Rainer Nikowitz

Partisanen-Party

Partisanen-Party

Drucken

Schriftgröße

Der hagere Mann schaute sich fahrig um und schnippte dann mit einer geübten Bewegung ein Beruhigungsmittel-Generikum in seinen Mund.
Er hatte auf dem Weg zum Treffpunkt nur schummrige Seitengassen benützt. Er war in eine Peepshow hineingegangen und hatte sie sofort wieder durch die Hintertür verlassen – obwohl gerade die tabulose Tanja dran war. Und er hatte sich für die letzten 200 Meter seine Schuhe – unwiderstehliche Italiener, die er recht günstig bekommen hatte und die sein Überbein an der rechten Ferse umschmeichelten wie Werner Faymann Josef Pröll – verkehrt herum angezogen. Selbst der gewiefteste Fährtenleser, der in Niederösterreich dem Waidwerk nachging, musste an ihm verzweifeln.

Er war sich absolut sicher, dass ihm niemand gefolgt war. Also klopfte er wie vereinbart sechsmal (für jedes der goldenen Jahre einmal) an die – bis auf ein Foto von Andreas Khol, unter dem stand: „Hier wache ich!“ – unscheinbare Tür des Souterrainlokals. Von drinnen schnitt eine scharfe Stimme durch die wurmstichigen Holzbohlen. „Parole?“ „Pensionsreform“, flüsterte der hagere Mann. Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, durchzuckte ihn kalter Schrecken. Aber es war zu spät. „Ein Spion“, rief die Stimme hart. „Bringt sofort ein Gegengeschäft in Stellung!“ „Nein, bitte nicht!“, antwortete er entsetzt. „Ich weiß nicht, wo ich mit meinen Gedanken war! Die Parole heißt natürlich: Pensionssicherungsreform!“ Nach einer kleinen Ewigkeit hörte er, wie sich ein Schlüssel quietschend im Schloss drehte. Der Alte lugte misstrauisch hinter der Schulter von Liesl Gehrer, der „großen Pause“, wie sie nunmehr in ihren Kreisen in Erinnerung ihrer Verdienste um das österreichische Schulwesen genannt wurde, und die er wie immer bei konspirativen Treffen klug als menschliches Schutzschild benützte, hervor. „Ah, du bist es“, sagte er, ohne sich anmerken zu lassen, dass er sich über das Kommen des Steirers freute. „Dann können wir ja endlich anfangen.“

Der Steirer trat ein und klopfte sich den kleinen Rest von rot-weiß-rotem Staub, der von einem vor langer Zeit erfolgten Schulterschluss übrig geblieben war, aus dem Mantel. Der kleine Raum wurde nur durch eine Madonnenstatue, die abwechselnd rosa und türkis aufleuchtete, erhellt. Es war nicht einfach zu erkennen, wer heute gekommen war. Hinten in der Ecke, das war zweifellos Big Uschi – so lautete ihr Kampfname, seit sie alle im Untergrund waren. Er erkannte sie im Halbdunkel vor allem an den Spiegeleiern auf ihren Turnschuhen. Auf Uschi konnten sie sich verlassen. Sie war immer so loyal zum Alten gestanden, dass sie ihm während der Sommermonate stets Schatten gespendet hatte. Langsam erkannte der Steirer auch die anderen. Andi „Gobi“ Khol, Willi „Es reichte nicht“ Molterer. Direkt neben der flackernden Madonna saß die Gräfin und spielte gedankenverloren mit ihrer Perlenkette. Sie war es auch, die die Sitzung eröffnete.

„Bei mir war schon wieder eine Hausdurchsuchung“, sagte sie tonlos. „Und? Haben sie was gefunden?“, erwiderte der Alte kalt. „Unsere Liederbücher“, sagte die Gräfin. „Verdammt!“ Der Alte verzog das Gesicht. Wenn sie die Liederbücher hatten, war es zu den Fotos vom Regierungsausflug zu den Marchfeldschlössern nicht mehr weit. Sie mussten einfach besser auf der Hut sein. „Gibt’s was Erfreuliches auch? Was sagt Brüssel?“ Big Uschi hörte auf, ihr Spiegelei zu salzen. „Brüssel sagt leider nichts. Der Einzige, der wegen der großen Koalition zu Sanktionen bereit ist, ist Berlusconi.“
Der Alte seufzte. Da konnte man ja glatt zum Anti-Europäer werden.
„Und in der anderen Sache?“ Big Uschi schüttelte bedauernd den Kopf. „Auch nichts. Barroso will nicht zu deinen Gunsten zurücktreten.“ Es waren schwierige Zeiten, fürwahr. Man hatte ihm das Land genommen. Man hatte ihm die Partei genommen. Man zog die Zeiten seiner strahlenden Regentschaft in den Dreck. Aber seine Getreuen standen nach wie vor zu ihm. Mit ihnen an der Seite würde es ihm schon gelingen, jenen minderwertigen Figuren, die sich auf seinen Sesseln im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Zentrale breitgemacht hatten, das Leben zur Hölle zu machen.

„Welche Guerilla-Attacken sind in der nächsten Zeit geplant?“ Der Steirer hob die Hand. „Ich werde meine Parlamentsrede zur 73. ASVG-Novelle dazu verwenden, den Kanzler ‚Schöpfung der Krone‘ zu nennen.“ Der Alte bebte vor Vergnügen. „Ausgezeichnet. Und so originell. Was noch?“ Andi Khol grinste breit: „Ich male dem Pröll auf dem Plakat vor dem Innsbrucker Hauptbahnhof morgen in der Nacht einen Molterer-Bart auf!“ Auch das war eine hervorragende Variante der außerparlamentarischen Opposition, wie alle fanden. „Und wie wär’s mit einer Donnerstags-Demo?“, warf schließlich die große Pause ein. Als sie sich an diesem Abend trennten, war der Alte guter Dinge. Die Schlinge zog sich immer enger. Nur dass Willi Molterer den ganzen Abend lang nichts gesagt hatte, zu keinem Einsatz im Dienste seines Herrn bereit war, goutierte der Alte gar nicht. Schließlich hatte ihm Willi ja einiges zu verdanken. Wenn nicht alles.