opposition war, hätte ich das scharf kritisiert.“
Michael Häupl ist offenbar ein guter Lehrmeister. Jetzt muss er nur selbst wieder einmal zeigen, dass er den Job noch kann.

Rosemarie Schwaiger