Rudelbildung

Rudelbildung: Junge Austro-Türken und die Grauen Wölfe

Rechtsextrem. Immer mehr Austro-Türken laufen den faschistischen Grauen Wölfen in die Arme

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Forsch streckt Furkan*, 14, das Kinn vor und formt die Finger zum Wolfskopf. "Ich bin Türke“, bedeute das. Und das gefällt ihm. Sein Freund Kürsat* verdreht die Augen. Irgendwie finde er es blöd, etwas zu betonen, was sonnenklar ist: "Sieht doch jeder, dass ich Türke bin.“

Die Zeichen der türkischen Faschisten kennt freilich auch er: ihren Gruß, die drei Halbmonde auf rotem Grund, den heulenden Wolf mit dem durchgestreckten Hals, das Kürzel MHP, das für die türkische Milliyetçi Hareket Partisi steht. "Graue Wölfe“ oder "Idealisten“ (Ülküculer) nennen sich ihre Anhänger.

Furkan und Kürsat wissen das aus den Fernsehsendungen, die ihre Eltern über Satellit empfangen: "Das gehört zu unserer Geschichte.“ Dann sind sie mit ihrer Weisheit auch schon am Ende, so wie die meisten anderen türkischstämmigen Burschen, die im Trauner Jugendzentrum x-Treff vorbeischauen. "Da geht es nicht um Ideologie oder politische Programme“, sagt Leiter Alex Schinko.

Die Burschen suchen etwas, das gegen die ständige Kränkung hilft, in einem Land zu leben, in dem es irgendwie das Letzte ist, Türke zu sein.

"90 Prozent unserer Jugendlichen haben einen österreichischen Pass“, sagt Schinko. Doch das schafft keine Zugehörigkeit, verglichen mit den Geheimzeichen der "Grauen Wölfe“, ihren mythologischen Geschichten, dem Traum vom großtürkischen Reich und angesichts von Feinden, die es bis aufs Blut zu bekämpfen gilt.

Nicht alle, die den rechten Arm zum Wolfsgruß ausstrecken, Ketterl mit drei Mondsicheln um den Hals tragen oder sich einen Wolf auf den Arm tätowieren lassen, sind rechtsextrem. Doch Sozialarbeiter beobachten mit wachsender Sorge, wie Vereine der Grauen Wölfe mit Fußballturnieren, Straßenfesten und Konzerten erfolgreich nach Jugendlichen fischen, um sie anschließend mit ultranationalistischer Propaganda, faschistischen Parolen und rassistischer Hetze zu vergiften.

"Bei türkischstämmigen Burschen haben die Grauen Wölfe inzwischen den größten Zulauf“, sagt Christian Schörkhuber von der Volkshilfe Oberösterreich. Er ist Mitherausgeber des Buchs "Grauer Wolf im Schafspelz“, das den blinden Fleck der Integrationsdebatte auszuleuchten versucht.

Wegen der Kopftuch- und Islam-Debatte werde die wachsende Mobilisierungskraft der Grauen Wölfe glatt übersehen, klagt Sozialarbeiter Thomas Rammerstorfer. Auf Vortragsreisen trifft er immer wieder auf Kommunalpolitiker, die nichts dabei finden, mit türkischen Faschisten zu posieren, und Bürgermeister, die, ohne mit der Wimper zu zucken, Feste der Grauen Wölfe eröffnen. "In der Auseinandersetzung mit Ausländern fehlt jede Ernsthaftigkeit. Türke ist Türke, das ist die gängige Haltung, egal, ob alevitischer Kurde oder faschistischer Grauer Wolf.“

Vor drei Jahren richtete der zentrale Dachverband der Grauen Wölfe, die "Avusturya Türk Federasyon“, im Rathaus der Stadt Linz ein Musikfest aus. Bestritten wurde das Programm von völkisch-nationalistischen Barden. Da sich Protest dagegen regte, bemühte sich die Graue-Wölfe-Organisation "Avrasya - Kultur-, Bildungs- und Hilfsverein“ im Jahr darauf um private Räumlichkeiten. SPÖ-Vizebürgermeister Klaus Luger ließ es sich trotzdem nicht nehmen, einen Mitarbeiter hinzuschicken. Gegen den Verein liege "strafrechtlich nichts vor“, rechtfertigte er sich.

Historiker und Politikwissenschafter legen den Grauen Wölfen Tausende Anschläge gegen türkische Intellektuelle, Gewerkschafter und Oppositionelle zur Last. In den 1970er-Jahren mordeten sich ihre Schergen durch das Land und bereiteten den Boden für den Militärputsch 1980. Längst nicht alle Täter wurden verurteilt. Viele von ihnen kamen unter der aktuellen AKP-Regierung durch Amnestierungen frei. In Nordrhein-Westfalen beobachtet der Verfassungsschutz die Grauen Wölfe wegen ihrer "ethnisch (rassistisch)-nationalistisch orientierten, stark islamisch gefärbten Ideologie, ihrer Gewaltbereitschaft und der am Führerprinzip ausgerichteten totalitären Strukturen“.

In den 1990er-Jahren griffen Schlägertrupps der Grauen Wölfe auch in Deutschland und Österreich linke Veranstaltungen an. "Das ist vorbei“, sagt Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich (MKÖ). Grund für Entwarnung gibt es nicht. Der Idee eines rassisch reinen Türkentums verfallen längst nicht mehr nur eingeschriebene Vereinsmitglieder. Extremismusforscher warnen seit geraumer Zeit vor einem frei vagabundierenden Nationalismus. Hassvideos, rassistische Verhetzung bis hin zu Mordaufrufen im Internet und Rapper, die zu brutalen Beats "Kurde verreck“ texten, liefern unerschöpfliche Nahrung.

Sowohl einheimische Rechte als auch ihre türkischen Pendants rekrutieren den Nachwuchs stark über Musikszenen und Konzerte. In den Berichten des österreichischen Verfassungsschutzes werden die Grauen Wölfe seit 2010 aber nicht einmal erwähnt. Das macht es nicht einfacher, die rote Linie zu ziehen. Nach außen treten die Grauen Wölfe als harmlose Freizeitklubs oder als unpolitische Kultur- und Moscheevereine in Erscheinung. Intern herrsche ein hartes Regime, sagen Insider.

Die Mitarbeiter in Jugendzentren haben ihre liebe Not zu entscheiden, "ab wann es gefährlich wird“, stöhnt ein Streetworker aus Oberösterreich. Hier sind die Grauen Wölfe - neben Tirol, Vorarlberg und Wien - weit verbreitet. Das Jugendzentrum x-Treff ist der Freizeithafen der Bildungs-Gestrandeten aus Traun. Es sind zum überwiegenden Teil Burschen, die nicht mehr als die zweite oder dritte Hauptschulklasse geschafft haben und inzwischen den vierten oder fünften Berufsorientierungskurs absolvieren.

Kürsat möchte Profifußballer werden.
Furkan sieht sich als Kfz-Mechaniker. Ein Onkel arbeitet in einer Autowerkstätte, sein Neffe baut darauf, dass er ihm bei der Stellensuche hilft: "Das ist meine Chance. Ich bin ja nicht so perfekt in der Schule.“ Für viele seiner Freunde ist Leiharbeit der Rettungsanker. Als Schichtarbeiter bei Banner Batterien oder beim Baumaschinenhersteller Neuson verdienen sie genug, um sich ihren Traum vom protzigen Auto zu erfüllen. Eine echte Perspektive ist das nicht. "Wenn die Aufträge zurückgehen, stehen sie auf der Straße“, beobachtet x-Treff-Leiter Schinko.

Wie ein Trabant klebt die Stadt Traun an der Landesmetropole Linz. Jeder fünfte der 23.000 Einwohner hat Migrationshintergrund. Ein Café, in dem sich vorzugsweise türkische Gastarbeiter treffen, heißt Sakarya - nach der türkischen Provinz, aus der viele der Zugewanderten stammen. Ihre Kinder gingen in Traun zur Schule, wo sie von der Heimat ihrer Eltern vor allem die Gräuel der Türkenbelagerung mitbekamen. Bei der freiwilligen Feuerwehr, der Blasmusik und der Polizei blieben die "echten Österreicher“ unter sich.

Alltagsrassismus, Demütigungen und Ausgrenzungen erleben nicht nur türkisch-stämmige Jugendliche. Und sie sind auch nicht die Einzigen, die darauf mit Abschottung und aggressiver Rückbesinnung antworten. Andreas Peham, Rechtsextremismus-Experte im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), zieht als Anti-Rassismus-Trainer durch Berufsschulen und Lehrwerkstätten. Er berichtet von Machismo, Hass auf Schwule, Frauenverachtung und Antisemitismus, Soldatenverehrung und Gewaltverherrlichung "quer durch die Ethnien“.

Von Rechtsextremismus redet Peham bei unter 18-Jährigen ungern: "Da geht es oft um Probleme der Adoleszenz, Angst vor Vereinzelung, wenn man sich von den Eltern löst, extreme Scham, die bei männlichen Jugendlichen stark mit dem Stimmbruch zusammenhängt.“ Die Rechtsorientierung sei - neben Drogen oder Gewaltverherrlichung - eine von mehreren pathologischen Lösungsmechanismen: "Sie ist kontraphobisch“ - ein Mittel gegen die Angst.

Der Wolf steht für Wildheit, Freiheit, Loyalität.
"Solche Symbole lieben Jugendliche, ohne deshalb gleich rechtsextrem zu sein“, sagt auch Ercan Yalcinkaya, Leiter der Jugendeinrichtung Back on Stage in Wien. Was für türkische Zuwanderer die Grauen Wölfe, seien für ihre Altersgenossen die Zeichen der serbischen Tschetnik oder die in Kroatien verbotenen Symbole der Ustascha. Mernyi, ein aufmerksamer Beobachter rechtsextremer Strömungen, will sie dennoch nicht auf eine Stufe stellen. Wirklich vergleichbar seien nur türkische Rechtsradikale und ihre einheimischen Gegenspieler: "Es gibt den Ring Freiheitlicher Jugend auf der einen Seite und die Grauen Wölfen auf der anderen. Ich kenne daneben keine rechte Gruppierung mit einer auch nur annähernd so effektiven Vereins- und Nachwuchsarbeit.“

Vor zwei Wochen in einem Wiener Jugendzentrum:
Weder Ringe noch Tätowierungen verraten, dass der 16-jährige Mehmed* sich als Grauer Wolf versteht. "Man muss das im Herzen haben“, habe sein Vater ihm eingetrichtert. Er war fünf Jahre alt, als er an seiner Hand zum ersten Mal in jene Moschee ging. Inzwischen habe sich der alte Herr aus der Politik zurückgezogen. Es gebe nur noch wenige "richtige Graue Wölfe“, klage er, zu viele, die mit ihren Zeichen lediglich spielten. Anders als seine Altersgenossen aus Traun in Oberösterreich kennt sich Mehmed mit dem Wolfsgruß aus: Zeigefinger und kleiner Finger stehen für die Ohren, aber auch für Islam und Nation. Ringfinger und Mittelfinger symbolisieren nicht nur die Schnauze, sondern auch den türkisch-islamischen Zusammenhang. Das Loch dazwischen, die Augen, bedeuten: Sieg!

"Manche sagen, wir sind Faschisten. Aber das stimmt nicht. Wir sind dazu da, den Islam zu verbreiten und für die Türkei zu kämpfen“, sagt er. Das wisse er aus den Geschichtsstunden, die der "Chef“ der Moschee hält. Mehmed verstummt, als der 22-jährige Ahmed* zur Runde stößt. Auch ihm hatte der Vater den Weg in die Moschee und in die Partei gewiesen. "Wir sind von der MHP“, sagt Ahmed. Er war 14, in einem schwierigen Alter, als die Grauen Wölfe ihn auffingen. Unter ihnen habe er Freunde, Sportkameraden und jene "älteren Brüder“ gefunden, die er im richtigen Leben vermisste. Bei Problemen mit seiner Freundin oder im Job frage er sie um Rat: "So läuft das bei uns: Wir kriegen das Wissen von den Älteren und geben es an die Jüngeren weiter.“

Vor wenigen Monaten mieteten die Grauen Wölfe die Olympia-Eishalle in Innsbruck für ihre traditionelle große Zusammenkunft. Neben populären Partei-Künstlern wie Ahmet Safak reiste auch Devlet Bahceli an, der aktuelle MHP-Führer. Für Ahmed war das ein Pflichttermin: "Allein von unserem Verein sind 240 Leute hingefahren.“ Auf einem Video-Mitschnitt, den er auf seinem Handy abspielt, sieht man türkische Nationalflaggen neben den Fahnen mit den drei Mondsicheln.

Für seinen österreichischen Pass hat Ahmed nur ein Achselzucken übrig: "Ich halte zu meinem Stamm.“ Er will "Ruhe in unserem Land“ und meint ein "großtürkisches Reich“, in dem weder Armenier Platz haben - "die respektieren unsere Religion nicht“ - noch Kurden, die für einen eigenen Staat kämpfen: "Raus damit!“ Üble Mächte ortet er auch außerhalb. Israel zum Beispiel. "Wer meine Brüder tötet, ist mein Feind“, sagt Ahmed. Davon abgesehen interessiere ihn weder die türkische AKP-Regierung noch die heimische Innenpolitik: "Mein Vorbild ist der MHP-Gründer Alparslan Türkes, und das bleibt so, solange ich lebe.“

Auch Ahmed trägt keine Zeichen nach außen. Doch wenn er jemandem die Hand gibt, hakt er den kleinen Finger unter den kleinen Finger seines Gegenübers - ein Erkennungszeichen der Grauen Wölfe, das ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist: "Ich kann nicht mehr anders.“

Rechtsextremismus ordnet die Welt in oben und unten, Unschuldige und Sündenböcke. Das erklärt seine verführerische Wirkung auf Jugendliche, die eine unübersichtliche und feindliche Umwelt überfordert. DÖW-Experte Peham glaubt nicht, dass der Besuch von ehemaligen Konzentrationslagern allein gegen faschistisches Gedankengut immunisiert: "Wir müssen ihnen Werkzeuge in die Hand geben, die ihnen helfen, die Welt zu begreifen.“

Wer diese Mühe scheut, dürfe sich nicht wundern, wenn sich eine anfängliche Faszination für Gewalt im Laufe der Jahre zu einer Ideologie festigt, die Gewalt legitimiert: Frauen darf man unterdrücken, Israel hassen, Ausländer verprügeln. Aus langjähriger Beobachtung weiß Peham, dass "sich bei 80 Prozent der Jugendlichen der Rechtsextremismus irgendwann abschleift“.

Der Rest aber bleibt in der Szene.

* Name von der Redaktion geändert

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges