Schöpfungsgeschich-te: Gott und die Welt

Schöpfung: Gott und die Welt. Evolution sei Sichtweise, keine wissenschaftliche Theorie

Nach Schönborns Kritik an der Evolutionsbiologie

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Die vergangenen 400 Jahre waren ein bitteres Rückzugsgefecht für die katholische Kirche. Sah sie den Menschen einst von Gott in die Mitte des Kosmos gestellt, musste sie später eingestehen, dass er auf seinem Planeten eher hilflos am Rande der Milchstraße im Universum residiert. Die erblühenden Naturwissenschaften hatten, was die Bewegung der Himmelsgestirne oder die Entstehung der Arten betrifft, schlicht die besseren Karten. Die Bibel war kein guter Wegweiser, um das auseinander driftende Weltall oder Dinosaurierspuren zu erklären. Über die Jahrhunderte bildete sich so ein Waffenstillstand heraus – Physik, Biologie und Chemie durften das Universum samt Inventar erforschen, während sich die Religion um Fragen jenseits der Empirie kümmerte.

Doch nun sind offenbar andere Zeiten angebrochen. Kardinal Christoph Schönborn nahm am 7. Juli in einem Kommentar für die „New York Times“ die Evolutionsbiologie aufs Korn: „Jegliches Gedankengebäude, das die überwältigende Beweislage für Design in der Biologie negiert oder wegerklären will, ist Ideologie, nicht Wissenschaft“, schreibt Schönborn. Demnach hätten Paläontologen, Anthropologen, Genetiker und Biologen, die mithilfe von Mutation und Selektion die biologische Erdgeschichte rekonstruierten, einen Mitwirkenden in dem Naturschauspiel glatt übersehen: Gott und seine ordnende Hand.

Vergessen scheint mit einem Male, was Papst Pius XII. 1950 in seiner Enzyklika „Humanae generis“ erklärte: Evolution sei als „ernst zu nehmende Hypothese zu werten, die einer Erforschung und vertiefenden Reflexion würdig“ sei, was Papst Johannes Paul II. 1996 mit den Worten ergänzte, Evolution sei „mehr als nur eine Hypothese“. Die Evolution grundsätzlich infrage zu stellen würde heute denn auch der Behauptung gleichen, die Erde sei eine Scheibe.

Schönborn verteufelt die Evolutionstheorie nicht in Bausch und Bogen. Er gesteht zu, dass sie „im Sinne eines gemeinsamen Vorfahren wahr sein könnte“. Doch stößt er sich daran, dass die Entwicklung vom Zufall getrieben und ohne Ziel vonstatten gehen soll. Freilich unterlässt er es, die Hypothese eines von Gott gestifteten Plans mit empirischen Beobachtungen zu untermauern. Dies appelliert vor allem an jene, die keine Beweise brauchen: die Konvertierten, die in einer Evolution ohne Sinn und Verstand einen Frevel an Gott erkennen.

In den USA, wo Schönborns Aufsatz wohl nicht zufällig erschien, ist seit Jahren eine neue, religiös inspirierte Bewegung aktiv, die in der Welt „intelligentes Design“ erkennen will. Diese Gläubigen gestehen zu, dass unser Universum mehrere Milliarden Jahre alt ist und dass es sogar Evolution gibt – genau wie Schönborn. Nur glauben sie, dass die Welt viel zu komplex sei, als dass eine ziellose Entwicklung ein so brillantes Geschöpf wie den Menschen hätte hervorbringen können. Vielmehr stehe dahinter ein ausgeklügeltes Projekt, das nicht nur von einer höheren Intelligenz initiiert worden sei, sondern in jedem Einzelschritt weiter gesteuert werde.

Die einflussreichste Institution, die sich der Verbreitung dieses modernen „Kreationismus“ – im Gegensatz zur buchstäblichen Bibelauslegung – verschrieben hat, ist das in Seattle ansässige Discovery Institute, dessen Kassen von christlichen Fundamentalisten üppig gefüllt werden. Die Einrichtung dient der Verbreitung der Botschaft eines göttlichen Uhrmachers. Der Vizepräsident dieses Instituts, Mark Ryland, kennt Schönborn von einer gemeinsamen Tätigkeit am Internationalen Theologischen Institut im niederösterreichischen Gaming.

