Mode: Comeback der Stil-Supermacht

Mode: Ausgeschlafen

Männerkollektionen von Fashion-Guru Tom Ford

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Für das US-Modemagazin „In Style“ ließ sich Tom Ford vor einigen Wochen vom New Yorker Foto-Schocker Terry Richardson noch als glamouröser Frühpensionist inszenieren: Da lag der maßgebliche Designer der vergangenen Dekade schlafend hingegossen auf einem Kingsize-Luxuslager. Darunter der kokette Kommentar: „Schlaf ist mein größter Genuss.“

Zum Schlafen wird der Mann in nächster Zeit aber nur wenig kommen. In einer knappen Presseaussendung bestätigte der italienische Herrenausstatter Ermenegildo Zegna vergangene Woche das heißeste Gerücht der Mailänder Modeschauen: Tom Ford kehrt zurück in jenes Geschäft, von dem er sich im April 2004 unter einem weißen Rosenblätterregen – dem Finale seiner letzten Show für Gucci – verabschiedet hatte. Seit dem Abgang der Glamour-Ikone, die der miefigen Duty-free-Marke Gucci zu einem weltumspannenden Höhenflug verholfen hatte, wehte in der Branche ein scharfer Wind. Job-Rochaden und unbarmherzige Managertypen, die sich die Launen von feinsinnigen Designerseelchen nicht mehr bieten lassen wollten, dominierten das Geschäft.

Tiefkühlkunst. Neben Tom Ford waren die prominentesten Verweigerer des Neoliberalismus in der Fashion-Welt Wolfgang Joop, Jil Sander und zuletzt Helmut Lang, der mit seinem Konzernherrn Patrizio Bertelli nie wirklich warm geworden war. Alexander McQueen und Stella McCartney bekamen von Robert Polet, Chef der Gucci-Gruppe und davor verantwortlich für Tiefkühlkunst bei Unilever, eine Galgenfrist bis 2007, um wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen. Angesichts dieser massiven Kälteeinbrüche in der Branche wurden Fords Comeback-Pläne geradezu euphorisch aufgenommen.

Der Vertrag zwischen dem amerikanischen Modeschöpfer und dem italienischen Traditionsbetrieb (siehe Kasten Seite 107) sieht unter anderem vor, dass Zegna Produktion und Vertrieb von „Tom Ford“ übernehmen wird, dem exklusiven Luxuslabel des Designers, dessen erste Kollektion für kommenden Herbst angekündigt wird. Ebenfalls im Herbst soll eine erste „Tom Ford“-Boutique in New York eröffnet werden, standesgemäß untergebracht in einem 900-Quadratmeter-Geschäftslokal an der Madison Avenue. Ab 2007 sind weitere Filialen in Mailand, London, Los Angeles und Tokio geplant.

Über die Summen, die in das Unternehmen fließen, wurde nobel geschwiegen, die Zielvorgabe ist aber eindeutig: „Tom Ford wird die erste wahre Luxusmarke des 21. Jahrhunderts werden“, gab sich Fords langjähriger Geschäftspartner, Domenico de Sole, betont unbescheiden – was Fords Naturell durchaus entspricht: Schon im vergangenen Oktober tat dieser in der US-„Vogue“ relativ unumwunden seine gehobenen Ansprüche kund: „Natürlich will ich die Welt erobern. Ich habe nie verstanden, wie man sich mit weniger zufrieden geben kann.“

Schock. Eine Zeit lang allerdings schien es, als hätte Ford jegliche Ambitionen verloren. Anfang November 2003 gaben er und sein Business-Mastermind de Sole bekannt, ihre Verträge mit Gucci nicht mehr zu verlängern – ein Schock für die Modewelt, deren größter Star und markanteste Figur Ford war. Sogar die „New York Times“ ließ den Irak-Krieg links liegen und widmete Fords Abschied eine Aufmacherstory.

Immerhin hatte der Mann eine ganze Modeära geprägt. Als Madonna bei den MTV Awards 1995 gefragt wurde, was sie am liebsten trage, hauchte sie „Gucci, Gucci, Gucci!“ in die Mikrofone. Tom Ford, ehemaliges Rasierwasser-Model und zweitklassiger Schauspieler, hatte der Welt eine neue Zauberformel geschenkt: „Let’s do a Gucci!“ avancierte zum Mantra einer ganzen Industrie. Ford hatte es geschafft, einer verstaubten Traditionsmarke Kult-Credibility zu injizieren – mit dem Lebensgefühl sexuell aufgeladener Coolness und zu Kleiderständern umfunktionierten Stars.

Unter Fords Händen wurde Mode zum Glaubensbekenntnis. Superstars wie Madonna, Uma Thurman, Nicole Kidman oder Sarah Jessica Parker waren dessen glamouröse Missionarinnen. Ford begründete mit schamlosen Designs und noch schamloseren Werbekampagnen den „Porno Chic“: Unzweideutig geöffnete Lippen und deutlich sichtbare Schambehaarung (gern auch rasiert in Form des emblematischen Gucci-Gs) prägten die Sujets dieser Zeit. Plötzlich raubte einem Luxus nicht mehr nur beim Blick auf das Preisschild den Atem. Dank Ford stieg das marode italienische Familienunternehmen Gucci zum globalen Player auf, der Umsatz verfünffachte sich binnen zehn Jahren von 500 Millionen auf 2,5 Milliarden Euro.

Gucci verkraftete den Ausstieg seines Label-Midas nur schwer. Zwar konnte das Stammhaus seine Gewinne dank anziehender Konsumfreude zuletzt sogar leicht steigern, die ebenfalls zum Gucci-Imperium zählende Marke Yves Saint Laurent (YSL) schrieb im Jahr 2004 jedoch Verluste von 70,8 Millionen Euro.

Die Misere des französischen Traditionshauses war auch der Anlass für Fords Ausstieg bei Gucci gewesen. Serge Weinberg, der Vorstand des Gucci-Mutterkonzerns PPR, wollte nach dem Ankauf von Yves Saint Laurent Ende 1999 schnelle Gewinne sehen. Zeit, um der Marke seine eigene Handschrift aufzuprägen, ließ Weinberg Tom Ford dabei aber nicht. Es kam zum Machtkampf um die kreative Kontrolle, den Ford schließlich verlor. Weinberg vertrat den Standpunkt, dass die Person des Chefdesigners für den Erfolg im Grunde nicht entscheidend sei, es gehe lediglich um die Marke und deren Image.

Zauberlehrlinge. Ein Irrtum: Nach Fords Abgang wurden dessen Agenden auf eine Hand voll seiner ehemaligen Assistenten aufgeteilt, die dem gewaltigen Druck aber nur zum Teil standhielten. Während Stefano Pilati sich wacker als neuer YSL-Chefdesigner hält, gab Alessandra Facchinetti, Fords jahrelanger „Zauberlehrling“ bei Gucci, schon nach einer Kollektion auf. Ende Jänner gab auch der für die Gucci-Männerkollektion verantwortliche John Ray seinen Abschied bekannt, „aus persönlichen Gründen“, so die offizielle Version. Seine Nachfolgerin heißt Frida Giannini, die schon die Frauenlinie sowie die Accessoires des Modehauses betreut. Ihre Herbst-Damenkollektion 2006 wurde jüngst in Mailand mit verhaltenem Applaus bedacht. Zu unverkennbar beschworen ihre Glam-Rock-Interpretationen den Stil des großen Abwesenden.

Ford selbst war seiner neuen Tagesfreizeit offenbar schnell überdrüssig geworden. Im Interview mit „In Style“ outete er sich zwar als leidenschaftlicher Heimwerker: „Der Akkuschrauber ist mein Favorit. Ich kann eine Couch an nur einem Wochenende neu bepolstern.“ Und dem Nachrichtenmagazin „Time“ vertraute er an, dass er endlich wieder gelernt habe, „wie man in einem ganz normalen Supermarkt einkauft“ – seine Jahre bei Gucci und später YSL habe er in „manischer Isolation“, weit entfernt vom „richtigen Leben“, verbracht. Sein eigentliches Herzensprojekt, eine Produzentenkarriere in Hollywood, verlief jedoch nur schleppend. Bis dato hat Fords Filmproduktionsfirma Fade to Black keinerlei Output zu verzeichnen, über seine Laufbahn im Filmgeschäft meinte Ford im November 2004 bei einem Vortrag an der Oxford University: „Bis jetzt habe ich nur Pornoskripts bekommen, Geschichten über Sex im Modebusiness.“ Nachsatz: „Ich bereue nichts. Aber jeden Tag denke ich mir: Die Uhr tickt, die Uhr tickt.“

Unlust am Nutzlosen. In der im selben Jahr erschienenen opulenten Bildbiografie „Tom Ford“ (Collection Rolf Heyne) schlug Ford pessimistische Töne an: „Die Modebranche basiert auf absichtlich Nutzlosem. Tausendmal habe ich gesagt, niemand braucht ein weiteres Paar 400-Dollar-Schuhe. Man muss einen Bedarf schaffen, indem man das Paar, das die Frau jetzt besitzt, unpassend erscheinen lässt.“

Doch am 12. April 2005 war die Unlust am Nutzlosen schon wieder Schnee von gestern. An diesem Tag gaben Ford und sein Finanzchef Domenico de Sole bekannt, eine eigene Marke entwickeln zu wollen: „Tom Ford“. In einem ersten Schritt wurde gemeinsam mit dem Kosmetikkonzern Estée Lauder eine Parfümserie kreiert, eine Kosmetiklinie soll folgen. Mit Lauder verbinden Ford übrigens sentimentale Gefühle: „Schon meine Großmutter hat ihre Produkte verwendet, und ich habe meine ganze Jugend mit dem Selbstbräuner von Aramis verbracht.“

Außerdem entwarf Ford für den italienischen Sonnenbrillenhersteller Marcolin eine Eyewear-Kollektion. „Ich habe gespürt, dass der Wert meines Namens rapide sinkt, wenn ich nicht designe. Das Filmgeschäft ist ein sehr, sehr langsames Geschäft. Parfüms und Beauty hingegen gehen sehr schnell. Nach zehn Meetings hatte ich eine Kollektion.“

Was die Ausrichtung der Marke „Tom Ford“ betrifft, will sich der frühere Hohepriester des massenkompatiblen Luxus dem Vernehmen nach nunmehr ausschließlich der obersten Preisklasse widmen. Eine High-End-Marke, ähnlich Chanel oder Hermès, schwebt ihm vor. Tatsächlich attestieren Marktanalysten gerade diesem Segment die besten Wachstumschancen und eine nachhaltige Krisenresistenz.

Das Selbstverständnis als Agent Provocateur wird Ford jedoch auch im High-End-Gebiet nicht ablegen. Einen ersten Beweis dafür liefert die aktuelle Ausgabe des US-Hochglanzmagazins „Vanity Fair“, für das Ford die traditionelle Oscar-Fotostrecke inszenierte. Auf dem Cover räkeln sich die Jungstars Keira Knightley und Scarlett Johansson – splitternackt. Dazwischen der bekennende Homosexuelle Ford, angeregt an Knightleys Ohrläppchen nagend. Tagelang kannte die US-Klatschpresse kein anderes Thema. Gern erzählt „Vanity Fair“-Chefredakteur Graydon Carter auf Cocktailpartys folgende Anekdote: Auf einem Annie-Leibovitz-Foto für die besagte Hollywoodstrecke, das die nackte Angelina Jolie in einer grünlich schimmernden Hotelbadewanne zeigt, habe er ein „Post-it“ vorgefunden, auf das Tom Ford ein Retuschier-Verbot gekritzelt hatte: „Arschritze drinlassen. TF.“

Von Sebastian Hofer