Rausländernovelle

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Fremdenrecht. Wie Zuwanderer vergrault werden sollen

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Vor zwei Jahren steckten die Sozialpartner ihre Köpfe zusammen, um über ein „kriteriengeleitetes Zuwanderungssystem“ zu reden. Im Oktober 2010 war das Baby geboren. Es hört seither auf den hübschen Namen „Rot-Weiß-Rot-Card“ und brauchte nur noch einen gesetzlichen Rahmen: Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) sollte Spitzenleuten und Fachkräften aus dem Ausland den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt ebnen, Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) den legistischen Boden für Aufenthalt und Niederlassung bereiten.

Fekter nützte die Gelegenheit für Verschärfungen des Fremden- und Asylrechts, die das geliebte Kind der Sozialpartner fast bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Geplant war ein „Quantensprung in der Zuwanderungspolitik“, ein Signal nach innen und nach außen, dass Österreich „Interesse an Fremden“ hat, so Christian Friesl, Leiter des Bereichs Gesellschaftspolitik der Industriellenvereinigung (siehe Interview). Doch das legistische Paket, das die Innenministerin in Begutachtung schickte, vermittelt das Gegenteil: Deutsch vor Zuzug, Verlängerung der Schubhaft auf 18 Monate, Kinder entweder im Gefängnis oder unter der Obhut des Jugendamts, gravierende fremdenrechtliche Sanktionen für kleinste Verstöße. „Was hier hineinverpackt wurde, ist voller Heimtücke und widerspricht vollkommen der Intention der Rot-Weiß-Rot-Card“, sagt der Politikwissenschafter Bernhard Perchinig.

Eine „Entrechtungsnovelle“ nennt Christoph Riedl, Leiter der Flüchtlingshilfe der Diakonie, den Fekter’schen Entwurf:„Damit macht die Innenministerin Ausländer endgültig zu Menschen zweiter Klasse, die man aus den nichtigsten Gründen hinauswerfen kann.“ Tatsächlich höhlt die Novelle – es ist die fünfte innerhalb von 22 Monaten – letzte verbliebene Errungenschaften aus. Innenminister Franz Löschnak hatte damit aufgehört, Menschen außer Landes zu schaffen, nur weil sie eine Frist um ein, zwei Tage versäumt hatten. Künftig sollen selbst kleinste Verstöße zum Verlust der Niederlassungsbewilligung führen, wie die Plattform „Agenda Asyl“ an Beispielfällen zeigt (siehe Kästen). Die Aufenthaltsverfestigung für Menschen, die länger als fünf Jahre im Land sind – 1997 unter Innenminister Caspar Einem erkämpft und seit dem Gipfel in Tampere ein Grundprinzip der Europäischen Union –, droht völlig zu kippen. Selbst wer jahrelang in Österreich gearbeitet und brav Steuern gezahlt hat, ist nicht davor gefeit, „illegal“ und sogar abgeschoben zu werden. „Das werden die neuen Bleiberechtsfälle, und die werden sich gewaschen haben“, warnt Christian Schörkhuber, oberster Flüchtlingsbetreuer der Volkshilfe in Linz.
Noch im Februar soll der Gesetzesvorschlag durch den Ministerrat gehen, anschließend ins Parlament wandern und im Sommer in Kraft treten.

Vergangene Woche sprach SPÖ-Klubobmann Josef Cap vage von „strittigen Punkten“. In der Landespartei Oberösterreich ist man über die Fleiß­aufgabe der Innenministerin echt empört. „Wir wollen eine Rot-Weiß-Rot-Card, die geplanten Verschärfungen müssen zurückgenommen werden. Auch von den Sozialpartnern hat sie niemand verlangt“, zetert Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Ackerl und appelliert an seine „Freunde und Freundinnen im Nationalrat, diesem Gesetz nicht zuzustimmen“. Die oberösterreichische SP-Abgeordnete Sonja Ablinger, die schon 2009 einer Fremdenrechts­novelle ihren Sanktus verweigert hatte, kündigte bereits an, den Entwurf in der aktuellen Form nicht abzusegnen: „Ich verstehe nicht, wie man Zuwanderer anlocken will, wenn man gleichzeitig Bedingungen schafft, die ihnen sagen: Kommt ja nicht zu uns.“

Verworrenes Recht. Für Zuwanderer, die im Land leben, wird das böse Erwachen erst kommen, wenn sie ihr Visum verlängern wollen und auf dem Amt erfahren, dass das nicht geht, weil ihre Wohnung zu klein ist oder sie zu wenig verdienen. Die Hürden wurden mit jeder Novelle höher, die aktuelle Novelle schraubt sie noch weiter hinauf. Für Normalsterbliche ist das Fremdenrecht schon längst nicht mehr zu verstehen. Selbst Anwälte räumen ein, dass sie kaum noch durchblicken. Der Verfassungsgerichtshof spricht in seiner Stellungnahme wörtlich von „Verworrenheit“. „Noch so ein Gesetz, und ich suche um Berufsunfähigkeitspension an“, stöhnt ein Rechtsberater. Das vorliegende Großpaket treibe die Rechtsunsicherheit weiter. Es sei „diskriminierend, destabilisierend und desintegrativ“, klagt Andrea Eraslan-Weninger, Leiterin des Integrationshauses in Wien. „Niemand im Innenministerium hat sich je damit auseinandergesetzt, wie viel Leid und Bürokratie das nach sich zieht.“

Doppelbödig. Ginge es tatsächlich um Integration, sähe der Entwurf anders aus. Dann gäbe es statt „Deutsch vor Zuzug“ flächendeckende, geförderte Deutschkurse nach der Einreise und weniger Schikanen auf dem Weg zu einem unbefristeten Visum. Davon ist auch das neue Zuwanderungsregime nicht frei: Nur „besonders Hochqualifizierte“ wie Forscherinnen und Top-Manager dürfen ihre Ehepartner auch ohne Sprachkenntnisse mitnehmen. Die Angehörigen von Krankenpflegerinnen („Fachkräfte in Mangelberufen“) und Schweißern („sonstige Schlüsselkräfte“) hingegen müssen vorher Vokabel und Grammatik lernen. Eine unschöne, doppelbödige Botschaft, ­findet die Grün-Mandatarin Alev Korun: „Menschen, die forschen und arbeiten, sind uns willkommen, ihre Familien aber können sie zu Hause lassen.“ Top-Leute würden – trotz Zugeständnissen – unter diesen Umständen lieber nach Kanada gehen: Dort erwartet sie nach drei Jahren eine Staatsbürgerschaft, während sie in Österreich nach fünf Jahren bloß auf einen unbefristeten Aufenthalt hoffen dürfen. Korun: „Das Innenministerium hat offenbar nicht daran gedacht, mit welchen Ländern wir im Wettbewerb stehen.“

Der Familiennachzug aus Drittstaaten muss in Österreich anschließend noch die „Integrationsvereinbarung“ erfüllen. Dafür hatte man bisher fünf Jahre Zeit. Künftig muss das schneller gehen: innerhalb von zwei Jahren. An den Kosten für 300 Stunden Sprachkurs beteiligt sich die öffentliche Hand im Nachhinein, allerdings nur, wenn das geforderte A2-Diplom im Eiltempo geschafft und innerhalb eines Jahrs die Prüfung abgelegt wird. Eher eine Spar- als eine Integrationsmaßnahme, denn allzu häufig dürfte das in der Praxis nicht vorkommen. Das A2-Niveau reichte bisher auch für ein unbefristetes Visum. Auch hier setzte Fekter die Daumenschrauben an: In Zukunft ist dafür B1 nötig, das entspricht dem Maturaniveau in einer fremden Sprache. Laut Sprachwissenschafter Hans-Jürgen Krumm erreichen auch 15 bis 20 Prozent der österreichischen Hauptschüler dieses Sprachniveau nicht.

Sprachhürde. Bauarbeiter und türkische Hausfrauen, die B1 nicht schaffen, können sich ein unbefristetes Visum aufmalen, selbst wenn sie mit brüchigem Deutsch bisher wunderbar zurande gekommen sind. Für den Gesetzgeber zählt ihr Bemühen nicht, die Sprache zu lernen, sondern nur eine bestandene Prüfung. Das schere vom Fließbandarbeiter bis zur Akademikerin alle über einen Kamm und habe mit Integration nicht das Geringste zu tun, ärgert sich Sprachwissenschafter Krumm: „Es fehlt jedes Nachdenken darüber, was Migranten brauchen. Sprache wird eingesetzt, um die abzuschrecken, die man nicht haben will. Dafür ist sie aber nicht da.“ Treffen werden die schärferen Bestimmungen – so viel trauen sich Experten vorherzusagen – vor allem Ältere und bildungsferne Menschen. Die Folgen sind gravierend: Wer seine Deutschkenntnisse nicht auf B1-Niveau bringen kann, hat keine Chance mehr auf einen österreichischen Pass. Bereits in den vergangenen vier Jahren gingen die Einbürgerungen um fast 80 Prozent zurück (von 35.417 im Jahr 2005 auf 7990 im Jahr 2009). Beratungsstellen für Migranten berichten vermehrt über Alleinerzieherinnen, die keine Staatsbürgerschaft bekommen, weil sie nicht über die vorgeschriebene Einkommensgrenze springen können. Nun droht ein weiterer Rückgang.

Gastarbeiterpolitik. Am festen Aufenthalt hängen der Zugang zu Gemeindewohnungen und zum Arbeitsmarkt, rechtliche und soziale Gleichstellung. „Einen Teil der Gesellschaft ständig in Unsicherheit zu halten ist ein Rückfall in die Gastarbeiterpolitik, die man in den neunziger Jahren überwunden geglaubt hat“, sagt Politikwissenschafter Perchinig. Für ­einen der übelsten Einfälle halten Integrationsexperten in diesem Zusammenhang, wie schnell man ein unbefristetes Visum künftig wieder los sein kann. „Rückstufung des Aufenthaltstitels“ heißt der entsprechende Passus im Fekter-Entwurf. Norbert Bichl vom Beratungszentrum für MigrantInnen in Wien glaubt zwar nicht, dass Männer und Frauen nach kurzer Arbeitslosigkeit so formlos abzuschieben sein werden, wie sich das die Beamten in der Herrengasse vorstellen: „Das Menschenrecht auf Familienleben und Privatleben gilt auch weiterhin. Aber ich fürchte mich davor, dass viele ihre Rechte verlieren und sie in Berufungsverfahren neu erkämpfen müssen.“

Bis Ende des Vorjahrs musste Fekter eine EU-Richtlinie umgesetzt haben, auch ihre Spuren finden sich im Entwurf. So wird die Schubhaft künftig von zehn Monaten auf 18 Monate – und damit den maximalen Rahmen innerhalb der Europäischen Union – ausgedehnt. Schon bisher gehört Österreich zum restriktiven EU-Drittel. Nur in wenigen Ländern ist die Lage schlimmer. Großbritannien etwa sperrt Schubhäftlinge ohne jedes Limit ein. Viele Mitgliedstaaten hingegen handhabten den Freiheitsentzug – zumindest bisher – weitaus sensibler. Frankreich etwa kam laut einer Studie der EU-Grundrechteagentur mit 30 Tagen aus (siehe Grafik). Wie sich die eine EU-Richtlinie, die mit Ende des Jahres umzusetzen war, in den Mitgliedstaaten auswirkt, ist allerdings offen.

In Österreich kamen Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren bisher – zumindest theoretisch – erst ins Gefängnis, wenn sich aus Sicht der Fremdenpolizei das „gelindere Mittel“ – also eine normale Flüchtlingsunterkunft – nicht empfahl. Diese Schutzbestimmung fiel ebenfalls. 16-Jährige werden künftig wie Erwachsene behandelt. „Es ist zu befürchten, dass nun mehr Jugendliche ins Gefängnis kommen“, sagt Michael Landau, Direktor der Caritas Wien. Dafür gelten für 14-Jährige bald die aktuellen Bestimmungen für 16-Jährige, was bedeutet: Sie können nun ebenfalls eingesperrt werden. Für unter 14-Jährige ließ Fekter sich einen perfiden Dreh einfallen: Eltern „dürfen“ ihre Kinder ins Gefängnis mitnehmen, wenn sie dies nicht „ausdrücklich und nachweislich“ verlangen, wird die Obsorge der Jugendwohlfahrt übertragen. „Das ist ein Bruch aller Kinderrechte und ein Schlag ins Gesicht jener 115.000 Menschen, die nach der Abschiebung der Komani-Zwillinge im Internet den Aufruf ‚Kinder gehören nicht ins Gefängnis‘ unterzeichnet haben“, sagt Diakonie-Experte Riedl.

Alibiaktion. Neu geregelt werden muss laut EU-Vorgaben auch die Rechtsberatung – eine der wenigen Verbesserungen im Gesetzesentwurf aus der Herrengasse. „Bei allen Verschlechterungen gilt die Devise, so viel als möglich, bei den Verbesserungen ist es umgekehrt“, sagt Asylexpertin Anny Knapp. Laut Fekter-Entwurf will das Innenministerium die Rechtsberater selbst aussuchen, die Beratung soll in den Amtsräumen stattfinden und „objektiv“ sein. Das gehe an der Wirklichkeit vorbei, so Knapp: „Wenn der Rechtsberater einen Asylwerber im Verfahren vertritt, muss er auch einmal eine Beschwerde schreiben. Wie soll das objektiv gehen?“ Selbst die Rechtsanwaltskammer wertet es als „Alibiaktion“, wenn der geplante juristische Beistand bloß beobachten soll, ob formaljuristisch alles korrekt abläuft. Wie ernst es Fekter mit der „unabhängigen Rechtsberatung“ ist, zeigt auch ihr Finanzierungskonzept: 75 Euro stehen zur Verfügung – ob pro Fall oder pro Beratung geht aus dem Entwurf nicht hervor. In der günstigeren zweiten Variante arbeiten Rechtsberater zum Stundenlohn einer Reinigungskraft. Beispiel Asylverfahren: Nach einer Stunde Aktenstudium, einer Stunde Wegzeit, einer Stunde Gespräch mit dem Asylwerber und fünf Stunden Verhandlung bleiben dem Rechtsberater neun Euro in der Stunde. Werden die 75 Euro pro Fall veranschlagt, sinkt der Stundensatz weiter.

Bitter konzediert Peter Marhold, Jurist des Vereins „Helping Hands“, mit der jüngsten Novelle des Fremden- und Asylrechts habe die Innenministerin ihre Rolle als Rechtsaußen-Verteidigerin in der Regierung übererfüllt: „Jetzt fangen wir an, integrierte Ausländer hinauszuwerfen. Das ist nicht weit weg von der Negativzuwanderung, die FPÖ-Chef Strache gefordert hat.“
Dass bis zur Verabschiedung des Gesetzes die übelsten Passagen noch fallen könnten, wird am Geist der Novelle wenig ändern, glaubt die Grüne Korun: „Die Regierung agiert immer nach demselben Muster. Erst packt man möglichst viele Grauslichkeiten in ein Paket, dann nimmt man ein paar davon zurück. Was übrig bleibt, ist immer noch eine massive Verschärfung.“

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges