Elisabeth Gürtler: Die eiserne Lady

Porträt: Elisabeth Gürtler - Die eiserne Lady

Eine allzu brave Tochter aus gutem Haus

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Es ist zu warm in der blauen Bar. Es riecht nach frischer Farbe. Es herrscht ein wenig Unordnung. „Es ist schrecklich“, seufzt Elisabeth Gürtler. Ganz leicht senkt sie dabei die Augenlider, in ihrer Stimme liegt ein Anflug von Verzweiflung. „Jetzt erst stellt sich heraus, was alles nicht funktioniert.“

14 Wochen lang war das Hotel Sacher wegen Renovierung geschlossen. Eine perfekte Wiedereröffnung hatte Elisabeth Gürtler im Sinn gehabt. Aber nun streikt die Klimaanlage, manche Fenster lassen sich nicht öffnen, die Maler sind nicht fertig geworden, ein paar Lieferanten waren säumig. In der blauen Bar stehen zwar blaue Sessel, aber es sind die falschen. Die Chefin seufzt noch einmal, weil sie offenbar annimmt, dieses Detail müsse jedem Gast sofort auffallen.

Was Elisabeth Gürtler sieht, ist das pure Chaos. Was alle anderen sehen, ist eine Frau, gegen die das Chaos nicht ankommt. Sie sitzt auf dem Sofa (ebenfalls blau, aber richtig), der Rücken kerzengerade, das schwarze Kostüm ohne ein Knitterfältchen, die Frisur wohlgeordnet und das Make-up dezent. Später wird sie Maximilian Schell umarmen, einen Stammgast. Sie wird flöten: „Hallo, das ist aber schön.“ Schell wird sich geschmeichelt fühlen und gar nicht auf die Idee kommen, dass die Frau Direktor jeden prominenten Gast so herzlich begrüßen könnte.

Seit 14 Jahren führt Elisabeth Gürtler das Sacher, Österreichs wahrscheinlich berühmtestes Hotel, ein touristisches Nationalheiligtum. Sie hatte keinerlei Fachkenntnisse, als sie damals den Hausschlüssel in die Hand gedrückt bekam. Sie war die Notlösung. Peter Gürtler, ihr geschiedener Mann und Eigentümer des Hotels, hatte Selbstmord begangen und den gemeinsamen Kindern alles hinterlassen. Alexandra und Georg waren damals noch minderjährig, also musste die Frau Mama einspringen und sich um das Sacher-Reich samt Beteiligungen kümmern.

Alles neu. Sie war genau die richtige Chefin für das plüschige, traditionsbeladene, trotzig altmodische Haus in der Wiener Philharmonikerstraße. Unter Gürtlers Leitung kam das Hotel aus den Negativschlagzeilen, in denen es vorher oft gewesen war. Die Auslastung ist gut, die Finanzlage erfreulich, die Expansion voll im Gange. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten im Eingangsbereich und den unteren drei Stockwerken wird derzeit das Dach aufgestockt. Bis Herbst nächsten Jahres sollen hier Luxussuiten, ein Fitnesscenter und Büros entstehen.

Noch mehr als das Sacher hat nur Elisabeth Gürtler selbst von ihrem Einstieg ins Hotelgewerbe profitiert. In den letzten Jahren wurde sie mit Auszeichnungen, Ehrenämtern und einflussreichen Nebenjobs regelrecht überhäuft. Gürtler ist Trägerin des Großen Silbernen Ehrenzeichens der Republik und des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien; sie war Veuve Clicquot Business Woman des Jahres 1994, amtierte als Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer, sitzt im Aufsichtsrat der Erste Bank und ist seit 2000 Cheforganisatorin des Wiener Opernballs.

Am 9. September wurde Gürtler nun auch noch in den Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) gewählt – als erste Frau in der Geschichte dieser Institution. „Das ist einmal etwas ganz anderes als immer nur ein Hotel oder den Opernball zu managen“, kommentierte sie die Nominierung befriedigt.

„Sacher-Lady“. In den Klatschspalten firmiert Elisabeth Gürtler meistens als „Sacher-Lady“, aber zugetraut wird ihr offenbar fast alles. Der Aufgabenbereich umfasst mittlerweile so grundverschiedene Dinge wie die Organisation des Sachertortenvertriebs, die Auswahl einer Damenspende für den Opernball, die Genehmigung von Großkrediten bei der Erste Bank sowie die Diskussion über Finanzmarktdaten und volkswirtschaftliche Statistiken bei der Nationalbank. Vor ihrem jüngsten Avancement habe sie extra darauf hingewiesen, dass sie keine Währungsexpertin sei, erzählt Gürtler. „Es hieß, die Währungspolitik sei nicht mehr so wichtig. Und was ich nicht weiß, wird man mir erklären.“

Nur manchmal keimt in ihr der Verdacht, dass sie auch als Quotenfrau dienen könnte. „Es sind ja immer die gleichen Frauen, denen gewisse Dinge angeboten werden“, hat sie bemerkt. Herbert Schimetschek, Vorsitzender des OeNB-Generalrates und treibende Kraft hinter ihrer Nominierung, gibt zu, dass die Quote eine Rolle spielte. „Wir waren uns einig, dass wir ein Signal setzen sollten“, sagt er. Aber darüber hinaus kenne er Gürtler als aktive Aufsichtsrätin bei der Erste Bank und als bemerkenswerte Persönlichkeit: „Sie ist eine vollendete Dame, feinfühlig, charmant, aber mit einem harten Kern, wenn es ernst wird.“

Das Wort Charme fällt eigentlich immer, wenn von Elisabeth Gürtler die Rede ist. Sie habe in der Wirtschaftskammer sehr für die Anliegen des Tourismus gekämpft, berichtet etwa René Alfons Haiden, einst ihr Sitznachbar im Präsidium, „und sie hat sich mit ihrem Charme oft durchgesetzt“. Wolfgang Slupetzky, Chef der Werbeagentur Ogilvy & Mather und ein alter Freund der Familie, attestiert ihr enormes geschäftliches Talent, „das sie mit fraulichem Charme einsetzt“. Günter Benischek, Betriebsratschef und Aufsichtsrat der Erste Bank, kann beobachten, wie sich die Herren im Kontrollgremium um die Dame bemühen. „Sie wird von allen hofiert“, erzählt er, „jeder versucht, den Gentleman hervorzukehren.“ Man habe, fasst Benischek zusammen, das Gefühl, dass man sich in ihrer Gegenwart gut benehmen müsse.

Es kann aber auch sein, dass Elisabeth Gürtler nur gelernt hat, wie mit machtbewussten Männern umzugehen ist und wie viel weiblicher Kampfgeist den Herrschaften gerade noch zugemutet werden kann, bevor sie es mit der Angst kriegen.

Lieber Teilzeit. Den Vorstellungen von einer modernen Managerin entspricht die Sacher-Chefin nicht. Wäre es nach ihr gegangen, sagt sie, trüge sie heute nicht die Verantwortung für ein Unternehmen, sondern wäre Ehefrau und Mutter mit einem Teilzeitjob. Für finanziell motivierten Ellbogeneinsatz gab es ohnehin nie einen Grund: Geld war stets genug vorhanden.

Ihr verstorbener Vater Fritz Mauthner hatte nach dem Krieg ein florierendes Agrarhandelsunternehmen aufgebaut, das Elisabeth Gürtler und deren Schwester Maria Gohn heute je zur Hälfte gehört. Der öffentlichkeitsscheue Patriarch sicherte nicht nur den Wohlstand seiner Kinder, er prägte sie auch fürs ganze Leben. „Mein Vater war sehr streng. Wir sind unter extremem Leistungsdruck gestanden“, erzählt Elisabeth Gürtler. Nur Vorzugszeugnisse wurden akzeptiert, für schlechtere Noten drohten sofortige Sanktionen. Sie studierte Welthandel, „weil mein Vater von mir erwartete, dass ich ins Unternehmen einsteige“. Und sie wagte in all den Jahren keine einzige Rebellion. „Das hätte ich mich einfach nicht getraut.“

Erkenntnisse. Mit 23 Jahren heiratete sie den Sacher-Erben Peter Gürtler, bekam zwei Kinder, repräsentierte an seiner Seite und arbeitete nebenbei im Unternehmen des Vaters. Zehn Jahre später wollte Peter Gürtler die Scheidung – und seine Frau war nicht einmal die Erste, die es erfuhr. „Er hat sich das mit meinem Vater ausgemacht“, erzählt sie.

Es sind für eine erfolgreiche Frau seltsame Erkenntnisse, die Gürtler aus ihren Erlebnissen gewonnen hat: „Was man tun muss, das kann man auch.“ Aber: „Wenn man etwas wirklich will, bekommt man es nicht. Man agiert dann zu verkrampft.“

Hinter Elisabeth Gürtlers Wohlerzogenheit, ihrem perfekt-eleganten Auftreten und der professionellen Herzlichkeit einer Hotelchefin verbirgt sich eine Menge Ehrgeiz. So ungewollt die Rolle als Unternehmerin einst auch gewesen sein mag, jetzt fühlt sie sich darin sichtlich wohl. Von Öffentlichkeitsscheu kann auch keine Rede mehr sein. Die Sacher-Chefin gilt als Fixpunkt bei wichtigen Festen und Veranstaltungen – von der Eröffnung einer Ausstellung in der Albertina über den 60. Hochzeitstag des Ehepaares Waldheim bis zu Geburtstagsfesten von Politikern. Um die so entstandenen Kontakte zu pflegen, ist sich Gürtler auch für Wahlwerbung nicht zu schade: Vor der Bundespräsidentenwahl saß sie etwa im Personenkomitee für Benita Ferrero-Waldner.

Auf die Frage, wie er vor vier Jahren auf die Idee gekommen sei, Elisabeth Gürtler das Amt der Opernballmutter anzutragen, erzählt Staatsoperndirektor Ioan Holender etwas süffisant, er habe diese Personalie natürlich mit dem Bundeskanzler absprechen müssen. „Frau Gürtler fand überparteilichen Zuspruch. Sie ist eine geschickte Person.“

Wie weit sich Elisabeth Gürtler von der braven Tochter und Ehefrau, die sie einmal gewesen ist, entfernt hat, demonstrierte sie bei ihrem ersten Einsatz auf dem Opernball im Jahr 2000. Die schwarz-blaue Regierung stand unter heftiger Kritik, die Lage war delikat. Als dann endlich vorschriftsmäßig getanzt wurde, fiel ausgerechnet der Schauspieler Helmuth Lohner, Gürtlers Lebensgefährte und bekennender Sozialdemokrat, aus der Rolle. Für ihn sei der Ball wie ein Szenario aus „Die letzten Tage der Menschheit“, raunzte Lohner in ein ORF-Mikrofon. Elisabeth Gürtler, die daneben stand, wollte sich das nicht bieten lassen: „Jetzt ist aber Schluss, Helmuth. Das ist ein wunderschöner Ball mit einer ausgezeichneten Stimmung.“

Gürtlers Kinder Alexandra und Georg sind heute 29 und 25 Jahre alt, aus dem Gröbsten also längst heraus. Doch wann sie endlich die Leitung des Hotels übernehmen werden, steht in den Sternen. Die Tochter sitzt zwar mit in der Geschäftsführung, alle wichtigen Entscheidungen trifft aber die Mutter. Sie wolle bloß, sagt Gürtler, dass die Übergabe eines Tages ganz offiziell erfolgt. „Ich möchte dann sagen können, ab jetzt trage ich nicht mehr die Verantwortung.“

Ein klein wenig Misstrauen schwingt da mit. Wer weiß schon, ob der Nachwuchs ebenso tüchtig sein wird wie die Mama.