Morgenrot

Porträt. Gabi Burgstaller, die Immer-wieder-Zukunftshoffnung der SPÖ

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In schwierigen Situationen hilft die Routine. Wenn Politiker zu einem Thema Stellung nehmen sollen, das ihnen überhaupt nicht in den Kram passt, können sie auf ein bewährtes Instrumentarium zurückgreifen. Zur Auswahl steht etwa 1. der Schachtelsatz: Wer lange genug um eine Frage herumschwadroniert, hat gute Chancen, sie letztlich nicht beantworten zu müssen. Journalisten vergessen beim achten Gliedsatz mitunter, was sie eigentlich wissen wollten. Ebenfalls gerne genommen wird Variante 2, die Unzuständigkeit: Leider, leider habe man keinen Einblick in die Details und könne zum aktuellen Problem nichts beitragen. Sollte auch das nichts nützen, kann der Mandatar immer noch in Richtung 3, die kleine Intrige, ausweichen. Er teilt kräftig aus, verrät ein paar Parteiinterna, nimmt dem Fragesteller aber zugleich das Versprechen ab, nicht zu publizieren, wer da gerade in Geständnislaune war.

Es geht aber auch so, wie es die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller am 30. Dezember vorigen Jahres machte. Im Anschluss an eine Pressekonferenz wurde sie nach ihrer Meinung zu den aktuellen Vorfällen im ORF befragt. Kein einziger hoher SP-Politiker hatte sich bis dahin zur hochnotpeinlichen Causa geäußert. Doch Burgstallers Antwort ließ an Klarheit keine Wünsche offen: "Pelinkas Bestellung schädigt den ORF“, sagte sie. "Wir sollten so etwas nicht nötig haben.“

Einen Tag vor Silvester kann ein Landespolitiker schon mal in leichtsinniger Stimmung sein und einfach drauflosplaudern. Aber bei Gabi Burgstaller hat der Tabubruch System. Drei Wochen vorher hatte sie sich zum wiederholten Mal einer heiligen Kuh der heimischen Sozialdemokratie mit frisch geschliffenem Fleischermesser genähert: Eine "schweigende Mehrheit“ sei längst für Studiengebühren, erklärte Burgstaller. "Ich bedaure es sehr, dass vor allem meine Partei hier blockiert.“

Dazwischen ging sich auch noch eine verbale Breitseite gegen eine altehrwürdige Institution aus. "Wir brauchen diesen Bundesrat nicht“, erklärte sie. Die Zukunft der Länderkammer wird das Schicksal des Landes nicht entscheiden, das weiß Burgstaller. "Aber es wäre schon wohltuend, wenn die SPÖ sagen würde: Jetzt machen wir auch einmal symbolisch etwas. Das ist wichtig in der Politik“, findet die Salzburger Landeschefin.

Klare Aussagen sind in der Spitzenpolitik selten geworden. Gabi Burgstaller wirkt, als hätte sie die Spin-Doctoring- und Politkunstsprech-Offensive der vergangenen Jahre einfach geschwänzt. Natürlich ist es kokett, wenn sie behauptet, sie würde von sich aus gar nicht so oft die Bundespolitik kommentieren. "Aber wenn ich gefragt werde, lüge ich nicht“ (siehe Kasten rechts). Möglich, dass auch der berühmte "Gabi“-Charme seine einstudierten Elemente hat. Doch im Vergleich zum Herumgedruckse der Kollegen ist Burgstallers Umgang mit politischen Realitäten eine angenehme Abwechslung. Sie versteckt sich nicht hinter Floskeln, und sie versucht nicht, offensichtliche Fakten durch hartnäckiges Leugnen einfach wegzuadministrieren. Burgstaller beweist, dass man lange in der Politik sein und trotzdem relativ normal kommunizieren kann.

Inhaltlich hat sie noch dazu ziemlich oft Recht.

Das befördert natürlich die Fantasie des Publikums. Seit Jahren gilt Burgstaller als Personalreserve der Bundespartei. Sie selbst betont zwar bei jeder Gelegenheit, keinesfalls nach Wien zu wollen. "Immer wieder denke ich darüber nach, vielleicht noch einmal etwas ganz anderes zu tun“, erklärte sie profil. Aber geleugnet haben andere auch schon - bevor sie sich dann doch stolz lächelnd befördern ließen. Wenn es um die eigene Karriere geht, sagt möglicherweise nicht einmal Gabi Burgstaller die ganze Wahrheit. "Sie ist klug genug, das niemals aktiv anzustreben“, meint etwa der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden.

"Burgstaller als Präsidentin?“, fragte sich die "Kronen Zeitung“ vor Kurzem und brachte die Salzburger Landeshauptfrau damit als mögliche SPÖ-Kandidatin bei der Bundespräsidentenwahl 2016 ins Spiel. "Wenig Chancen werden nämlich der farblosen Parlamentspräsidentin Barbara Prammer eingeräumt, und der lautstarke ÖVP-Kandidat Erwin Pröll wäre dann auch schon knapp 68“, analysierte das Blatt messerscharf. Einen Tag vor diesem Bericht hatte die "Krone“ bereits ein imperiales Lüfterl über der Vielgelobten wehen lassen. "Süß wie Kate und Prinz William“, textete der Gesellschaftsreporter neben einem Foto von Burgstaller und ihrem Mann Anton Holzer. Für die Wiener Hofburg reicht es aus Sicht der "Krone“ damit wohl auf jeden Fall.

Auch die Bevölkerung kann nicht glauben, dass die heute 48-Jährige bis zu ihrer Pensionierung im Salzburger Chiemseehof sitzen wird. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Karmasin für profil sagen fast 50 Prozent der Befragten, dass Burgstaller in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen wird. Nur fünf Prozent halten das für ausgeschlossen. "Angesichts der sonst mäßigen Begeisterung für Politiker ist das ein erstaunlich hoher Vertrauensvorschuss“, meint Sophie Karmasin.

Mehr Grund zur Sorge als Erwin Pröll hat aber wohl Bundeskanzler Werner Faymann. Es ist ein wenig schwierig, sich die temperamentvolle Gabi Burgstaller hinter den Tapetentüren der Wiener Hofburg vorzustellen. Beim Bundeskanzleramt gleich gegenüber und bei der SPÖ-Zentrale ums Eck sieht die Sache anders aus. Für Faymann ist die vorlaute Landespolitikerin eine ständige Bedrohung. Und er weiß aus eigener Anschauung, dass die Kollegin ganz schön gefährlich sein kann. Im Juni 2008 hatte sie dem damaligen Parteichef und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer die Gefolgschaft aufgekündigt, indem sie sich aus dem Bundesparteipräsidium zurückzog. Es war der erste offene Affront gegen Gusenbauer aus dem eigenen Führungszirkel. Zwei Monate später musste er das Amt weiterreichen - an Werner Faymann.

Burgstaller hat Jus studiert und startete ihre berufliche Karriere in der Konsumentenschutzabteilung der Arbeiterkammer Salzburg. Dort war sie maßgeblich an der Aufarbeitung des Skandals um die Wohnbaugesellschaft WEB beteiligt. Am 15. September 1993 analysierte die Tageszeitung "Kurier“ diverse Personalrochaden in der Salzburger SPÖ. Zwei Routiniers im Landtagsklub seien "gegen zwei politisch-taktisch unbedarfte Quereinsteigerinnen gewechselt“ worden, stand da zu lesen. Zumindest in einem Fall irrte der Autor. Gabi Burgstaller, eine der Neuen im Landesparlament, wurde schon wenige Wochen später zur Klubobfrau ernannt - und politisch unbedarft war sie nun wirklich nicht.

Fünf Jahre danach wurde sie Landesrätin, 2001 Landesparteichefin. Am 7. März 2004 gelang ihr die Sensation: Im seit 1945 von der ÖVP dominierten, zutiefst konservativen Salzburg gewann die SPÖ unter Burgstallers Führung die Landtagswahl. Der Wahlkampf war ganz auf die Spitzenkandidatin zugeschnitten gewesen: "Eine von uns“, stand auf den Plakaten - ein ziemlich hausbackener Slogan, der seine Würze aus der Doppeldeutigkeit bezog. Burgstaller ist nämlich keine Salzburgerin, sondern kommt aus Penetzdorf bei Schwanenstadt in Oberösterreich. Auch eine tiefrote Ahnengalerie gibt es nicht. In der Bauernfamilie, aus der sie stammt, wurde seit jeher schwarz gewählt. "Eine von uns“ hieß in Burgstallers Fall: Vor ihr braucht sich niemand zu fürchten, sie kennt und mag beide Seiten.

Bei der Wahl 2009 musste die SPÖ zwar Verluste einstecken, blieb aber Nummer eins im Land. Und die Partei weiß recht gut, wem sie das zu verdanken hat: "Ohne Gabi wäre die Salzburger SPÖ eine Baustelle. Da hätten wir wirklich ein Problem“, sagt der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden. Auch Cyriak Schwaighofer, bis vor Kurzem Grünen-Chef im Land, hält das rote Salzburg für eine Episode mit Ablaufdatum. "Wenn Burgstaller nicht mehr antritt, ist Salzburg für die SPÖ verloren.“ Der Koalitionspartner ÖVP hat sich damit abgefunden, dass gegen die Popularität der Landeschefin kein Kraut gewachsen ist. In Umfragen liegen die zwei größten Parteien derzeit fast gleichauf. Geht es um die Führungsfrage im Land, kann VP-Chef Wilfried Haslauer seiner Konkurrentin nur hinterherhecheln. "Einen reinen Sympathiewettbewerb würden wir nicht gewinnen“, knurrt ein Schwarzer.

Gabi Burgstallers größtes Talent ist ihre völlige Unverkrampftheit im Umgang mit den Bürgern. Wer sie einmal im Wahlkampf oder auch nur beim zwanglosen Plaudern auf der Einkaufsmeile erlebt hat, sieht einschlägige Aktivitäten der Kollegen plötzlich mit ganz anderen Augen. Burgstaller muss vorher nicht durchatmen und sich eine Geschichte ausdenken, sie muss sich nicht kleiner oder größer machen, sie muss nicht einmal ihre Ausdrucksweise ändern. Ganz von selbst und völlig zwanglos entwickeln sich Gespräche. Über das Wetter, die Familie, die Frühlingsmode, das Pensionssystem.

Kumpelhaftigkeit alleine macht noch keinen guten Politiker - und man kann es auch ohne diese Eigenschaft ziemlich weit bringen. Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel etwa haben das Bad in der Menge stets erkennbar gehasst und waren dennoch erfolgreich. Aber es macht den Job schon sehr viel angenehmer, wenn man sich nicht vor den Leuten fürchtet. Ein wesentlicher Stressfaktor fällt weg, und der politische Alltag ist leichter auszuhalten.

Praktisch seit Beginn ihrer Karriere begleitet Burgstaller aber auch der Vorwurf, ihre Arbeit allzu pragmatisch und weitgehend visionslos anzugehen. Sie habe keine Idee, wo Salzburg in zehn, zwanzig Jahren sein solle, wird bemängelt. Der Grüne Cyriak Schwaighofer hat auch festgestellt, dass ihr der Elan für die Mühen der Ebene abgehe. "Sie ist offen für Neues und immer gleich Feuer und Flamme“, sagt er, "aber bei der Umsetzung fehlt ihr dann meistens die Konsequenz.“ Deshalb würde sie auch so gerne gegen Wien sticheln. Das sei einfach und schnell erledigt.

Tatsächlich ist Salzburg in den fast acht Jahren unter Gabi Burgstaller kein wesentlich anderes Land geworden. Gleich nach ihrer Amtsübernahme hatte sie die ÖVP vor den Kopf gestoßen, als sie die Landeskliniken anwies, ab sofort auch Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Doch dieser ersten Auseinandersetzung folgten nicht viele weitere. Im Prinzip versteht man sich ganz gut im Landhaus. Gabi Burgstaller ist mit den Jahren weit genug in Richtung Mitte gerückt, um mit der Volkspartei eine ziemlich große ideologische Schnittmenge zu bilden. Die Unterschiede sind oft bloß noch atmosphärischer Natur.

Einen möglichen kleinen Skandal hat Burgstaller abgedreht, bevor er richtig in Schwung kommen konnte. Der Globalisierungskritiker Jean Ziegler war als Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele im Vorjahr erst ein- und dann wieder ausgeladen worden. Burgstaller rechtfertigte die Maßnahme ungelenk mit Zieglers angeblicher Nähe zu Libyens Ex-Diktator Gaddafi.

Mit den Kollegen in der Landeshauptleutekonferenz matcht sich Burgstaller aber ganz gerne. Sie gehört zu den wenigen Landeschefs, die Föderalismus nicht ausschließlich als Mittel zum Machterhalt begreifen. Als etwa der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll vor zwei Jahren forderte, alle Lehrer in die Kompetenz der Länder zu übersiedeln, waren nur zwei Vertreter im Gremium dagegen: der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler und Gabi Burgstaller. Das Institut für Föderalismus in Innsbruck, das bei Bedarf gerne Kampfgutachten für jeden Anlass liefert, bekommt aus Salzburg schon seit Jahren keine finanziellen Beiträge mehr. Mit den 60.000 Euro, die das jährlich gekostet habe, könne sie Besseres anfangen, ließ Burgstaller ausrichten. "Derartige Studien sind ja lächerlich.“ Dafür spricht sie sich für die Steuerhoheit der Bundesländer aus - eine Maßnahme, die von den meisten anderen Länderchefs abgelehnt wird, weil Geld ausgeben zwar lustig ist, Geld eintreiben aber Sympathien kosten könnte. Nicht einmal die Landtage hält Burgstaller für sakrosankt. "Würde man ganz konsequent eine Staatsreform machen, müsste man sich von den Landtagen verabschieden“, erklärt sie.

Wechsel von der höchsten Ebene der Landes- in die Bundespolitik kommen im österreichischen Demokratiebetrieb kaum vor. Wer es sich einmal im Sessel des Landeshauptmanns gemütlich gemacht hat, hat in aller Regel keinen Grund, nach höheren Weihen zu streben. Zu Hause ist es nett, im Bund gibt es nur Gequengel.

Die einzige Ausnahme von dieser Regel war Josef Klaus. Er wurde 1964 ÖVP-Bundeskanzler. Dass er vorher Landeshauptmann von Salzburg war, sollte Werner Faymann vielleicht zu denken geben.

Rosemarie Schwaiger