Für die Ewigkeit?

Österreichs Museenlandschaft wird durch millionen­schwere Adaptionen umgekrempelt

Kunstbauten. Österreichs Museenlandschaft wird durch millionen­schwere Adaptionen umgekrempelt

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Ein hartnäckiges Klischee besagt, dass im hiesigen Kulturbetrieb Theater und Oper die weitaus bedeutendste Rolle spielen. Tatsächlich dotiert die österreichische Kulturpolitik Häuser wie das Burgtheater oder die Staatsoper fürstlich. Doch kein anderer Bereich erfährt momentan derartige Investitionsschübe wie die Museen: Seit Jahren wird allerorten umgebaut, renoviert, neu aufgestellt; auch der Eröffnungsreigen spektakulärer neuer Museumsbauten, der – etwa mit dem Kunsthaus Graz oder dem Lentos Kunstmuseum Linz – das kulturelle Geschehen der jüngeren Vergangenheit prägte, verspricht in Zukunft keineswegs abzureißen.

Geld fließt nicht nur in längst überfällige Vorhaben (wie die Neuaufstellung der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums oder den vergangene Woche bekannt gegebenen Umbau des Jüdischen Museums in Wien), sondern auch in Renovierungen, deren Sinnhaftigkeit bereits bezweifelt wird: Dass Kulturministerin Claudia Schmied der neuen Direktorin des Museums Moderner Kunst, Karola Kraus, satte 2,7 Millionen Euro für Café, Shop und die Sanierung der Böden zusagte, kritisierten nicht nur Medien, sondern auch Kollegen von Kraus, freilich hinter vorgehaltener Hand.

Abgesehen von derartigen Verschönerungsarbeiten soll in den kommenden Jahren in Österreich eine Vielzahl neuer Museen entstehen: Allein in der Hauptstadt sind ein Biedermeier-Museum sowie ein Literaturmuseum in Planung; das Wien Museum soll entweder einen Neubau bekommen oder eine Erweiterung – so zumindest die politische Absichtserklärung –, das legendäre 20er Haus beim Südbahnhof eröffnet neu, und sogar der Phantastische Realismus erhält museale Weihen: Im Palais Palffy richtete man der weitgehend unbedeutenden Kunstrichtung auf Privatinitiative kürzlich eigene Räumlichkeiten ein.

Auch in den Bundesländern gibt es Baustellen:
Das Vorarlberger Landesmuseum wird 2013 in einen spektakulären Neubau ziehen, und das steirische Joanneum wird in einem architektonisch aufgemotzten Gebäudekomplex neu aufgestellt. Somit werden in Österreich während der kommenden paar Jahre Hunderte Millionen Euro in Museumsvorhaben gesteckt – selbstverständlich zusätzlich zu den ohnehin fließenden Subventionen für den Betrieb der einzelnen Institutionen (siehe Kasten „Gespannte Situation“).

Für sich genommen ist freilich jedem einzelnen dieser zukünftigen Häuser seine Bedeutung kaum abzusprechen. Das neue Biedermeier-Museum etwa, das zum Liechtenstein Museum gehört, ist als Gesamtkunstwerk konzipiert. Das Wiener Innenstadtpalais der adeligen Familie, dessen Ausstattung über mehrere Epochen entstanden ist, wird sorgsam res­tauriert und einen beeindruckenden Einblick in den üppigen Aristo-Lifestyle des 19. Jahrhunderts geben: Holzböden aus dem Hause Thonet, Biedermeiermalerei von Josef Danhauser und Friedrich von Amerling sowie gigantische Luster mit viereinhalb Meter Durchmesser können dort in Zukunft bestaunt werden. „Wir versuchen, das einmalige historische Gesamtensemble wiederherzustellen“, erläutert Direktor Johann Kräftner. Freilich handle es sich dabei um „die größte restauratorische Herausforderung, die es in Wien seit Ewigkeiten gegeben hat“, bemerkt er. An derartigen „Period Rooms“, also Räumen, in denen Kunstobjekte aller Gattungen in originalgetreuem Ambiente zu besichtigen sind, herrschte­ in Wien bis dato Mangel, so Kräftner.

Fehlstellen.
Von der Notwendigkeit ihres neuen Museums ist auch Johanna Rachinger, ­Direktorin der Nationalbibliothek, überzeugt. „Ein Literaturmuseum fehlt einfach in Österreich, einem Land, das so viele bedeutende Autorinnen und Autoren aufzuweisen hat“, insistiert sie. Das Museum soll in drei Etagen des ehemaligen Hofkammerarchivs eingerichtet werden, eines Innenstadtgebäudes voller Patina: Die schönen alten Holzregale sollen zu Displays umfunktioniert werden; ebenso soll das hübsche Bürozimmer Franz Grillparzers, der einst das Archiv leitete, Teil des Museums werden. Dazu plant man Workshops und Lesungen sowie Literaturvermittlung für Schulen.

Wolfgang Kos
, Leiter des Wien Museums, hat seinerseits bereits recht detaillierte Vorstellungen von einer Neuaufstellung der Bestände. Allerdings harrt er noch der finalen politischen Entscheidung – eine fixe Zusage steht weiterhin aus. Wie seine Kollegen betont Kos die Dringlichkeit eines neuen Stadtmuseums. „Ein neues Wien Museum wird eines sein, in dem man der Stadt auf die Spur kommt – so etwas fehlt in Wien“, meint er.

Während Kos bereits im Frühjahr 2010 ein inhaltliches Konzept vorgelegt hat, plant man im 20er Haus, das vom Belvedere ­betrieben wird, recht kurzfristig: Erst vor wenigen Wochen wurden die beiden dafür zuständigen Kuratorinnen Bettina Steinbrügge und Cosima Rainer eingestellt; entsprechend steht ihr Programm für das Haus, das bereits am 20. September eröffnet werden soll, noch keineswegs fest – bis auf eine Ausstellung, die sich dem Umfeld und der Entstehungszeit des modernistischen Baus selbst widmen wird. Als fix gilt immerhin, dass der erste Stock mit einer permanenten Präsentation österreichischer Kunst ab 1945 aus Belvedere-Beständen bespielt werden soll, das Erdgeschoß mit wechselnden Ausstellungen und Projekten.

Diese Auswahl an Beispielen demonstriert:
Der politische Wille zum Errichten von Museen ist ungebrochen. Johann Kräftner analysiert: „Museen haben einen hohen Öffentlichkeitsgrad, eine hohe Akzeptanz. Da kann man als Politiker kaum etwas falsch machen, wenn man nicht ganz dumm ist.“ Auch der deutsche Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich meint: „Zunächst ist ein Museum ein Prestigeobjekt: Man stellt ­einen schönen Bau hin, und irgendein Bürgermeister oder Kulturstadtrat kann seinen Namen dort verewigen“.

Tatsächlich besteht das Kerngeschäft jedes Museums seit jeher darin, einen gewissen Anspruch auf Ewigkeit zu erfüllen: Die drei allgemein anerkannten Aufgaben dieser Institution – Sammeln, Bewahren und Forschen – zielen auf Beständigkeit ab; dar­in unterscheidet sich die Spezies Museum von flüchtigeren Ausdrucksformen wie Theaterabenden, Konzert- oder Filmfestivals. Ullrich verweist auf den Vergleich der Museen mit Friedhöfen – dieser mag zynisch klingen, trifft aber zu.

Stadtmarketing.
Nicht allein solchen Vorstellungen ist der anhaltende Museumsboom freilich zuzuschreiben. Auch die Bedeutung der Häuser für das Stadtmarketing ist nicht unbeträchtlich. Norbert Kettner, Chef von Wien Tourismus, erläutert im Branchenjargon: „Für die Destinationsmarke Wien sind die Museen einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren.“ 71 Prozent der Gäste gaben in einer Studie die Kultur als einen Hauptgrund für ihre Wien-Reise an. Während 69 Prozent der Befragten Museen und Ausstellungen besuchten, nahmen nur knapp 30 Prozent andere Kulturangebote wahr, so Kettner, der freilich darauf hinweist, dass Theater- und Konzertveranstaltungen etwa nicht so spontan besucht werden können wie Museen – schließlich müsse man sich da erst um Termine und Tickets kümmern. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass in Wien 2009 unter den 15 bestbesuchten Wiener Sehenswürdigkeiten neun Museen lagen, allen voran die Albertina.

Bei aller Euphorie über die neu entstehenden Präsentationsorte für Kunst und Kultur muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass es mit deren Errichtung allein nicht getan ist. Johanna Rachinger etwa beziffert die laufenden jährlichen Zusatzkosten für das Literaturmuseum auf etwa 850.000 Euro – um diesen Betrag müsse das Kulturministerium seine Basisabgeltung erhöhen, mahnt sie. Belvedere-Chefin Agnes Husslein fordert für das 20er Haus eine zusätzliche jährliche Dotierung von gleich fünf Millionen Euro – angesichts der Summe von 6,9 Millionen, die das Belvedere aktuell erhält, ein nicht gerade realistischer Anspruch. „Wir haben eine geringere Basisabgeltung als das Mumok oder das Museum für Angewandte Kunst; und schließlich entsteht hier ein neues Museum“, argumentiert Husslein. Um vorerst Geld freizuschaufeln, hat sie im laufenden Jahr Projekte zurückgeschraubt – fünf Ausstellungen wurden gestrichen oder verschoben. Joanneums-Direktor Peter Pakesch fürchtete bereits im Vorjahr Engpässe aufgrund drohender Budgetkürzungen bei gleichzeitiger Verdoppelung der Ausstellungsflächen seines Hauses.

Zusatzkosten. Auch der Betrieb des Biedermeier-Museums wird beträchtliche Summen erfordern; die Höhe der jährlichen Dotierung verhandelt Kräftner mit dem Fürstenhaus Liechtenstein, das die Restaurierung fast zur Gänze finanziert. Wolfgang Kos dagegen glaubt nicht, dass die Zusatzkosten für ein neues Wien Museum unüberschaubar sein werden; schließlich könne man dann höhere Einnahmen erzielen, nicht nur mit Eintrittsgeldern, auch mit Vermietungen. Dennoch: Um höhere Subventionen wird die Kulturpolitik – national wie regional – nicht herumkommen. Mit einer Erhöhung der Kulturbudgets kann man in sparfreudigen Zeiten freilich kaum rechnen.

Ullrich vermutet, dass weniger erfolgreiche Museen über kurz oder lang wieder geschlossen werden müssen – eine düstere Prognose. Angesichts des dramatischen Anstiegs an Ausstellungsflächen in Österreich bei vermutlich auch künftig mehr oder weniger stagnierenden Geldern ist sie nicht ganz von der Hand zu weisen.

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer