Heizstrahler und Blätterteig

Tom Wolfes neues Buch: Heizstrahler und Blätterteig

Literatur. Tom Wolfes Alterswerk - der Roman „Back to Blood“

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Von der Verknotung möglichst disparater Felder scheint Tom Wolfe seit Jahrzehnten gebannt zu sein. Gesellschaft, Religion, Sex, Ökonomie, Politik und Literatur erachtete der US-Romancier selten als strikt separierte Bereiche, die nur in Ausnahmefällen, in Form politischer Kunst beispielsweise, zusammenfinden. In Romanen wie „Ein ganzer Kerl“ (1998), in dem Wolfe einen Immobilientycoon nach allen Regeln der Bosheit scheitern ließ, und dem im Studentenmilieu angesiedelten Œuvre „Ich bin Charlotte Simmons“ (2005) verschmolz der Romancier komplementäre thematische Pole zu funkelnden literarischen Konstruktionen, zu wuchtigen Dokumenten vor dem Hintergrund bestimmter Abschnitte der amerikanischen Historie: Wirtschaft und Weltuntergang, Ideo­logie und (in ausufernden Dialogpassagen freimütig geäußerte) Idiotie prallten in diesen episch intendierten Gesellschaftssatiren mit moralischer – und hinterlistig ironischer – Akzentuierung ebenso aufeinander wie Reflexionen zu Schreiben und Sozialem, zu Poesie und Politik.

Es bereitete Wolfe kaum je Probleme, in seinen Büchern Themenfelder wie Knieschmerzen (siehe Charles Croker in „Ein ganzer Kerl“) und Klapperschlangen, Wachteljagd und Wirtschaft, Staatsbankrott und Sonntagspredigt zu fusionieren – und mit metaphorischer Verfremdung auf dunkle Kapitel der US-Gegenwartsgeschichte (wie Kapitalwucher und Karrierewahn) hinzuweisen. „Ich wollte die ganze Welt in ein Buch packen“, bemerkte Wolfe mit der ihm eigenen Unbescheidenheit anlässlich des Erscheinens von „Charlotte Simmons“. Das Vorgängerwerk „Ein ganzer Kerl“ sei ohnehin das „größte Buch der Welt“, so der heute 81-jährige Literatur-Playboy, der als perfekt gewandeter Gentleman – cremefarbener Anzug, farblich abgestimmtes Stecktuch, gepunktete Seidenkrawatte und ebensolche Socken – im Bildgedächtnis der Literatur so präsent ist wie in jenen Lexikoneinträgen, die den Meistern der Stilistik und formalen Gewitztheit gewidmet sind. Die Bücher Tom Wolfes öffnen, wie jede gute Literatur, Echoräume, die über das bloß Poetische weit hinausweisen. Dass sich Wolfe in seinem Schreiben auch an der berühmten Dreier-Regel des Filmemachers Billy Wilder zu orientieren scheint – „Du sollst nicht langweilen. Du sollst nicht langweilen. Du sollst nicht langweilen“ –, trägt zur Popularität des Literaturdandys zusätzlich bei.

Versuch eines eigenständingen poetischen Kosmoses
Von „Nervensystemen“, „Synapsen“ und „Zellknospen“, von engen Verknüpfungen im Inneren und Äußeren ist auch in „Back to Blood“ viel die Rede, Tom Wolfes voluminösem jüngstem, in der Reihe seiner nicht dokumentarischen Arbeiten erst viertem Roman. Berühmtheit erlangte Wolfe früh als Mitinitiator der Reporterschule des „New Journalism“ und später mit seinem Tatsachenbericht „Die Helden der Nation“ (1979), der Geschichte der ersten US-Astronauten. Seit Erscheinen von „Fegefeuer der Eitelkeiten“ (1987; dt. 1988), Wolfes literarischem Welterfolg über Aufstieg und Fall des Ekelpakets Sherman McCoy, der sich zum „Meister des Universums“ ausruft, widmet sich der Schriftsteller mit Nachdruck der Fiktionalisierung der Gegenwart, Romanen mit hohem Realitätssplittergehalt. Einen eigenständigen poetischen Kosmos, in dem sich soziale, ökonomische und politische Aspekte aus dem Amerika der Jetztzeit gekoppelt finden, versuchte Wolfe allem Anschein nach auch mit „Back to Blood“ zu erschaffen. Die Erzählknoten, die Wolfe hier jedoch schürzt, wirken wie grellbunte Schleifen an einem übergroßen Bündel von Geschichten, die nicht zueinanderfinden wollen.

„Back to Blood“ beginnt wie ein Tom-Wolfe-Roman at his best. Im Großstadtdschungel von Miami, der Metropole im US-Bundesstaat Florida, gärt es: Kubaner gegen Latinos gegen die zahlenmäßige Minderheit der so genannten „White Anglo-Saxon Protestants“, jenes „schrumpfenden und bedrohten kleinen Stammes“, dem sich Edward T. Topping IV. zugehörig fühlt, Chefredakteur des „Miami Herald“, eines der zentralen Presseorgane der USA. Topping schürt aus Renditengier und Machtbesessenheit Rassenhass und Diskriminierung – in einer Stadt, in der kubanische Einwanderer längst die Kontrolle über Politik und Wirtschaft ausüben.

Unruhegebiet in Permanenz
Wolfe präsentiert sein Miami als urbanes Unruhegebiet in Permanenz, im Großen wie im Kleinen, als Welt aus Lärm und Tumult. Das Thema des Romans, der clash of cultures, klingt gleich zu Beginn an, wenn Wolfe in einer fulminanten Szene über Seiten hinweg aus dem Alltag der Stadt berichtet – eine Kubanerin mit millionenschwerem Ferrari brüskiert Topping bei der Parkplatzsuche –, einer Exposition, in der sich Fragen nach der Unmöglichkeit des Zusammenlebens verschiedener Ethnien und Kulturen wie unter einem Brennglas bündeln.

Daneben befördert Wolfe seine weiteren Protagonisten – Polizist Nestor, bei dem Muskelkraft und Denkvermögen in deutlichem Missverhältnis zueinander stehen, und Magdalena, eine so ahnungslose wie unaufhörlich als umwerfend schön beschriebene Krankenschwester – unter Zuhilfenahme kühner Perspektivenwechsel langsam ins Zentrum des Geschehens: Es bedarf einigen narrativen Könnens, in einem Panoramabild zugleich vom „gigantisch gewölbten grellen Heizstrahler“ am Himmel über Miami zu erzählen, der die Menschen unter Gluthitze leiden und dämmrig werden lässt, und von den fallenden Flocken eines Blätterteiggebäcks, das bei Nestor die Erinnerung an fröhliche Kindertage wachzurufen vermag.

Nach spätestens 100 Buchseiten hat Wolfe die Figuren seines großen Welttheaters anno 2013 vorgestellt, den Ort des Geschehens vermessen, die Tür zu seinem Literaturlaboratorium, das drängende Fragen der Gegenwart zu behandeln verspricht, aufgestoßen. Doch nichts passiert. Die Generallinien seiner Erzählung geraten dem Autor bald aus dem Blick, während er sich im Klein-Klein von Krimihandlung (es geht dabei um einen nicht sonderlich spannenden Fall von Kunstfälschung) und – für sich genommen – durchaus geglückter Kunstszeneparodie verliert. Wolfe zoomt bei der Art Basel Miami Beach, einer der weltweit umsatzstärksten Kunstmessen, auf das „Gegockel und Geldgerangel“ der Milliardäre und zahllosen dreistelligen Millionäre, die sich bei dem von Wolfe als „Super Bowl der Kunstwelt“ verspotteten Event einfinden.

Der Ausgangsproblematik von Streit und Misstrauen der verschiedenen Ethnien, die sich innerhalb Miamis in Restaurants und Bibliotheken, Schulen und Universitäten fremd gegenüberstehen, weiß Wolfe dagegen nichts Neues beizusteuern. „Was wir aus Miami machen müssen“, legt er dem fiktiven Bürgermeister der Stadt unausgegorene Lösungsvorschläge in den Mund, sei „kein Schmelztiegel, das ist unmöglich, nicht zu unseren Lebzeiten. Wir können die Leute nicht verschmelzen … aber wir können sie zusammenschweißen … zusammenschweißen … Was ich damit meine? Ich meine damit, wir können sie nicht miteinander vermischen, aber wir können sichere Räume für jede Nationalität schaffen, für jede ethnische Gruppe, für jede Rasse, und sicherstellen, dass sie alle gleich gut leben können. Sie wissen, was ich meine?“ Nicht nur an einer Stelle lässt der Autor eine seiner Figuren äußern: „Alle Menschen, überall, haben keine andere Wahl als – Zurück zum Blut!“ Ideologische Rückwärtsgewandtheit und verblasene politische Rhetorik lässt der Spötter Wolfe unkommentiert im Raum stehen.

Die fortschreitende Entgleisung dieser Erzählung scheint exemplarisch in der weiblichen Hauptfigur der Magdalena abgebildet, die in ihrem klirrenden Schematismus im Werk Wolfes einzigartig dastehen dürfte. Die Kubanerin Magdalena ist ein Muster an Borniertheit, deren Reizen Männer grundsätzlich rettungslos verfallen, eine unbedarfte Schutzpatronin der Stupidität. Als einer ihrer Liebhaber von Privatjacht und Grundbesitz schwärmt, wird einmal mehr deutlich, wie sehr sich Wolfe weigert, einzelne Fäden zu einem größeren Ganzen zu schnüren. „Was zum Teufel war Kapital?“, fragt sich die von Wolfe in keinen zeitgeschichtlichen Kontext gebettete Kubanerin da allen Ernstes. Was zum Teufel ist hier nur passiert?

Tom Wolfe: Back to Blood. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Blessing Verlag, 765 S., EUR 25,70

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.