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Salzburger Festspiele: Kathleen Morgeneyer als „Jungfrau von Orleans”

Salzburger Festspiele. Kathleen Morgeneyer spielt die „Jungfrau von Orleans”

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Es ist bisweilen heikel, Künstler auf schlechte Kritiken anzusprechen. Wer möchte schon, dass man den Finger in schwärende Wunden legt? So viel Ego muss erlaubt sein, gewisse Schwächen nicht öffentlich diskutieren zu müssen.

Die deutsche Schauspielerin Kathleen Morgeneyer, Jahrgang 1977, funktioniert da ganz anders. Die "Berliner Zeitung“ schrieb vor zwei Jahren über Schnitzlers "Liebelei“ in Frankfurt: "Kathleen Morgeneyer, diese talentierte und rückhaltlose Schauspielerin, muss aufpassen, dass sie sich nicht selbst auf den Leim geht.“ Als Christine, das tragisch "süße Mädel“, das aus Liebe vor die Hunde geht, leide sie an einer Überidentifikation mit ihrer Figur. Morgeneyer, so die Zeitung, brauche einen Regisseur, der sie davor bewahre, sich von Gefühlen schier überrollen zu lassen.

Sich mit Haut und Haaren auf eine Rolle einlassen, Mut zu starken Gefühlen, dazu der Hang zur Tragik: Mit dieser Form des Spiels wurde Morgeneyer 2009 schlagartig berühmt. In Jürgen Goschs Inszenierung von Tschechows Künstlerdrama "Die Möwe“ spielte sie Nina, eine junge Schauspielerin, als ebenso ernstes wie ätherisches Wesen, mit "hinreißender Zerbrechlichkeit und Unbedingtheit“, wie die überregionale deutsche "taz“ schwärmte. Prompt wurde sie vom Fachblatt "Theater heute“ zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gekürt. Der Haken daran: Morgeneyer wurde auf einen Rollentyp festgelegt - auf zarte, zerbrechliche, sehr ernste Frauenfiguren. Jede andere Schauspielerin hätte es sich in der Nische des sensiblen Jungstars wohl bequem gemacht. Morgeneyer wollte das nicht. Im profil-Gespräch blickt sie auf diese Zeit mit Distanz zurück: "Hat man mit einer bestimmten Art der Darstellung Erfolg, wird natürlich immer wieder das Gleiche verlangt. Aber man verändert sich doch als Mensch! Ich wollte keineswegs auf Schmerz abonniert sein.“

Nach zwei intensiven, körperbetonten Arbeiten mit Stephan Kimmig - sie spielte Wedekinds erotische Männerprojektion "Lulu“ und eben die irrlichternde Christine in "Liebelei“ - verließ Morgeneyer das Schauspielhaus Frankfurt. Sie zog 2011 nach Berlin, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen: "Mir ist es wichtig, auch außerhalb des Theaters Freunde zu haben, zudem ist Berlin für mich noch immer die liberalste und impulsivste Stadt Deutschlands.“ Der Wechsel hat ihr offensichtlich gut getan: Es ist erstaunlich, wie unprätentiös und zupackend die zierliche Schauspielerin mit dem hellen Teint und den großen, blauen Augen privat wirkt. Sie entschuldigt sich, dass sie gerade ihr Baby im Arm hat. Vielleicht müsse sie kurz unterbrechen, falls das Kind schreit.

Morgeneyer wuchs in Chemnitz auf, einst tiefe DDR, nach dem Krieg in Karl-Marx-Stadt umbenannt. Ihr Vater war Bauingenieur, die Mutter Berufsschullehrerin. Mit 17 verließ Morgeneyer das Gymnasium - und brach nach Berlin auf, um sich an der Ernst-Busch-Schauspielschule zu bewerben, was Jahre später erst klappen sollte. In Berlin blieb sie trotzdem, zog in ein besetztes Haus und spielte pantomimisches Theater. Nach Lehrjahren in Düsseldorf und Frankfurt war ihr erneuter Wechsel nach Berlin - sie ist seit der Spielzeit 2011/12 Ensem-blemitglied des Deutschen Theaters - wohl auch eine Art Heimkehr in ihre Lieblingsstadt. "Ich finde es toll, wie sich alles vermischt hat. Wie man den Unterschied zwischen Ost und West nicht mehr merkt.“

Morgeneyer ist erst seit einigen Jahren im Geschäft. Dennoch hat sie mit erstaunlich vielen stilprägenden Regisseuren gearbeitet. 2011 wirkte sie etwa in Dea Lohers "Unschuld“ mit. Regie führte damals Michael Thalheimer, der dafür bekannt ist, die Bühne von unnötigen Requisiten zu befreien, die Schauspieler ganz auf sich selbst gestellt agieren zu lassen. Im Rahmen der diesjährigen Salzburger Festspiele wird Morgeneyer erneut unter Thalheimers strengen Regievorgaben eine der rätselhaftesten Frauenfiguren der Dramatik verkörpern: Friedrich Schillers Version der "Jungfrau von Orleans“, der Geschichte jenes Bauernmädchens, das plötzlich die Stimme Gottes zu hören vermeint und Frankreichs Truppen in die Schlacht führt. "Es ist ein extremer Krieg, der sich über 100 Jahre hingezogen hat“, reflektiert Morgeneyer den historischen Hintergrund des Stücks: "Generationen leben ohne Frieden. Und da kommt plötzlich eine Figur wie Johanna. Eine junge Frau, die sagt: ‚Leute, ich weiß, wo es langgeht.‘“ Abgesehen von der Energie der Figur interessiert Morgeneyer auch der moralische Brückenschlag zur Gegenwart: "Was heißt das überhaupt: ein Land zu befrieden? Gewalt mit Gewalt zu beantworten?“ Deutschland sei schließlich einer der wichtigsten Waffenexporteure, der auch Krisenstaaten wie Syrien beliefere.

Zudem gelte es grundsätzlich zu klären, wie "unschuldig und heilig“ diese Johanna tatsächlich sei. "Man kann diese Rolle nicht nur naiv spielen, sie erfordert extreme Klarheit und Kraft“, sagt die Schauspielerin. "Sie baut sich mit ihrer Keuschheit ein Gerüst, um zu überleben. Schiller hat das fantastisch beschrieben: Sobald sie mit Liebe konfrontiert ist, kann sie nicht mehr töten. Wenn sie zu fühlen beginnt, wird aus der Mordmaschine eine Frau aus Fleisch und Blut.“

Apropos Mordmaschine. Als Morgeneyer 2009 als beliebteste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet wurde, endete das Porträt in "Theater heute“ mit der Feststellung, die Komödiantin in sich habe diese grundernste Akteurin noch zu entdecken. Hat sich da etwas verändert? "Ich muss über alle meine Rollen lachen, selbst dann, wenn ich eine Mörderin spiele“, sagt Morgeneyer. "Die Menschen sind von außen betrachtet doch immer ein bisschen lächerlich.“

Karin   Cerny

Karin Cerny