„Hinaus mit diesem Schuft!“

Thomas Bernhards „Heldenplatz“: Jubiläum vor 25 Jahren

Jubiläum. Vor 25 Jahren wurde „Heldenplatz“ uraufgeführt

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„So viele Theaterkritiker hat Österreich nie gehabt“, befand die Journalistin Sigrid Löffler im deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. In den Wochen vor der Uraufführung von Thomas Bernhards Skandalstück „Heldenplatz“ am 4. November 1988 meldete sich tatsächlich so gut wie jeder zu Wort, der eine Meinung zum großen Theater haben wollte. Die renommiertesten Politiker dieses Landes wurden über Nacht zu Laienrezensenten. Vizekanzler Alois Mock (ÖVP) wetterte, dass „eine globale Beschimpfung Österreichs auch noch mit Steuergeldern finanziert“ werde. Ausgerechnet der umstrittene Bundespräsident Kurt Waldheim glaubte in dem Stück „eine grobe Beleidigung des österreichischen Volkes“ zu erkennen, und sogar Ex-Kanzler Bruno Kreisky ließ es sich nicht nehmen, aus Mallorca eine grantige Grußbotschaft zu schicken: „Das darf man sich nicht gefallen lassen!“ FPÖ-Bundesparteiobmann Jörg Haider schlug natürlich politisches Kapital aus der Hetze gegen Burgchef Claus Peymann. Er zitierte Karl Kraus, um einen unerwünschten Ausländer zu diffamieren: „Hinaus mit diesem Schuft aus Wien!“

Der Aberwitz an dieser flächendeckenden Erregung: Keiner, der hier lautstark nach Zensur rief, hatte das Stück tatsächlich gelesen. Es gelangten lediglich ein paar brisante Zitate an die Öffentlichkeit („In Österreich musst du entweder katholisch / oder nationalsozialistisch sein“), in welchem Kontext diese Sätze standen, blieb lange unklar. Erst die Premiere zeigte: Thomas Bernhard legte viele seiner Aufreger raffinierterweise einem aus Wien von den Nationalsozialisten vertriebenen Juden in den Mund. Retrospektiv wundert man sich, dass Peymann für seine Strategie, den Stücktext bis zur Aufführung geheim zu halten, keinen PR-Preis verliehen bekam. Es war ein genialer Schachzug. „Stellen Sie sich vor, Sie würden der ,Kronen Zeitung‘ heute Zitate aus Lessings Stück ,Nathan der Weise‘ zuschicken, ganz ohne Kontext“, wagte sich Gerhard Blasche, künstlerischer Generalsekretär des Burgtheaters, an ein Gedankenexperiment. „Da steht unter anderem dieser Satz: ,Der Jude gehört verbrannt.‘“

25 Fragen zur Uraufführung Thomas Bernhards „Heldenplatz“.

Wer trat den Wirbel um „Heldenplatz“ los?
Sigrid Löffler veröffentlichte am 1. August 1988 in profil eine kritische Analyse über die politischen Mechanismen sogenannter „Kulturkämpfe“ am Beispiel der Künstler George Tabori, Claus Peymann und Alfred Hrdlicka. Am 19. September druckte profil dann Zitate aus dem vom Burgthea-ter geheim gehaltenen Stück. Löffler hielt das Material allerdings für wenig brisant: Der Autor habe mit „Heldenplatz“ bloß „ein weiteres Mal dasselbe Bernhard-Stück geschrieben – das gleiche Personal, die gleichen Ressentiments, die immer gleichen Schimpfexzesse gegen Nazis, Sozis, Katholiken und ,die geist- und kulturlose Kloake‘ namens Österreich“. Sie zog folgenden Schluss: „Aus dem von Claus Peymann so liebevoll geplanten Skandal wird wohl nichts werden.“ Die „Kronen Zeitung“ sah das anders. Sie titelte am 7. Oktober empört mit einem Zitat aus dem Stück – „Österreich, 6,5 Millionen Debile!“ – und trat einen beispiellosen medialen Feldzug gegen Bernhard und Peymann an.

War beim ersten Lesen des Auftragsstücks klar, dass es ein Skandal werden würde?
„Ich hatte schon gedacht, dass sich Leute darüber erregen würden“, erinnert sich Hermann Beil, damals Claus Peymanns Kodirektor am Burgtheater, im Gespräch mit profil. „Aber dieses Ausmaß hat mich doch überrascht. In den Abendnachrichten stand ,Heldenplatz‘ an erster Stelle vor zentralen politischen Themen wie dem Staatsbesuch von Bundeskanzler Franz Vranitzky in der Sowjetunion oder dem geplanten EU-Beitritt von Österreich. Damit hatte keiner von uns gerechnet.“

Mussten die Schauspieler wirklich, wie kolportiert, unterschreiben, den Stücktext nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen?
„Also ich habe nichts unterschrieben“, sagt Therese Affolter heute, die das Hausmädchen Herta spielte. „Ich habe es als gar nichts Besonderes erlebt, dass man vor einer Uraufführung über das Stück nicht öffentlich redet. Wir versuchten während der Probe, den Druck von außen so gut wie möglich zu vergessen. Aber natürlich hatten wir bei der Premiere mehr Lampenfieber als sonst. Wir wussten ja gar nicht, ob und wie oft wir unterbrochen würden, ob wir den Abend überhaupt zu Ende spielen würden können.“

Wer stieg vorzeitig aus der Produktion aus und warum?
Am 27. Mai 1988 gab Claus Peymann in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Interview, in dem er meinte: „Wenn Sie wüssten, was für eine Scheiße ich hier erlebe! Man müsste dieses Theater verhüllen und abreißen lassen.“ Vor allem der Schauspieler Franz Morak, damals Sprecher des Ensembles, später unter der Regierung Wolfgang Schüssel Staatssekretär für Kunst, machte massiv gegen Peymann Stimmung. Drei Schauspieler stiegen aufgrund dieses Interviews vorzeitig aus „Heldenplatz“ aus: Hans-Michael Rehberg, Gertraud Jesserer und Elisabeth Orth. Der Termin für die geplante Uraufführung zum 100-jährigen Jubiläum des Burgtheaters am 15. Oktober konnte deshalb nicht gehalten werden. Bernhards bissiger Beitrag zum „Bedenkjahr 1938/1988“ wurde auf den 4. November verschoben.

Wie viele Pressekarten wurden damals vergeben?
Es gingen 126 Pressekarten an Journalisten aus 13 Ländern, und zwar aus Österreich, der BRD, der DDR, aus der Schweiz, den Niederlanden, aus Frankreich, Großbritannien, Israel, Ungarn, Schweden, Finnland, Dänemark und den USA. Bei großen Premieren heute sind maximal 80 Pressekarten vorgesehen (inklusive Begleitkarten).

Wie war die Situation auf der Straße vor dem Burgtheater?
Rund 500 Demonstranten fanden sich laut der Tageszeitung „Die Volksstimme“ ein. Die „Arbeiter-Zeitung“ schrieb von „volksfestartiger Stimmung“. Ein Geschäftstüchtiger verkaufte Bier, Sekt und Erfrischungen an die Schaulustigen.

Wer lud die viel zitierte Fuhre Pferdemist ab?
Karl Steinhauser und die Vereinigung „Aktion Vorbild Österreich“, die bereits in der Affäre um Kurt Waldheim forderte: „Schluss mit der Hetze gegen unser demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt.“ Steinhauser gilt als rechtsextremer Verschwörungstheoretiker, der Kardinal Christoph Schönborn und Bundespräsident Heinz Fischer als „Freimaurer“ bezeichnete. Zuletzt machte er für die FPÖ-Kandidatin Barbara Rosenkranz Werbung.

Wie viele Polizisten waren am Premierenabend im Einsatz?
Rund 200 Exekutivbeamte kontrollierten in Uniform und Zivil die Zufahrten und Eingänge des Burgtheaters.

Wer sang vor dem Burgtheater Protestlieder?
Der 2012 verstorbene erzkonservative ­Publizist und Waldheim-Verteidiger Kurt Dieman-Dichtl intonierte im Stil von Wienerliedern: „Wer ein Hirn hat, wünscht den Peymann weg – wer keins hat, liebt die Hawlicek.“

Der spektakulärste Versuch, ohne Karte in die ausverkaufte Premiere zu gelangen?
Die Autorin dieses Beitrags, damals noch Studentin, fälschte immerhin eine Stehplatzkarte; weitaus dramatischer aber legte es ein Besucher an, der sich im Foyer des Burgtheaters ankettete und meinte, entweder müsse man die Polizei holen oder ihm eine Karte geben. Er durfte in die Vorstellung, weil Hermann Beil beeindruckt war von solcher Theaterbegeisterung.

Der netteste Anti-Bernhard-Protest?
Eine alte Dame kam mit einem Transparent, auf dem zu lesen stand: „Wahre Kunst bringt Liebe. Sie besiegt den Hass.“

War FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache unter den Demonstranten?
Fotos beweisen: Er stand auf der Galerie, von wo aus die Vorstellung von einer rechtsextremen Gruppe gezielt gestört wurde. Die Protestierenden skandierten „Peymann raus!“, rollten eine Österreich-Flagge und ein Transparent aus: „Für die Frechheit der Kunst“. Hermann Beil erinnert sich im profil-Gespräch, dass er einige dieser Demonstrierenden bereits im Juni 1988 bei der Uraufführung von Peter Turrinis „Die Minderleister“ im Akademietheater gesehen hatte.

Der dümmste Zwischenruf?
Jemand aus dem Publikum schrie „Blasphemie“. Dabei ging es nicht um Gotteslästerung, sondern um Kritik am Nationalsozialismus.

Wollte Jörg Haider Freikarten für die Premiere?
Zumindest das Burgtheater streute dieses Gerücht. Heide Schmidt, damals Bundesrätin der FPÖ, sah sich zu einer Stellungnahme veranlasst. „Richtig ist allerdings, dass ich eine telefonische Reservierung auf Kaufkarten für die Vorstellung am 4. November 1988 versucht habe. Zu Beginn des Vorverkaufs fand am Attersee die Klausurtagung der FPÖ statt. Nach Meinung des Burgtheaterchefs hätte somit Dr. Haider diese Klausur verlassen sollen, um sich am Vorverkaufsschalter in Wien für Premierenkarten anzustellen.“ Jedenfalls war Haider dann doch nicht bei der Premiere.

Wie oft wurde das Stück gespielt?
Es gab 122 Aufführungen (zwischen 1988 und 2000), also enorm viele: Bereits mit mehr als 60 Vorstellungen liegt man im Spitzenfeld.

Die wildesten Beschimpfungen in Briefen ans Burgtheater?
„Ich als Christ verfluche dieses Schwein Thomas Bernhard, es soll Aids bekommen.“

„Thomas Bernhard ist ein Psychopath, doch kein großer Dichter. Grillparzer ist ein großer Dichter.“

„Wenn Sie dieses Theaterstück trotz der Proteste aufführen, dann garantiere ich Ihnen, dass das Burgtheater samt Paymann (sic) u. Bernhard in die Luft fliegt. Ein empörter Österreicher, der den Krieg mitgemacht hat.“

Wann kam der Stücktext in den Handel?
Am Tag der Uraufführung wurden 10.000 Exemplare in Österreich ausgeliefert, die in Wien rasch ausverkauft waren.

Wie war das Wetter am 4. November 1988?
Tagsüber sonnig.

Was meldeten die Tageszeitungen am Premierentag?
„Hinrichtungswelle im Iran.“ – „Paris steigert Militäretat um 4,6 Prozent.“ – „Exodus aus Siebenbürgen: Altösterreicher hoffen auf Wien.“ – Die „Kronen Zeitung“ setzte eine Fotomontage, die ein brennendes Burgtheater zeigte, aufs Cover, darunter stand: „Heute, 19 Uhr: Heldenplatz-Premiere. Was wird gespielt? Was wird verspielt? Die Krone lässt sich nichts vorspielen. Und sagt, was sich hinter den Kulissen abspielt. Naturgemäß! … uns ist nichts zu heiß!“

Worin irrte die „Kronen Zeitung“ nach der Premiere?
Sie schrieb: „Der Dichter Bernhard zeigte sich nicht.“ Wie Fotos beweisen, verbeugte sich der Autor nach der Aufführung durchaus. Sigrid Löffler erwiderte damals im profil: „Wer wüsste nicht, dass Hass blind macht?“

Wie lange dauerte der Applaus?
Das Ende der Vorstellung war offiziell für 22.45 Uhr angesetzt, tatsächlich fiel erst um 23.17 Uhr der Vorgang. Dann setzte eine Symphonie aus Buh- und Bravorufen ein, die laut damaligen Kritiken exakt 32 Minuten lang dauerte. Hermann Beil will auf dem Videomitschnitt, den das Burgtheater anfertigte, sogar 45 Minuten gemessen habe. Es war auf jeden Fall der längste Applaus der Ära Peymann, womöglich sogar der längste in der Geschichte des Burgtheaters.

Handelte es sich bei den „Sieg-Heil“-Rufen am Ende des Stückes um historisches Tonmaterial?
Nein, das vorhandene Material war nicht theatertauglich. Während der Proben wurde gescherzt, ob sich Peymann nicht vor der Vorstellung auf die Bühne stellen sollte, um zu sagen: „Der Führer ist heute in der Vorstellung.“ Für den damaligen Tonmeister Christian Venghaus brachte diese Anekdote die zündende Idee: „Ich suchte 20 Statisten, die ich ,Sieg Heil‘ brüllen ließ, und bastelte daraus eine historische Soundkulisse. Jahre später fragte ein deutsches Theater bei mir an, ob ich dieses Material, von dem sie überzeugt waren, dass es echt sei, für eine andere Inszenierung zur Verfügung stellen könnte.“

Was sagte Kollege Heiner Müller am 15. Dezember 1988 in einem Interview über Thomas Bernhard?
„Bernhard ist auch ein Beamter. Er schreibt ja so, als ob er vom österreichischen Staat angestellt wäre, um gegen Österreich zu schreiben. Er könnte auch wirklich eine Pensionsberechtigung dafür beanspruchen. So ein Skandal hat ja eine ungeheure Ventilfunktion. Das lenkt ab von allen Fragen, die eigentlich zu stellen wären. Es gibt doch in Österreich unlösbare soziale Fragen. Österreich ohne Thomas Bernhard würde in keiner westdeutschen Zeitung mehr vorkommen. Es gibt keine bessere ÖsterreichWerbung als Thomas Bernhard.“

Hat sich von jenen Politikern, die damals im Vorfeld lautstark die Absetzung des Stückes verlangten, jemand je öffentlich entschuldigt?
„Das hat mich am meisten schockiert“, sagt Hermann Beil, „dass kein Einziger es fertigbrachte, seinen Irrtum zuzugeben. Es wäre doch angemessen gewesen, nachdem man das Stück kannte, sich von früheren Stellungnahmen zu distanzieren, die völlig aus dem Kontext gerissen waren.“

Über welchen Satz lachte das Publikum während der „Heldenplatz“-Inszenierung im Theater in der Josefstadt 2010 am meisten?
„Die Gewerkschaftsführer jonglieren / in ihren Salzkammergutvillen mit Milliarden / und sehen ihre Hauptaufgabe in skrupellosen Bankgeschäften.“

Karin   Cerny

Karin Cerny