Schadensregulierung

ORF. Das denkmalgeschützte Gebäude am Küniglberg wird vermutlich generalsaniert

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Allmählich macht sich Panik breit. Die mentale Führungskrise am Küniglberg entspricht dem Zustand des Gemäuers. Im Haupttrakt des ORF-Zentrums am Küniglberg wurden Gebäudeschäden festgestellt und rund 600 ORF-Angestellte, das ist fast die Hälfte der Belegschaft, aufgefordert, in den kommenden Wochen ihre Umzugskartons zu packen. Im Frühjahr sollen sie für unbestimmte Zeit in ein Ausweichquartier umgesiedelt werden. Man sucht nun Containerbüros. Betroffen sind Mitarbeiter der Rechtsabteilung, der Buchhaltung, der Personalverrechnung, des Controllings, des Einkaufs und der Verwaltung, all jene, die nicht direkt in die Produktion eingebunden sind. Der Rest soll zusammenrücken.

"Die Korrosion ist weit fortgeschritten, aber nicht in bedenklichem Ausmaߓ, heißt es im schriftlichen Bericht des ORF-Generaldirektors Alexander Wrabetz, der den Stiftungsräten in der Sondersitzung am Freitag vergangener Woche vorgelegt wurde. Es sei erforderlich, alle Büros im Haupttrakt auszuräumen und die Zwischendecken abzuhängen. Es existiere "unmittelbarer Handlungsbedarf“. Insgesamt entspreche das Gebäude nicht den heute geltenden Sicherheitsvorschriften bei Erdbeben; in bisher nicht zugänglichen Bereichen, die bei Sanierungsarbeiten freigelegt werden, sei Asbest zu vermuten. Doch seien "massivere“ Sanierungsarbeiten erst dann vorzunehmen, wenn eine endgültige Entscheidung über den Verbleib am Küniglberg oder einen Neubau im Mediencenter St. Marx im dritten Wiener Gemeindebezirk gefallen ist.

Der Ernst der Lage ist nicht ganz klar.
Der Bericht hat die Stiftungsräte ratlos zurückgelassen. Im Vergleich zum Umbau des Parlaments, auf dessen Homepage jeder Staatsbürger Kostenvoranschläge und Gutachten einsehen kann, herrschen selbst im Aufsichtsrat des ORF über den Zustand des Gebäudes nur vage Vermutungen.

Im Grunde beruft sich auch die jüngste Expertise auf ältere Gutachten, die aus den Jahren 2006 und 2007 stammen. Schon damals wurde festgestellt, dass bis 2011 laufende Instandsetzungsarbeiten nötig seien, ab 2012 jedoch mit einer gröberen Sanierung zu rechnen sei. In den Wochen vor Weihnachten entdeckte man, dass aufgrund der im Inneren des Gebäudes vorhandenen Luftfeuchtigkeit, aber auch wegen Regenwassers, das durch offene Silikonfugen an den Fenstern eindringt, die Korrosion an einem Tragwerk größer war als vermutet. Ob auch andere Stellen davon betroffen sind, wird sich nach Räumung der Büros weisen. Die Überprüfung sei weitgehend "russisch“ abgelaufen, heißt es im Haus: nicht systematisch und kaum mit dem nötigen Sachverstand. Im laufenden Budget ist für die dringendsten Sanierungsarbeiten - nach Hörensagen - eine Summe von 15 Millionen Euro projektiert. Das wird jetzt wohl teurer werden.

Das politische Gezerre um den Standort des ORF geht bereits ins vierte Jahr. Die Wiener Stadtregierung mit Bürgermeister Michael Häupl an der Spitze hat ihr Interesse an einem Umzug des ORF und einem Neubau in ihrem Medienzentrum in St. Marx nie verhehlt. "Der ORF soll von St. Marx aus senden“, propagierte die Wiener SPÖ in ihrem Wahlprogramm von 2010. Eine Option für ein Grundstück in St. Marx hat der ORF im vergangenen Juli erworben, wenige Tage vor Wrabetz’ Wiederwahl. Ein halbes Jahr noch bleibt der Baugrund für den ORF reserviert.

Doch die Chancen auf einen Neubau, dessen Kosten auf 400 Millionen Euro geschätzt werden, schwinden. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten für künftige Werbeeinnahmen, mit einer geschwächten ORF-Chefetage und massiven Vorbehalten des Betriebsrats ist das Vorhaben schon jetzt so gut wie tot.

Der ORF wird sich neu erfinden müssen, aber nicht in einem neuen Haus. Mitte der fünfziger Jahre gab es in Österreich etwa 1000 angemeldete Fernsehapparate, das erste Fernsehstudio war in einem Klassenzimmer in einer Schule in Meidling untergebracht. Als 1968 der Bau des ORF-Zentrums am Küniglberg in Angriff genommen wurde, waren es schon Hunderttausende, und die gesellschaftlich bedeutendste Zeit des ORF war angebrochen. In den Worten des damaligen Generalintendanten Gerd Bacher gehörte der ORF "zu den Grundelementen der öffentlichen Versorgung - wie Bahnen, Straßen, Wasser und Elektrizität“. Man müsse sich "auf den Rundfunk als Instrument zur Bewältigung des täglichen Lebens so selbstverständlich verlassen können, wie man sich ja auch nicht wundert, wenn die Glühlampe leuchtet“, sagte Bacher.

Nach den Plänen von Roland Rainer, Architekt der Wiener Stadthalle und Mastermind der Wiener Stadtplanung, wurde das ORF-Zentrum mit einer Nutzfläche von 150.000 Quadratmetern auf dem Ruinenfeld einer kriegszerstörten Kaserne, mit guter Verkehrsanbindung an die Westautobahn, billig und schnell hochgezogen. Der Bau brachte "nicht sich selbst, sondern die neue Fernsehwelt zur Geltung“, sagt der Architekturkritiker Jan Tabor. Es war eine Demonstration gegen die übliche "Verpackungsarchitektur“. Unverhüllte, vorfabrizierte Betonstahlträger wurden eingesetzt, die Leitungen sichtbar geführt; die Modulbauweise erlaubt es heute noch, mit geringem Aufwand sowohl kleine Zellen also auch Großraumbüros herzustellen. Anders als in den meisten klimatisierten Räumen können die Fenster geöffnet werden. "Psychologisch war es nötig, den Mitarbeitern des Betriebs, die inmitten einer isolierten technischen Apparatur der Studios, Regieplätze, Schneideräume vielfach ohne Tageslicht eine empfindliche und verantwortungsvolle Arbeit leisten, leicht erreichbaren Aufenthalt im Freien und Ausblick ins Grüne oder in die weite Landschaft zu bieten“, erklärte Rainer sein Werk.

Die Bedingungen haben sich seitdem geändert. Die technischen Geräte sind kleiner geworden, der Raumbedarf des Einzelnen ist größer. Wer nicht gerade in der unmittelbaren Umgebung in Hietzing wohnt, stöhnt unter den langen Anfahrtszeiten.

Mit der Bedeutung des ORF ist auch der einstige Stolz auf das Gebäude verloren gegangen. 2007 wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Diverse Anbauten und Instandsetzungen haben es nicht schöner gemacht. An einigen Stellen findet man eine außen angebrachte Wärmedämmung, die Blasen wirft und die Proportionen stört. Jürgen Radatz, Architekt und früherer Mitarbeiter von Rainer, kritisiert, dass die in der Architektur angelegte Flexibilität des Hauses nicht ernst genommen und mit der Instandsetzung bisher schludrig umgegangen wurde.

In der Geschäftsführung des ORF herrscht zurzeit kein einheitlicher Wille, was damit geschehen soll. Dem Betriebsrat des ORF wäre es am liebsten, das Gebäude würde generalsaniert und auch die anderen ORF-Standorte - etwa der Hörfunk in der Argentinierstraße - blieben in ihren Häusern. "Ein Neubau birgt die große Gefahr von Ausgliederungen und Personalabbau“, sagt Zentralbetriebsrat und Stiftungsrat Gerhard Moser.

Der Anwalt und grüne Stiftungsrat Wilfried Embacher sagt, er sei in der Grundsatzfrage - auf dem Küniglberg bleiben oder gehen - "neutral“.

Für einen Teil der Stiftungsräte - quer durch die Parteien - ist allerdings die Entscheidung insgeheim schon gefallen. Der Sprecher der ÖVP-nahen Stiftungsräte, Franz Medwenitsch, meint etwa: "Es macht keinen Sinn, 500 oder 600 Mitarbeiter abzusiedeln, sie dann wieder anzusiedeln, um sie wenig später umzusiedeln. Das widerspricht jeder Logik und ist auch den Leuten nicht zumutbar.“

Im Stiftungsrat vergangene Woche wurde die Entscheidung über die Zukunft des Küniglbergs ein weiteres Mal aufgeschoben. Bis zur Sitzung im Februar.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling