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Österreichs jüdische Journalisten bis 1938

Presse. Österreichs jüdische Journalisten bis 1938

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Von Bruno Kreisky, dem „Journalistenkanzler“, wollte ein Berichterstatter einmal wissen, warum jüdische Journalisten immer so viele Fragen stellten. Mit Kreisky ließ sich trefflich streiten, auch über die Kunst der harten Recherche, doch in diesem Fall merkte er die Absicht und war verstimmt. „Ist das denn so?“, gab er die Frage kühl zurück.

Wenn hierzulande von Juden im Journalismus die Rede ist, geschieht das nie unbefangen und selten offen. Lieblingscode auch der heimischen Politik ist die „Ostküste“, gemeint sind die jüdischen Journalisten etwa in der „New York Times“. Zuletzt echauffierte sich die damalige Außenministerin Benita Ferrero-Waldner über die „sehr, sehr harten Äußerungen in den Medien … der USA, vor allem der Ostküste“ anlässlich der Regierungsbildung der ÖVP mit der Haider-FPÖ im Jahr 2000.

Der Wiener Medienhistoriker Theodor Venus hat das bis heute in den Köpfen präsente Bild von der „Judenpresse“ zurückverfolgt: Es wurde ab den Tagen eingesetzt, in denen Juden gemeinsam mit Wiener Revolutionären 1848 für die Freiheit aller und die freie und damit moderne Presse kämpften. Als Erster verwendete der Pfarrer und Herausgeber der „Wiener Kirchenzeitung“, Sebastian Brunner, damals „Judenpresse“ als Synonym für eine schlechte, aufrührerische Presse. Gleichzeitig führte der Kirchenmann „Zeitungsjuden“ in seinen Schriften namentlich vor. Nach dem „Anschluss“ ­Österreichs 1938 druckten Zeitungen dann seitenweise Fotos jüdischer Journalisten, als „Visagen … aus dem Verbrecheralbum“.

Pioniere.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem österreichischen Erbe jüdischer Journalisten begann erst in den achtziger Jahren. Eine Datenbank mit ihren Namen soll heuer online gehen: Venus hat dafür bislang die erstaunliche Zahl von 2906 Journalisten jüdischer Herkunft zusammenzutragen, die in der Donaumonarchie von 1848 bis 1938 in deutscher Sprache publizierten. Einige von ihnen schrieben Deutsch – in hebräischen Lettern. Viele, wie die großen Feuilletonisten von Karl Kraus bis Joseph Roth, finden sich im „Handbuch österreichischer Autoren jüdischer Herkunft“ (Wien 2002). Manche, wie Kreiskys Großonkel Joseph Neuwirth, kennt die Fachwelt als Nationalökonomen, nicht aber als Journalisten. Andere, wie der erfolgreiche Leichtathlet Mauricio Diego Albala, sind als Pioniere der Sportberichterstattung vergessen: Albala gründete in Wien um 1900 das „Komité zur Veranstaltung von Fußballspielen“ und machte den Sport journalistisch populär. Weit über 500 Namen hat Venus in Archiven in Prag, in Budapest und in Czernowitz (Bukowina) neu entdeckt. Die Suche nach ihren Biografien steht am Anfang.

Nur jeder fünfte der beinahe 3000 Journalisten wurde in Wien geboren. Rund 1000 stammten aus dem Raum zwischen Böhmen und der Bukowina. Der Ausbruch aus dem engen traditionell jüdischen Umfeld machte viele zu Bündnisgenossen im aufbrechenden politischen Kampf um Freiheit und gleiche Rechte. Hanno Loewy, Medienwissenschafter und Leiter des Jüdischen Museums in Hohenems, spricht von „spezifischen Wahrnehmungsweisen einer durch die Diaspora geprägten Lebenswelt“.

Ohne den Blick über das heutige Österreich hinaus,* so Venus, sind Entwicklung und Bedeutung des jüdischen Journalismus nicht ermessbar. Allein die sechs großen liberalen Zeitungen in den Metropolen der Donaumonarchie – neben der „Neuen Freien Presse“ in Wien waren das vor allem „Das Prager Tagblatt“ und der „Pester Lloyd“ – beschäftigten mehr als 500 Redakteure jüdischer Herkunft.

Das Forschungsfeld der österreichischen Zeitungen und Zeitschriften und die Dy­namik von Neugründungen und Einstellungen zwischen 1848 und 1938 sind gewaltig.
* In der Donaumonarchie erschienen im Jahr 1848 an die 200 Tageszeitungen neu.
* 1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, waren im österreichischen Teil der Monarchie (ohne Ungarn) 4700 Periodika auf dem Markt.
* Wien hatte ab den Boomjahren der liberalen Presse um 1870 bis zum Beginn des Austrofaschismus 1934 ständig zwischen zwei Dutzend und 30 Tageszeitungen.

Journalisten jüdischer Herkunft – 185 von ihnen Frauen – waren in allen Genres, von Parteizeitungen bis zum Boulevard, vertreten. Mehr als 350 von ihnen hatten Chefredakteurs-Position. Unter ihnen waren alle drei Chefredakteure der „Arbeiter-Zeitung“ bis zu deren Verbot 1934: Victor Adler, Friedrich Austerlitz und Oscar Pollak.

Wichtiger als der Kaiser.
Über Moriz Benedikt, den Chefredakteur und Herausgeber der „Neuen Freien Presse“, schrieb der Korrespondent der Londoner „Times“: „Next to him The Emperor is the most important man in the country.“ Nach Benedikt sei der Kaiser der wichtigste Mann im Land. Leopold Lipschütz pushte als Chefredakteur die „Illustrierte Kronen-Zeitung“ ab ihrer Gründung im Jahr 1900 zur Massenauflage von bis zu 250.000 Stück. In der alten „Krone“-Redaktion waren laut Venus ab der Gründung insgesamt 25 Journalisten jüdischer Herkunft tätig. Als eine Art ersten Gewinnspiels ließ die damalige „Krone“ übrigens jedes Jahr arme Wiener Kinder ausstaffieren und von prominenten Paten zur Firmung führen, die „Krone“-Firmungen waren in der Stadt Publikumsmagneten.
Für die Qualitätsblätter begann mit dem Ende der Donaumonarchie der Abstieg. Der jüdische Journalist Gustav Stolper schrieb zu Beginn der zwanziger Jahre: „Die Presse des alten Österreich war eine Großmacht … Dass Wien noch eine so genannte große Presse hat, ist absurd. Die äußeren und inneren Wirkungsmöglichkeiten dieses Landes sind geschwunden. Die inneren Probleme dieses Landes sind von erquickender Bedeutungslosigkeit.“ Wie er unterschätzte auch Anton Kuh anfangs die beginnenden Manifestationen des Nationalsozialismus, Kuh tat sie 1922 als „furor rotzbubicus“ ab. Im März 1925 ermordete ein arbeitsloser Nationalsozialist den Journalisten und Autor des erschreckend visionären Romans „Die Stadt ohne Juden“, Hugo Bettauer.

Die Nürnberger Rassegesetze 1935 wurden von der „Neuen Freien Presse“ bagatellisiert: als „erster konstruktiver Versuch … zu einem erträglichen Verhältnis mit dem jüdischen Volksteil zu gelangen“. Am Abend des 13. März 1938 schrieb „Presse“-Redakteur Theodor Meysels in sein Tagebuch: „Die ersten Suspendierungen werden verlautbart. … Immerhin ist der Nichtarierprozentsatz von 90 auf 60 Prozent reduziert.“

Zwei Tage später notierte er den Selbstmord des begabten Feuilletonredakteurs Kurt Sonnenfeld. „Presse“-Mitarbeiter Paul Kisch, der Bruder des „rasenden Reporters“ Egon Kisch, wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Leopold Lipschütz von der „Illustrierten Kronen-Zeitung“ konnte kurz vor dem deutschen Einmarsch flüchten. Er wählte Anfang 1939 gemeinsam mit seiner Frau in Nizza den Freitod.

Mehr als 900 jüdische Journalisten dürften während des NS-Regimes vertrieben und mindestens 200 von ihnen in Konzentrationslager deportiert worden sein. Die Zahl der Ermordeten ist noch nicht bekannt. Dass mehr als 100 nach 1945 wieder nach Österreich zurückkamen, so mancher auch erst nach Jahren und Jahrzehnten, beschreibt Theodor Venus als eines der überraschenden Ergebnisse seiner Spurensuche.