Kunsthalle Wien: Der neue Chef plant Ungewöhnliches
Als der Kunsthistoriker Nicolaus Schafhausen im Vorjahr zum Leiter der Kunsthalle Wien berufen wurde, war bald klar: Dem Prinzip Kontinuität folgt er nicht. Der seit 1. Oktober 2012 amtierende Nachfolger Gerald Matts beschränkte sich nicht auf die üblichen Änderungen, zu denen sich neue Führungskräfte von Kunstinstitutionen geradezu habituell gezwungen sehen - nämlich eine neue Corporate Identity entwerfen zu lassen und die Ausstellungsräume zwecks Umbaus erst einmal zu schließen. Er sorgte darüber hinaus mit zahlreichen Neuheiten für Aufsehen.
Schon beim Betreten seines Büros an der Wiener Mariahilferstraße zeigt sich nun: Hier weht ein anderer Wind als zu Zeiten Matts, der im Vorjahr wegen seines allzu lockeren Umgangs mit Ressourcen der Kunsthalle abdanken musste. Wirkte das hübsche Eckzimmer einst wie eine merkwürdige Kreuzung aus Wunderkammer und Residenzräumlichkeit, so zeichnet es sich nun durch anspruchslose Kargheit aus: Ein Schrank, Bilder, ein schmaler Tisch, ein paar Stühle und ein Laptop bilden die wesentlichen Bestandteile von Schafhausens Arbeitsplatz; offensichtlich hat er keinen Hang zum Schnickschnack.
Nicht weniger asketisch erschien das Programm der ersten Jahre seiner Direktion, das der gebürtige Deutsche im Jänner präsentierte: Neben einem spartenübergreifenden Festival, das sich auf den Schriftsteller Thomas Bernhard beruft, kündigte er für heuer nur eine einzige Ausstellung (Titel: "Salon der Angst) an - aufgrund der Renovierungs- und Umgestaltungsarbeiten ist die Kunsthalle für einige Monate geschlossen. Und auch für 2014 setzte er zunächst lediglich drei Projekte auf die Agenda: eine Schau des belgischen Künstlerduos Jos de Gruyter & Harald Thys, eine Kooperation mit der Bukarest Biennale - die er im Nebenjob kuratiert - sowie eine Ausstellung zur Arbeit des rumänischen Avantgardisten Constantin Brancusi. Dass diese zunächst recht dünnen Ankündigungen die heimische Szene teils ebenso ratlos wie enttäuscht hinterließen, verwundert wenig. Ebenso verblüfft wurde das neue Logo des belgischen Designers Boy Vereecken aufgenommen, das sich dem Marketing-Gebot der Wiedererkennbarkeit radikal widersetzt: So repräsentieren jeweils unterschiedliche Bilder von Adlern die Kunsthalle - etwa als Comics, als Fotos oder als stilisierte Zeichnungen; die Mitarbeiter durften für ihre Visitenkarten ein Exemplar auswählen.
Wesentlich gravierender jedoch griff Nicolaus Schafhausen auf das inhaltliche Rückgrat der Kunsthalle zu: In den wenigen Monaten seiner Direktion wurde die Kuratorenebene fast gänzlich ausgetauscht, nicht immer auf Wunsch der Betreffenden. Demnächst wird nur noch ein einziger Kurator aus dem zuvor siebenköpfigen Team in seinem Job arbeiten - und zu Recht kritisierten manche, dass Gerald Matt für ein solches Vorgehen wohl Prügel bezogen hätte.
Der neue Direktor erklärt dazu salopp: "Die meisten Kuratorinnen, die hier arbeiteten, führten in erster Linie Projekte aus. In einer Kunsthalle sollte es jedoch darum gehen, gemeinsam Ideen zu sammeln. Darüber hinaus halte ich es für gefährlich, wenn Leute sehr jung an einen solchen Ort kommen und schon mit 35 institutionalisiert sind. Freilich verlor Schafhausen mit diesem heftigen Einschnitt engagierte und ambitionierte Mitarbeiterinnen. An deren Stelle will er verstärkt Gastkuratoren und -kuratorinnen - als "Ideengeber, wie er es nennt - ins Haus holen, demnächst etwa Cristina Ricupero und Anne-Claire Schmitz; darüber hinaus arbeitet er künftig nur noch mit drei fixen Kuratoren.
Eine der Stellen besetzte Schafhausen bald nach Beginn seiner Direktorentätigkeit mit der Kunsthistorikerin Vanessa Joan Müller, einer langjährigen beruflichen Weggefährtin. Diese leitet nun eine - ebenfalls neu erdachte - "Abteilung für Dramaturgie. Wozu eine städtische Kunsthalle eine solche nötig hat? Schafhausen: "Mir ist aufgefallen, dass - nicht nur hier, auch in anderen Institutionen wie dem Belvedere oder der Nationalgalerie in Berlin - die unterschiedlichen Bereiche Marketing, Presse, die Abteilung für Begleitprogramme und andere zwar an denselben Projekten arbeiten, aber häufig unterschiedliche Sprachen sprechen. Die neue Einrichtung solle die einzelnen Aufgabengebiete der Kunsthalle besser verbinden.
Baute der 1965 geborene Kunsthistoriker auf kuratorischer Ebene ab, so stockte er die Kunstvermittlung auf, beabsichtigt diese überhaupt auf völlig neue Beine zu stellen. Spezifische Programme etwa für Teenager sollen entwickelt werden, so Schafhausen. "Wir laden Künstler ein, gemeinsam mit Jugendlichen in Gruppen zu 15 bis 20 Personen Projekte zu entwickeln. Was dabei geschieht, muss nicht deckungsgleich mit dem ästhetischen Interesse der Kunsthalle sein. Vielmehr soll es um eine künstlerische Produktion gehen, die für diese Altersgruppe eben spannend ist - etwa Street Culture oder Musik. Aus solchen Workshops sollen weitere Aktivitäten entstehen, ein Festival zur Kunst im öffentlichen Raum etwa.
Freilich lässt dergleichen eher an Sozial- als an Kunstprojekte denken. Doch mittlerweile verdichtete Schafhausen sein Ausstellungsprogramm: So plant er in den kommenden Jahren eine Personale des international bekannten, in Wien jedoch noch kaum präsentierten französischen Installationskünstlers Saâdane Afif, eine Solo-Show des Amerikaners Tony Conrad sowie zwei weitere Projekte: Die Schau "Über Obsessionen widmet sich Kollektionen von Künstlern, die alles Mögliche sammeln - "von Videoclips über Fetischobjekte aus Lateinamerika bis zu Designerhemden, so Schafhausen; die Ausstellung "Neue Wege, nichts zu tun dagegen beleuchtet jene Verweigerungshaltung, die Künstler "den Anforderungen des Kunstbetriebs entgegenbrächten - vor allem mit Werken aus den 1960er- und 70er-Jahren, aber auch mit aktuellen Positionen.
Bisweilen klingen Schafhausens Ausführungen etwas verpeilt, allzu abstrakt - und nicht immer ist sofort einschätzbar, ob seine Ideen nun eher absurd oder doch genial sind. Eines kann man ihm gewiss nicht vorwerfen: dass er das Risiko scheue - und dass er bruchlos an die Ära seines Vorgängers anknüpfe.