Der Tycoon wankt

Affäre. Nach dem „News of the World“-Skandal wankt Medien-Tycoon Rupert Murdoch

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Es gibt noch Nackte nach dem Tod. Auf der Website von „News of the World“ dominierten auch am Freitagnachmittag knapp bekleidete Models. Daneben prangte das bebrillte Konterfei von James Murdoch, Sohn des Konzerngründers Rupert und Chef des britischen Ablegers „News International“, der am Tag zuvor die Einstellung der Sonntagszeitung nach 168 Jahren verkündet hatte. Die Todesnachricht in eigener Sache ist knapp: „Der Erlös der letzten Ausgabe geht an wohltätige Organisationen.“ Das wird die Wogen nicht glätten. Murdoch junior und senior fliegen die Fetzen um die Ohren. Der Skandal um die Abhörpraktiken im Schmuddelblatt hat die Konzernspitze erreicht. Zum ersten Mal in der Geschichte stehen die Murdochs vor einer Meuterei – nicht so sehr auf ihrem eigenen Schiff , der „News Corporation“; vielmehr sind die sonst so devoten Politiker Britanniens nicht mehr gewillt, vor dem mächtigen Tycoon zu kuschen.

„Der Medienmogul hat sein Urteilsvermögen verloren“, konstatierte die „Financial Times“ am Freitag vergangener Woche. Mit 80 Jahren passierte dem Tycoon ein Fehler, der noch vor einigen Jahren völlig undenkbar gewesen wäre. Er stellte „News of the World“ („NOW“) ein, statt jene Frau zu entlassen, die als Generaldirektorin des Zeitungskonzerns den Skandal zu verantworten hat: die genial vernetzte Rebekah Brooks, deren rote Lockenpracht stets in nächster Nähe zu Murdoch und Premierminister David Cameron aufblitzt. Murdoch, heißt es, liebe sie wie eine Tochter und wolle ihre Loyalität belohnen, indem er sie nicht fallen lasse. Dafür stehen nun 200 Redakteure ab Sonntag ohne Arbeit da. Das fetzige Boulevardblatt litt zwar in den vergangenen Jahren unter Leser- und Anzeigenschwund. Doch immer noch lechzten über zwei Millionen Briten nach der sonntäglichen „NOW“- Droge. Eine ganzseitige Anzeige brachte 65.000 Pfund ein. „Wird der Alte senil?“, soll einer der geschockten Redakteure im Newsroom der „News of the World“ vorigen Donnerstag gewispert haben.

Früher hätte sich keiner in Murdochs Reich getraut, über dessen Geisteszustand auch nur nachzudenken. Zum ersten Mal scheint der Tycoon zu wanken. Seit Jahrzehnten kontrolliert Rupert Murdoch den britischen Medienmarkt. Premierminister zittern vor ihm und stimmen sich mit ihm ab. Sein Einfl uss erstreckt sich von Printmedien („The Times“, „The Sunday Times“, „The Sun“, „News of the World“) über Buch- und Filmrechte bis zum Satellitenfernsehen Sky. Murdoch steht einem weltweiten Konzern vor: In den USA baute er Fox-TV auf, die mediale Basis für die aggressive republikanische Rechte. Murdoch operiert in Australien, Asien und in den neuen Medien – meist, nicht immer, mit Erfolg. „In Großbritannien hatte bereits Margaret Thatcher vor 30 Jahren begriff en, dass es schwierig ist, ohne die Murdoch-Presse zur Regierungschefi n gewählt zu werden“, sagte der Schauspieler Hugh Grant in einem BBC-Interview.

Doch nun kommt eine Lawine ins Rutschen. Andy Coulson, von 2003 bis 2007 Chefredakteur der „News of the World“, wurde vorigen Freitag um 10.30 Uhr verhaft et, wegen Verdachts auf Korruption und Abhören von Mobiltelefonen von Prominenten, Verbrechensopfern, Militärangehörigen und ihren Familien. Zur gleichen Zeit hielt Premierminister David Cameron eine Pressekonferenz, in der er erklärte: „Andy Coulson bleibt ein Freund.“ Der Tory-Chef, damals noch Oppositioneller, hatte Coulson 2007 als Kommunikationschef zu sich geholt. Ein „NOW“-Reporter und ein Privatdetektiv wurden 2007 zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie Prinz Williams Mobilbox angezapft hatten. Coulson hatte wegen des Abhörskandals die Zeitung verlassen, beteuerte aber seine Unschuld. Glauben mochte dies dem schmalen Mann mit der schwarzen Bügelbrille kaum jemand. Die britische Boulevardpresse ist unvergleichlich rücksichtslos, wenn es um das Privatleben von Prominenten geht. Dass Redakteure Privatdetektive anstellen, um PIN-Codes von Mobilboxen zu knacken, war nicht nur in der Branche ein offenes Geheimnis.

Bis vorige Woche wurden die Drahtzieher nie zur Verantwortung gezogen. „Vielleicht wollen sie den Fall nicht richtig untersuchen, weil niemand der Re gierung schaden will“, meinte der investigative Journalist Nick Davies von der linksliberalen Tageszeitung „The Guardian“ noch im November 2010 im Interview mit profil (Nr. 46/2010). Davies führte einen jahrelangen Kampf gegen dieses staatlich sanktionierte Schweigen. Trotz der von Davies und der „New York Times“ publizierten Stellungnahmen von ehemaligen „NOW“-Redakteuren über die Abhörseuche zeigte die Polizei wenig Lust, sich mit der mächtigen Murdoch-Gruppe anzulegen, zumal, wie nun bekannt wurde, erkleckliche Beträge an Bestechungsgeldern an Polizisten flossen. Politiker, Polizisten, Richter und Murdochs Medien spielten jahrelang reibungslos zusammen. Damit ist es jetzt vorbei. Montag vergangener Woche brachte ein Tropfen das Fass zum Überlaufen: „NOW“ hatte auch die Mobilbox eines verschollenen Teenagers angezapft. Die 13-jährige Milly Dowler war 2002 auf dem Schulweg verschwunden.

Tage später noch hörte sie die Nachrichten ihrer verzweifelten Eltern und Freunde ab und löschte sie. Zumindest glaubte das die Polizei. In Wahrheit löschte „News of the World“ Millys Mailbox, um Platz für neu eingehende Nachrichten zu schaffen. Schließlich brauchte das Sensationsblatt Stoff für neue Geschichten. Das Mädchen war zu diesem Zeitpunkt längst tot. Das fanden die Briten nicht mehr „amusing“. Weitere Enthüllungen folgten: „NOW“ hatte auch die Telefone von gefallenen Soldaten angezapft. Der Druck stieg nun so schnell, dass in der konservativen Führungsetage Panik ausbrach. Premier Cameron ist nicht nur wegen Andy Coulson in Bedrängnis.

Auch Rebekah Brooks, die Generaldirektorin von „News International“, gehört zu Camerons engstem Freundeskreis. In der exklusiven Grafschaft Oxfordshire liegen ihre Anwesen in Reitweite voneinander entfernt. Wenn bei Camerons Würstchen auf den Grill kommen, geben sich Frau und Herr Brooks gern die Ehre. Rebekah Brooks, geborene Wade, war bis 2002 Chefredakteurin der „News of the World“. Millys Mailbox ist Brooks’ Nemesis. Bisher hatte sie stets beteuert, nichts von den Schmuddelpraktiken gewusst zu haben. Damit rückt der Skandal zwischen Medien und Politik immer näher an den Mann an der Spitze heran, an den Tycoon und seinen Thronfolger selbst.

Rupert Murdoch hat in den vergangenen Jahren Sprössling James zum Nachfolger seines Medienimperiums „News Corporation“ aufgebaut. James ist heute Vorsitzender des britischen Teils des Murdoch-Imperiums, der „News International“. Die Printmedien machen in der Konzerntorte nur ein schlankes Stück aus: Von knapp 23 Milliarden Euro Umsatz entfallen 4,3 Milliarden auf den Printsektor. Neben Protektion für Brooks ging es Rupert Murdoch bei der Schadensbegrenzung nicht so sehr um die Zukunft seiner Boulevardzeitungen. Vielmehr versucht er, jenen Deal zu retten, der den Machtfanatiker auch im hohen Alter noch an die Verhandlungstische treibt: Murdoch bewirbt sich um die Gesamtübernahme von BSkyB. Bisher kontrollierte Murdoch nur 39 Prozent des Satellitenfernsehens British Sky Broadcasting. Der Medienmogul möchte BskyB jedoch ganz übernehmen, um, wie in den USA mit FoxNews, eine machtvolle Plattform für seine konserva tiven Politkampagnen zu schaffen. Dass man damit der staatlichen, qualitätsorientierten BBC lustvoll Konkurrenz machen könnte, ist ein hübscher Nebeneffekt eines lukrativen Geschäfts. In David Cameron fand Murdoch bisher, über die Einflüsterungen von Rebekah Brooks, einen willigen Partner für die BSkyB-Übernahme.

Einwände gegen zu hohe Medienkonzentration in Händen des Tycoons schienen in Regierungskreisen nicht auf offene Ohren zu stoßen. Die Übernahme ist mit Ende der Woche weniger wahrscheinlich geworden. Die Schließung von „News of the World“ hat die Gemüter kaum beruhigt. Selbst Premier Cameron beginnt sich zu distanzieren. In seiner Pressekonferenz sagte er über seinen ehemaligen Kommunikationschef Andy Coulson: „Ich wollte ihm eben eine zweite Chance geben.“ Cameron schwitzte, scherzte linkisch und war offensichtlich bemüht, in der Wahrnehmung der Wählerschaft nicht von Freundesloyalität in Richtung Komplizenschaft mit einem U-Häftling abzurutschen. Ed Miliband, Labour-Führer und im ersten Jahr als Oppositionsführer nicht durchschlagend erfolgreich, klang dagegen zum ersten Mal überzeugend empört. Er überwand seine Angst vor Rupert Murdochs Rache und forderte eine tief greifende Untersuchung plus Rebekah Brooks’ Rücktritt: „Das Volk ist erzürnt und das mit Recht.“ Der heimliche Star der letztwöchigen Kabale aber war der Schauspieler Hugh Grant. Der Filmhübschling wuchs vergangene Woche über sein Image hinaus und wurde vom „actor“ zum Akteur.

In einer BBC-Fernsehdebatte watschte er anwesende Politiker für ihre Feigheit vor der Murdoch-Macht ab. Im April hatte der Schauspieler ein Gespräch mit dem Telefonhacker und Mitarbeiter der „News of the World“, Paul McMullan, heimlich aufgezeichnet und später im „New Statesman“ publiziert (siehe Kasten). McMullan erklärte Grant beim Pub- Tratsch, dass Andy Coulson Gerüchte überhaupt nur dann drucken ließ, wenn es einen Mobiltelefon-Mitschnitt dazu gab. Das liberale, unabhängige England feiert in diesen verregneten Sommertagen einen Etappensieg: „Das ist erst der Anfang der Meuterei gegen die Murdoch-Macht“, freut sich der Publizist und Autor Misha Glenny („McMafia“). Der investigative Journalist Nick Davies hat über den Boulevard- Mephisto Andy Coulson gesiegt. Der kleine „Guardian“ hat dem Murdoch-Imperium Paroli geboten. Der weiteren Medienkonzentration in Großbritannien wird unter Umständen nicht stattgegeben. Kampflos aber wird der alte Recke Rupert seinem Machtverlust nicht zusehen. In London wird gemunkelt, dass die 200 gefeuerten „NOW“-Redakteure demnächst wieder zur Tat schreiten: Murdochs zweites Schmuddelblatt, die legendäre „Sun“, hatte bisher noch keine Sonntagsausgabe.

Tessa   Szyszkowitz

Tessa Szyszkowitz