Das Ende einer Ferienidylle

Syrien. Österreichische Blauhelme zwischen den Fronten

Drucken

Schriftgröße

Immer öfter schlagen jetzt in unmittelbarer Nähe von Position 37 Granaten ein. Oder Projektile aus einer Kalaschnikow. Oder Querschläger anderer Schusswaffen. Dann können die Österreicher nicht mehr tun, als sich in ihren Bunker zu ducken und Notizen zu machen: Zeitpunkt des Zwischenfalls, Art des Beschusses und mutmaßliche Richtung, aus der das Projektil gekommen ist.

Position 37 liegt am Rand des syrischen Dorfes Jabata al Khashab und ist einer von Dutzenden Beobachtungsposten der Undof (United Nations Disengagement Observer Force), also jener UN-Mission auf dem Golan, die darauf achten soll, dass Israel und Syrien nicht mehr aneinandergeraten.
Die Undof gibt es seit 1974, sie wurde gleich nach dem Ende des Jom-Kippur-Kriegs gegründet. In diesen vier Jahrzehnten kam die Mehrzahl ihrer Soldaten aus Österreich. Bislang galt die Undof als das, was man im Peacekeeping-Sprachgebrauch „Holiday Mission“ nennt: viel Sonne, wenig Stress im Dienst – und in der Freizeit Bergtouren auf dem 2812 Meter hohen Mount Hermon, Bummeln durch den Basar von Damaskus oder bildungsbeflissene Ausflüge zu den zahlreichen archäologischen Sehenswürdigkeiten Syriens. Der durchaus ansehnliche Sold landete auf dem Häuslbauerkonto in der Heimat.

Ein Honiglecken war der Einsatz, wie der Verleger, Schriftsteller und UN-Soldat Franz Hammerbacher schreibt (siehe Text), zwar nicht. Und gänzlich risikofrei ebenso wenig. Immerhin verlor die Undof seit Beginn der Mission 42 Soldaten und einen zivilen Mitarbeiter, meist durch Minen oder Unfälle.

Gefahr und Bedeutung
Inzwischen hat sich die Gefahrenlage deutlich verschärft. Die Blauhelme, zur Friedenssicherung zwischen den Fronten Israels und Syrien vorgesehen, sind unversehens zwischen die Fronten eines ganz anderen, weitaus unübersichtlicheren Konflikts geraten: des Bürgerkriegs in Syrien. In ihrem Einsatzgebiet liefern sich Regierungstruppen des Assad-Regimes blutige Auseinandersetzungen mit Rebellen.

Damit kommen Österreichs UN-Soldaten auf dem Golan erstmals seit 1974 akut in Gefahr – und ironischerweise gleichzeitig erstmals zu einer Bedeutung, die über ihre Präsenz in der demilitarisierten Zone hinausgeht.
Von ihnen hängt es nämlich ab, ob der Westen die syrischen Rebellen mit Waffen beliefert. Die USA, Großbritannien und Frankreich machen dafür Druck, um nach mehr als zwei Jahren endlich eine Entscheidung im Bürgerkrieg herbeizuführen. Österreich hält dagegen, droht mit dem Abzug der Blauhelme und weiß sich dabei der Unterstützung von Israel sicher – und der Sympathie Syriens.

Auch so kann man zum weltpolitischen Faktor werden.

1047 Soldaten und 76 Militärbeobachter der Vereinten Nationen waren bislang auf dem Golan präsent: Inder, Philippiner, Kroaten – und, als größtes Kontingent, rund 370 Österreicher. Inzwischen sind sie die letzten westlichen Blauhelme vor Ort. Vor zwei Wochen hat Kroatien seine knapp 100 Mann abgezogen. Offizielle Begründung: Medienberichte, wonach die Regierung in Zagreb bei Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen mitgewirkt haben soll, hätten die kroatischen UN-Truppen einem unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt. Zudem sei die Zahl der „gefährlichen Zwischenfälle“ im Verantwortungsbereich der Undof stark gestiegen, ergänzte Vize-Verteidigungsministerin Visnja Tafra – allein im Sektor der Österreicher auf neun im Monat Februar.

Generalleutnant Christian Segur-Cabanac, Leiter der Einsatzsektion des österreichischen Verteidigungsministeriums, will diese Zahl nicht kommentieren, weil, so sagt er, nicht klar sei, welche Definition von gefährlichen Zwischenfällen ihr zugrunde liege. Eines bestätigt Segur-Cabanac allerdings: „Es kommt immer wieder zu Waffenwirkung in unmittelbarer Nähe von UN-Positionen. Die Lage ist angespannt, aber beherrschbar.“

Berechenbar ist sie nicht. Im vergangenen November entging das österreichische Kontingent nur knapp einer Katastrophe. Ein Konvoi mit 139 Soldaten geriet auf dem Weg zum Flughafen Damaskus unter schweren Beschuss. Vier Blauhelme wurden dabei verletzt, zwei von ihnen schwer. Den Hinterhalt dürften Rebellen gelegt haben, um damit zu zeigen, dass das Assad-Regime die Kontrolle über wichtige Verkehrsverbindungen des Landes verliert.

„Wir sind von den Kampfhandlungen schwer betroffen“
Mitte Februar entführten Unbekannte auf dem Golan einen aus Kanada stammenden UN-Mitarbeiter. Bis Mitte dieser Woche war der Mann noch immer verschwunden. Anfang März brachten Aufständische 21 philippinische Blauhelme in ihre Gewalt und hielten sie drei Tage gefangen. Am vorletzten März-Wochenende wurden israelische Einheiten von einer Maschinengewehrstellung in Syrien aus attackiert – und feuerten daraufhin eine Rakete über die Undof hinweg auf die Angreifer ab.

„Wir sind von den Kampfhandlungen schwer betroffen“, erklärte vor Kurzem Undof-Kommandant General Iqbal Singh Singha. Zwar haben weder die syrischen Truppen noch die Aufständischen das UN-Kontingent im Visier. Die Wahrscheinlichkeit, zum Kollateralschaden der Gefechte zu werden, steigt jedoch mit der Eskalation der Gewalt immer mehr an.
Inzwischen mussten die Blauhelme ihre Beobachtertätigkeit stark einschränken. Aus Sicherheitsgründen ordnete Singha an, nur mehr bei Tag und nur mehr in gepanzerten Fahrzeugen auf Patrouille zu fahren. Gleichzeitig hört man nunmehr auch von Nachschub-Engpässen. Aufgrund der chaotischen Situation in Syrien kommen Tanklaster nicht immer planmäßig durch, die Versorgung auf dem lokalen Markt gestaltet sich ebenfalls immer schwieriger.

„Das Mandat der Undof ist aus meiner Sicht weiterhin vollinhaltlich zu erfüllen“, versichert Bundesheer-General Segur Cabanac. De facto gilt das allerdings nur bis Einbruch der Dunkelheit.

Aber die Erfüllung des Mandats hat derzeit lediglich untergeordnete Bedeutung. Dass die syrische Armee auf Israel losgeht, ist ebenso unwahrscheinlich wie umgekehrt ein Angriff israelischer Streitkräfte auf Syrien. Dennoch wollen beide Staaten die Blauhelme um keinen Preis auf dem Golan missen.
Dabei treffen sich die Interessen des Assad-Regimes und der israelischen Regierung von Benjamin Netanjahu auf überraschende Weise mit jenen Österreichs.
Derzeit ringt die Europäische Union um eine Entscheidung, ob das Rüstungsembargo gegen Syrien, das mit Ende Mai ausläuft, verlängert werden soll. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hat bereits Mitte März angekündigt, er wolle die Rebellen „so schnell wie möglich“ mit Waffen und militärischem Material ausrüsten. Auch Großbritannien will auf diese Weise der Opposition zu Hilfe kommen.

Österreich hingegen ist alarmiert.

Gegen Aufhebung des Waffenembargos
Außenminister Michael Spindelegger trat vergangene Woche beim Treffen seiner EU-Ressortkollegen in Dublin ganz vehement gegen eine Aufhebung des Waffenembargos auf. Bundeskanzler Werner Fay­mann hatte bereits am 15. März nach Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel für diesen Fall mit Konsequenzen gedroht: „Es besteht die Möglichkeit, wenn wir das Gefühl haben, dass eine derartige Beschlussfassung einzelner Länder zu einer Gefährdung unserer Soldaten führt, unsere Soldaten zurückzuziehen“, so der Regierungschef.

Dahinter stehen ebenso profane wie nachvollziehbare nationale Interessen: Würden nämlich Frankreich und Großbritannien mit Billigung der EU Waffen an die Rebellen liefern, wäre die Neutralität österreichischer Undof-Truppen kompromittiert, und unser Blauhelm-Kontingent müsste wohl oder übel abgezogen werden, lautet die Argumentation aus Wien.

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Bereits jetzt muss sich die Undof gegen Anschuldigungen wehren, sie ergreife im innersyrischen Konflikt Partei. Im Internet kursierten schon im vergangenen Herbst Gerüchte, die syrische Armee benutze UN-Fahrzeuge zum Truppentransport. Undof-Kommandant Singh Singha wies dies als haltlos zurück und protestierte seinerseits dagegen, dass die syrischen Streitkräfte immer wieder Fahrzeuge einsetzten, die jenen der UN zum Verwechseln ähnlich sähen.

Taktisch klug deponierte die österreichische Regierung ihre Bedenken gegen eine Aufhebung des Embargos auch gleich bei der Regierung Netanjahu. Offenbar mit Erfolg: Nur zwölf Stunden nachdem Emissäre aus Wien diesbezüglich in Jerusalem vorgesprochen hatten, unternahm Israel Anstrengungen in Paris, London und Washington, die Erlaubnis für Waffenlieferungen nach Syrien zu unterbinden.

Vorerst ebenfalls erfolgreich – was jedoch nicht nur für Erleichterung bei den Österreichern sorgte. Das syrische Regime ist damit einstweilen der Sorge enthoben, dass sich die Aufständischen in großem Stil mit besseren und schwereren Waffen eindecken können – und die Israelis der Befürchtung, dass eben diese Waffen auf Umwegen in den Libanon und damit zu ihren Erzfeinden von der Hisbollah gelangen.

Suche nach Alternativen
Den Abzug der österreichischen Blauhelme will die Regierung in Jerusalem nebenbei ebenfalls verhindern. Erstens ist nicht klar, ob sich ein Ersatz finden würde, der Israel genehm ist – zweitens ist, noch viel wichtiger, nicht abzusehen, ob sich überhaupt ein anderer Truppensteller auftreiben lässt. Die Lücken, die das kroatische Kontingent bei seinem fluchtartigen Aufbruch in die Heimat hinterlassen hat, müssen derzeit die Österreicher füllen. Wie lange, ist ungewiss. Mit der Suche nach Alternativen war der UN-Generalsekretär bis dato jedenfalls nicht sonderlich erfolgreich.
Die Nervosität ist auf allen Seiten groß.

Ende Mai wird sie noch weiter steigen. Dann nämlich ist eine Rotation des österreichischen Undof-Kontingents geplant. Rund 200 Soldaten machen sich auf den Heimweg, ebenso viele werden als Ersatz auf den Golan gebracht.

Nach derzeit geltender Regelung muss dieser Austausch über syrisches Territorium abgewickelt werden, das hatte sich das Regime von Damaskus bereits 1974 vertraglich ausbedungen. In Friedenszeiten war das kein Problem: Busse brachten die Blauhelme auf gut ausgebauten Straßen zum Damascus International Airport.

Inzwischen geht das nicht mehr. Seit dem Hinterhalt auf den UN-Konvoi im vergangenen November hat sich die Lage weiter verschärft. Die Zufahrt zum Flughafen ist ständig umkämpft, das Rollfeld liegt in Schussweite der Rebellen. Abgesehen von der einen oder anderen Maschine der staatlichen Syrian Air startet dort kein Flugzeug mehr.

Der Landweg in den Libanon, der wie vorgesehen über syrisches Territorium führen würde, ist ebenfalls versperrt. Er verläuft zwangsläufig durch die südwestlichen Vororte von Damaskus und damit ebenfalls durch Kampfgebiet. Das Gleiche gilt für die Strecke nach Jordanien.

Bliebe noch Israel. Bei der im Jom-Kippur-Krieg komplett zerstörten Stadt al Qunaitra befindet sich das so genannte Alpha-Bravo-Charlie-Gate, der einzige Grenzübergang zwischen Syrien und Israel. Benutzt wird er nur in Ausnahmefällen.

Wenn die Österreicher diesen Weg benutzen wollen, müsste Damaskus allerdings grünes Licht geben, was bisher nicht der Fall ist. Aber das dürfte sich bald ändern. Das Außenministerium in Wien ist vorsichtig optimistisch, denn Syrien habe ein Interesse daran, dass die Undof nicht abziehe, heißt es – ein Ende der UN-Mission auf syrischem Staatsgebiet wäre ein weiterer Mosaikstein im Gesamtbild eines zerfallenden Staates.

Vorsorglich hat der neue Verteidigungsminister Gerald Klug bei seinem ersten Auftritt im Parlament bereits die Trumpfkarte Abzug auf den Tisch gelegt. Die Sicherheit der österreichischen Soldaten sei wichtiger als internationale Reputation, erklärte er: „Österreich leistet seinen Beitrag, aber wir machen es nicht um jeden Preis.“

Wie hoch der Preis sein darf, würden die Männer auf Position 37 jetzt vermutlich nur zu gern wissen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur