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Zum Tod von Otto Mühl: Wie sich Künstlerkollektive abschotten

Otto Mühl. Seit dem 19. Jahrhundert schotten sich Künstlerkollektive von ihrer Umwelt ab

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Mühls Kommune in der burgenländischen Einöde war nicht der erste Versuch, Kunst und Leben im Kollektiv zu vereinen. Ausgerechnet der sittenstrenge und erzkatholische „Lukasbund“, den enttäuschte Studenten der Wiener Akademie der Bildenden Künste 1809 gründeten, kann als ein Vorläufer vom Sozialexperiment des Aktionisten betrachtet werden: Die Nazarener, wie sie später genannt wurden, verband nämlich nicht nur ihre gemeinschaftliche künstlerische Arbeit – so malten Friedrich Overbeck, Wilhelm Schadow und ihre Mitstreiter einen Freskenzyklus in der römischen Casa Bartholdy –, sondern auch ihre Wohn- und Atelieradresse: Sie residierten, weitgehend abgeschottet von der Umwelt, in dem leerstehenden römischen Kloster Sant’Isidoro, wo sie einen mönchischen Lebensstil pflegten.

„Aktionsanalytische Organisation“

Später erlebten Künstlerkolonien einen regelrechten Hype: Wie der Politikwissenschafter Klaus von Beyme in seinem Buch „Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905-1955“ notiert, sollen in Europa zwischen 1830 und 1910 etwa 3000 Künstler in über 80 Künstlerkolonien gelebt haben – bekannt sind jene von Worpswede (berühmteste Vertreterin: Paula Modersohn-Becker), von Pont-Aven (in der Paul Gauguin zeitweise ansässig war) oder die Mathildenhöhe in Darmstadt, die der spätere Erbauer der Wiener Secession, Joseph Maria Olbrich, 1899 gründete. Man pflegte ein gemeinsames künstlerisches Ideal und zog sich zu dessen optimaler Umsetzung zumeist in die Einsamkeit der Natur zurück.

Analog zur Mühl-Kommune versuchten sich frühe Künstlerkolonien, um Einkünfte zu generieren, an landwirtschaftlicher Arbeit – was sich meist als wenig erfolgreich erwies. Aussteigergemeinschaften mit lebensreformerischem Hintergrund, wie sie zuletzt der Schriftsteller Christian Kracht in seinem Roman „Imperium“ beschrieb, waren zu jener Zeit ebenso en vogue, und häufig spielten Künstler dabei wichtige Rollen – etwa am Schweizer Monte Verità, auf dem wichtige Kräfte der Avantgarde wie Sophie Taeuber-Arp, Hugo Ball, Marianne von Werefkin oder Alexej von Jawlensky zugegen waren. In Wien gründete 1897 der Maler und Lebensreformer Karl Wilhelm Diefenbach eine Kommune, in der Nudismus und Naturverehrung kultiviert wurden. Kunsthistorikerin Claudia Wagner, die 2011 eine Ausstellung über den Guru in der Wiener Hermesvilla kuratierte, erklärte damals in einem Interview: „Der Charakter seiner Kommune erinnert in Teilen eher an eine Sekte mit einem vorstehenden Guru, der seinen Schülern die Regeln diktiert.“ Die Parallelen zu Otto Mühls „Aktionsanalytischer Organisation“ liegen auf der Hand.

+++ Diktatur der Befreiung: Zum Tod von Otto Mühl +++

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer