Testosteron

Testosteron: Adams Hormon

Adams Hormon

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Wenn die Stimmung kocht und die Fußballer auf den Rasen ihrer Heimarena laufen, herrscht auch in ihrem Hormonhaushalt Hochbetrieb: Gesteuert über die Hirndrüsen Hypothalamus und Hypophyse, wird Testosteron im Übermaß ausgeschüttet. Je bedrohlicher die Gegner empfunden werden, desto höher steigt der Pegel – weit über jenen der Gastmannschaft. Testosteron erhöht das Selbstbewusstsein, die Muskelkraft und auch die Aggressivität. „Das könnte erklären, warum auch schwache Teams zu Hause eine Macht sind“, interpretiert die Sportpsychologin Sandy Wolfson von der britischen Northumbria-Universität ihre Forschungsergebnisse. „Hier kommt der tierische Instinkt durch, das eigene Territorium zu verteidigen.“

Ähnliche Kapriolen schlägt das Adamshormon, wenn Eva ins Spiel kommt. Bei einer Untersuchung der Universität Chicago wurden die männlichen Testpersonen von einer Forschungsassistentin in ein Gespräch verwickelt. Binnen Minuten schnellten die Testosteron-Spiegel um beinahe ein Drittel in die Höhe. Vor allem bei jenen Männern, welche die Assistentin ungeniert anbalzten.

Lebenslang. Testosteron ist das wichtigste männliche Sexualhormon. Es wird in den Hoden aus Cholesterin gebildet und dann über die Blutbahn verteilt. Überall im Körper dockt es an spezielle, für männliche Sexualhormone (Androgene) reservierte Rezeptoren an und macht den Mann zum Mann: Die Muskeln wachsen, die Körperhaare sprießen, das sexuelle Verlangen steigt, die Spermien reifen aus.

Überschüssiges Testosteron wird nicht gespeichert, sondern zu Östrogenen, weiblichen Geschlechtshormonen, abgebaut. Testosteron-Nachschub muss daher immer neu produziert werden. Ein Leben lang.

Und hier hapert es manchmal. Vom vierzigsten Geburtstag an sinkt der Testosteron-Spiegel mit jedem Lebensjahr um etwa ein Prozent. Lebensstil-Sünden wie Rauchen, zu viel Alkohol und Übergewicht verstärken das Problem. Jeder zwölfte Mann unter 60 und jeder fünfte darüber hat nach epidemiologischen Untersuchungen deutlich verringerte Testosteron-Werte. Mögliche Folgen sind Libidoverlust, geringe Vitalität, ein Knick in der Leistungsfähigkeit sowie Depressionen.

Andropause. Seit Viagra den alternden Mann aus seiner Lethargie gerissen hat, umschwärmt die Industrie diese Zielgruppe mit Hingabe und immer neuen Verlockungen. Wenn es möglich wäre, diese Probleme mit dem Zusatz von synthetischem Testosteron zu beheben, ergäbe sich zweifellos ein höchst lukratives Anwendungsgebiet. Schon ist in den Medien und Presseaussendungen der Pharmakonzerne von einer neuen Männerseuche die Rede: den „Wechseljahren des Mannes“, der männlichen Andropause als Gegenpol zur weiblichen Menopause.

„Das ist nicht nur ein schlechter Vergleich“, erklärt der deutsche Hormonexperte Eberhard Nieschlag, „das ist auch rundweg falsch.“ Schließlich handle es sich beim Mann nicht um eine definitive lebenslange Pause wie bei der Frau, sondern nur um ein allmähliches Nachlassen der Hormonproduktion.

Auch der Kanadier Alvaro Morales, Berater der Weltgesundheitsorganisation in Sachen sexueller Funktionsstörungen, rät Medizinern dringend davon ab, den Begriff Andropause zu verwenden. Allerdings nicht aus Definitionsgründen, sondern weil dadurch eine unangenehme Nähe zur weiblichen Hormonersatztherapie hergestellt werde, die in letzter Zeit viel Kritiken erfahren hat. Große Studien aus den USA und Großbritannien zeigten, dass sowohl das Brustkrebsrisiko als auch das von Lungenembolien, Schlaganfall oder Herzinfarkt nach jahrelanger Einnahme der weiblichen Hormone Östrogen und Gestagen stark ansteigen. Seit der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Bruno Müller-Oerlinghausen, sie kürzlich sogar als „nationale und internationale Tragödie“ bezeichnete, vergleichbar der Contergan-Katastrophe in den fünfziger Jahren, sei es einfach rufschädigend, wenn Testosteron-Therapien beim Mann in einem Atemzug mit Hormonersatztherapien bei Frauen genannt würden.
Morales schlägt deshalb vor, das Problem Hypogonadismus (mangelnde Funktion der Hoden) oder gleich ADAM zu nennen. Das sei einprägsam, treffend und als „altersbedingtes Defizit an Androgenen bei Männern“ auch leicht ins Deutsche zu übersetzen. Auch wenn „viele Aspekte dieses komplexen Syndroms noch unklar sind“.

Ungeachtet dieser Meinungsdifferenzen gingen die Hersteller in die Offensive. Seit Sommer dieses Jahres ist in Österreich ein Testosteron-Gel des Pharmaherstellers Schering erhältlich, das, auf Schultern, Oberarm oder Bauch aufgetragen, jeglichen Mangel kompensiert. „Testosteron macht den Mann erst zum Mann“, heißt es in der Patientenbroschüre, und „der Körper unterscheidet nicht zwischen dem in den Hoden gebildeten und dem von außen zugeführten Testosteron“.

Geschmackssache. Das Konkurrenzunternehmen Organon stieß jetzt mit einer verbesserten Version seiner Andriol Testosteron-Pillen nach. Die neuen Andriol Testocaps müssen wegen der verbesserten Darreichung nicht mehr achtmal, sondern nur noch zweimal täglich eingenommen werden. „Zu möglichst fettem Essen“, wie der Salzburger Urologe Andreas Jungwirth empfiehlt (siehe Interview). „Ob jemand lieber Tabletten nimmt oder sich eincremt, ist aber persönliche Geschmackssache.“

Beide Optionen sind nach übereinstimmender Meinung der Androgen-Experten besser als alles, was bisher auf dem Markt war. Seit den siebziger Jahren gibt es Testosteron-Injektionen, die in Österreich noch einen Marktanteil von über 50 Prozent halten. Diese Depotspritzen, die im Abstand von drei Wochen verabreicht werden, haben allerdings den Nachteil, dass die Patienten in den ersten drei Tagen einen regelrechten Hormon-Flash mit vierfach überhöhten Werten durchmachen. „Die Männer mögen das aber recht gerne, weil sie sich in diesen Tagen wie Superman fühlen“, berichtet Verena Zechner, die zuständige Produktmanagerin von Schering in Wien. „Es gibt aber auch viele, die das Auf und Ab hassen“, merkt Morales an. Für 2005 plant Schering die Einführung einer verbesserten Depotspritze namens „Nebido“, bei der diese Schwankungen wegfallen sollen.

Juckreiz. Eine weitere Option waren die Testosteron-Pflaster. Sie sind bei vielen Anwendern allerdings unbeliebt, weil man sie auf den rasierten Hodensack aufkleben muss. Sie jucken schrecklich und führen auch nach dem Absetzen noch zu empfindlichen Reaktionen. „Männer, die sich häufig in den Schritt fassen, tragen womöglich Pflaster“, lästert „Spiegel“-Redakteur Jörg Blech in seinem Buch „Die Krankheitserfinder“. Mit den neuen Präparaten zogen die Hersteller die delikaten Pflaster, die zumeist ohnehin als Ladenhüter in den Apotheken vergammelten, weit gehend vom Markt. Dritte Option waren Testosteron-Implantate, die als kristalline Pellets unter die Haut verpflanzt werden. „Dazu ist allerdings eine kleine Operation notwendig“, berichtet Eberhard Nieschlag. „Und bei 15 Prozent der Patienten kam es zu Entzündungen, oder die Testosteron-Kristalle kamen wieder unter der Haut raus.“ Gel und Pillen erscheinen demgegenüber vergleichsweise elegant.

Vom Hersteller finanzierte Studien bestätigen dem Gel eindrucksvolle Wirksamkeit. Bei 227 Patienten, die über einen Zeitraum von sechs Monaten die Testosteron-Pusher verwendeten, verbesserten sich sowohl Libido wie generelle Stimmung. Die fettfreie Körpermasse wuchs um nahezu drei Kilogramm. Bei den Beinpress-Übungen brachten die Teilnehmer nach 90 Behandlungstagen im Schnitt um zwölf Kilogramm mehr Gewicht vom Boden hoch. Unter den 304 Patienten einer US-Studie berichteten in der Hormongelgruppe 78 Prozent mehr über spontane Erektionen als unter Placebo.
Zur Wirkung der Testocaps-Pillen leitet Urologe Jungwirth zwei große Studien, die derzeit an europaweit 50 Zentren durchgeführt werden, „mit bisher durchwegs positiven Ergebnissen: gute Effekte auf die Libido, bessere Leistungsfähigkeit. Und bei einem Patienten, der hauptsächlich über Schweißausbrüche klagte, verschwanden die Beschwerden vollständig.“ Die gesammelten Daten werden kommende Woche in Wien präsentiert.

Wichtigstes Kriterium für eine Testosteron-Therapie, betonen einhellig alle Experten, sei jedoch ein tatsächlicher Mangel. „Hier zeigen sich die wirklich starken Effekte“, sagt Nieschlag. „Wenn der Testosteron-Mangel nur marginal ist, wird auch die Erfolgskurve flach.“

Messproblem. Diesen Mangel aber verlässlich zu messen ist bisher eher schwierig. Zwar lässt sich das Gesamt-Testosteron in jedem Labor einfach, schnell und auch billig innerhalb eines Tages bestimmen. Relevant ist jedoch das frei verfügbare Testosteron, das nicht fest gebunden und biologisch aktiv ist. Und da ist die Bestimmung schon wesentlich unzuverlässiger. „Wir messen irgendwas, aber wir wissen nicht was“, beschreibt Morales das Dilemma.

Deshalb behilft sich die moderne Andrologie mit dem Hilfswert eines „kalkulierten freien Testosterons“, der mithilfe einer komplizierten Formel aus dem Testosteron-Gesamtwert und dem Wert des sexualhormonbindenden Globulins errechnet wird. „Ich kann diese Methode nur empfehlen“, rät Morales. „Dieser Wert ist gut untersucht und hat seine Gültigkeit wiederholt bewiesen.“

Ein positives Resultat auf den ADAM-Test (siehe Kasten Seite 148) ist demnach noch lange kein Grund, gleich eine Therapie zu beginnen. „80 Prozent meiner jungen überarbeiteten Assistenzärzte waren positiv, als sie diese Fragen beantworteten“, sagt Morales. Auch John Morley, Altersforscher an der Saint Louis University und Erfinder des Tests, berichtet eher amüsiert von dessen Entstehungsgeschichte: Als der Hormonproduzent Organon ihn bat, einen Fragebogen zur Andropause zu entwerfen – und diesen entsprechend bezahlte –, zog er sich auf eine kurze Nachdenkpause auf die Toilette zurück. Heraus kamen die zehn Fragen, die seither als Diagnosemaßstab gelten. Der „Toiletten-Test“, wie Morley sein Produkt scherzhaft nennt, „leistet jedoch hervorragende Dienste als Eisbrecher, um mit dem Patienten über seine Probleme ins Gespräch zu kommen“. Bei 70 Prozent aller Testpositiven liegen dann jedoch andere Gründe für die Probleme vor.

Umsatzboom. Dennoch steigt die Zahl der Verschreibungen für die neuen Testosteron-Präparate sprunghaft an. Mit 1,75 Millionen Rezepten hat sich in den USA der Umsatz innerhalb der vergangenen zwei Jahre nahezu verdreifacht. Und das beinahe ohne wirkliche Langzeitstudien oder unabhängig finanzierten Erfolgsbestätigungen. „Wir haben nur die dürftigste Beweislage, was die Testosteron-Substitution angeht“, warnt John McKinlay von den New England Research Institutes in Watertown, Massachusetts. „Fünf Männer hier, zehn Männer dort. Sechs Ratten und ein Rebhuhn auf einem Birnbaum.“

Dies wird sich auch nicht so schnell ändern. Im Vorjahr wurde eine bereits fix geplante, 110 Millionen US-Dollar teure Studie, die 6000 Männer über einen Zeitraum von sechs Jahren auf die Verträglichkeit der Testosteron-Therapie testen wollte, von den US-Gesundheitsbehörden gestoppt. Die Mediziner wollten die Teilnehmer nicht mit den möglichen Risiken konfrontieren. Und erst letzte Woche lehnte ein Komitee der amerikanischen Akademie der Wissenschaften erneut alle Anläufe zu einer wirklichen Großstudie ab.

Dafür wurden kleinere klinische Versuche, wie sie auch vom Salzburger Urologen Jungwirth durchgeführt werden, ausdrücklich ermuntert. „Die bisherigen Studien zeigen ja keinen schädigenden Effekt des Testosterons“, erklärte Dan G. Blazer, der Leiter des Komitees. Und sogar John McKinlay, der bisher schärfste Kritiker der Therapie, schlug vor, „machen wir halt hier und da einen Versuch. Und wenn sich irgendwo ein interessantes Ergebnis zeigt, können wir uns das ja später immer noch genauer ansehen.“

Prostata. Im Brennpunkt des Interesses steht bei diesen Studien die Auswirkung auf das Prostata-Karzinom. Bei Ratten hatten Überdosen von Testosteron tatsächlich Krebs erzeugt. Bei Menschen hingegen fehlt noch der Beweis. Zwar steigt mit laufender Therapie auch der PSA-Wert leicht an – jener Blutwert, der als, wenn auch umstrittener, Anzeiger einer Krebsentwicklung betrachtet wird. Da der PSA-Wert im Alter ohnehin steigt, konnten bisher aber noch keine relevanten Zusammenhänge bewiesen werden. „Das Gegenteil ist genauso möglich“, sagt Morales. „Denn schließlich steigt ja der PSA-Wert mit zunehmendem Alter, der Testosteron-Wert sinkt hingegen.“

Auch Urologe Jungwirth sieht bisher keinerlei Hinweis auf eine Beteiligung des Hormons an der Zunahme von Krebs. „Im Gegenteil, ich halte es für wesentlich wahrscheinlicher, dass Testosteron einen protektiven Effekt auf das Herz-Kreislauf-System ausübt. Die Folge wäre eine Abnahme des Thromboserisikos. Über die Umwandlung von Testosteron in Östrogene sind dazu noch weniger Störungen des zentralnervösen Systems zu erwarten: weniger Alzheimer und Demenz.“

Genau dasselbe hatten allerdings auch die Befürworter der Hormontherapie für Frauen jahrelang gepredigt. Bis sie dann mit den Ergebnissen der placebokontrollierten Langzeitstudien eines Schlechteren belehrt wurden.