Josef Pröll in Israel

ÖVP und Israel: Eine Premiere in vielerlei Hinsicht

ÖVP & Israel. Eine Premiere in vielerlei Hinsicht

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Jerusalem solle ja ein Kraftfeld sein, verkündete Josef Pröll am Dienstag vergangener Woche auf dem Weg nach Israel, die kleine Maschine voll belegt bis zum Notsitz in der Pilotenkabine. Erstaunte Gesichter. Welche Klischees mochten in Prölls Kopf umhergeistern, was würde er in Yad Vashem tun und lassen, was würde er sagen, der Bauernsohn aus Radlbrunn?

Doch es waren durchwegs wohlwollende Blicke. Prölls kleine Delegation bestand aus dem Präsidenten der jüdischen Kultusgemeinde in Wien, Ariel Muzicant; der Generalsekretärin des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus, Hannah Lessing; der designierten Direktorin des Jüdischen Museums, Danielle Spera, und deren Ehemann, dem Psychoanalytiker Martin Engelberg; dem Leiter des Centropa-­Instituts, das jüdische Familiengeschichten aus Mittel- und Osteuropa dokumentiert, Edward Serrota. Quasi ein Familienausflug, in dem sich Pröll und seine Experten aus dem Finanzministerium erst einmal wie ein Fremdkörper ausnahmen.

Spektakuläre Treffen standen nicht auf der Tagesordnung, kein Besuch in den besetzten Gebieten, doch Termine mit Symbolgehalt, wenn man bedenkt, dass erst zwei Parteiobmänner der ÖVP offiziell in Israel gewesen waren: Erhard Busek im Jahr 1994, der Kardinal König im Schlepptau hatte, und Außenminister Wolfgang Schüssel im Jahr 1997, der sich mit Arbeitsgesprächen zugepflastert hatte. In den ersten beiden Jahren der schwarz-blauen Koalition waren österreichische Regierungsmitglieder nicht willkommen, doch auch später, als sich die Lage entspannte und mehrere ÖVP-Minister nach Israel reisten, Regierungschef Wolfgang Schüssel war nicht dabei. Die schwarz-blauen Jahre waren auch schlecht fürs ­Geschäft. Allmählich geht es in der österreichisch-israelischen Handelsbilanz wieder aufwärts.

Achtung Hakenkreuze.
Pröll ist so gut wie jeder Österreicher ein Novize, was jüdisches Leben, israelischen Alltag und Pioniergeist betrifft. Schwer beeindruckte ihn im Gespräch mit seinem israelischen Amtskollegen, Finanzminister Yuval Steinitz, dass israelische Unternehmen heute an zweiter Stelle an der US-Technologiebörse Nasdaq stehen. Auch die Frage, ob ein koscheres Steak nicht ein bisschen blutig sein darf, stieß auf sein Interesse. Engelberg meinte ironisch, im Einzelfall sei das eine Verhandlungssache mit dem Rabbinat, seiner Erfahrung nach seien koschere Steaks umso saftiger, je weiter entfernt von Jerusalem sie serviert würden. Ariel Muzicant ließ es sich nicht nehmen, auf der Terrasse des King-David-Hotels die Topografie Jerusalems zu erklären, die Geschichte einer Stadt, die einmal eine der kosmopolitischsten kleinen Städte der Welt war und deren jüdische, ­arabische und moslemische Viertel im Laufe der Zeit unter wechselnder Herrschaft plattgewalzt und wieder aufgebaut worden waren. Nicht zu vergessen die exzessive Bautätigkeit der Israelis im Ostteil der Stadt, um Fakten zu schaffen.

Am zweiten Tag wurde Pröll mit dem österreichischen Anteil an der Geschichte konfrontiert. Etwa am Grab von Theodor Herzl, dem Österreicher, der nach seinen Erfahrungen mit dem antisemitischen und christlichsozialen Demagogen Karl Lueger zum Schluss kam, nur ein eigener Staat für die Juden könne das Übel des Antisemitismus ausmerzen.
Oder in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, obligatorischer Programmpunkt jedes offiziellen Besuchers. Kameras blitzten, israelische Fotografen drängten nach vorn, als Pröll einen Moment lang vor Hakenkreuzfahnen verharrte, ehe er von seinem Pressesprecher geistesgegenwärtig weitergezerrt wurde. Nachdenklich wurde Pröll, als er das rekonstruierte Wohnzimmer eines assimilierten deutschen Juden betrat: Die Bibliothek voller Bände mit Goethe und Schiller, Bilder an den Wänden, ein gediegener Bürgerhaushalt.

Yad Vashem zeigt die Vernichtungsmaschinerie in Bildern und Filmen, Fotoalben aus Auschwitz, fein säuberlich geklebt von einem SS-Mann, Foto-Souveniere aus dem Warschauer Ghetto – Judensterben schauen. Bei einer Aufnahme in Riesenformat zuckte Pröll zusammen, als stünde er selbst im Fadenkreuz. Es zeigt einen SS-Mann, der sein Gewehr aus nächster Nähe an eine Frau mit ihrem Kind im Arm anlegt. Die Biografien von KZ-Wächtern, immer wieder bekannte Namen – Österreicher. Dann ein Gang durch ein Universum mit brennenden Lichtern – wie sich Kinder so den Himmel vorstellen – und eine Stimme, die die Namen der ermordeten Kinder rezitiert. Ziemlich mitgenommen trat Pröll aus dem Children Memorial wieder ans Tageslicht. „Ein Wahnsinn“, stammelte er, sprachlos geworden. Dann die Kranzniederlegung in der Halle der Erinnerung, wo man sich immer noch daran erinnert, dass ein Österreicher – es war Kurt Waldheim in seiner Zeit als UN-Generalsekretär – verweigert hatte, bei diesem Anlass eine Kippa aufzusetzen.

Ins Gästebuch von Yad Vashem schrieb Pröll, dass man der bitteren Wahrheit ins Auge sehen müsse, dass Österreicher an der Vernichtung der Juden beteiligt waren sowie auch Österreicher ermordet wurden. Nach dem ebenfalls obligatorischen Besuch im katholischen Österreichischen Hospiz tauchte Pröll in das Gedränge der Grabeskirche ein, wo angeblich jene Stellen zu besichtigen sind, an denen Jesus gekreuzigt, bestattet und in den Himmel gefahren war. An hohen Feiertagen kommt es hier immer wieder zu heftigen Streitereien zwischen den verschiedenen Vertretern christlicher Strömungen, die israelische Sicherheitskräfte bändigen müssen. Besonders ergriffen wirkte Pröll hier nicht. „Zu viel Betrieb für Einkehr, eine Touristenprozession“, sagte er.

Zwei Rabbiner begleiteten ihn zur Klagemauer, dem westlichen Wall des vor 2000 Jahren zerstörten zweiten Tempels, wo sich Pröll einen Augenblick der Ruhe erbat und, dem Brauch folgend, sich etwas wünschte.

Für fromme Juden ist das die heiligste Stätte auf Erden, an der sie erst seit dem Sechs-Tage-Krieg wieder ungestört beten können, während der Bau in der islamischen Welt als bloße Stützmauer der al-Aqsa-Moschee gilt. Hier könne man einen Sinn für Relativismus und Toleranz entwickeln, sagte Pröll später. Ein Israel-Aufenthalt sei dafür besonders heilsam.

Eine Überraschung auch das nächtliche Clubbing in der Residenz des österreichischen Botschafters in Tel Aviv. Zum Ärger der Nachbarn und zum Entzücken der Enkel ehemals vertriebener Österreicher – und des ältesten Pröll-Sohns, der zum Geburtstag ein Flugticket vom Papa bekommen hatte – wurde hier zu Techno-Beat abgetanzt.

Selbstbewusst in fließendem Englisch befragten am dritten Tag der Reise Schüler des Herzliya Hebrew Gymnasiums Pröll zu seiner Haltung zu rechtsextremen Strömungen in Europa und der Gefahr der iranischen Atombombe – ein Thema, das zuvor schon beim Treffen Prölls mit dem israelischen Präsidenten Shimon Peres eine Rolle gespielt hatte. Besonders angekreidet wurde Pröll, dass der iranische Präsident Ahmadinejad in Wien empfangen worden war.

Am Ausgang der Reise verschlug es Pröll noch einmal die Sprache. Eine Rede vor Pensionisten, die einst aus Österreich vertrieben worden waren und nun die dargebotenen Schubert-Lieder und Mozart-Arien mitsummten, musste Pröll vorzeitig beenden, weil ihm die Stimme versagte. „Da hat’s mich g’habt“, gestand er auf dem Rückflug. „Was da an Größe notwendig ist, um zu verzeihen, und wie groß die Liebe zur Heimat sein muss … überhaupt“, sagte er und schaute angestrengt aus dem Fenster.

Freilich haben die Alten ihn pfleglich behandelt.
Ihr Präsident Gideon Eckhaus hätte auch wütend darauf hinweisen können, dass österreichische Juden lange Zeit keinerlei Unterstützung aus Österreich bekamen und auch jetzt noch wesentlich weniger als deutsche Holocaust-Opfer. Eckhaus tat es, höflich. Prölls Mitarbeiter hingegen wurden von charmanten alten Damen belagert, die wissen wollten, ob sie ihre ersparten Euros nun wechseln sollten oder zuwarten.

Skurril das Gastgeschenk für Pröll an der letzten Station, in Sderot, der Grenzstadt zu Gaza: eine Blume aus Metall, geschmiedet aus Trümmern von Kassam-Raketen, die bisweilen herüberkommen.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling