Tote statt Worte in der Schubhaft

Tote statt Worte in der Schubhaft: Ein neuer UNHCR-Bericht enthüllt eklatante Missstände

UNHCR-Bericht enthüllt eklatante Missstände

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Er fühlte sich hilflos und allein. Man hatte ihn mit ein paar Männern in eine Zelle gesteckt, doch keiner von ihnen sprach Bengali. Am zwölften Tag ließ Schajahan Miah, 38, das Essen stehen, und von da an wurde es noch schlimmer. Die Beamten sperrten ihn allein in eine Zelle, stellten ihm jeden Tag einen Teller hin und deuteten ihm mit den Händen: „Essen!“ Einmal am Tag musste er beim Arzt auf die Waage steigen, doch als er eines Nachts aus seinem Mund zu bluten begann, kam keiner, um nach ihm zu sehen. Nach 32 Tagen war er von ursprünglich 82 Kilo auf 56 Kilo abgemagert, er konnte seinen Harn nicht mehr lassen und dachte, jetzt würde er sterben. Da stellte man ihn auf die Straße. „Ich habe schrecklich ausgesehen, wie ein Skelett, die Leute haben sich gefürchtet“, sagt er.

Das war 2001. Kurze Zeit später erkundete der Menschenrechtsbeirat im Innenministerium die medizinische Versorgung in den Polizeianhaltezentren (PAZ). Sie war katastrophal. Es gab nicht einmal Dolmetscher, die den Amtsärzten übersetzen hätten können, was den Schubhäftlingen fehlte. Im Oktober 2005 starb im PAZ Linz der Gambier Yankuba Ceesay im Hungerstreik. Die Ermittlungen verliefen im Sand. Im Vorjahr wäre der Algerier Fethi M. in Schubhaft fast verbrannt. Sein Fall wurde nie geklärt. Nun ist wieder ein Schubhäftling tot. Vor zwei Wochen brach der Inder Gaganpreet Singh im PAZ Wien zusammen. Herzinfarkt. Die Amtsärzte wussten wenige Stunden nach seinem Tod via Pressemeldung zu verkünden, dass sein Ableben mit dem Hungerstreik nichts zu tun habe. Der gerichtsmedizinische Befund steht noch aus.

Menschenrechtsanwalt Wilfried Embacher wertet es als „Zeichen einer fortschreitenden Verrohung“, dass man sich auf den Leserbriefseiten über den toten Inder echauffierte, der versucht hatte, Asyl zu bekommen, obwohl er dafür wahrscheinlich keine echten Gründe hatte. Über die Bedingungen in den Anhaltezentren wolle man sich nicht den Kopf zerbrechen: „Wir schauen seit Jahren zu, wie Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, jetzt sterben halt noch ein paar nach der Ankunft in Europa.“
2008 saßen rund 5000 Menschen in Schubhaft. Um ihre gesundheitliche Versorgung sorgt sich der Menschenrechtsbeirat schon seit Langem. Insgesamt 69 Verbesserungen hat das Gremium seit 2002 vorgeschlagen. Sie wurden allesamt ignoriert. Nach wie vor fehlt es an Ärzten, die für ihre Patienten da sind und nicht gleichzeitig als Gutachter für die Behörde fungieren, es fehlt an Übersetzern, an Beschäftigung während der Haft, und es fehlt an allen Ecken und Enden an Beratung, Betreuung und Information. Das zeigt ein brandneuer, unveröffentlichter Bericht des Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR). Das Dossier, aus dem profil erstmals zitiert, enthüllt Zustände, die jeder Beschreibung spotten: Die meisten Schubhäftlinge kennen nicht einmal den Grund für ihre Verhaftung.
„Man bringt es fast nicht über die Lippen, aber man lässt die Leute in Österreich wirklich dumm sterben“, sagt Philipp Sonderegger, Sprecher von SOS Mitmensch.

Das vom UNHCR entsandte Rechercheteam hatte von Oktober bis Dezember 2008 heimische Polizeianhaltezentren zwischen Eisenstadt und Innsbruck abgeklappert und mit 69 Schubhäftlingen ausführlich gesprochen, fast alle waren Asylsuchende. Sie stammten aus Ghana, Indien, Pakistan, Tschetschenien, Saudi-Arabien, der Türkei, Weißrussland. Was sie einte, war eine beklemmende Ahnungslosigkeit: 53 der 69 befragten Männer und Frauen wussten nicht einmal, warum sie verhaftet worden waren.

Informationsnotstand.
Schubhaft ist das härteste Mittel der Verwaltung und für die Betroffenen eine dramatische Erfahrung. „Menschen, die diese Erfahrung als politische Gefangene gemacht haben, empfinden sie oft als besonders traumatisierend“, sagt Roland Schönbauer, Sprecher des UNHCR-Büros in Wien. „Es darf doch nicht wahr sein, dass sie nicht einmal erfahren, wie ihnen geschieht. Diesen Informationsnotstand hat der Rechtsstaat Österreich nicht notwendig. Er muss sofort beendet werden.“ Der Bericht streicht eklatante Unterschiede hervor: Wie gut Schubhäftlinge Bescheid wissen, hängt laut UNHCR davon ab, wer sie betreut. Jene 16 Befragten, die aussagten, den Grund für ihre Haft zu kennen, saßen ohne Ausnahme in einem Polizeianhaltezentrum, das von der Caritas beziehungsweise der Diakonie betreut wurde. Doch die kirchennahen Flüchtlingsbetreuer wurden verdrängt. Das Innenministerium hat fast alle Verträge mit Caritas, Diakonie und kleinen NGOs gelöst, die Schubhaftbetreuung gestrichen und stattdessen den Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ) mit einer „Rückkehrvorbereitung“ betraut. Wie der UNHCR-Report nun aufdeckt, wurde damit gleichzeitig die Information der Schubhäftlinge eliminiert. Wörtlich schreibt das UNHCR: „In den Polizeianhaltezentren, in denen der Verein Menschenrechte tätig war, gaben alle befragten Personen an, den Grund für ihre Inschubhaftnahme nicht zu kennen.“

Zahlreiche Befragte „waren äußerst erstaunt“, als ihnen von den UNHCR-Entsandten ihre Rechte vorgetragen wurden. Zwar seien fallweise muttersprachliche Informationsblätter verteilt worden, doch die meisten Schubhäftlinge blickten bei den juristischen Formulierungen nicht durch; einige konnten gar nicht lesen. Seit Langem fordert der Menschenrechtsbeirat Info-Automaten mit Videos, rechtliche Berater und Dolmetscher, um diesen Mangel zu beheben. Bisher vergeblich. Er verstehe nicht, warum er eingesperrt sei, obwohl er nichts gestohlen, niemanden verletzt und kein anderes Verbrechen begangen habe, gab ein Schubhäftling zu Protokoll. „Dublin-Fälle“, also Menschen, die in das Land zurückgeschoben werden, in dem sie erstmals EU-Boden betreten haben, hadern besonders mit dem Gefängnis: Zwei Afghanen, die nach Griechenland zurückgeschoben werden sollten, erzählten den UNHCR-Vertretern, sie hätten dort keinen Platz zum Schlafen gefunden und um Essen betteln müssen.

37 der Befragten wussten nicht, wie ihr Asylverfahren steht. Wieder wurde die überwiegende Zahl (34) vom Verein Menschenrechte Österreich betreut. Obwohl dessen Mitarbeiter vielerorts die Einzigen sind, die Zugang zu Schubhäftlingen haben, gehört es nicht zu ihren Anliegen, diesen zu ihrem Recht zu verhelfen. 28 Schubhäftlinge hatten laut Bericht „keinerlei Rechtsbeistand“ und baten die UNHCR-Vertreter, ihnen einen Anwalt zu besorgen. Wiederum auffällig: Alle 28 wurden vom VMÖ betreut. Juristische Hilfe war tatsächlich nötig. Das UNHCR leitete die 28 Personen an Caritas, Diakonie, Helping Hands in Tirol und Volkshilfe in Oberösterreich weiter. Fünf davon beschwerten sich beim Unabhängigen Verwaltungssenat gegen die Schubhaft. Drei bekamen dort sofort Recht. In zwei Fällen wurde die Schubhaft bestätigt. Jedoch hielt der Verwaltungsgerichtshof die Inhaftierung in einem Fall für unrecht­mäßig.

Im Argen liegt auch die „freiwillige Rückkehr“. Auffallend häufig waren es VMÖ-Betreute, die angaben, die Haft nicht länger zu ertragen und zurückkehren zu wollen, zwei Schubhäftlinge hatten den Eindruck, man wollte sie „überreden“. Einer davon war ein junger Iraker, „dessen Freund zuvor aufgrund des Drucks der Haftsituation in den Irak zurückgekehrt war“, heißt es in dem Bericht. Dass Menschen, die über ihre Möglichkeiten im Unklaren gelassen werden, psychisch und physisch leiden, fällt sogar Beamten auf. Ausdrücklich erwähnt das UNHCR-Dossier einen Kommandanten aus Villach: „Seinen Beobachtungen zufolge würde es den Häftlingen durch mehr Beratung, Aufklärung und Unterstützung besser gehen.“

Das UNHCR geht noch weiter und stellt einen Zusammenhang zwischen Informationsnotstand und Hungerstreiks her: Schubhäftlinge, die aufhören zu essen, machen das nach eigenen Angaben vor allem deshalb, weil sie keine andere Chance sehen, aus dem Gefängnis herauszukommen: „Diese Tatsache ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass der Mehrzahl der Befragten die ­Möglichkeit einer Schubhaftbeschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat nicht bekannt war.“ Umgekehrt konnten die UNHCR-Experten beobachten, dass Schubhäftlinge, „die rechtlich gut informiert waren, beruhigter und psychisch stabiler wirkten“. Zwei irakische Asylwerber etwa warteten auf ihre Abschiebung nach Schweden und Norwegen. Niemand hatte ihnen erzählt, was sie dort erwartet. Das UNHCR erkundigte sich und schickte die Informationen an die Iraker weiter: Die beiden Männer hätten danach „viel gefasster“ gewirkt.

Doppelrolle. Auf die Amtsärzte können Schubhäftlinge nicht bauen. Die Mediziner sind in einer „unerträglichen Doppelrolle gefangen“, kritisiert das Menschenrechtsbeiratsmitglied Martin Schenk: „Man kann nicht Haftprüfer und Heiler, Polizist und Arzt gleichzeitig sein.“ Der Amtsarzt habe nicht nur die Gesundheit des Patienten im Auge, sondern auch das Wohl der Behörde. In der Praxis führt das zu bizarren Szenen: Da versuchen Ärzte dahinterzukommen, ob der Hungerstreikende hinter ihrem Rücken heimlich isst. Der Menschenrechtsbeirat schlägt vor, unabhängige Sanitäter einzusetzen. Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International in Österreich, würde das sehr begrüßen: „Dem fällt vielleicht eher auf, wenn jemand blass wird.“ Doch das Innenministerium boykottiert seit Jahren jede Verbesserung mit dem Argument, dafür gebe es kein Geld.
Seit den ersten kritischen Berichten sind sieben Jahre vergangen, besser geworden ist laut UNHCR nichts: Nach wie vor können sich Schubhäftlinge beim Arzt nicht verständlich machen, weil Übersetzer fehlen. Das UNHCR interviewte einen Mann, der unter Bauchschmerzen litt und nicht wusste, wie er dem Arzt erklären sollte, dass die Tabletten, die dieser ihm wiederholt verabreicht hatte, nicht wirkten. Ein anderer musste vom UNHCR-Team aufgeklärt werden, warum er mit dem Bus zum Röntgen gebracht wurde. „Er war nicht darüber informiert worden, dass es sich um eine TBC-Untersuchung handelte.“

17 der 69 befragten Schubhäftlinge hätten psychisch „sehr instabil“ gewirkt; sechs waren „nahezu apathisch, verzweifelt und niedergeschlagen“, sie schienen „von der für sie unverständlichen Haftsituation so gezeichnet, dass man das Gespräch nur mittels mehrmaligen Nachfragens und unter Beschränkung auf wesentliche Inhalte durchführen konnte“. Bei vier Männern – sie stammten aus Nigeria, Russland und Moldawien – war die „Verzweiflung über die Haft so groß, dass sie drohten, sich umzubringen“, sollte das UNHCR nicht umgehend für ihre Entlassung sorgen: „Die Betroffenen konnten nur schwer beruhigt und zum Durchhalten ermutigt werden.“

Der eintönige Tagesablauf, der in den großen Anstalten sehr rigide gestaltet ist, zerrt an den Nerven. Das Gros der Schubhäftlinge sind unbescholtene Menschen. In Eisenstadt, Linz, Graz, Klagenfurt, Leoben, Linz, Schwechat und Villach gibt es offene Stationen, was nur bedeutet, dass die Türen der Zellen offen sind. In Wien gibt es nur eine offene Station für Frauen, im PAZ Salzburg eine für Männer. Tatsächlich sitzen viele Schubhäftlinge ihre Zeit wie im Gefängnis ab. Manche werden fast verrückt, wenn die Zelle versperrt wird, so wie der Iraker, der den UNHCR-Vertretern sagte, er hätte während seiner Zeit in der geschlossenen Zelle jedes Papier unterschrieben, um rauszukommen. Es hätte alles darauf stehen können, auch „freiwillige Rückkehr“.

In einigen Wochen tritt eine neue Novelle des Fremdenrechts in Kraft. Dann landen alle Dublin-Fälle in Schubhaft und außerdem jeder, der von der Fremdenpolizei im „falschen Bezirk“ erwischt wird. Niki Kunrath, Vorstandsmitglied von Hemayat, einem Verein, der sich um Überlebende von Folter und Krieg kümmert, warnt: „Asylwerber, die von Traiskirchen nach Wien zum Anwalt fahren und da aufgegriffen werden, landen automatisch in Schubhaft. Das ist das Ende des freien Zugangs zum Recht.“

Die Politik pflegt selbst die ärgsten Härten als Mittel gegen illegale Zuwanderung und Asylmissbrauch zu rechtfertigen. „Dabei zeigt die Praxis, dass man damit nichts gewinnt“, sagt UNHCR-Sprecher Schönbauer: 2004 trat das verschärfte Asylgesetz in Kraft. Das Ziel: Reduzierung der Asylverfahren. Tatsächlich sanken die Anträge schon 16 Monate vor dem Gesetz. Im Oktober 2004 das gleiche Spiel mit umgekehrten Vorzeichen: Der Verfassungsgerichtshof kippte Teile des Fremdenrechts, die Politik heulte auf, nun würden die Anträge wieder steigen. Zu merken war davon nichts. Als die Regierung 2008 den Zugang zum Verwaltungsgerichtshof strich, zeigte sich einmal mehr, dass die „Garstigkeiten eines mitteleuropäischen Lands die großen Fluchtbewegungen nicht steuern können“ (Schönbauer): Die Anträge gingen nicht etwa zurück, sondern sind seit damals wieder im Steigen. „Es wird sich niemand abschrecken lassen, nach Europa zu kommen. Offensichtlich geht es jetzt nur mehr darum, möglichst grauslich zu sein, damit die Leute in ein anderes Land gehen“, sagt Menschenrechtsanwalt Wilfried Embacher, der die Angehörigen des verstorbenen indischen Schubhäftlings Gaganpreet Singh vertritt.

Schajahan Miah, 38, ist immer noch in Österreich. Er hat wieder 80 Kilo, und die Leute schlagen nicht mehr die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie ihn sehen. Seit dem Hungerstreik quälen ihn oft Schmerzen in den Beinen. Aber er kann sich immer noch keinen Arzt leisten. Er hilft einem Landsmann, der einen Zeitungsstand besitzt, dafür bekommt er zu essen. Bis Oktober darf Miah im Land bleiben. Er hofft, dass sein Aufenthalt verlängert wird. Zurück nach Bangladesch will er nicht: „Ich habe Probleme dort.“

Link: „MONITORING“ DER SCHUBHAFTSITUATION VON
ASYLSUCHENDEN

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges