Rechtswalzer

Vergleich. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat sich mit seinen umstrittenen Aussagen am Burschenschafter-Ball isoliert.

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Als Absender firmiert „ein stolzer Österreicher“, und seine Botschaft, die er via Twitter an ORF-Moderator Armin Wolf absetzte, war glasklar: „Sie sind eine Schande für unser Land. Arsch!“ Immerhin: Sie Arsch.
Wolf hatte soeben FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache im „Zeit im Bild 2“-Studio zur faktischen Wiederholung seines umstrittenen Sagers von der Ähnlichkeit zwischen „Reichskristallnacht“ und Anti-Burschenschafter-Demos verleitet.

Seit Freitag vorvergangener Woche und den turbulenten Ereignissen am Rande des rechten Burschen-Balls steht in Österreich wieder einmal die ideologische Verortung der Freiheitlichen Partei und ihres Obmanns zur Debatte. Klar wie noch nie hat auch die höchste Staatsinstanz, der Bundespräsident, Stellung bezogen, indem er Strache den diesem „turnusmäßig“ zustehenden Orden verweigerte.
Ist dies auch ein Präjudiz für ein präsidentielles Nein zu einem Minister oder gar Kanzler Strache?

So ganz absurd sind solche Fragen nicht: Erstmals seit den Dezembertagen des Jahres 1999 liegt die FPÖ in den Umfragen mehrerer Institute wieder gleichauf mit der SPÖ auf Platz eins. Wolfgang Bachmayer, dessen OGM-Institut SPÖ und FPÖ derzeit bei je 28 Prozent führt: „Strache profitiert von Proteststimmung und Abstiegsangst. Sein Zielpublikum sind heute auch die viel zitierten ,Wutbürger‘ und nicht mehr nur die Arbeiter in der Vorstadt.“

Umso beunruhigender ist der unsensible Umgang mit der düsteren Vergangenheit dieses Kontinents – vor allem aber die Nähe zwischen FPÖ und rechten Rabauken. Denn so fragwürdig einige der Anti-Burschenschafter-Demonstranten waren – bei einem deutschen Aktivisten wurde sogar das als Sprengmittel verwendbare Unkrautsalz gefunden, er wurde auf freiem Fuß angezeigt –, so einschlägigen Geistes Kinder waren auch einige der Ball­besucher: Rechtsradikale der übelsten Sorte, wie sich im Laufe der Woche herausstellte.

Nachdem der im Vorjahr pensionierte SPÖ-Fraktionsvorsitzende im Bundesrat, Albrecht K. Konecny, 69, nach der Anti-Burschenschafter-Demo in der Wiener Dorotheergasse von einem unbekannten Mann mit einem Schlagring niedergestreckt und erheblich verletzt worden war, tauchte am Dienstag auf der Neonazi-Website forum.thiazi.net eine Unterhaltung zwischen zwei Rechtsradikalen auf. Einer der beiden mit dem Nickname „Prinz Eugen“, der offenbar den Burschenschafter-Ball besucht hatte, schrieb an seinen Kameraden „Eispickel“: „Hast du dich an der alten roten Sau vergriffen?“

Eispickel: „Nein, ich war’s diesmal nicht, aber weiß, wer’s war. Du kennst ihn auch. Bekommst PN (Privatnachricht; Red.). Gut getroffen hat er. Der Konecny hat g’spritzt wie die Sau. Wie war das Tanzen, sah dich nachher nicht mehr.“ Und weiter: „Tja, das ist das Problem von denen. Sie glaubten, sie wären sicher. Aber sie glaubten falsch!“

„Prinz Eugen“ antwortet: „Zum Ball gibt’s nicht viel zu sagen. Alte Bekannte getroffen, nette Gespräche geführt und etwas getanzt. An die fetten, hässlichen Weiber der Lesbenantifa: Im Schatten, den so eine Veranstaltung wirft, solltet ihr nicht übermütig werden.“ Und wie meist in seinen Postings schließt „Prinz Eugen“ auch diesen Eintrag mit seinem Motto: „Judentum ist biologisch Erbkriminalität.“
Denn Ballbesucher „Prinz Eugen“ und sein Freund „Eispickel“ sind keine Unbekannten. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) bezeichnete der Ballgast schon einmal als „altes, stinkendes Judengeschmeiss“. Ins Visier des Verfassungsschutzes gerieten die beiden Poster, als sie einem grünen Landtagsabgeordneten und Rollstuhlfahrer im Internet mit seiner „Stilllegung“ gedroht und dazu eine Injektionsspritze gepostet hatten.

Vergangenen Freitag war auch der grüne Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger Zieladresse von Drohungen auf der Neonazi-Website thiazi.net: „Klar bekommt der dumme Karli auch noch, was er verdient. Keiner bleibt unvergessen.“ In einem früheren Posting waren Öllinger auch schon einmal „Hausbesuche“ angedroht worden.
Wie gering beim Burschenschafter-Ball der Unterschied zwischen „drinnen“ und „draußen“ sein kann, zeigt das Beispiel des bekannten rechten Aktivisten Sebastian Ploner. Ploner war früher Mitarbeiter im Büro von Nationalratspräsident Martin Graf (FPÖ), bis Graf ihn fallen lassen musste: Ploner hatte beim Neonazi-Versandhaus „Aufruhr“ einschlägige Devotionalien und T-Shirts gekauft. Als Sekretär des Nationalratspräsidenten war Ploner noch im Debütanten-Komitee des Burschenschafter-Balls aufgetreten. Heuer wurde er in einem rechten Reckentrupp vor der Wiener Hofburg gesichtet, der Antifa-­Demonstranten abschrecken sollte.

Ob tatsächlich Neonazis den SPÖ-Politiker Konecny nach der Anti-Burschenschafter-Demo in der Dorotheergasse angegriffen und verletzt haben, stand bei Redaktionsschluss allerdings noch nicht fest. Derzeit wird der Film aus der am Jüdischen Museum angebrachten Überwachungskamera ausgewertet, die die Attacke zufällig aufgezeichnet hatte. Ein Ermittler: „Wir sind noch beim Ausforschen.“
Wie aufgeheizt die Stimmung innerhalb der FPÖ ist, konnte profil vergangenen Dienstag bei einem Lokalaugenschein bei einem FPÖ-„Bürgerstammtisch“ in Heinz-Christian Straches politischem Heimatbezirk Wien-Landstraße feststellen (er ist dort immer noch Bezirksparteiobmann). Die Ballgäste seien „von den Linken angespuckt und bedroht“ worden, meinte einer der FPÖ-Funktionäre: „Da hätte ich auch zugeschlagen.“ – „Wissen Sie, wer das größte Nazischwein im Land ist – der Ariel Muzicant“, brach es aus einem anderen heraus, bevor der eilig herbeitelefonierte FPÖ-Bezirksrat Werner Grebner die profil-Berichterstatterin des Saales verwies: „Wir wollen keine Zuhörer. Das ist intern, jedenfalls nicht offen für die Medien.“

Dass die verbalen Eskapaden Straches und sein Vergleich zwischen Anti-Ball-Demonstrationen und NS-Pogromen der FPÖ in den Umfragen längerfristig schaden werden, glaubt keiner der Meinungsforscher: Üblicherweise sinkt nach derartigen Zwischenfällen die Bekennerquote, also die Zahl jener, die in Umfragen angeben, dass sie FPÖ wählen würden. Nach einigen Wochen tritt dann wieder der „Normalzustand“ ein.
Dennoch weiß auch Strache, dass er die FPÖ nur dann zur stärksten Partei machen kann, wenn er noch eher in der politischen Mitte angesiedelte Wähler gewinnt – die können freilich dem völkischen Burschenschafter-Mummenschanz meist nur wenig abgewinnen. Entsprechend sparsam geht Strache deshalb auch mit solchen Auftritten um. Im vergangenen Mai sagte er seine angekündigte Rede bei der Burschenschafter-„Gedenkfeier“ zum Jahrestag des Kriegsendes sogar kurzfristig ab.

Begründung: Er habe dringend zu einer „Geheimkonferenz“ mit anderen europäischen Rechtsparteien nach Italien reisen müssen. profil-Recherchen ergaben, dass eine solche Konferenz gar nicht stattgefunden hatte: Strache hatte bloß eine für die Burschenschafter maßgeschneiderte Erklärung für sein Schwänzen ausgetüftelt. Die Scharfsinnigeren unter ihnen, wie etwa FPÖ-Ideologe Andreas Mölzer, durchschauten Straches Schmäh freilich rasch: Seine Absage habe nur „jene zeitgeistigen Wortspender und Mundwerksburschen, die sich im Vorfeld maßlos empört hatten, mit Triumph erfüllt“, schrieb Mölzer in seinem Wochenblatt „Zur Zeit“. Und Strache ins Stammbuch: „Die Freiheitlichen werden keinesfalls politisch akzeptiert werden, wenn sie ihren zentralen Inhalten abschwören.“
Er spricht damit das zentrale Dilemma Straches an. „In der FPÖ ist fast die Hälfte der Funktionäre dem nationalen Flügel zuzurechnen, aber nur fünf Prozent der österreichischen Wählerschaft kommt aus diesem Segment“, schätzt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer. „Bei keiner anderen Partei ist die Kluft zwischen Wählern und Funktionären so groß.“

Die Rücksichtnahme auf den radikalen rechten Flügel verbaut Strache freilich seine Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Vergangenen Donnerstag schloss auch ÖVP-Seniorenobmann Andreas Khol, 1999/2000 einer der wichtigsten Architekten der schwarz-blauen Wenderegierung, ein Zusammengehen mit der Strache-FPÖ aus: Dessen Sager beim Burschenschafter-Ball hätten bewiesen, „dass er für das Amt des Kanzlers oder des Vizekanzlers unfähig ist“. Bei den Sozialdemokraten gilt seit 2004 ohnehin ein Koalitionsverbot mit den Freiheitlichen. Damals hatte der Bundesparteitag, das höchste Gremium der SPÖ, einen entsprechenden Antrag der Sozialistischen Jugend mit nur 15 Gegenstimmen angenommen. Die gesamte Parteispitze hatte dafür votiert. Dieses Verbot, mit der FPÖ eine Regierung zu bilden, könnte nur durch einen neuen Parteitagsbeschluss aufgehoben werden.

Beobachter der innenpolitischen Zeitläufte glauben freilich, Strache und seine Parteispitzen fühlten sich in der weit mehr Lebensqualität bietenden Oppositionsrolle ohnehin pudelwohl und strebten daher auch gar nicht nach Höherem. Ein hochrangiger SPÖ-Abgeordneter: „Sie wollen nicht in die Regierung, aber sie müssen glaubhaft so tun, als wollten sie das. Das gelingt Strache bisher ganz gut.“
Noch immer wirkt in der FPÖ überdies der Schock des Scheiterns in der Regierung Schüssel nach. Innerhalb von nur drei Jahren gingen damals 17 der 27 bei den Wahlen 1999 errungenen Stimmprozente verloren: Die Partei hatte sich fast gedrittelt. Die 2005 folgende Parteispaltung durch die Gründung des BZÖ ist bis heute aufrecht.

Auch die derzeitigen Konzepte der FPÖ eignen sich nicht zur Verwirklichung in Regierungsverantwortung: Es sind populistische Versatzstücke aus allen ideologischen Himmelsrichtungen. Wie die ÖVP will die Strache-Partei Einkommensteuersätze senken, keine neuen Steuern einführen und den ÖBB den Zuschuss kürzen. Gleichzeitig soll die Mineralölsteuer wieder auf den früheren, niedrigeren Stand gebracht werden und der Gaspreis um 20 Prozent gesenkt werden. Wie die SPÖ wollen die Freiheitlichen Studiengebühren verhindern, Superreiche und Bauern zur Kasse bitten und den Großbanken die Gruppenbesteuerung teilweise kappen.
Hausgemacht sind die Positionen in der Europafrage, wie sie H. C. Strache Sonntag vergangener Woche in der ORF-„Pressestunde“ zum Besten gab: Griechenland und die anderen schwachen Staaten der Eurozone sollten aus der Währungsunion geworfen werden; sollte dies immer noch nichts nützen, müsse Österreich zum Schilling zurückkehren.

Wifo-Chef Karl Aiginger hält solche Überlegungen für überaus gefährlich: „Wäre Österreich Mitglied der ,Nord-Eurozone‘, wären wir Grenzland wie im Kalten Krieg. Unsere Exporte würden einbrechen. Und im weltweiten Wettbewerb würde dieses Kerneuropa sehr rasch bedeutungslos werden.“ Ein Ende der Eurozone würde Österreich „überhaupt wieder 20 Jahre zurückwerfen“.

Fest steht allerdings: So verrückt finden die Österreicher die europapolitische Linie der FPÖ offenbar nicht, sonst hätte die Partei nicht seit Beginn der dramatischen Vorgänge um den Euro in den Umfragen deutlich hinzugewonnen. Mitte 2010, die Schuldenmisere wurde gerade ruchbar, lagen die Freiheitlichen noch knapp unter der 20-Prozent-Marke. Nicht einmal zwei Jahre, aber etliche Griechenland-Milliarden später rangiert Strache um acht Prozentpunkte höher.
Die koalitionären Lähmungserscheinungen taten ein Übriges. Viele in SPÖ und ÖVP erkennen inzwischen selbst den Anteil, den ihre Parteien am Aufstieg der Rechtspopulisten haben. Jörg Leichtfried, SPÖ-Delegationschef im Europaparlament: „Straches wirtschaftspolitischem Dilettantismus müsste die Bundesregierung viel energischer entgegentreten. Erst seit Kurzem hat Bundeskanzler Faymann erkannt, dass man mit einer proeuropäischen Haltung durchaus punkten kann.“

Politologen orten freilich auch längerfristige Erosionseffekte, die den rechten Populisten entgegenkommen. So erhob etwa der Politikforscher Peter Ulram, Geschäftsführer des neuen Markt- und Meinungsforschungsinstituts EcoQuest, dass der Anteil der Österreicher, die völliges Versagen der Politik konstatieren, in den vergangenen 30 Jahren dramatisch angestiegen ist. Hatten 1981, damals war noch Bruno Kreisky Kanzler, erst 33 Prozent gemeint, Österreichs Politik versage in entscheidenden Fragen „oft oder dauernd“, sind es heute bereits 71 Prozent.

Solche Prozesse sind nicht unumkehrbar. Die gegenwärtige Regierung hatte sich durch ihr umsichtiges Agieren während der Wirtschaftskrise 2009/2010 sogar wieder etwas derrappelt: Im ersten Jahr des Kabinetts Faymann, 2009, meinten laut EcoQuest-Studie 56 Prozent der Befragten, sie seien mit der Arbeit der Regierung „sehr oder eher zufrieden“. Heute sehen das nur noch 35 Prozent so.

Geht die Entwicklung bis zum Wahltag im Herbst 2013 so weiter, könnten sich merkwürdige Konstellationen ergeben: Schon derzeit liegen SPÖ und ÖVP in den Umfragen gemeinsam nur noch ganz knapp über der 50-Prozent-Marke. Wird die FPÖ mit rund 30 Prozent stärkste Partei, würde dies wohl ein Abrutschen der einstigen Großparteien unter diese magische Grenze bedeuten. Schafft das BZÖ dann nicht mehr den Einzug in den Nationalrat, müsste unter Umständen eine 3-Parteien-Regierung von SPÖ, ÖVP und Grünen gebildet werden, um eine Beteiligung der Strache-Truppe an den Regierungsgeschäften zu verhindern. Diese hätte dann im Nationalrat allerdings das Oppositionsmonopol.

Sollte die FPÖ tatsächlich Nummer eins werden, glauben Experten wie der Politikforscher Peter Ulram allerdings an „eine völlige Umgestaltung unseres Parteiensystems“. Dann würde sich wahrscheinlich die Wirtschaftspartei begründen, von der schon so lange gesprochen wird.
Ulram: „Das alles wäre natürlich sehr interessant, aber ,Mögest du in interessanten Zeiten leben‘ war schon im alten China kein Glückwunsch, sondern ein Fluch. Und so Unrecht dürften die nicht gehabt haben.“

Christa   Zöchling

Christa Zöchling