Moderne Mythen: Di Hard - stirb einsam

Moderne Mythen: Di Hard - stirb einsam. Prinzessin Diana, die Königin der Schmerzen

Vor zehn Jahren verun- glückte Prinzessin Diana

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RAT, ROMUALD RAT. Kein noch so abgefeimter Drehbuchautor hätte sich einen sinnträchtigeren Namen für einen rasenden Paparazzo ausdenken können. Rat war der Erste der Verfolgermeute, der am Unfallort eintraf. Er sprang von seiner dunkelblauen Honda und schoss noch im Laufen drei Fotos. Als er die Tür des rauchenden, in einen Betonpfeiler verkeilten Mercedes-Wracks öffnete, sah er die verstümmelte Leiche jenes Mannes, den er und ein rundes Dutzend anderer Fotografen verfolgt hatten, weil er sich in Begleitung einer äußerst illustren Frau befand. Diese lag augenscheinlich unverletzt neben ihm und stöhnte. Rat fühlte ihren Puls. „Ganz ruhig, der Arzt kommt gleich“, flüsterte er. Dann wurde er von einem Kollegen weggerempelt, der freie Sicht für Frontalfotos begehrte. Minuten später wimmelte es von Paparazzi, Ärzten und Schaulustigen. Rat machte weitere 16 Fotos und verließ den Unfallort, um einen seiner besten Kunden zu kontaktieren, die britische Boulevardzeitung „The Sun“. Sein Angebot: 300.000 Pfund für ein Foto des Wageninneren, aufgenommen aus sechs Meter Entfernung; die Exklusivrechte sollten für einen Tag gelten. „The Sun“ begutachtete das Foto und lehnte ab.

Zu diesem Zeitpunkt lebte die Prinzessin von Wales, im kollektiven Sprachgebrauch besser bekannt als Lady Diana, noch. Sie starb am 31. August 1997 gegen 4 Uhr Früh, knapp dreieinhalb Stunden nach dem verheerenden Crash im Tunnel unter der Pont de l’Alma, in der Pariser Klinik Pitié-Salpêtrière an Herzstillstand. Im Unterschied zu den drei anderen Autoinsassen hatte sie keine äußerlich sichtbaren Verletzungen davongetragen. Diana war 36 Jahre alt.

Die Trauerfeier fand am 6. September 1997 in der Westminster Abbey in London statt. Drei Millionen Menschen erwiesen der verstorbenen Prinzessin die letzte Ehre. Rund zweieinhalb Milliarden verfolgten das Begräbnis weltweit im Fernsehen. Die Trauerrede hielt Dianas Bruder Earl Spencer. Er nutzte sie für eine zornige Abrechnung mit ruchlosen Revolverblättern und der Royal Family und würdigte damit, wohl ohne sich dessen bewusst zu sein, die beiden großen Lebensleistungen seiner Schwester: Sie hatte zwei übermächtige Systeme – die Monarchie und die Medien – im Alleingang herausgefordert und den Kampf zwar nicht überlebt, aber die Existenzbedingungen und Funktionsweisen dieser Systeme für alle Zeiten verändert. Nach Diana war nichts mehr, wie es vor ihr gewesen war.

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Als Lady Diana Spencer mit 19 das Licht der Öffentlichkeit erblickte, war sie ein ungebildetes, verhuschtes und in Fragen der Mondänität heillos unterbelichtetes Mädchen. Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie die berühmteste Frau der Welt, der auratische Inbegriff von Schönheit, Glamour und Eleganz. Dazwischen lagen 16 Jahre Purgatorium, das von außen betrachtet oft genug die Züge einer Groteske trug, in Wahrheit jedoch einer griechischen Tragödie näher kam als jenem unwürdigen Satyrspiel aus Sex, Lügen und königlichen Intrigen, das in den neunziger Jahren nicht nur den Boulevard in Atem hielt. Dianas Ikonisierung war schon zu Lebzeiten weit fortgeschritten – durch ihren spektakulären Unfalltod wurde die Prinzessin endgültig in eine Dimension katapultiert, die bis heute nur wenigen Unsterblichen vorbehalten ist: Marilyn Monroe, James Dean, Elvis Presley. In ihrer beispiellosen Breitenwirkung überstrahlt Diana sie jedoch alle, bis heute: Sie ist der größte Star, den das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, weil sie der letzte Star des 20. Jahrhunderts war und weil in ihrer Geschichte alles gebündelt und transzendiert erscheint, was genuines Startum ausmacht: Singularität, Tragik, Hysterie – und ein unauflösbarer Rest von Geheimnis.

