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Asyl. Heimische Behörden weisen einen Syrer in sein lebensgefährliches Heimatland aus

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Ziad Khalaf, 31, spielt gern Fußball. Dazu hat er jede Menge Zeit, als Asylwerber darf er nicht arbeiten. Ziad lebt im Moment in einer Pension im niederösterreichischen Bezirk Baden. Er mag Musik. Früher spielte er gern auf dem Buzuk, dem traditionellen Saiteninstrument seiner Heimat: Syrien - wo er als Kurde seit seiner Geburt 1980 Bürger zweiter Klasse war; wo im Jahr 2011 bei Aufständen gegen die Herrschaft von Staatspräsident Baschar al-Assad bisher 3000 Menschen getötet und 15.000 inhaftiert wurden; wohin Ziad Khalaf erst nach Assads Sturz zurückwill; wohin er aber schon bald abgeschoben werden könnte, weil es die heimische Bürokratie so entschied.

Er habe gedacht, in einem Land wie Österreich sei er sicher, sagt Khalaf. Kein Richter würde einen Syrer in dieser Situation ausweisen, wo er schon am Flughafen von Damaskus vom Geheimdienst festgenommen würde. Ein Irrtum: Khalafs Fall beweist, dass im Asylwesendickicht juristisch einwandfreie Entscheidungen gesundheits- bis lebensgefährdend sein können.

Khalafs Geschichte, basierend auf Angaben gegenüber den Asylbehörden, beginnt Ende März 2009. Damals lebte er bei einem seiner Brüder in Kamishli, einer 90.000-Einwohner-Stadt im Norden Syriens. Mit Freunden und Verwandten baute er eine Bühne für das traditionelle kurdische Neujahrs- und Nationalfest Newroz. Eine Polizeipatrouille ließ die Bühne mit Bulldozern abreißen. Das Fest fand dennoch statt. Tags darauf wurden zwei beteiligte Freunde und ein Cousin von Khalaf festgenommen. Dieser bekam Angst, beschloss, Syrien zu verlassen, fuhr nach Damaskus und flog legal nach Österreich. Am Flughafen Schwechat beantragte er Asyl. Zweite Station in Österreich war das Flüchtlingslager Traiskirchen.

Doch das Bundesasylamt lehnte den Asylantrag per Bescheid vom 26. Mai 2009 ab und wies Khalaf nach Syrien aus, da "dem gesamten Vorbringen hinsichtlich der behaupteten Gefährdungslage kein Glaube geschenkt werden kann“. Khalaf legte Beschwerde ein. Zwei Jahre später bestätigte der Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. Mai 2011 die erste Instanz. Khalaf habe "Syrien nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen“ und "sich in Österreich Zutritt durch einen unbegründeten Asylantrag verschafft“. Auch während seiner Zeit in Österreich sei er trotz Teilnahme an Demonstrationen gegen das Regime nicht in das "Visier des syrischen Staates gekommen“. Es sei nicht ersichtlich, dass "die syrischen Behörden irgendwelche Verdachtsmomente hegen, dass der Beschwerdeführer nunmehr im Ausland zum Oppositionellen mutierte“. Daher könne "im Falle der Rückkehr keine Verfolgung/Gefährdungsgefahr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden“.

Dass in Syrien zum Zeitpunkt des Erkenntnisses des Asylgerichtshofs im Mai bereits schwere Unruhen ausgebrochen waren, half Khalaf nicht, obwohl rechtlich gerade für solche Fälle vorgesorgt ist. Denn laut Asylgesetz kann einem abgelehnten Asylwerber so genannter subsidiärer Schutz gewährt werden, wenn ihm im Falle einer Abschiebung Folter, Todesstrafe oder "eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes“ drohen. Dass die Lage in Syrien im Mai einem "innerstaatlichen Konflikt“ entsprach, vermochten die Richter des Asylgerichtshofs nicht zu erkennen, schließlich, so das Urteil, würden "die Unruhen nicht das gesamte Land betreffen“. Überdies liege "die Herkunftsregion des Beschwerdeführers mindestens 200 Kilometer (Luftlinie) von den Gebieten, welche von den aktuellen Ereignissen betroffen sind, entfernt“. Es bestehe daher kein Anrecht auf subsidiären Schutz, Khalafs Ausweisung sei gerechtfertigt.

Deutsche Gerichte beurteilten die Lage zur gleichen Zeit bei gleichem Informationsstand dramatischer. So gewährten die Verwaltungsgerichte Gießen, Köln und Göttingen von Abschiebung bedrohten Syrern nachträglich Asyl oder subsidiären Schutz. Hierzulande half Khalaf nicht einmal eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Das Höchstgericht lehnte sie am 26. September ab.

In der Zwischenzeit brachte Khalaf einen neuen Asylantrag ein. Begründung gegenüber dem Bundesasylamt: Die Situation in Syrien habe sich verschärft.

Denn mittlerweile überbrückten die Unruhen die von den Asylrichtern gezählten 200 Kilometer Luftlinie und erfassten auch Khalafs Herkunftsregion. In Kamishli demonstrierten am 8. Oktober nach der Ermordung des kurdischen Politikers Mashaal Tammo Zehntausende Menschen gegen das Assad-Regime. Sicherheitskräfte eröffneten das Feuer. Mindestens fünf Demonstranten wurden getötet.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.