Blättern und wischen

Buchverlage: Massive Veränderung der ganzen Branche

Verlage. Nicht nur bei Suhrkamp stehen die Zeichen auf Sturm

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Die Schlagzeilen zur Suhrkamp-Krise überschlagen sich. Die Messer fliegen tief. Von "apokalyptischen Reitern“ und "machiavellistischen Schachzügen“ ist in den Meldungen zum Dauerstreit um Deutschlands renommiertestes Verlagshaus zu lesen - und: "Der Suhrkamp-Wahnsinn geht weiter.“ Die Volten im juristischen Großgefecht, das sich Ulla Berkéwicz, mit 61 Prozent Mehrheitseigentümerin und operative Suhrkamp-Leiterin, und der Hamburger Investor Hans Barlach, der über die Medienholding AG Winterthur mit 39 Prozent am Verlag beteiligt ist, liefern, füllen seit Wochen die überregionalen Feuilletons. Ein Ende der Causa, in der es unter anderem um Gewinnausschüttungen in Millionenhöhe geht, ist nicht in Sicht.

Auch der Salzburger Verleger Jochen Jung beobachtet das Gerangel um das 1950 gegründete Publikationshaus mit reger Anteilnahme - und differenziertem Blick: "Die Erregung um die Person Barlachs hilft nicht weiter. Barlach hat Geld investiert, das er nicht verlieren, sondern wiederhaben will. Dabei handelt es sich um eine normale Geschäftserwartung. Das ist die eine Seite.“ Bilanzen und Bücher, Renditen und Romane seien auseinanderzuhalten: "Auf der anderen Seite steht der Verlag. Suhrkamp ist nach wie vor das wichtigste und aufregendste Verlagshaus der gesamten deutschsprachigen Welt. Offensichtlich hat man in Berlin aber nicht rechtzeitig begriffen, um was für einen Mann es sich handelt, der sich da in den Verlag eingekauft hat. Es kommt immer vor, dass sich bei vertraglichen Vereinbarungen jemand nicht so verhält, wie man das erwarten möchte. Das Dilemma verstärkt sich in diesem Fall, weil es sich dabei um eine Person handelt, die vom Büchermachen nicht nur nichts weiß, sondern offenkundig nichts wissen will.“

Suhrkamp ist Symptom dafür, dass die gesamte Buchbranche vor tief greifenden Veränderungen steht; zugleich zielt die Affäre auf den Kern der Verlagsarbeit: "Kunst und Ökonomie sind dabei zugleich wirksam und wichtig“, kommentiert Jochen Jung. "Verleger, die eher der Kunst zugeneigt sind, empfinden leisen Ekel vor Geld und Geschäft. Für einen Wirtschaftstreibenden wie Hans Barlach ist ein Verlag ein Business wie jedes andere.“

Jung, 71, zählt zu den Grandseigneurs der heimischen Verlagslandschaft. Über seine ungebrochene Lust am Entdecken neuer Autorinnen und Autoren kann er ausufernde Monologe halten. Als Lektor und Leiter des Residenz Verlags pflegte Jung ein Vierteljahrhundert lang legendäre Feindschaften mit Branchenkollegen und intensive Freundschaften mit Autoren wie H. C. Artmann und Peter Handke; 2000 gründete er den Salzburger Kleinverlag Jung und Jung. 2012 gewann eine Jung- und-Jung-Autorin zum zweiten Mal in drei Jahren den Deutschen Buchpreis - die wohl wirkmächtigste Literaturauszeichnung im deutschsprachigen Raum. Jung sei, stand kürzlich in einer Illustrierten zu lesen, der "Letzte seiner Art“, ein von Konzernen unabhängiger Einzelkämpfer.

„Existenzielle Probleme”
Die Frage, wie es mit dem Verlagswesen in Zukunft weitergehe, beantwortet Jochen Jung zuerst mit Schulterzucken und Nachdenkpause. "Der aktuelle Masochismus der Branche erstaunt“, sagt er dann: "Mit großer Leidenschaft malt sie sich aus, wie sie demnächst überflüssig werden wird.“ An den Grundprinzipien der Arbeit - der Manuskriptauswahl und dem professionellen Vertrieb der fertigen Bücher - habe sich auch im Zeitalter von E-Books und Tablets wenig geändert. "Was sich ändert, ist das Erzeugnis am Ende der Produktionskette. Die Digitalisierung wird vor allem zum Problem des Buchhandels. Die Zahl derer, die gute Literatur suchen, wird nicht größer werden. Steigt das Publikum obendrein verstärkt auf digitalen Lesestoff um, steht der Buchhandel vor existenziellen Problemen.“

Kulturpessimismus und düsteres Orakeln sind Jung jedoch fremd. "Dinge verändern sich. Wir ruhen nicht mehr auf Récamieren und Chaiselonguen. Wir müssen das akzeptieren. Bei vielen Dingen ist es schade, sogar überaus schade, dass sie verschwinden. Die Entwicklung wird man dennoch nicht aufhalten können. In Zukunft werden deutlich weniger Bücher aus Papier produziert werden. Verschwinden werden sie nie.“

„Das Medium ist nicht die Botschaft”
Als Student unternahm Jung seine erste Reise nach Italien, nahe Florenz übernachtete er in einer Jugendherberge mit Stockbetten. Auf der Liegestatt über ihm hörte jemand Musik aus einem scheppernden Transistorradio, Beethovens Neunte. "Schöner erschien mir die Symphonie später nie“, erinnert sich Jung. "Die Musik hat damals sicher entsetzlich geklungen. Was uns die Kunst jedoch mitteilen will, das teilt sie uns mit, egal ob im Konzertsaal oder in Form einer Radioübertragung, egal ob als Buch oder als E-Book. Das Medium ist nicht die Botschaft.“ Leser werde es immer geben, ist sich Jung sicher, ob man nun Seiten umblättere oder über Bildschirme wische.

Kürzlich wurde Jochen Jung von einem seiner Autoren gefragt, mit wie vielen elektronischen Exemplaren seines Romans er denn rechnen dürfe. Der Verlagsroutinier erklärte dem Schriftsteller amüsiert die digitale Gegenwart: "Lieber Autor, das funktioniert ein wenig anders.“

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.