Schurkenparadies Wien

Schurkenparadies. Warum Wien dubiose Politiker, Großkriminelle und Geheimdienstler anzieht

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Es waren nicht gerade günstige Bedingungen: Shukri Ghanem hatte Feinde und konnte nicht schwimmen. Vergangenen Sonntag Früh trieb der libysche Ex-Premier ertrunken in der Neuen Donau. Unfall? Selbstmord? Mord? Alles scheint möglich. Verdächtig ist, dass es so gar keine Spuren gibt. Keinen Zettel oder Abschiedsbrief, keinen Hinweis auf „Gewalteinwirkung von außen“, keine Augenzeugen, nichts.

Wirklich? Wie ein Reflex drängt sich gelernten Österreichern die Frage auf, ob die Polizei nicht viel mehr weiß, als sie vorgibt. Hat sie denn gar keine Telefone abgehört? Keine Hinweise durch Nachrichtendienste erhalten? Hat sie nicht einmal herausgefunden, ob Morgenspaziergänge zu den Gewohnheiten Ghanems gehört haben? Angeblich war der Personenschutz für den Libyer erst vor kurzer Zeit eingestellt worden.

„Kein Kommentar“, heißt es bei der Polizei, es handle sich um einen „Verschlussakt“. Die Leiche wurde eilig nach Libyen ausgeflogen. Man ermittle „in alle Richtungen“, doch gehe man von einem „Unfall“ aus.
Neben Selbstmord und Mord die wohl unwahrscheinlichste Variante.
Die Frage nach der Rolle der Polizei vor dem Hintergrund bestimmter Staatsinter­essen stellt sich in Österreich seit vielen Jahrzehnten automatisch. Der Fall des bei einem harmlosen Spaziergang plötzlich gestorbenen Gaddafi-Vertrauten weist die Donaumetropole Wien wieder einmal als das aus, was sie auch lange nach Ende des Kalten Kriegs immer noch ist, heute vielleicht sogar mehr denn je: ein Magnet und Zufluchtsort für undurchsichtige Gestalten, die sich selbst, ihre Familien und ihr Geld in Sicherheit bringen und dabei gut leben wollen. Für diese Zielgruppe hat Wien historisch gewachsene Strukturen parat, die nicht nur diesen Gästen, sondern auch dem Land Vorteile bringen. Das war zwar nicht immer sympathisch, aber fast immer nützlich.

Gerade zwei Jahre ist es her, dass sich die USA und Russland einigten, ins Netz gegangene Spione des jeweils anderen in einer filmreifen Aktion auszutauschen, und dafür eine symbolträchtige Kulisse auswählten: den Flughafen Wien-Schwechat. Zwei Flugzeuge landeten, Gestalten huschten hin und her, und weg waren sie wieder.

Zuletzt kam es im Vorjahr zu einer dieser symptomatischen „Amtshandlungen“, mit denen Österreich immer wieder aufgefallen ist: Der wegen mutmaßlicher, in Litauen begangener Kriegsverbrechen international gesuchte Ex-KGB-Offizier Michail Golowatow war der österreichischen Exekutive zufällig ins Netz geraten. Doch nach kürzester Zeit wurde er nach einer Weisung des Justizministeriums freigelassen und konnte nach Russland fliegen. Ministerin Beatrix Karl hatte sichtlich Probleme, Dinge zu erklären, die ihr selbst unheimlich zu sein schienen, und erzählte etwas von formellen Entlassungs­gründen wie versäumte Fristen durch Litauen.
Nicht weniger seltsam gestaltete sich das Verhalten der österreichischen Behörde nach einem Vorfall in der Döblinger Villa von Saif Gaddafi, dem Sohn des früheren libyschen Diktators, der jahrelang in Wien gelebt hatte: Am 12. April 2007 gegen fünf Uhr Früh war eine ukrainische Gespielin Gaddafis vom Balkon der Villa gestürzt und hatte sich dabei so schwer verletzt, dass sie für Tage ins Koma fiel und sich danach – angeblich – an nichts mehr erinnern konnte. Fluchtartig hatte Saif Gaddafi selbst wenige Stunden nach dem Vorfall Österreich mit einem Privatflugzeug verlassen. Doch die Ermittlungen wurden ohnehin sofort eingestellt. Man habe seine Leibwächter befragt, und die hätten gemeint, die Dame sei selbst abgestürzt, so die Staatsanwaltschaft. Gaddafi selbst wurde dazu nie einvernommen.

Der ehemalige Chef des Wiener Sicherheitsbüros, Max Edelbacher, erklärt heute: „Ja, ja. Wahrscheinlich war es ganz anders“. In Österreich habe es immer schon eine „politische Weisungswut“ gegeben.

Als im Juli 1989 ein iranisches Exekutionskommando in Wien drei iranische Kurdenführer ermordete, ließ man die Täter laufen, eskortierte sie sogar zum Flughafen. Danach deutete die österreichische Regierung an, vom Iran erpresst worden zu sein. Womit, wurde nie bekannt.

Doch offensichtliche Brüche der Rechtsstaatlichkeit im Dienst undurchsichtiger Interessen sind nur eine der Facetten, die diese Stadt zu einem weltweiten Unikum in Geheimdienstangelegenheiten aller Art machen. Neben dem Bankgeheimnis, das die sichere Anlage von Vermögen von Gewaltregimen oder großkriminellen Organisationen begünstigt, gibt es in Österreich kein Gesetz, das Spionage verbieten würde, solange sie nicht gegen Österreich gerichtet ist.

„Wer dunkle Geschäfte machen und sich verstecken wollte, ging eben nach Wien. Da wusste man, dass die Polizei sowieso wegschaut“, erklärt der deutsche Mafia-Spezialist und Buchautor Jürgen Roth. „Seit den neunziger Jahren wurden von russischen Mafia-Bossen in Wien Hunderte Firmen gegründet. Das Geld wurde in Banken, Firmen und Immobilien lukrativ veranlagt. Und niemand fragte lange, woher das Geld kommt.“

Für bestimmte Gruppen waren solche Bedingungen mehr als gastfreundlich. Und das augenzwinkernde Verständnis der Wiener für Dinge, die besser verschwiegen werden, ihr virtuoses Taktieren, das gute Essen, die hohe Sicherheit und viele andere Aspekte machen Wien zu einer Traumdestination, wo selbst pensionierte Agenten ihren Lebensabend gern verbringen. Das erzählt der Grazer Historiker und Geheimdienstspezialist Siegfried Beer. Nach seiner Schätzung leben heute 5000 bis 7000 „Geheimdienstler“ in Wien. Personen, die ihre offenen beruflichen Tätigkeiten als Deckmantel einsetzen, während sie dunkle Kanäle mit Informationen versorgen.

„Untertauchen, überleben, sich aus der Verfolgung lösen“
, das war, so Beer, schon während der Monarchie das Ziel zahlloser Menschen, die es aus allen Richtungen in den multiethnischen Kessel Wien getrieben hat. Ausgleichendes Taktieren, Offenheit für verschiedene Völker und Religionen seien schon ein Markenzeichen des Kaisers Franz Joseph gewesen.

Ihr Meisterstück lieferte die charmante Wiener Doppelbödigkeit während der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg ab, als es in der von gleich vier verschiedenen Besatzungsmächten kontrollierten Wiener Gesellschaft von Doppel- und Dreifachspionen nur so wimmelte. Beer: „Als die Besatzer 1955 offiziell abzogen, hatten sie sich unter ihren Deckmänteln längst eingerichtet. Der Kalte Krieg dauerte dann fast 50 Jahre, und Wien war einer der Hauptschauplätze. Viele Agenten ließen sich am liebsten nach Wien versetzen, da war es lustig und gemütlich, so richtig wienerisch.“

Erst Bruno Kreisky, der die Wiener Gerissenheit mit Weltbürgertum zu verbinden wusste, sei „draufgekommen, dass man da was machen kann“, und habe damit begonnen, den arabischen Raum für Europa zu öffnen.
Willkommene Begleiterscheinung: Österreich blieb – mit wenigen Ausnahmen – von nahöstlichem Terror verschont.

Und selbst beim Anschlag auf die Wiener OPEC-Zentrale im Dezember 1975 gab es eine typisch österreichische Lösung. Der venezolanische Terrorist Carlos hatte mit seinen Gefolgsleuten im Auftrag Libyens 62 Geiseln, darunter elf Erdölminister, in seine Gewalt gebracht. Nach Verhandlungen wurden die Terroristen samt 33 verbleibenden Geiseln am nächsten Tag zum Flughafen Schwechat eskortiert, wo bereits ein Flugzeug der AUA wartete. Der damalige Innenminister Otto Rösch verabschiedete sich dort auch von Terrorist Carlos per Handschlag.

Michael Sika, pensionierter Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, erinnert sich an die Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als sich das Gesicht der „Ost-West-Drehscheibe“ Österreich veränderte. Nun trafen sich die großen Bosse der so genannten Russen-Mafia mit ihren Kollegen aus Italien, um Jagdreviere ­abzustecken und Geschäfte einzufädeln. Sika: „Bis zu zwölf namhafte Bosse der Ostmafia haben in Wien gewohnt und diese Stadt genossen – an vornehmen Adressen wie am Wiener Graben. Man wusste, Schießereien stören, daher haben sich fast alle daran gehalten, unauffällig zu leben.“

Nur als der georgische Pate David Sanikidse 1996 in der Wiener Innenstadt erschossen wurde, gerieten einige Kollegen in Panik und übersiedelten – so wie der Russen-Kapo Sergej Michailow – in die Schweiz.

Auch für Oligarchen und Despoten aus Zentralasien wurde Wien ein beliebter Aufenthaltsort. Rakhat Alyev, Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew und ehemals Vize-Außenminister, wurde Botschafter seines Lands in Österreich. Doch dann brach Na­sarbajew mit ihm. Die kasachische Justiz stellte 2007 ein Auslieferungsgesuch wegen angeblicher Beteiligung Alyevs an der Entführung und Ermordung von kasachischen Bankmanagern. Die österreichische Justiz lehnte die Auslieferung ab. Um gute wirtschaftliche Kontakte mit Kasachstan nicht zu stören, wurde Alyev aber aufgefordert, Österreich zu verlassen. Er tat dies mit einem eigens für ihn ausgestellten Fremdenpass und soll sich nun in Malta aufhalten.

Der Cousin des syrischen Staatschefs Bashar Assad, Rami Makhlouf, der mit Banken, Telekom-Firmen und Rohstoffhandel zu den reichsten Geschäftsleuten seines Landes aufstieg, besitzt in Wien zwei Hotels und eine Bar. Im Vorjahr suchte er – als sein Name schon auf der über Assads Gefolgsleute verhängten Boykottliste der EU stand – erfolglos um die österreichische Staatsbürgerschaft an. Hätte er dies einige Jahre zuvor getan, könnte er sich heute über einen EU-Pass freuen. Mit dem EU-Beitritt musste Österreich zwar einige besonders bei Kriminellen beliebte Traditionen wie anonyme Konten und Sparbücher aufgeben, aber auch dies wissen Eingeweihte wettzumachen.

So werden Strohmänner oder Stiftungen als Kontoinhaber angemeldet. Somit gehen Aufforderungen der UN oder EU, Konten von Despoten und deren Vertrauten einzufrieren, oft ins Leere. Die Oesterreichische Nationalbank fordert heimische Banken auf, verdächtige Konten zu sperren und zu melden. Im Falle des Gaddafi-Clans wurden so immerhin 1,2 Milliarden Euro aufgespürt, die inzwischen wieder freigegeben wurden. Doch die neuen Machthaber in Libyen können noch nicht über die gesamte Summe verfügen. Die Banken fordern von den neuen Eigentümern genaue Nachweise über die Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche. Und das kann noch Jahre dauern.

Lesen Sie im profil 19/2012: Mord, Selbstmord, Unfall? Wie auch immer Gaddafis Ex-Premier Shukri Ghanem gestorben ist: Sein Tod könnte im Zusammenhang mit einem dubiosen Milliardendeal um Libyens größte Raffinerie stehen.