Durch die Hintertür

Stadt Wien will Kapital aus Gemeindewohnungen schlagen

Wien. Die Stadt will Kapital aus den Gemeindewohnungen in bester Lage schlagen

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Zu Neujahr flatterte der Künstlerin Martina Mara Braun und ihren Nachbarn ein Schreiben der Stadt Wien in den Postkasten: Ihre alten Biedermeierhäuser in bester Lage am Spittelberg im siebten Bezirk seien mit 1. Jänner 2013 von einer Tochtergesellschaft der stadteigenen Gemeindebauverwaltung „Wiener Wohnen“ übernommen worden, der Immobilienholding Wiseg. Die Häuser seien damit keine „klassischen Gemeindebauten“ mehr. Das Angebot der Stadt: „Sollten Sie es wünschen, können Sie gleich als auch zu jedem späteren Zeitpunkt in eine andere Gemeindewohnung umziehen.“ Frau Braun und ihre Nachbarin, die Regisseurin Christine Wipplinger, haben „das Gefühl, als wolle man uns hinauskomplimentieren“.

Die Wiseg wurde 2010 zur Sanierung der in den 1930er-Jahren entstandenen Werkbundsiedlung in Hietzing gegründet. Mit Jahreswechsel übernahm die Immobilienholding 43 historische Bauten, die meisten stammen aus dem 18. und dem frühen 19. Jahrhundert. Der Großteil der insgesamt 857 Wohnungen befindet sich in Top-Lagen innerhalb des Gürtels. Die Stadt hatte sie im Laufe der Jahrzehnte durch Schenkungen und Erbschaften erworben und sie bisher allesamt als „Gemeindebauten“ gewidmet.

Doch nun verwertet das rot-grüne Rathaus die lukrativen Objekte wie ein privater Immobilienentwickler.

Still und heimlich
Im Vorfeld der Volksbefragung lauern derzeit an jeder Straßenecke Wiens die Plakate der roten Stadtpartei: „Die SPÖ schützt die Gemeindebauten vor den Folgen der Privatisierung.“ Die Intention ist klar. In den Gemeindebauten wohnt eine halbe Million Menschen – jede dritte Stimme kommt bei Wahlen in Wien aus dem Gemeindebau. Nun ist die Stadt aber gerade dabei, aus Gemeindewohnungen in bester Lage Kapital zu schlagen. Dazu hat sie sich über die Immobilienholding ­Wiseg indirekt private Immobiliengesellschaften ins Boot geholt.

Kurz nach Neujahr wollte eine Jungfamilie, ansässig am Spittelberg, zwei Häuser weiter in eine größere Gemeindewohnung ziehen. Sie war gerade frei geworden. Die Familie fragte bei der Wiseg nach. Die Antwort: Ihren Vormerkschein für eine Gemeindewohnung könne sie stecken lassen; die Wohnung werde generalsaniert und danach zu einem weitaus höheren Preis vermietet.

Wiens SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig verteidigt das Vorgehen der Stadt. Es handle sich um „für Gemeindewohnungen untypische Objekte“. Und der Rechnungshof habe Wiener Wohnen nahegelegt, „nach Verwertungsmöglichkeiten für nicht klassische Gemeindebauten zu suchen“. Wiener Wohnen sitzt schließlich auf einem Schuldenberg von über zwei Milliarden Euro. Das nahm sich die Stadt offenbar – entgegen allen Wahlversprechen – zu Herzen. Mieter André Reichenberg spricht aus, was viele vermuten: „Die Stadt privatisiert hier still und heimlich durch die Hintertür. Am Ende werden sie versuchen uns loszuwerden und die Wohnungen als Spekulationsobjekte verscherbeln.“

Die Mieten in Privathäusern am Spittelberg sind für Durchschnittsverdiener mit netto fast zwölf Euro pro Quadratmeter schon jetzt kaum bezahlbar. Baut die Stadt nun die Gemeindebauten sukzessive ab, wird das pittoreske Grätzel bald zum Rayon für Bestverdiener. Der durchschnittliche Quadratmeter-„Zins“ beläuft sich in einem Wiener Gemeindebau auf 3,25 Euro. Neu vermietete Gemeindewohnungen der Kategorie A kosten 4,42 Euro pro Quadratmeter und Monat (ohne Mehrwertsteuer und Betriebskosten).

Stadtrat Ludwig kalmiert: Für die bisherigen Mieter werde sich nichts ändern. Frei werdende Wohnungen würden aber künftig „größeren Bevölkerungsgruppen offenstehen“, die auch nicht mehr den strengen Einkommenskrite­rien für Gemeindebaubewohner oder gefördertes Wohnen entsprechen müssen. Grundsätzlich werde der Richtwertmietzins von 5,16 Euro für Neu­bewohner angewendet, bei denkmal­geschützten Häusern müsse man aber mit Zuschlägen rechnen. Wie der Stadtrat ­zudem eingesteht, werden die von der Stadt verlangten Mieten je nach Lage unterschiedlich sein. Ein Novum: Normalerweise gilt für alle Gemeindebauten der gleiche Mietzins, egal, ob sie sich in der Innenstadt oder in Favoriten befinden. Wer in bester Wiener Lage leben will, muss eben mehr dafür zahlen – egal, ob der Hausherr Privatbesitzer oder die Gemeinde Wien ist.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.