Ist die Sterneküche passé?

Schummelnde Spitzenköche, verhaberte Kritiker, Allianzen mit der ­Industrie

Gastronomie. Schummelnde Spitzenköche, verhaberte Kritiker, Allianzen mit der ­Industrie

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Das Duell wirkt auf den ersten Blick wie ein Kampf mit ungleichen Waffen: auf der einen Seite eine Armee von 16.000 Feinschmeckern, bewaffnet mit Messer, Gabel und Mobiltelefon, auf der anderen ein winziger Spähtrupp aus hoch qualifizierten Köchen und Gastronomieprofis. „Falstaff Gourmetguide“ gegen „Guide ­Michelin“ – so lautet das Frühjahrsduell auf dem Markt der Restaurantführer, das die gesamte Bandbreite der Gastrokritik umfasst. Bereits diese Woche erscheint der Guide des PR-Beraters und Lobbyisten Wolfgang Rosam, für den Heerscharen von Hobbytestern mittels SMS, E-Mail oder Formular ihre „Küchenhelden von morgen“-Votings noch vor dem Abräumen der Dessertteller an die Zentrale übermitteln können. Anfang April folgt der „Guide Michelin“ mit seiner Ausgabe über die „Main Cities of Europe“. Wer in dem roten Buch Sterne erhält, entscheiden gastronomisch ausgebildete Inspektoren, die unerkannt ihr Menü verzehren und erst nach dem Begleichen der Rechnung den Dienstausweis zücken, gleichsam den Durchsuchungsbefehl für die Küche.

Was zuverlässiger, authentischer und wahrhaftiger ist, darüber wird debattiert, seit der professionellen Restaurantkritik von Publikums­guides, Foodblogs und kulinarischen Internetforen zugesetzt wird. Ist es der Applaus der Massen oder der akribische Befund eines hauptberuflichen Testers?

Weder noch, behauptet nun der in Paris lebende Restaurantkritiker Jörg Zipprick in seinem Buch „In Teufels Küche“, einer Art „J’accuse“ anlässlich seines Abschieds vom Testesserdasein. Dem „Heiligenschein der Showbusiness-Köche“ wolle er keine weiteren Sternchen mehr hinzufügen. In der schönen neuen Küchenwelt legen weder Amateure noch Profis den Blick auf die schaurigen Abgründe der Spitzengastronomie frei. „Kein Restaurantkritiker hilft mehr, Aromenblender von Aromenzauberern zu unterscheiden“, sagt Zipprick. Stattdessen regierten Stillschweigen über ominöse Küchenpraktiken, Hofberichterstattung und gegenseitiges Zuschanzen von mehr oder weniger lukrativen Geschäften: „Die Sterneküche in ihrer jetzigen Form ist passé.“

Nicht schon wieder; gerade erst hat sich die Fraktion der Köche und Connaisseurs von der Finanzkrise ein wenig erholt, kommt schon wieder jemand daher, der die Welt der Sterne und Hauben für tot erklären will. Zurück bleibt diesmal aber nicht der mit­tellose, sondern der ahnungslose Gast – ­getäuscht, sowohl was das Essen auf dem Teller als auch was die Kritiken betrifft, die ihn in ein bestimmtes Etablissement gelockt haben.

„Seltene Ausnahme“.
Der Hautgout von Vetternwirtschaft und mangelnder Seriosität begleitet das Genre schon seit seiner Entstehung Ende des 19. Jahrhunderts. Der Mitbegründer der deutschen Gourmet­kritik, Klaus Besser, erklärte 1979, dass die „unbestechliche, unabhängige Restaurantkritik immer noch die seltene Ausnahme“ sei. Hat sich die Branche mit steigender Professionalisierung denn gar nicht gebessert? Wie ehrlich arbeitet die Gourmetkritik? Und kann sie überhaupt objektiv urteilen?

Der deutsche Großkritiker und Gastrofeuilletonist Jürgen Dollase löst das Problem der kritischen Distanz mit einem bemerkenswert sophistischen Ansatz, den er in seinem Stammblatt, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, so formulierte: „Ich bin der Meinung, wenn ich subjektiv etwas so oder so einschätze – dann ist das mit ziemlicher Sicherheit auch objektiv so. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.“ Mit einiger Selbstsicherheit hat es Dollase – im ersten Bildungsweg übrigens Krautrock-Musiker („Wittgenstein“) und bildender Künstler – innerhalb eines guten Jahrzehnts zum wichtigsten deutschen Gourmetkritiker gebracht, ja zur „einflussreichsten kulinarischen Persönlichkeit in Deutschland“, wie das Kulinarik-Magazin „Effilee“ meinte und den 62-Jährigen damit noch vor den einschlägigen Kochshow-Persönlichkeiten rangieren ließ. Mit wissenschaftlichem Ernst doziert Dollase in seinen Kolumnen über Geschmacksakkorde, seziert einzelne Gerichte bis in ihre Feinstrukturen, legte damit fraglos den Grundstein für eine neu­artige, betont sachliche Beschäftigung mit der Spitzengastronomie und diktierte dieser damit auch, kraft seines medialen Ein­flusses, den von ihm favorisierten Küchenstil.

Unter den besten heimischen Köchen herrschte aber erst kürzlich große Verunsicherung, als Dollase erstmals auch Österreich einen breit angelegten Besuch abstattete. Der Kritikerpapst erschien, aß, dankte – und ging wieder. Ohne zu zahlen. Im „Steirereck“ der Familie Reitbauer, bei Walter Eselböck im „Taubenkobel“ und bei Heinz Hanner in Mayerling. Einen solchen Gast, von dessen Besuch man sich doch publizistisch einiges erhoffen durfte, an die Kleinigkeit der Rechnung erinnern? Unmöglich. Dennoch blieb ein schaler Nachgeschmack. Man hätte sich doch zumindest, so einer der Köche, die Frage erwartet, was er denn schuldig sei. Und darauf hätte man wahrscheinlich geantwortet, dass es eine Ehre gewesen sei, ihn als Gast bewirten zu dürfen.

Es war Walter Eselböck, der kurz danach im Kollegenkreis die Idee vortrug, den wichtigsten heimischen Restaurantkritikern doch einmal im Jahr analog zum Kulturbetrieb eine Art Premierenkarte zu gewähren. Eselböck: „Es wäre sicher nicht schlecht, würden Österreichs Gastrojournalisten nicht nur darauf achten, als Erste irgendwo gewesen zu sein, sondern auch darauf, über die Situation in den besten Küchen des Landes auf dem Laufenden zu bleiben.“ Doch der Vorstoß des Vierhaubenkochs wurde rasch gestoppt. Um nicht in den Ruf zu kommen, sich bei der Presse anbiedern zu wollen, hätten mindestens 50 Häuser mitmachen müssen – die Anrainereinwilligungen für die Baugenehmigung einer Dachterrassenwohnung auf dem Stephansdom wären wohl nicht schwieriger einzuholen gewesen. Das letale Argument gegen die Essensbons für Fresskritiker trug schließlich Heinz Reitbauer vor. Der „Steirereck“-Chef zum „Taubenkobel“-Boss: „Die Liste mit den Leuten, die wir gratis essen lassen, machst aber du.“

„Gewisse Rituale“.
Von Essenseinladungen für Fachjournalisten hält auch Christian Grünwald, Chefredakteur des „A la Carte“-Guides, eher wenig: „Unseren Testern wird es auch in Zukunft nicht erlaubt sein, ohne Anonymität aufzutreten oder gar auf Einladungen einzugehen.“ In einem der österreichischen Mentalität und der Größe des Landes entsprechenden Rahmen herrscht ohnehin schon ein gewisses Maß an Nähe zwischen Gastronomen und Kritikern. „Man lernt die wichtigen Köche, wenn man in der Branche arbeitet, irgendwann besser kennen“, so Grünwald. „Und natürlich gibt es gewisse Rituale, bei denen es zur Einladung auf ein Glas Wein oder zwei kommt. Und vielleicht produziert man auch das eine oder andere Kochbuch gemeinsam.“ Auf die Bewertungen habe das aber keinen Einfluss, beteuert Grünwald. Schließlich habe er auch schon mit Heinz Hanner, der im Guide „A la Carte“ lange die Höchstbewertung von fünf Sternen hatte, Kochbücher produziert: „Aber irgendwann war klar, das sind nur vier Sterne, dann handelt man auch danach.“

Der österreichische Gourmetkritiker Florian Holzer, Gastrokolumnist in „Kurier“, „Falter“ und „A la Carte“, beschreibt seinen Zugang zum Tretminenfeld Restauranttest: „Ich versuche tunlichst, mich nicht einladen zu lassen, weil ich weiß, dass damit die Beißhemmung natürlich steigt. Manchmal ist das aber auch nicht möglich, wenn man von den Wirten erkannt und überrumpelt wird. Dann heißt es schon mal, man könne leider keine Rechnung ausstellen, weil nichts boniert worden sei. Andererseits: Wer sich für 60 Euro bestechen lässt und seinen journalistischen Ruf riskiert, dem ist sowieso nicht zu helfen.“ Wolfram Siebeck, als deutscher Gourmetpapst gewissermaßen Vorgänger Jürgen Dollases, begegnet dem Problem mit professioneller Gelassenheit: „Natürlich werde ich erkannt.

Aber die Köche können deswegen auch nicht besser kochen. Und wenn man mir mehr Trüffel auf die Pasta hobelt, nehme ich das so zur Kenntnis.“ Manchmal bleibt es allerdings nicht bei der Extraportion Edelpilz. Jörg Zipprick berichtet von mehreren Fällen, in denen versucht wurde, ihm Kuverts mit einem monetären Gruß aus der Küche zuzustecken. Für wesentlich bedenklicher hält er trotzdem die – zunehmende – ökonomische Verquickung zwischen Kritik und Gastronomie: „An der Spitze der Einkommenspyramide befindet sich der ‚Consultant-Kritiker‘. Er ist nicht nur mit allen Köchen gut Freund, sondern vermittelt auch Personal, Lieferanten und Kontakte.“

Derlei Freunderlwirtschaft ziehe sich bis in die höchsten Regionen des Gewerbes und grassiere selbst beim „Guide Rouge“ von Michelin, der mit seinem Sternesystem nach wie vor als goldener Standard der Gourmetkritik gilt. Der im Jahr 1900 erstmals veröffentlichte Führer rezensiert heute in 25 verschiedenen Ausgaben über 45.000 Lokale in aller Welt und verfügt über einen in der Branche unerreichten Einfluss. Den er zum Teil schamlos ausnütze, so Zipprick: „Jean-Luc Naret, der bis vor Kurzem Direktor des französischen ,Guide Michelin‘ war, arbeitet heute als Konsulent – für den Michelin, aber auch für Hoteliers und Wirte. Seine Lebensgefährtin Colette Poupon betreibt eine Beratungsagentur für die Spitzengastronomie – und das schon während Narets Amtszeit. Vor Kurzem gestand mir ein weltberühmter Koch, dass Dutzende Kollegen Kunden bei Frau Poupon waren. Wirklich unabhängig klingt das nicht.“ Auch die Tester des ­Michelin seien, so Zipprick, nicht immer auf der Höhe ihres hehren Anspruchs: „So ­anonym, wie sie vorgeben, sind die Michelin-Männchen nicht. Einmal durfte ich das selbst erleben. In einem Restaurant an der Loire begrüßte mich ein Oberkellner mit folgendem Satz: ‚Heute sitzt der Michelin-Tester neben Ihnen. Der ist immer etwas laut.‘ Zwei Stunden später prostetet ein rundlicher Grauhaariger mit strammem Alkoholkonsum dem Koch zu: ‚Glückwunsch, du hast deinen zweiten Stern gerettet.‘“

Visionär.
Auch die deutschen Kritikerpäpste halten den „Guide Michelin“ für „nicht in allen Situationen so treffsicher“ (Siebeck) beziehungsweise für „ein Instrument der französischen Küchen- und Exportpolitik“ (Dollase). Wobei Dollase selbst nicht vor seltsamen Nebengeschäften gefeit ist. Für die „FAZ-Gourmetvision“ entwirft er gemeinsam mit ausgewählten Spitzenköchen spezielle Menüs, die er auch publizistisch begleitet und die, mit dem Qualitätssiegel des Gourmetvisionärs versehen, für üppige Umsätze sorgen. Der Kritiker als Kooperationspartner – ein visionäres Modell? Oder doch ein drastischer Fall von Unvereinbarkeit?

Zu hinterfragungswürdigen Kooperationen kommt es auch in Österreich
immer wieder. So besorgte etwa „Falstaff Gourmetguide“-Herausgeber Wolfgang ­Rosam mit einer seiner PR-Agenturen die Öffentlichkeitsarbeit des neuen Sofitel-Hotels mit dem spektakulären Nobelrestaurant „Le Loft“ im 18. Stock. Auswirkungen eines solchen Deals auf die Bewertungen im Guide, die ohnehin von Votern stammen, streitet er strikt ab: „Ich habe schon ein Gefühl dafür, was geht und was nicht. Das Engagement ist eine Ausnahme gewesen und befindet sich außerdem gerade im Auslaufen.“

Konkurrent „Gault Millau“ wiederum unterstützt derzeit die Bemühungen des Kapselkaffee-Multis Nespresso, in der Spitzengastronomie Fuß zu fassen. Gemeinsam veranstalten die beiden Unternehmen ab
28. März die „Nespresso Gourmet Weeks“ mit günstigen Menüs in Haubenrestaurants. Und auch wenn so mancher dieser Köche in gepflegten kulinarischen Plaudereien seine Genussphilosophie eher an Privatmischungen kleiner italienischer Garagenröstereien orientiert, fallen für den Kapselhersteller lupenreine PR-Testimonials ab: „Liebhaber von Nespresso legen Wert auf höchste Qualität und sind daher für uns potenzielle Gäste“ („Esszimmer“-Chef Andreas Kaiblinger). Andere Kollegen sehen die Veranstaltung weniger rosig und gestehen ihre Angst vor dem Liebesentzug durch den Guide für den Fall, nicht zu kooperieren. „Gault Millau“-Herausgeber Karl Hohenlohe hält das für paranoid: „Gastronomen, die ernsthaft annehmen, meine Frau und ich würden Betrieben, die sich nicht an den Nespresso Gourmet Weeks beteiligen, Punkte oder Hauben abziehen, sind zu Recht verunsichert. Ein Zusammenhang zwischen den Bewertungen und den Gourmet Weeks ist völlig ausgeschlossen. Das Problem ist immer noch, dass die Gastronomen glauben, wir machen einen Führer für die Gastronomen, aber wir machen einen Guide für die Gäste.“

Dennoch verfestigt sich der Eindruck, dass Restaurantkritik, Gastronomie und Lebensmittelindustrie durchaus auch an einem gemeinsamen Strang ziehen. Mit Folgen für den Gast: Jörg Zipprick stellt in diesem Zusammenhang vor allem die – zuletzt etwas aus der Mode geratene, im vergangenen Jahrzehnt aber stilprägende – Molekular­küche an den Pranger, wie sie der spanische Dreisternekoch Ferran Adrià und sein ­britischer Kollege Heston Blumenthal populär machten. Mit allerlei physikalischen und chemischen Tricks werden da Schäumchen aufgeblasen, unerhörte Texturen entworfen und avantgardistische Food-Formen kreiert. Zipprick: „Ich bin davon überzeugt, dass hier planmäßig ein Markt aufgebaut wurde, der nicht nur für die Lebensmittelindustrie, sondern vor allem für die chemische und die Aromenindustrie interessant ist und dessen Umsätze nach wie vor rasant wachsen. Zunächst wurden die Ikonen der Branche angesprochen und wohl auch finanziell gefördert. Mit deren Testimonial wird dann die mittlere Ebene der Gastronomie angegangen. Traditionelle Köche, die früher mit Kalbsfüßen gelierten, verwenden heute Alginat – weil es der weltbeste Koch auch benutzt.“

Vielfältige Möglichkeiten.
Tatsächlich kursieren nicht nur in Spitzenküchen regelrechte Chemiebaukästen voller Aromen, die nur aufgesprüht werden müssen und langwierige oder kostspielige Küchentechniken obsolet machen. Zipprick: „Der Beislwirt wird wahrscheinlich nicht mit Blumenaromen hantieren, aber Buttergeruch oder Röstaroma könnten ihn schon interessieren.“

Die vielfältigen Möglichkeiten haben eine Generation von Köchinnen und Köchen fasziniert; jetzt aber, wo authentische Regionalküche im Trend liegt, käme das Eingeständnis, Zusatzstoffe zu verkochen, gastronomischem Selbstmord gleich. Schon vor Jahren bekam dem Sternekoch Jean-Claude Bourgeil das arglose Geständnis, in manchen Speisen Glutamat zu verwenden, nicht gut. Er wurde von den Guides abgewertet – ebenso wie sein Kollege Nils Henkel, der seinen Gästen den Heringskaviar Harenga oder Avruga servierte, ein molekulares Konstrukt aus Räucherfisch, Stärke, Zitronensäure, ­Sepiatinte und dem Geliermittel Xanthan.

Ob Joachim Wissler, derzeit als Deutschlands bester Koch gehandelt, heute immer noch erzählen würde, dass er zu dünne Forellenfilets mit Transglutaminase-Enzymen, dem formgebenden Bestandteil von Pressschinken und Wurstwaren, zusammenklebt? Auf einem Symposium im Jahr 2008 machte er es. Die aktuelle offizielle Sprachregelung in der Spitzengastronomie lautet aber mittlerweile: Zusatzstoffe? Nie gehört.
Einsickern werden sie nach Ansicht von Experten dennoch. „Sobald das Zeug etwas billiger wird“, sagt „A la Carte“-Chef Grünwald, „wird das natürlich auch bei uns ein Thema werden, und wir werden Dinge zu uns nehmen, von denen wir gar nichts wissen wollen.“ Dass so Konsumenten getäuscht werden, sei vielen Köchen gar nicht bewusst. „Die Winzer in den sechziger Jahren haben ja auch geglaubt, wenn man Wein zuckert, ist das eine Veredelung.“

Schon heute berichten Köche hinter vorgehaltener Hand von Besuchen durch Vertreter der Lebensmittelindustrie, die neue Perspektiven für Geschmacksintensitäten, Konsistenzen und Texturen versprechen. „Ich könnte mir sogar Sprays zulegen“, sagt einer, „mit denen das Brot am Tisch stundenlang so frisch und knusprig riecht wie frisch aus dem Ofen.“
Immer häufiger verkaufen die Köchinnen und Köche ihr Image als Bewahrer des reinen Geschmacks auch an die Nahrungsmittelindustrie – manchmal berechnend, manchmal auch nur leichtgläubig. Alfons Schuhbeck findet es auch als „Erneuerer der bayrischen Küche“ nicht bedenklich, ­Dosensuppen unter dem Gourmet-Label „Escoffier“ zu bewerben, für „foodwatch“ bloß Billigware „voller Zusatzstoffe wie ­Mononatriumglutamat, Farbstoffe, Verdickungsmittel und Stabilisatoren“.

TV-Köchin Sarah Wiener durfte im vergangenen Jahr für die Deutsche Bahn (DB) Rezepte entwerfen – als „überzeugte Botschafterin gesunder Ernährung“. Doch als Verbraucherschützer an eine originalverpackte „Schweinefleischroulade mit Kerbelpesto“ gelangten, war die Liste der Zusatzstoffe so lang wie jene der natürlichen Zutaten. Wiener fühlte sich von der Bahn getäuscht, man habe ihre Rezepte nachträglich verfälscht; sie hatte offenbar angenommen, dass ihre Kreationen täglich frisch und naturbelassen in den Speisewägen nachgekocht werden.

Bleiben viele Fragen, vor allem aber diese: Wem kann man eigentlich noch vertrauen? Für den emeritierten Restaurantkritiker Jörg Zipprick gibt es nur zwei Auswege aus dem Küchenschlamassel. Erstens: verpflichtende Nennung aller Zusatzstoffe auch in der Spitzengastronomie. Zweitens: als Gast nicht lockerlassen und beim nächsten ­Restaurantbesuch nach Zusatzstoffen, ­Convenience und Laboraromen fragen. Zipprick: „Leider dürften Sie nur bei wenigen Wirten mit einer ehrlichen Antwort rechnen.“

Lesen Sie im profil 11/2011 ein Interview mit Gourmetkritiker Jörg Zipprick über den Zusammenhang zwischen Molekularküche und Lebensmittelindustrie, korrumpierte Kritiker und die Erben des Suppenwürfels.