Im Chat mit Toten

Moskaus neues jüdisches Museum

Hitech-Zauber. In Moskau wurde eines der größten jüdischen Museen der Welt eröffnet

Drucken

Schriftgröße

Ein so überschäumend lebensfrohes Schtetl wie dieses hatten die eleganten Besucher, die am Eröffnungsabend des 8. November 2012 durch Moskaus neues Jüdisches Museum schlenderten, nie gesehen. Selbst die – mutmaßliche – Geräuschkulisse der Welt von vorgestern wird in dem Hightech-Komplex zugespielt. Seine Errichtung haben Oligarchen finanziert, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nahestehen. 50 Millionen Dollar (rund 40 Millionen Euro) wurden investiert, die „New York Times“ resümierte, Russland wolle den Juden mit dem Museum vor allem eines mitteilen: „Wir mögen euch, kommt zurück.“

Das Museum ist in einem prächtigen Bau des russischen Konstruktivismus untergebracht, sein Symbolgehalt so hoch wie der technologische Aufwand. Die Vereinigung jüdischer Gemeinden in Russland spricht als Trägerorganisation vom größten Jüdischen Museum der Welt; ihr Vorsitzender dankte am ersten Abend Wladimir Putin ausdrücklich dafür, dass er 2007, zu Beginn des ehrgeizigen Unternehmens, ein Monatsgehalt (die Rede ist von knapp 4500 Euro) gespendet hatte. Israels Staatspräsident Shimon Peres war zur Eröffnung eingeflogen und meinte gerührt, in ihm stiegen Erinnerungen an die russischen Lieder seiner Mutter wieder auf: „Ich danke dem russischen Volk für Jahrhunderte der Gastfreundschaft.“ Der heute 89-Jährige wurde in Weißrussland geboren. In Israel leben rund eine Million russischsprachiger Juden.

Teilung des Roten Meeres mit Sprühregen
Die Gestaltung des Hauses wurde dem weltgrößten Unternehmen für Museumsdesign, Ralph Appelbaum Associates aus New York, übertragen. Die Gruppe richtete bereits das US-Holocaust-Memorial-Museum in Washington ein, inzwischen hat sie eine Niederlassung in Peking und auf allen Kontinenten an die 350 Museen entwickelt. In Moskau beginnt der Ausstellungsrundgang durch die Historie in einem gigantischen Kinosaal: Der Auszug des jüdischen Volks aus Ägypten samt Teilung des Roten Meers wird von einem Sprühregen über den Kinoreihen begleitet.

Am Ende der Zarenherrschaft vor einem Jahrhundert lebte in Russland mit fünf Millionen Menschen die größte jüdische Gemeinde weltweit. Heute zählt sie rund 150.000 Menschen. Pogrome, Nazi-Völkermord, stalinistische Verfolgung und massive Auswanderung werden im neuen Museum zwar thematisiert, mehr Aufmerksamkeit wird aber den freundlicheren Seiten der Geschichte geschenkt. Per Touchscreen kann man am Tisch des virtuellen Cafés in Odessa mit toten jüdischen Denkern chatten, in einer virtuellen Synagoge Kantorengesänge abrufen. Die Idee, Besucher mit ihrem eingescannten Foto virtuell das Schicksal eines jüdischen Menschen erleben zu lassen – bis hin zum Sterben in einem Konzentrationslager –, wurde fallen gelassen, nachdem Anwälte vor Klagen nach schweren Schocks gewarnt hatten.

Sowjetische und jüdische Geschichte
Wie die Staatsspitze ist auch die jüdische Gemeinde Russlands bemüht, das neue Museum als Teil neuer Beziehungen zu präsentieren. Oberrabbiner Berel Lazar, ein enger Bekannter Putins, betonte beim ersten Rundgang die lange geleugnete Verflechtung sowjetischer und jüdischer Geschichte. Vor einem T-34-Panzer erklärte er stolz, dieser sei von einem Juden entworfen worden und habe geholfen, Juden aus Konzentrationslagern zu befreien. Und er kündigte den Bau neuer Synagogen an, die fünf bestehenden seien überfüllt. Während der Festreden spielte ein Facebook-User aber auf eine ganz andere Wirklichkeit an, die mit den häufigen rassistisch-nationalistischen Demonstrationen in Moskau zu tun hat. Sein Kommentar: „Es ist hier so angenehm, dass jeder ausgewandert ist.“