Der Lieblingssport der Intelligent-Design-Jünger ist es, in Lücken der Evolutionstheorie zu bohren. Doch auch wenn es in Charles Darwins Lehre der Entstehung der Arten, wie in jeder Disziplin, stellenweise Erklärungsbedarf gibt, gehört sie doch zu den erfolgreichsten Modellen moderner Naturwissenschaft. Ihre Anerkennung verdankt sie keinem „Dogma“, wie Schönborn vermeint, sondern tausendfacher wissenschaftlicher Bestätigung.

Darwin begründete die Evolutionstheorie in seinem epochalen, 1859 veröffentlichten Werk „Über die Entstehung der Arten“. Darin erklärte er, dass sich eine Art über viele Generationen hinweg entwickelt, um sich wandelnden Lebensbedingungen anzupassen. Das ermöglichte zwei Faktoren: Zum einen zeugt eine Spezies mehr Nachwuchs, als zur Erhaltung der Art notwendig ist. Die Nachkommen unterscheiden sich wiederum in ihren Merkmalen, die durch Mutationen – spontane Veränderung ihrer Gene – zustande kommen. Wenn Individuen um die natürlichen Ressourcen in ihrer Umwelt konkurrieren müssen – mit Artgenossen und anderen Spezies –, setzen sich zwangsläufig jene durch, die sich durch ihre Mutationen besser angepasst zeigen. Über viele Generationen bildet sich so durch die Selektion neuer genetischer Eigenschaften eine neue Art. Je mehr ökologische Nischen es zu besetzen gibt, desto mehr Arten können sich ausbilden.

Unscheinbarer Vorfahr. So entstand auch der Mensch. Dem Stand der heutigen Forschung zufolge begab sich vor mehr als 55 Millionen Jahren ein Säugetier, das einem Eichhörnchen geähnelt haben mag, auf die Bäume, um sich dort von Blüten und anderer Pflanzenkost zu ernähren. Dieses unscheinbare Tier war der Ahnherr aller Primaten. Mehrere Eigenschaften erinnern noch an diese Vergangenheit: die exzellent ausgebildeten Greifhände, das geschärfte Sehvermögen und das ungewöhnlich große Gehirn, das einen weiteren Selektionsvorteil bot. Vor rund sechs Millionen Jahren, nehmen Forscher heute an, zweigte sich aus der Primatenfamilie der Zweig der Hominiden, unserer Urgroßeltern, ab. So passend dieses Modell die Vielfalt des Lebens auf der Erde erklärt, so war sich schon Darwin durchaus offener Fragen bewusst, deren Beantwortung Evolutionsbiologen bis heute noch beschäftigen.

Fehlschläge. Zwar führt Darwin anhand der Galapagos-Finken aus, dass neue Arten durch gesteuerte Selektion vorteilhafter Mutationen entstehen, die ihre Überlebenschancen sichern. So hätten die Vögel, die, wie Darwin vermutete, von einer einzigen Spezies abstammten, über die Zeit ökologische Nischen besetzt und eigene Arten ausgebildet. Doch Darwins eigene Experimente, eine neue Taubenspezies zu kreieren, scheiterten. Statt einer neuen Art züchtete er nur extreme Formen bestehender Spezies, die sich weiterhin untereinander fortpflanzen konnten.

Der Meister konnte auch nicht erklären, wie es während der „kambrischen Explosion“ vor 540 Millionen Jahren zu einem stupenden Anstieg der Artenvielfalt kam, rund 40 Millionen Jahre, nachdem eine mehrere Millionen Jahre währende Supereiszeit zu Ende gegangen war – nur Mikroben hatten die Kälte überlebt. Bis heute bleibt dieses Frühlingserwachen des Lebens eine harte Nuss, denn offenbar tauchte wie aus dem Nichts eine Vielzahl neuer Tiere mit völlig unterschiedlichen Bauplänen auf. Darwin erklärte: „Der Fall muss vorerst ohne Erklärung bleiben; er kann in der Tat als berechtigter Einwand gegen die hier entwickelten Ansichten vorgebracht werden.“ Was fehlte, waren fossile Spuren, die als graduelle Vorstufen des Kambriums gelten konnten.

Die Lücke ist freilich kein Beweis für die Falschheit der Evolutionstheorie, sondern nur für ihre Unvollständigkeit. Und eine Lösung zeichnet sich ab: Der Geologe Bruce Liebermann von der University of Kansas hat im Vorjahr mittels Simulationen errechnet, dass sich die Tierstämme der kambrischen Evolution bereits lange vorher auseinander entwickelt haben müssen – die Explosion war womöglich gar nicht so plötzlich. Ein chinesisch-amerikanisches Forscherteam entdeckte in den Steinbrüchen der südchinesischen Provinz Guizhou kürzlich die ältesten bislang bekannten Fossilien von strukturierten Lebewesen. Die 580 bis 600 Millionen Jahre alten Tierüberreste sind nicht einmal einen Millimeter groß, weisen aber Mund, Rachen und Verdauungstrakt sowie paarige Beulen auf, an denen sich womöglich Sinnesorgane befunden haben.

In allen Zweigen des evolutionären Stammbaums finden sich immer mehr Bindeglieder. Die bekanntesten Beispiele sind Versteinerungen, die belegen, wie sich die Vögel aus den Dinosauriern entwickelten: vom Juravogel Archaeopteryx mit Zähnen und Federn über Dinosauriereier bis hin zu einem 1999 entdeckten, flugunfähigen truthahngroßen Vorfahren des T. Rex namens Sinosauropteryx prima, gehüllt in ein feines Kleid aus Protofedern. Ebenso gibt es Brückenorganismen für den Übergang von Quastenflossern zu Lurchen, von Reptilien zu Säugern und einen Vorläufer des Wals, der einst als Vierbeiner zu Wasser und Land gut vorankam.

Längst beobachten Biologen, wie spontan durch Mutation entstandene Merkmale sich ausbreiten, weil sie einen Überlebensvorteil bieten. So hat die Wildererjagd auf Elefanten wegen ihrer Stoßzähne in Afrika und Asien dazu geführt, dass einige nur mit kleinen oder gänzlich ohne Stoßzähne geboren werden. Und immer weniger Berghornschafe in Kanada tragen ansehnliche Hörner, weil Jäger bevorzugt jene mit kapitalen Trophäen erlegen. Ebenso entwickeln Insekten Resistenzen gegen Pestizide und Bakterien gegen Antibiotika. Der Grund: Sie können sich rascher vermehren, weil sie aufgrund von Mutationen besser angepasst sind.

Virtuelle Evolution. Schließlich haben Computersimulationen, allen voran jene des Digital Evolution Laboratory an der Michigan State University in East Lansing mit ihrer Software „Avida“, gezeigt, dass sich Evolution im Zeitraffer beobachten lässt. In ihrer virtuellen Welt passen sich digitale Organismen ständig wandelnden Umwelten an. Sie vermehren sich tausendfach in wenigen Minuten, wobei bei einem kleinen Prozentsatz dieser Bit-Wesen der Programmcode leicht mutiert, ähnlich wie die DNS. Über tausende Generationen entwickeln Organismen Eigenschaften, die ihnen im Konkurrenzkampf mit anderen einen Überlebensvorteil in ihrer Umwelt verschaffen. Diese Softwarekreaturen vermehren sich zahlreicher als andere, die Mutation setzt sich durch.

Vertreter der Intelligent-Design-Bewegung, etwa der Biochemiker Michael Behe von der Lehigh University, Pennsylvania, behaupten dagegen, ein komplexes Organ wie ein Auge könne nicht zufallsgesteuert, sondern nur mithilfe eines absichtsvollen Plans entstehen. Allerdings fehlt diesen Ansätzen so ziemlich alles, was kohärente Wissenschaft ausmacht: Es gibt keinen einheitlichen Forschungsansatz, keine wiederholbaren Experimente.

So behauptet Behe, das Auge oder die Geißel, mittels welcher sich einzellige Lebewesen wie mit einer Schiffsschraube fortbewegen, wiesen „irreduzible Komplexität“ auf. Dies erläutert er gern anhand der Mausefalle, die aus Brett, Spannfeder, Haltebügel, Schlagbügel und Köderhalter besteht: Entferne man auch nur einen Bestandteil, funktioniere die Vorrichtung nicht. Eine solche Maschine könne nicht evolutionär, also schrittweise, entstehen – sie sei auf dem Reißbrett von einer höheren Intelligenz konzipiert worden. Doch offensichtlich können Elemente in einem Organismus zunächst unterschiedlichen Aufgaben dienen, ehe sie etwa in die Funktion eines Sehorgans eingebunden wurden. Simulationen mit der Avida-Software haben gezeigt, dass sich komplexe Strukturen sehr wohl schrittweise entwickeln können.

Wissendes Universum. Zwar vertreten auch renommierte Wissenschafter Positionen, die entfernt an die ID-Theorie erinnern, jedoch keineswegs den Rückschluss auf einen schöpfenden Gott erzwingen – obwohl sie ihn nicht ausschließen. Seit Jahren argumentieren Forscher wie der Princeton-Physiker Freeman Dyson, dass der Kosmos angelegt sei, um menschliches Leben hervorzubringen: „Wenn wir ins Universum blicken und erkennen, wie viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unserem Wohle zusammengearbeitet haben, scheint es fast, als habe das Universum in einem gewissen Sinn gewusst, dass wir kommen.“

Starkes anthropisches Prinzip wird diese Hypothese genannt, die den Menschen vom unscheinbaren Seitenarm der Milchstraße wieder in den Mittelpunkt des Universums rückt. Hätten die Naturkonstanten nur geringfügig andere Werte, hätte irdisches Leben nie entstehen können. Der Gedankensprung von der Teleologie zur Theologie scheint da nicht weit. Dem russischen Kosmologen Andrej Linde zufolge wäre es möglich, dass die Erde keineswegs zufällig so angelegt sei, dass sie einen nach Gott fragenden Menschen hervorbringt. Womöglich sei sie Teil eines größeren Gebildes, eines Schaumbads von Paralleluniversen, Multiversum genannt, in dem unser Kosmos unter all den ungezählten möglichen Welten eben jene Variante ist, die Leben begünstigt.

Wunder Urknall. Doch schon die Mechanismen des Urknalls halten viele Forscher für ein präzises wie fragiles Wunderwerk. Dass beim Big Bang, als aus einem unendlichen, komprimierten Nichts Materie, Raum und Zeit entstanden und zu expandieren begannen, sich Materie im exakt richtigen Maß gegenüber der Antimaterie durchsetzte, ist tatsächlich erstaunlich. „Wenn der Urknall zu schwach gewesen wäre und das Ganze wieder zusammenbräche, gäbe es uns nicht“, formuliert der Wiener Physiker Walter Thirring. „Wäre er zu stürmisch gewesen, würde sich alles zu schnell verdünnen, und die lebenswichtigen Elemente wie Kohlenstoff und Sauerstoff fehlten.“

Da Thirring seine Betrachtungen voriges Jahr im Buch „Kosmische Impressionen – Gottes Spuren in den Naturgesetzen“ festhielt, wurde er prompt von Schönborn als Zeuge für seine Kritik am Zufall zitiert. Thirring selbst, ein denkbar besonnener Wissenschafter, der seine Forschungen noch mit Größen wie Albert Einstein, Erwin Schrödinger und Wolfgang Pauli debattierte, verfasste Ende der Vorwoche eine Stellungnahme, „um diese Kontroverse von einem emotionellen auf ein wissenschaftliches Niveau zu heben“.

Darin kritisiert er sowohl die vage Verwendung des Begriffs „Zufall“ wie auch die Phrase von einem „intelligenten Plan“. Letztere sei schlicht „inhaltsleer“, denn irgendwie müsse sich Evolution „ja entwickeln, und man kann das Resultat immer zum Endziel erklären“. Thirring bietet versöhnlichere, wenn auch sperrigere Aussagen an: „In den einzelnen Schritten der Evolution ist keine Abweichung von den durch Zufall vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten zu erkennen.“ Zugleich finde die Evolution „den extrem unwahrscheinlichen Weg zu immer komplexeren Strukturen und zum Menschen“. Doch um wissenschaftliche Beweise gehe es in dieser Kontroverse ohnedies nicht, denn wie solle der Beleg für einen göttlichen Plan je erbracht werden, fragt Thirring: „Es handelt sich um eine Sichtweise, nicht um eine wissenschaftliche Theorie.“

Von Hubertus Breuer