Furor ­talaricus

Strasser, Scheuch, Mensdorff: Wie unverblümt dürfen Richter sprechen?

Justiz. Strasser, Scheuch, Mensdorff: Wie unverblümt dürfen Richter sprechen?

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Der ehemalige Straußenzüchter und nunmehrige Waffenlobbyist sah die Sache entspannt. Eben hatte Alfons Mensdorff-Pouilly zum Freispruch von der Geldwäsche-Anklage eine richterliche Standpauke ausgefasst. Gerichte würden es damit manchmal übertreiben, sagte er am 20. Jänner einer Reporterin der „Kronen Zeitung“: „Aber nicht bei mir.“ Im Prinzip habe Richter Stefan Apostol ja Recht damit gehabt, ihm sein Treiben vor Augen zu führen: „Sie schieben da mit Hunderttausenden Euro herum, und andere Leute müssen für sieben Euro die Stunde arbeiten“ (Mensdorff-Pouilly). Selbst die eingängige Beweiswürdigung der Bestechungsvorwürfe im Ausmaß von zwölf Millionen Euro (Apostol: „Ich kann hören, ich kann sehen und ich kann riechen. Und die Sache stinkt. Sie stinkt sehr. Aber sie stinkt nicht genug“) steckte „Graf Lobby“ (Copyright: „Kronen Zeitung“) weg: Der Richter habe wohl eine Sprache gewählt, die ein Bauer wie er verstehe.
Mit Urteilen wie jenem über Mensdorff-Pouilly haben sich die Gerichte aus einer lähmenden Starre befreit. Selbst Seniorenbundobmann Andreas Khol hatte bereits eine Skandaljustiz ausgemacht, „die jahrelang untersucht, nichts anklagt und keine Verurteilungen hervorbringt“. In der Richterschaft habe man die Nase voll davon, die Justiz am Pranger zu sehen, und viele seien angewidert von dreister Korruption, berichtet ein Strafrichter.
Dürfen die Männer und Frauen, die im Namen der Republik urteilen, das auch zeigen?

Umgehend hob eine Debatte an, in der das Für und Wider kraftvoller Richterworte abgewogen wurde. Juristen wie der Wiener Strafrechtsprofessor Helmut Fuchs mahnten streng, „große Zurückhaltung wäre angebracht“. Moralische Seitenhiebe stünden Talarträgern nicht zu. Nun schlage das Pendel in die andere Richtung aus. Sogar von einem „Politiker-Malus“ war die Rede.

Die Unabhängigkeit, Dinge beim Namen zu nennen, wurde zum raren Gut. Ein Strafrichter, der nicht genannt werden will, berichtet, er werde von Medienvertretern diskret ermuntert, Klartext zu reden: „Wer traut sich das noch? Politiker werden dafür durch den Kakao gezogen, Journalisten werden mit Klagen eingeschüchtert.“

Inhaltliche Neuorientierung
In der Auseinandersetzung um die jüngsten Urteile geht es nicht bloß um Stilfragen. Clemens Jabloner, Präsident des Verwaltungsgerichtshofs: „Ich bin überzeugt, dass man ein neues Richterbild finden muss, denn die gewachsene Autorität ist weitgehend weg.“ Der ehemalige oberste Straflegist im Justizministerium, Roland Miklau, erachtet eine inhaltliche Neuorientierung für notwendig: „Denn die Debatte, ob Richter Urteile gesellschaftspolitisch einbetten sollen, wurde in Österreich noch nicht geführt.“

Laut Miklau sei die gesellschaftliche Aufarbeitung der Korruption Teil der Strafbemessung. Stehe – etwa im Fall des EU-Abgeordneten Ernst Strasser – das Vertrauen von 500 Millionen Bürgern auf dem Spiel, „dass EU-Mandatare sich nicht dafür bezahlen lassen, Gesetze zu beeinflussen, darf das auch deutlich gesagt werden“ (Miklau).
Richter Georg Olschak hatte den ehemaligen ÖVP-Innenminister und EU-Delegationsleiter Ernst Strasser Mitte Jänner – nicht rechtskräftig – zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilt und dessen Behauptung, er habe britische Enthüllungsjournalisten für Geheimdienstler gehalten, „zum Abenteuerlichsten, was mir in meiner zwanzigjährigen Erfahrung untergekommen ist“, erklärt. Strasser würde „in Österreich kein Gericht finden, das dieser Verantwortung glauben wird“. Es habe, wetterte Olschak weiter, „in der Zweiten Republik wenige Menschen gegeben, die dem Ansehen der Republik so viel Schaden zugefügt haben“.
Ist das moralisierend? Nicht, wenn es nach Oliver Scheiber, Vorsteher eines Wiener Gerichts, geht: „Das Gesetz kennt Erschwernisgründe, einer davon ist, wenn der Schaden hoch ist.“ Nichts anderes habe der Strasser-Richter – recht unverblümt – ausgedrückt. „Richter dürfen ihre Empörung zeigen, wenn es dafür eine gesetzliche Deckung gibt“, findet Scheiber.
Im Sommer des Vorjahrs wurde der einst so mächtige wie eigenmächtige ­Generalsekretär des Österreichischen Olympischen Comités, Heinz Jungwirth, der ­Untreue im Ausmaß von 3,3 Millionen Euro schuldig gesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Richter Georg Olschak geißelte in der Begründung „die widerwärtige, altösterreichische Funktionärsmentalität“. Fünf Jahre Haft würden dem Verurteilten „Gelegenheit geben, ein Unrechtsbewusstsein zu entwickeln“.
Im Herbst 2012 fand in Klagenfurt der aufsehenerregende Untreueprozess gegen den ehemaligen Kärntner ÖVP-Chef Josef Martinz, Steuerberater Dietrich Birnbacher und zwei Mitangeklagte statt. Auch da wurde Richter Manfred Herrnhofer deutlich: Die Kärntner Landesholding, aus der Millionengelder freihändig verteilt wurden, sei ein „einziges politisches Schlachtfeld“ gewesen.

Es hat lange gedauert, bis die aktuellen Fälle von Korruption und Millionenbestechung vor Gericht kamen. Nun erst zeigt sich, wie schnell Richter nicht nur im Berlusconi-Italien, sondern auch in Österreich ins Schussfeld geraten.

Anzeige wegen Morddrohungen
„Wären wir in Kalabrien, wäre der Richter schon tot“, tönte es bei einer FPK-Kundgebung im Sommer 2011 für den damaligen Parteichef und Vizelandeshauptmann Uwe Scheuch kurz nach dessen erster Verurteilung – später aufgehoben und in die erste Instanz zurückverwiesen – in der „Part of the game“-Causa. Der Klagenfurter Richter Christian Liebhauser-Karl sah sich gezwungen, auf Urlaub zu gehen. „Damit befindet er sich in Sicherheit und ist nicht bedroht“, sagte der Gerichtssprecher. Der Präsident des Landesgerichts erstattete aufgrund der Morddrohungen Anzeige.
Uwe Scheuchs Bruder Kurt drohte damals, man werde sich anschauen, „welche Verbindungen Liebhauser-Karl zur linken Reichshälfte und zu den Freimaurern pflegt“, schimpfte ihn „Kröte“ und „wildgewordenen Rambo-Richter“. Im heurigen Jänner stand Kurt Scheuch deswegen vor Gericht. Im Weg der Diversion stimmte er einer schriftlichen Entschuldigung und 6600 Euro Geldbuße zu. Landeshauptmann Gerhard Dörfler kommentierte abfällig: „Es ist wohl die teuerste Kröte der Welt, belassen wir es dabei.“

Vor Verfahren, die politische und ökonomische Interessen berühren, wird von spezialisierten Agenturen gezielt medialer Druck aufgebaut. Die so genannte Ligitation-PR kam über die USA nach Europa und entwickelt sich hier zusehends zum Mittel der subtilen Prozessbeeinflussung. „Es macht unsere Arbeit nicht leichter“, klagt Werner Zinkl, Präsident der Richtervereinigung. „Wie unbeeindruckt ein Richter auch immer sein mag, auf die Dynamik in der Öffentlichkeit hat er keinen Einfluss. Bleibt er mit dem Urteil unter den Erwartungen, heißt es: Bitte, die Reichen richten es sich! Ein strenges Urteil wird als Politiker-Malus ausgelegt.“
Seit Langem ringt die Richterschaft mit der Frage, wie sie sich unter den Bedingungen der Medienöffentlichkeit des 21. Jahrhunderts noch Autorität verschafft. Gerichtspräsident Jabloner: „Wir sind alle antiautoritäre 68er, nach dem allgemeinen Autoritätsverlust muss die neue Akzeptanz im Sachlich-Fachlichen liegen.“

Sprachliches und kulturelles Feingefühl
Die 68er-Generation hatte die Richterinnen und Richter von ihrer gleichsam gottgleichen Entrücktheit heruntergeholt. Nur noch ältere Semester erinnern sich, wie es im „Grauen Haus“, wie das Wiener Straflandesgericht umgangssprachlich heißt, vor 25 Jahren zuging. „Da waren noch die alten Nazis am Werk, und die Alkoholikerrate war beträchtlich“, erzählt ein Wiener Richter. Angeklagte wurden genauso heruntergemacht wie Zeugen.
2007 beschloss die Standesvertretung der Richter eine Ethikerklärung („Welser Erklärung“), in der es um den respektvollen Umgang mit Parteien und Öffentlichkeit, um sprachliches und kulturelles Feingefühl geht. „Wir sind keine Jäger. Was es wiegt, das hat es, und das stellen wir auch dar“, fasst Barbara Helige, Familienrichterin und Ex-Präsidentin der Richtervereinigung, den Geist des 10-Punkte-Papiers zusammen. Dass die Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus gesellschafts- und rechtspolitische Impulse setzt, wie sie das mit den jetzt kritisierten Urteilen auch tut, ist seitdem Standeskonsens. Klare Worte sind laut Ethikerklärung der Richter Absicht: „Wir bemühen uns daher, in unseren mündlichen und schriftlichen Äußerungen allgemein verständlich zu sein.“

Das ist den Richtern in den aktuellen Korruptionsprozessen zweifellos gelungen. Franz Fiedler von Transparency Österreich: „Ich hatte eigentlich einen Aufschrei über den Freispruch von Mensdorff-Pouilly erwartet, der ist aber nicht gekommen. Der Richter mag in der Wortwahl überschießend gewesen sein, die Gründe für sein Urteil hat er rübergebracht.“
Als Gerichtsvorstand Oliver Scheiber zu den Neulingen in der Justiz gehörte, waren Richterinnen und Richter nach zehn Minuten mit ihren mündlichen Ausführungen fertig: „Heute holen sie manchmal eine Stunde und länger aus, und das auf durchwegs sehr hohem Niveau.“ Auch Ex-Sektionschef Miklau konstatiert eine Wende zum Besseren: „Der Ton im Gerichtssaal ist grosso modo sachlicher geworden.“

Dennoch bleibt der „Furor talaricus“ eine Verlockung, die das österreichische Justizsystem förmlich hervorbringt. Petra Velten, Professorin für Strafrecht an der Universität Linz: „Anders als im angloamerikanischen Raum kippen Strafrichter in Österreich schnell in die Rolle eines Verfolgers, der die Angeklagten überführen soll.“
Georg Herrnstadt lehrt Staatsanwälte, Richter und Rechtspfleger, sich selbst auf die Schliche zu kommen. Eines seiner Seminare heißt „Rationale und irrationale Faktoren der Entscheidungsfindung“. Feldversuche zeigten schon vor Jahrzehnten, dass Richter etwa dann gnädiger urteilen, wenn sie gut gegessen haben. „Nur wer solche Effekte kennt, kann sie vermeiden“, sagt Herrnstadt. Ziel sei es, „im Talar das Unvernünftige hinter sich zu lassen“.

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