Rede zur Verleihung des Nestroy-Preises 2011

Peter Turrini: Rede zur Verleihung des Nestroy-Preises 2011

Nestroy-Preis. Raimundtheater 14. November 2011

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Sehr geehrte Menschen! Liebe Freunde!

Selbstverständlich freue ich mich über diesen Preis und wenn man halbwegs bei Trost ist, weiß man, daß man ihn nicht nur sich selbst zu verdanken hat, denn das Theater ist eine gemeinsame Kunst. Es gibt die Szenenmacher und die Spielenden, die Lichtmacher, die Kostümemacher, die zumeist Macherinnen sind und es gibt Leute wie mich, welche die Worte und die Sätze machen. Seit fünfzig Jahren, wenn man die stümperhaften Anfänge einrechnet, errichte ich Wortbrücken und Satzbauten und ich gerate zunehmend in Wut, wenn ich erlebe, wie der Beitrag des Dramatikers immer mehr entwertet und verunstaltet wird.

Ich habe nichts gegen Striche innerhalb eines Textes, ich diskutiere gerne über jedes geschriebene Wort, ich bin nicht der Meinung, daß meine szenischen Vorstellungen verbindlich sind und ich teile auch nicht die Ansicht meines geschätzten Kollegen Daniel Kehlmann, der die ständige Schreierei auf den Bühnen nicht mehr aushält. Wenn sie müssen, sollen sie. Regieführen ist ein eigener Beruf und ich will niemanden an seiner Berufsausübung hindern.

Ich lasse mir allerdings meinen Beruf auch nicht nehmen. Wenn jeder am Theater, der einen Bleistift halbwegs fest in der Hand halten kann, in die Stücke hineindichtet, was ihm so einfällt, hineincollagiert, was ihm so gefällt, dann schreie auch ich auf. Was glauben Sie, wie oft ich in den letzten Jahren den Satz gehört habe, dieses oder jenes Stück sei einigermaßen in Ordnung, aber man müsse es noch nach Kräften umschreiben. Möglichst in Abwesenheit des Autors.

Die ersten Opfer dieser Anmaßung sind junge Autoren. Sie lassen alles mit sich machen, weil sie froh sind, daß sie überhaupt gespielt werden. Sie könnten sich wenigstens wehren, die Toten können das nicht.

Vor allem deutschen Regisseuren muß ein böser Theatergeist eingeredet haben, ihre alltagssprachlichen Ausrufungen wie „Mensch, hör mal“ oder „Ist doch Kacke“ würden sich neben klassischen Worten durchaus ebenbürtig ausnehmen. Seitdem werden Abgänge auf unseren Bühnen grundsätzlich mit „Tschüߓ kommentiert, egal ob man gerade eine Liebesszene oder einen Mord hinter sich gebracht hat. Wenn Sie glauben, ich würde übertreiben, dann lesen Sie die Stückankündigungen für die nächste Saison. 90 Prozent der Stücke kommen nicht einmal annähernd so vor, wie sie geschrieben wurden. Aus dem Stück „Die Räuber“ wird „Räubern“, aus „Hamlet“ ein „Hamletsein“, aus „Lulu“ ein „Lululeben“, verfaßt von Frederic Gimpfel. Wedekind kommt nur noch am Rande vor.

Was ist da los? Einer fängt mit dieser Hinein- und Umschreiberei an und fast alle folgen ihm. Ich habe selten so viele Individualisten im Gleichschritt gesehen, bei ihrem Marsch auf die vermeintliche Höhe der Zeit.

Sitzen in den Regie- und Dramaturgiestuben Zwergwüchsige, peitschenschwingende Jockeys, die jedem Autor auf den Rücken springen und auf ihn einschlagen müssen, bis er in die Knie geht und seine Sprache jenes Minimalmaß erreicht, welches einem Jockey das Gefühl von Augenhöhe vermittelt? Oder wird einfach auf Kosten von Autoren ein Machtspiel ausgetragen, welches weit über das Theater hinausgeht und auf die reale Welt verweist?

Dort steigt der Wert eines Menschen, wenn er andere entwertet, dort wird man mächtig, wenn man andere bestiehlt. Spielen wir Theaterleute noch für die Welt oder spielt die Welt schon mit uns?

Wenn das nächste Mal ein junger Regisseur den wilden Drang verspürt, die Sätze eines Autors durch andere zu ersetzen, dann kann ich ihm nur zurufen: „Noch gibt es ein Urheberrecht, noch ist die kreative Leistung eines Menschen geschützt. Noch gehört nicht alles der Firma Google und ihren anverwandten Geistes- und Rechteräubern. Vergoogle dich nicht! Mach was eigenes, ohne einem anderen etwas wegzunehmen.“

Vieles von dem, was heute am Theater passiert, kommt mir ziemlich plem-plem vor. Wenn man allerdings einen Preis für das Lebenswerk bekommt, also angeblich das meiste schon hinter sich hat, dann muß man sich auch die Gegenfrage stellen, ob man vielleicht selbst plem-plem ist?
Ich danke den Verantwortlichen für den Preis und Ihnen, dem Publikum, fürs Zuhören.

Peter Turrini