Geheimnis?! Gibt es denn irgendetwas, was selbst ein hartnäckig desinteressiertes, ja angewidertes Publikum über Diana mittlerweile nicht weiß? Haben nicht dutzende abgeschmackter Biografien alle denkbaren Fragen beantwortet, und hatte Diana nicht mehr als einmal persönlich dafür gesorgt, dass auch noch der letzte Winkel ihres Privat- und Seelenlebens greller ausgeleuchtet wurde, als einem Menschen mit halbwegs intakter Selbstachtung lieb sein konnte – von dessen unmittelbarer Umgebung ganz zu schweigen? „Oh Gott“, stöhnte sie ein Jahr vor ihrem Tod, „selbst ich habe inzwischen genug von Diana – und das, obwohl ich Diana bin.“

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Am 7. Juni 1992 veröffentlichte die „Sunday Times“ einen Auszug aus Andrew Mortons Enthüllungsbuch „Diana: Ihre wahre Geschichte“. Eine ungläubig-bestürzte Leserschaft wurde darin mit Dianas Einsamkeit, ihren (angeblichen) Suizidversuchen und ihrer chronischen Bulimie konfrontiert. Die Initiative zu dem Buch war von der Prinzessin ausgegangen. Sie hatte den Autor ausgesucht und ihm Gespräche mit Freunden und Vertrauten vermittelt. Diana war damals noch zurückhaltend genug, um offiziell nicht selbst mit Morton zu sprechen, bestand jedoch darauf, die Druckfahnen eigenhändig zu korrigieren. Man habe sie an ihrem Hochzeitstag „wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt“, zitierte Morton die Prinzessin aus zweiter Hand. Die königliche Familie sei „kalt und gefühllos“.

Zu diesem Zeitpunkt war die Ehe zwischen Prinz Charles und Diana bereits irreparabel zerrüttet, und die Prinzessin sorgte über ihre konspirativen Sprachrohre dafür, dass die Hauptschuldige offen genannt wurde: Camilla Parker Bowles, die langjährige Geliebte des Prinzen.

„Der Sturm, der nun losbrach, ließ nicht nur das Königshaus erzittern“, schreibt die Autorin Tina Brown in ihrer brillanten Biografie „Diana“ (Droemer Verlag, 2007). „Er brachte die Grundpfeiler des Establishments ins Wanken: Diskretion, Rücksichtnahme und Zusammenhalt.“ Mortons Buch, von Diana listig aus dem Off diktiert, markierte eine historische Zäsur: Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde das britische Königshaus aus seinem innersten Zentrum heraus massiv kritisiert und auf eine Weise infrage gestellt, die keineswegs einem niederen republikanischen Reflex entsprach. Schließlich entstammte Diana selbst dem traditionsreichen Adelsgeschlecht der Spencers, dessen Stammbaum ein Vierteljahrtausend weiter zurückreicht als jener der königlichen Windsors. Die Prinzessin leistete sich somit einen Affront der buchstäblich unstandesgemäßesten Art – mit dramatischen Konsequenzen: Nachdem ein Mitglied der Royal Family höchstselbst und offensiv mit den Palastregeln eherner Contenance gebrochen hatte, bestand für die Boulevardmedien kein Anlass, den dem Königshaus bei aller Sensationsfreude bislang bezeugten Respekt weiterhin aufrechtzuerhalten. Die „Firma“ war ab sofort zum täglichen Abschuss freigegeben, gleichsam mit dem Segen einer Prinzessin, die in der Folge endgültig zum meistfotografierten Menschen des Planeten avancierte – bis hin zu ihrem Tod vor den Teleobjektiven eines entfesselten Paparazzi-Mobs.

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Es liegt in der genrestiftenden Natur von Märchen, mit einem Happyend auszuklingen. Wenn ein Märchen jedoch allzu überglücklich beginnt, dann trägt es in sich wohl schon den Keim der Fäulnis – was dem Publikum wiederum sehr entgegenkommt, weil sonst jeder Unterhaltungswert auf der Strecke bliebe. Als Charles Philip Arthur George Mountbatten-Windsor, Prince of Wales und Duke of Cornwall, am 29. Juli 1981 in der Saint Paul’s Cathedral in London Diana Frances Spencer zum Traualtar führte, glaubten nicht nur 750 Millionen Fernsehzuschauer rund um den Globus, der himmlischen Vollendung eines Märchens auf Erden beizuwohnen – vor allem die Braut selbst war tief von dieser Überzeugung beseelt. Seit sie denken konnte, hatte sich die Stiefenkelin der Kitschautorin Barbara Cartland nach einem Traumprinzen verzehrt, der sie in die ewigen Glücksgründe großfamiliärer Harmonie entführen würde. Diana Spencer war schon in ihrer frühen Kindheit das Opfer dysfunktionaler Familienverhältnisse geworden (ihre Mutter hatte nach einem wüsten Rosenkrieg das Sorgerecht verloren). Das Mädchen durchlief die traditionelle Ausbildung der britischen Oberschicht: Privatschulen, Internate. Es zeichnete sich durch ein bezauberndes Wesen und eine gefällige Handschrift aus und entwickelte darüber hinaus keinerlei bildungsrelevante Ambitionen, was in besseren Kreisen zu jener Zeit immer noch der für weibliche Nachkommen gültigen Norm entsprach – schließlich ging es später nur darum, sie hochkarätig zu verheiraten. Nach ihrem Abschluss arbeitete Diana, eigenen Angaben zufolge „dumm wie Bohnenstroh“, als Putzfrau, Kindermädchen und Kindergärtnerin.

1977, anlässlich einer Jagdgesellschaft auf Althorp, dem Familiensitz der Spencers, lernte sie Prince Charles kennen, den damals begehrtesten Junggesellen des Vereinigten Königreichs – einen astreinen Märchenprinzen noch dazu! In ihren Augen dürfte es sich um Liebe auf den ersten Blick gehandelt haben. Charles dagegen war eher mäßig interessiert, obwohl er wusste, dass er mit bald 30 Jahren das ehefähige Alter längst erreicht hatte und für einen Bund mit seiner Jugendliebe Camilla den Segen der Königin niemals erhalten würde, weil eine „Frau mit Vergangenheit“ für den Thronfolger auf keinen Fall infrage kam. Diana hingegen verfügte über eine

nach diesen rigiden Kriterien unbezahlbare Mitgift: ihre Jungfräulichkeit – und sie war wild entschlossen, sie sich für ihren Prinzen aufzusparen. 1980 wurde die Beziehung enger, doch Prinz Charles zögerte nach wie vor, bis die „Firma“ am Ende ein Machtwort sprach und am 24. Februar 1981 offiziell die Verlobung bekannt gab. In einem TV-Interview kurz vor der Hochzeit wurde der Bräutigam gefragt, ob er verliebt sei. „Was auch immer verliebt sein bedeutet“, antwortete er nach kurzem Nachdenken. Diana kicherte verlegen und griff zu ihrer damals schon bis zur Perfektion verfeinerten Geheimwaffe: dem dekorativen Augenaufschlag. Tatsächlich war sie, wie sie später bekannte, „absolut traumatisiert“.

In den folgenden Jahren kämpfte sie mit ohnmächtigem Schmerz gegen die unverrückbare Tatsache an, einen Mann geheiratet zu haben, der sie weder liebte noch begehrte. Sie gebar ihm – dem höfischen Masterplan gemäß – innerhalb kurzer Zeit zwei Söhne (William 1982, Harry 1984) und rieb sich sieben Tage die Woche am unerbittlichen Drill des Buckingham-Palasts auf, vor allem aber an einem Phantom namens Camilla: Charles war offenbar nicht gewillt, die Beziehung mit der großen Liebe seines Lebens aufzugeben. Vielleicht hätten sich die Dinge anders entwickelt, wenn Diana früh genug erkannt hätte, was ihrer Stiefoma Barbara Cartland nicht entgangen war: „Sie wissen natürlich, warum alles in die Binsen ging, nicht wahr?“, merkte die Queen of Kitsch 1996 einem Journalisten gegenüber ungewohnt freizügig an: „Sie war schlicht nicht bereit zu oralem Sex … so einfach ist das.“

In der Royal Family fand Diana keinerlei emotionalen oder moralischen Rückhalt. Man bedeutete ihr vielmehr mit eisiger Unduldsamkeit, dass sie ihrer offiziellen Rolle gerecht zu werden habe und dass diese vielerlei Facetten einschließe, nur sicher keine persönlichen Befindlichkeiten. Diana flüchtete sich zunächst in heftige bulimische Schübe, später auch in die Arme aufmerksamerer und gefühlsbegabterer Männer, als Charles es ihr gegenüber jemals sein wollte – in die Arme des Königlichen Kavallerie-Hauptmanns James Hewitt etwa, dessen verblüffende Ähnlichkeit mit dem (ebenfalls rothaarigen) Prinzen Harry bis heute Anlass für indiskrete Spekulationen bietet. Die Affäre sollte nicht die einzige bleiben.

Ende der achtziger Jahre war die Ehe zwischen Diana und Charles in Wahrheit nur mehr eine Farce, eine in der Öffentlichkeit jedoch kühl und routinemäßig camouflierte Farce. Der königliche Anschein musste um jeden Preis gewahrt bleiben. Die Anerkennung, die Diana im royalen Gefängnis verweigert wurde, suchte sie mit rasant wachsendem Erfolg bei den Medien. Sie wusste um ihre elektrisierende Wirkung nach außen, und sie wusste auch, diese für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. 1991 war die Prinzessin das mit Abstand beliebteste Mitglied der Königsfamilie, was von der Queen und deren Sohn alles andere als amused registriert wurde. Hier schickte sich ein vormals unbedarftes Aschenputtel an, mit souverän ausgespielten Popstarqualitäten althergebrachte Hierarchien zu schleifen. Diana war zur Zeitbombe mutiert, die es zur Sicherung des königlichen Hausfriedens unbedingt zu entschärfen galt. Die Prinzessin beschloss, einen Präventivschlag zu setzen, und fädelte das Buchprojekt mit Andrew Morton ein. „Es wird einschlagen wie eine Bombe“, sagte sie 1992 gegenüber Vertrauten: „Aber ich fühle mich jetzt bestens gewappnet für alles, was auf uns zukommen mag.“

Am 9. Dezember 1992 wurde die Trennung von Charles und Diana offiziell verkündet, womit sich in Wahrheit für alle Beteiligten kaum etwas veränderte, außer dass Diana plötzlich ein bislang unbekanntes Ausmaß von Freiheit genoss.

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Für den feministischen Diskurs war Diana bis zu diesem Zeitpunkt bestenfalls eine schillernde Antithese gewesen: eine erschreckend schlicht gestrickte Aristokratin, die, beflügelt von romantischen Sehnsüchten aus dem 19. Jahrhundert, in die Chefetage einer königlichen Dynastie eingeheiratet hatte, um ein Familienidyll zu verwirklichen, in dem Frauen pflichtbewusst und nach Möglichkeit liebreizend zu sein hatten, aber auf gar keinen Fall eigenwillig. Durch die Zusammenarbeit mit Andrew Morton setzte Diana ihren ersten Akt der Emanzipation: Sie handelte entschieden selbstbestimmt – aus Verzweiflung zwar und in der trügerischen Hoffnung, damit an den verkümmerten Gefühlshaushalt der Royals zu appellieren, doch sie bestand erstmals auf ihrem Status nicht als Prinzessin, sondern als moderne Frau mit einer schützenswerten, autonomen Identität. „Diana, die Medienprinzessin, wollte sich nicht nur benutzen lassen. Sie wollte selber jemand sein“, schrieb Alice Schwarzer 1997 in einem Nachruf, nicht jedoch ohne einen kritischen Unterton: „Diana selbst scheint verführbar und ihrer eigenen Kitschstory verfallen gewesen zu sein. Ein bisschen Königliche Hoheit, ein bisschen Mutter Teresa, ein bisschen Pin-up – und dazu eine Prise Emanzipation.“

Nach 130 Monaten Einsamkeit im Windsor-Kosmos hatte Diana Rückhalt bei einer ungleich mächtigeren Institution gesucht: der Öffentlichkeit. Diese lag ihr dafür zu Füßen, was die bei der Prinzessin seit Langem virulenten Suchttendenzen vollends zum Ausbruch brachte – sie wurde zum Presse-Junkie in eigener Sache. Sie instrumentalisierte den Boulevard für ihre Kampagne gegen das Königshaus und setzte damit einen Mechanismus in Gang, der zunächst das britische und bald auch das internationale Mediengeschäft dauerhaft pervertierte. Die heute gängigen Praktiken der Menschenjagd zu Unterhaltungszwecken gehen auf die frühen und mittleren neunziger Jahre zurück, als Prinzessin Diana, um sich selbst zu schützen, die letzten Privacy-Tabus brach und dadurch zum globalen Megastar aufstieg. Was sie dabei unterschätzte: Es gibt zwar keinen effizienteren Multiplikator als die Popkultur – allerdings auch keinen vernichtenderen.

Nie wirkte Diana schöner, sexier, souveräner und selbstbewusster als in ihren letzten fünf Lebensjahren. Sie brachte internationalen Glamour in die muffige, degenerierte Hocharistokratie, und sie adelte den exaltierten Jetset durch ihre majestätische Präsenz. Sie flirtete mit Kameras, wie es seit den großen Diven der Stummfilmzeit niemandem mehr gelungen war. Wie Madonna spielte sie mit stets wechselnden Identitäten, ohne dabei je die Grundregeln einer gelungenen Selbstinszenierung aus den Augen zu verlieren: Konsequenz durch Effekt und Überraschung. Sie definierte die Kriterien für Berühmtheit neu, indem sie sie radikal vom Prinzip Leistung abkoppelte, und setzte in dieser Königsdisziplin postmoderner Selbstverwirklichung einen bis heute unerreichten Standard (nicht zuletzt deshalb wirkt die Hohlheit einer Kunstfigur wie Paris Hilton so brutal ernüchternd).

Prinzessin Diana hatte den Zenit ihrer einzigartigen Popularität erreicht, und jedes weitere unappetitlich intime Detail aus der königlichen soap opera (Höhepunkt: Charles’ Fantasie, als Tampon in Camillas Höschen reinkarniert zu werden) kitzelte die öffentliche Aufmerksamkeit eher, als sie abzustumpfen. Diana war Mode-Ikone und Charity-Engel zugleich. Traumwandlerisch hielt sie die Balance zwischen ihrem Status als meistfotografierte und bestgekleidete Frau der Welt und ihrem Einsatz für wohltätige Zwecke, vor allem in der Aids-Hilfe und einer Kampagne für das Verbot von Landminen. Sogar der Haussegen hing weniger schief als früher: Die „Firma“ hatte den positiven Imageschub durch den Diana-Effekt durchaus wohlwollend zur Kenntnis genommen, und zumindest in einem Punkt herrschte unverbrüchliche Einigkeit zwischen Prinz Charles und seiner Frau: Sie liebten ihre beiden Söhne über alles. 1993 kündigte Diana einen geordneten Rückzug aus der Öffentlichkeit an (was die Preise für Schnappschüsse von ihr um 25 Prozent in die Höhe trieb).

So hätte das Märchen eigentlich enden können, auf einem königlich pragmatisierten Niveau. Doch die Eigendynamik der Geschichte war zu stark, um noch entschleunigt werden zu können – und Dianas scharf ausgeprägter Sinn für Dramatik hielt der tristen Aussicht auf business as usual nicht stand.

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Am 20. November 1995 strahlte die BBC ein Exklusivinterview von Martin Bashir mit Prinzessin Diana aus. Es war ihre zeitverzögerte Rache für ein TV-Interview von Prinz Charles im Vorjahr, in dem er zwar beiläufig, aber offen bekannt hatte, Diana nicht nur betrogen, sondern in Wahrheit nie geliebt zu haben. Es war die schmerzlichste Verletzung, die man ihr zufügen konnte, und sie rächte sich auf die ihr eigene Weise. Effektvoll blass geschminkt und mit ihrem unwiderstehlichen Blick von schräg unten zündete sie vor 23 Millionen britischen Fernsehzuschauern eine Bombe nach der anderen: In ihrer Ehe seien sie „immer zu dritt“ gewesen, „es war also ein bisschen eng“. Das „Establishment“, in das sie „hineingeheiratet“ habe, „hat beschlossen, dass ich eine Versagerin bin“. – „Der Feind, das war das Umfeld meines Mannes.“ – Und: Die Königin habe den Kontakt zu ihren Untertanen verloren.

Von allen Vorwürfen war dieser der massivste: Die Prinzessin hatte es gewagt, die Queen offen zu kritisieren – ein beispielloses Sakrileg. Verglichen damit war Dianas Wunsch, die „Königin der Herzen“ zu sein, rührender Kleinmädchenkitsch – zumal sie wusste, dass ihr das längst gelungen war. Die in der Folge veröffentlichten Umfragen erbrachten überwältigende Zustimmungswerte für die Prinzessin. Am 20. Dezember 1995 trafen zwei Briefe bei Diana ein: Sowohl die Königin als auch Prinz Charles baten sie um eine rasche Scheidung, in die Diana, vertreten durch einen jungen, smarten Anwalt, nur zu den von ihr diktierten Konditionen einzuwilligen bereit war: 17 Millionen Pfund Abfindung! Am 15. Juli 1996 wurde die „Ehe des Jahrhunderts“ geschieden, in einem schäbigen, kleinen Gerichtssaal unweit der St. Paul’s Cathedral, in der fünfzehn Jahre zuvor die Hochzeit zelebriert worden war. Die Prozedur dauerte drei Minuten, weder der Prinz noch die Prinzessin waren anwesend.

Diana hatte zwar ihren Titel „Königliche Hoheit“ verloren (in diesem Punkt war die Queen unnachgiebig geblieben), dafür jedoch das gemeinsame Sorgerecht für William und Harry erkämpft und ihren Lebensstandard komfortabel gesichert. Sie war frei und hatte noch dreizehneinhalb Monate, um diese Freiheit auszukosten.

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Der pakistanische Herzchirurg Dr. Hasnat Khan dürfte der einzige Mensch sein, der Diana jemals aufrichtig und ohne Hintergedanken geliebt hat. Sie bewunderte an ihm jene unerschütterliche Ernsthaftigkeit, nach der sie sich, „dumm wie Bohnenstroh“, immer gesehnt hatte. Die beiden konnten ihre Beziehung überraschend lange vor der Presse geheim halten – nicht lange genug jedoch. Nach der Scheidung des Prinzenpaars liefen die Paparazzi endgültig Amok: Diana war zum Freiwild geworden, das es bei jeder denkbaren Gelegenheit zu erlegen galt. Hasnat Khan jedoch hatte keine Lust, sich an ihrer Seite von der Yellow Press zu Tode jagen zu lassen. Er beendete die Beziehung.

Diana befand sich im freien Fall und landete in den Armen eines ägyptischen Playboys: Dodi Al-Fayed, Sohn des windigen Unternehmers und Milliardärs Mohamed Al-Fayed, der sich durch die Übernahme des Kaufhauses Harrods in London und des Nobelhotels Ritz in Paris den Respekt des europäischen Establishments zu erkaufen gehofft hatte – umsonst. Nun witterte er eine letzte Chance, in die Umlaufbahn internationaler Respektabilität zu gelangen: Er verkuppelte seinen (offiziell anderweitig verlobten) Sohn, einen vergnügungssüchtigen Filou, mit der berühmtesten Junggesellin des Planeten. Diese, inzwischen offenkundig bar jeder Selbstachtung, ließ sich auf das schlüpfrige Arrangement ein und hatte keine anderen Sorgen, als ihren Konfidenten bei den Revolverblättern zu stecken, wie sie zu exklusiven Schnappschüssen von Dodi und ihr auf einer schnittigen Mittelmeerjacht kämen.

Am 30. August 1997 eskalierte das Katz-und-Maus-Spiel in Paris. Diana und Dodi lieferten sich eine „French Connection“-würdige Hetzjagd mit einer völlig enthemmten Fotografenmeute, deren Killerinstinkt das Glamour-Paar durch stetige Ortswechsel allerdings mutwillig provozierte. Kurz nach Mitternacht bestiegen die beiden die schwarze Mercedes-Limousine des Ritz und brausten davon. Am Steuer saß kein ausgebildeter Chauffeur, sondern der haltlos betrunkene Sicherheitschef des Hotels. Minuten später krachte er mit 120 Stundenkilometern in den 13. Betonpfeiler des Tunnels unter der Pont de l’Alma. Dodi Al-Fayed und der Fahrer waren sofort tot. Der Beifahrer, ein Leibwächter, überlebte schwer verletzt. Diana konnte nicht mehr gerettet werden. Neun Paparazzi wurden zwei Jahre später von der französischen Justiz vom Vorwurf fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung freigesprochen.

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Die romantische Rock-’n’-Roll-Devise Live Fast, Die Young hatte ihr erstes quasi königliches Opfer gefunden, die Mythenbildung setzte noch im selben Moment ein und ist bis heute nicht abgeschlossen. Die geradezu skandalöse Banalität von Dianas Tod lieferte dafür die besten Voraussetzungen: Wer so früh, so jäh und vor allem so „sinnlos“ stirbt, genießt ein besonders privilegiertes Anrecht auf ewigen Ruhm.

Die Verschwörungstheorien um den fatalen Unfall in Paris stehen jenen um die Ermordung von John F. Kennedy an Verbissenheit und Absurdität um nichts nach: Weit über 30.000 Internetseiten beschäftigen sich seit Jahren mit den angeblich dubiosen Umständen von Dianas Tod, obwohl mehrere offizielle Untersuchungen einhellig zum Ergebnis kamen, dass es sich um einen alltäglichen Verkehrsunfall mit Todesfolge handelte.

Die ebenso paradoxe wie ungebrochene Wirkungsmacht des Mythos Diana beruht auf der unstillbaren Sehnsucht der Menschen nach überlebensgroßen Epen, in denen sich Liebe und Hass, Macht und Ohnmacht, Trotz und Größenwahn, triumphale, aber auch unsagbar triviale Momente zu einer explosiven Mischung verdichten. Selbst bei nüchterner, ja indifferenter Betrachtung wird man keine andere Geschichte finden, die alles in sich vereint, was Oper, Melodram und Groteske an schwerem Geschütz aufzubieten haben – schon gar keine Geschichte, die sich tatsächlich ereignet hat, vor den Augen einer live permanent zugeschalteten Weltöffentlichkeit.

Die Einzigen, die selbst unter dem unmittelbaren Eindruck von Dianas Tod immer noch nicht begriffen, in welches Jahrhundertdrama es sie verschlagen hatte, waren die Windsors: Die Königin mochte sich tagelang zu keiner Reaktion aufraffen, so als hätte sie Diana übel genommen, dass diese in ihrer Rachsucht so weit gegangen war, tödlich zu verunfallen – nur um the one and only „Königin der Herzen“ zu bleiben. Für ein paar bange Momente stand die Monarchie auf der Kippe; das Volk bestand darauf, in seiner namenlosen Trauer gerade auch von jenen repräsentiert zu werden, die seit Langem ohnehin keine andere legitime Funktion mehr haben, als das britische Volk symbolisch zu repräsentieren. Erst durch den vereinten massiven Druck von Prince Charles und dem damals frisch gewählten Labour-Premierminister Tony Blair ließ sich die Queen dazu herbei, der verstorbenen Prinzessin eine Trauerfeier mit allen königlichen Ehren in der Westminster Abbey auszurichten.

Es hätte Dianas letzter Triumph werden können: die britische Monarchie zu sprengen. Doch es wäre – wie jeder andere davor – ein Triumph gewesen, der sie nur noch tiefer ins Unglück gestürzt hätte.