„Wie im Leichenschauhaus“

Milos Zeman: „Wie im Leichenschauhaus“

Interview. Milos Zeman über die EU und die Sudetendeutschen

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Er provoziert noch immer gern. Milos Zeman, neuer Staatspräsident der Tschechischen Republik, wurde vergangene Woche bei seinem Antrittsbesuch in Wien seinem Ruf als Sprücheklopfer voll gerecht. Denn wie ernst kann man einen Politiker nehmen, der vorschlägt, Österreich möge das stillgelegte Kraftwerk Zwentendorf an Tschechien vermieten, um dort Atomstrom zu produzieren? Auch als EU-Politiker eckt Zeman an: Er spricht sich für den Beitritt seines Landes zum Euro aus, kündigt aber zugleich ein Veto gegen künftige Hilfszahlungen an.

profil: Auf dem Hradschin weht seit Ihrem Amtsantritt wieder die EU-Fahne. Ist die Tschechische Republik nach der Ablöse ihres Amtsvorgängers Vaclav Klaus wieder ein pro-europäisches Land?
Milos Zeman: Als Störenfried können wir gar nichts bewirken. Nach meiner Ansicht sollten wir Tschechen zumindest den Trend bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mitgestalten, ebenso vernünftige Maßnahmen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Als EU-Föderalist kritisiere ich aber einige Beschlüsse der EU.

profil: Welche denn?
Zeman: Zum Beispiel Quoten für Frauen im Management, den Kampf gegen Raucher oder gegen normale Glühbirnen. Also, liebe EU, bestimme nicht, welche Glühlampen ich in meinem Landhaus verwenden muss! Ich habe so eine Sparlampe eingeschraubt, und danach sah es bei mir aus wie im Leichenschauhaus. Noch ein Beispiel: Mein Lieblingsdrink war Becherovka, bis die EU in einer Richtlinie den Zuckergehalt für Liköre anhob. Seither trinke ich nur Sliwowitz.

profil: Sollte die Tschechische Republik dem Euro beitreten?
Zeman: Wir erfüllen bereits die Kriterien für den Beitritt zum Euro. Weil tschechische Unternehmer im Euro viele Vorteile sehen, bin auch ich für den Euro-Beitritt. Denn jeder Politiker muss versuchen, die Arbeits losenrate zu senken.

profil: Aber Tschechien wird sich an der finanziellen Hilfe für in Not geratene Euro-Mitglieder beteiligen müssen.
Zeman: Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) sieht vor, dass alle Finanzminister einer solchen Hilfe zustimmen müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der tschechische Finanzminister einer Hilfe für Zypern oder Griechenland zustimmen wird.

profil: Zu den Beziehungen mit Österreich: Soll das Atomkraftwerk von Temelin ausgebaut werden?
Zeman: Liebe österreichische Freunde: Vergesst nicht, dass das Atomkraftwerk in Fukushima durch ein Erdbeben und durch einen Tsunami zerstört wurde! In Mitteleuropa gibt es praktisch keine Erdbeben. Und ein Tsunami ist unvorstellbar. Daher habe ich Bundespräsident Fischer einen Vorschlag gemacht. Wir stoppen den Ausbau von Temelin. Aber nur unter einer Bedingung: Ihr vermietet uns Zwentendorf, und wir investieren dort in die Produktion von Atomenergie.

profil: Das fordern Sie im Ernst?
Zeman: Ihr habt hier ein fast fertiges Atomkraftwerk. Und der Ausbau von Zwentendorf kommt billiger als der von Temelin.

profil: Im Jahr 2002 haben Sie mir in einem Interview erklärt, die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg sei milder gewesen als die Todesstrafe, die nach dem damaligen Recht auf Landesverrat stand. Gilt das noch immer?
Zeman: Ja, und ich gebe Ihnen nur ein historisches Beispiel. Im Mai 1938 gab es Lokalwahlen in der damaligen Tschechoslowakei. 90 Prozent der Sudetendeutschen wählten Konrad Henlein, der ein Nazi war. Also nur zehn Prozent der Sudentendeutschen waren Demokraten, vielleicht Sozialdemokraten, Kommunisten oder Unabhängige. Ich kritisiere also gar nicht alle Sudentendeutschen, nur 90 Prozent. Und nur diesen hat damals eigentlich die Todesstrafe gedroht.

profil: Es gibt einen aktuellen Streit zwischen Ihnen und Außenminister Karl Schwarzenberg. Sie wollen Livia Klausova, Ehefrau des früheren Präsidenten Vaclav Klaus, als Botschafterin nach Bratislava schicken. Schwarzenberg sieht dies als Beschränkung seiner Kompetenzen. Provozieren Sie den Bruch der Koalition?
Zeman: Gemäß Artikel 63 der Verfassung nominiert der Präsident die Botschafter. Der Premierminister muss gegenzeichnen. Vom Außenminister steht dort kein Wort.

profil: Welche außenpolitischen Ziele verfolgen Sie?
Zeman: Eine Priorität der tschechischen Außenpolitik sollte der Kampf gegen internationalen Terrorismus sein. Ich klage die Europäische Union wegen ihrer Appeasement-Politik an. Da werden die Fehler der 1930er-Jahre mit dem Appeasement gegenüber Hitler wiederholt. Beim Einsatz in Mali sprach die EU erstmals vom Kampf gegen Islamisten. Dem stimme ich voll zu. Der Kampf gegen islamischen Terrorismus muss weltweit geführt werden, nicht nur in Mali oder Afghanistan.